S 14 P 4109/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 P 4109/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung bzw. Auszahlung von Leistungen nach dem SGB XI in Form von Leistungen für Verhinderungspflege streitig.

Die am 07.09.1995 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin ist seit ihrer Geburt geistig behindert und leidet an einer Entwicklungsstörung sowie Autismus. Die Beklagte hat die Voraussetzungen der Pflegestufe I sowie die erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz seit Mai 2003 anerkannt, weswegen die Klägerin Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung erhält. Die Klägerin steht außerdem unter rechtlicher Betreuung ihrer Eltern. Seit Oktober 2014 lebt die Klägerin in einer stationären Pflegeeinrichtung.

Unter dem 27.08.2015 beantragte die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, Verhinderungs-pflege auf Grund der Verhinderung ihrer Pflegepersonen wegen Erholungsurlaub. Die Ver-hinderungspflege werde für die Zeit vom 08.08.2015 bis zum 15.08.2015 beantragt. Die Ver-hinderungspflege werde durch einen professionellen Pflegedienst/Sozialdienst, der Fördern Bilden Beraten gGmbH durchgeführt.

Unter dem 02.09.2015 überließen die Eltern der Klägerin schließlich eine Rechnung der För-dern Bilden Beraten gGmbH, in welcher Kosten für die pflegerische Betreuung, der Unter-kunft und Verpflegung sowie Fahrtkosten und Eintrittskosten im Rahmen einer Ferienfreizeit am Lago Maggiore im Zeitraum 08.08.2015 bis 15.08.2015 in Höhe von 1.246,- Euro in Rechnung gestellt wurden.

Mit Bescheid vom 16.10.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Verhinderungspflege könne nur erbracht werden, wenn die Betreuung in der Behinderteneinrichtung nicht gewährleistet werden könne oder diese komplett geschlossen sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen.

Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch. Folge man der Ansicht der Beklagten, wären Menschen, die voll- oder teilstationäre Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen, von Leistungen der Verhinderungspflege generell ausgeschlossen. Einrichtungen der Behinder-tenhilfe seien gesetzlich verpflichtet die Betreuung der Menschen ganzjährig zu gewährleis-ten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2015 zurück. Die Klägerin erhalte seit Mai 2013 Leistungen aus der Pflegeversicherung und habe grundsätzlich Anspruch auf Verhinderungspflege für längstens 6 Wochen pro Kalenderjahr bis zu einer Höhe von 1.612,- Euro, wenn die Pflegeperson wegen Erholungsurlaub, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert sei. Die Pflege sei im vorliegenden Fall sichergestellt gewesen, da die Behinderteneinrichtung, in der die Klägerin auch sonst betreut und gepflegt werde, über Betreuungsmöglichkeiten verfügt habe.

Hiergegen richtet sich die am 14.12.2015 zum Sozialgericht Karlsruhe erhobene Klage. Zur Begründung trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, sie habe 35 Tage Urlaub im Jahr, welche sie grundsätzlich zu Hause verbringe. Dort werde sie von ihrer Mutter betreut. Diese sei selbst erwerbstätig. Vom 08.08.2015 bis zum 15.08.2015 habe sie eine Woche Urlaub in der Ferienfreizeit am Lago Maggiore verbracht. Diese Woche habe ihre Mutter für eigenen Urlaub genutzt. Sie sei wandern gewesen. Somit sei ihre Mutter wegen des Erholungsurlaubs an der häuslichen Pflege gehindert gewesen. Bei der Mutter handele es sich auch um ihre Pflegeperson. Sie verbringe mehr als 1/3 des Jahres im Haushalt der Eltern. Zur weiteren Begründung hat die Klägerin Bestätigungen des Pflegeheimes über die An- bzw. Abwesenheitszeiten in der Zeit von Oktober 2014 bis Juni 2016 überlassen.

Die Klägerin beantragt -sachdienlich gefasst-,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.10.2016 in der Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 23.11.2015 zu verurteilen, der Klägerin die beantragten Leistungen der Verhinderungspflege im Zeitraum 08.08.2015 bis 15.08.2015 in Höhe von 1.246,- Euro zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die angegriffene ablehnende Entscheidung sei zu Recht ergangen. Die Klägerin sei in einer Behinderteneinrichtung untergebracht. Bei der Pflegeperson handele es sich daher um die Behinderteneinrichtung. Die Pflege hätte im hier maßgeblichen Zeitraum von der Behinderteneinrichtung erbracht werden können. Ein Anspruch auf Verhinderungspflege bestehe nur, wenn die Pflegeperson an der Pflege gehindert sei.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwal-tungsakte der Beklagten Bezug genommen. Beide waren Gegenstand der gerichtlichen Ent-scheidung.

Entscheidungsgründe:

Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) erhobene statthafte Klage ist zulässig aber nicht begründet. Die Klägerin hatte im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf Übernahme der geltend gemachten Kosten als Kosten der häuslichen Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson. Diese Aufwen-dungen waren nicht notwendig im Sinne des § 39 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI).

1. Anspruchsgrundlage der begehrten Kostenübernahme ist § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB XI in der hier maßgeblichen bis 31.12.2015 gültigen Fassung vom 17.12.2014. Demnach über-nimmt die Pflegekasse die nachgewiesenen Kosten einer notwendigen Ersatzpflege für längstens sechs Wochen je Kalenderjahr, wenn eine Pflegeperson wegen Erholungsur-laubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert ist. Voraussetzung ist, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor der erstmaligen Verhinderung mindestens sechs Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB XI).

Die Mutter der Klägerin war als Pflegeperson in der Zeit vom 08.08.2015 bis 15.08.2015 aufgrund ihres eigenen Urlaubs gehindert, die Pflege ihrer pflegebedürftigen Tochter fortzusetzen. Die Pflege erfolgte in dieser Zeit in geeigneter Weise durch Mitarbeiter der Fördern Bilden Beraten gGmbH, die die Klägerin während der Ferienfreizeit am Lago Maggiore und die anderen pflegebedürftigen Reiseteilnehmer betreut und gepflegt haben. Bei der Fördern Bilden Beraten gGmbH handelt es sich um einen vom Landratsamt der Stadt Freiburg anerkannten Anbieter von Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI (vgl. http://foerdern-bilden-beraten.de/impressum.html).

Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass die Verhinderungspflege nicht im elterlichen Haushalt der Klägerin oder der Pflegeinrichtung Am Bruckwald, wo die "häusliche Pfle-ge" der Klägerin ansonsten stattfindet, sondern in einer von dem Betreuungsanbieter un-terhaltenen Ferienfreizeit erfolgt ist. Die Verhinderungspflege muss nach § 39 SGB XI nicht in der häuslichen Umgebung des Pflegebedürftigen stattfinden. Eine Kostenüber-nahme bei Verhinderung der Pflegeperson kann vielmehr unabhängig davon beansprucht werden, ob die Pflege in einem Privathaushalt oder auf andere geeignete Weise erfolgt (vgl. BT-Drucks 13/3696, Seite 13). Verhinderungspflege kann somit auch in Ferien-camps oder Ferienheimen erfolgen, die von einer Betreuungseinrichtung unterhalten werden (vgl. BSG, Urteil vom 17. Mai 2000 – B 3 P 9/99 R –, SozR 3-3300 § 39 Nr. 3, juris Rn. 25; Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 1. Aufl. 2014, § 39 SGB XI, Rn. 21).

Dem Anspruch steht weiter nicht entgegen, dass die Klägerin nicht ausschließlich durch ihre Mutter gepflegt wurde, sondern auch in der stationären Pflegeinrichtung Am Bruck-wald lebte. Die häusliche Pflege im elterlichen Haushalt erfolgte nicht nur sporadisch. Die Klägerin hielt sich im Zeitraum Oktober 2014 bis Juni 2016 mehr als 1/3 des Jahres im elterlichen Haushalt auf, wo sie von ihrer Mutter betreut und gepflegt wurde (vgl. Bestätigungen über die An- bzw. Abwesenheitszeiten in der Pflegeeinrichtung Am Bruckwald, Seiten 32 ff. Gerichtsakte). § 39 SGB XI greift auch ein, wenn die Pflege sowohl in einer vollstationären Einrichtung als auch - an Wochenenden und in den Ferien - im elterlichen Haushalt stattfindet. Erforderlich ist, dass die häusliche Pflege nicht nur sporadisch, z.B. bei einzelnen Besuchen, sondern neben der Heimpflege regelmäßig und in einem erheblichen Umfang erfolgt, der Pflegebedürftige also zwei Lebensmittelpunkte hat, an denen er abwechselnd gepflegt wird (BSG, Urteil vom 06. Juni 2002 – B 3 P 2/02 R –, SozR 3-3300 § 39 Nr. 5, SozR 3-3300 § 19 Nr. 1, juris Rn. 15).

Dem Anspruch steht vorliegend jedoch entgegen, dass die Ersatzpflege im streitigen Zeitraum nicht notwendig im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB XI war, da die Klägerin in der Pflegeinrichtung Am Bruckwald ununterbrochen hätte betreut / gepflegt werden können. An der in § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB XI vorausgesetzten "Notwendigkeit" der Ersatzpflege wegen Verhinderung der Pflegeperson fehlt es nämlich, wenn die pflegebedürftige Person in der fraglichen Zeit in eine Behinderteneinrichtung zurückkehren konnte, in der sie sonst auch betreut und gepflegt wird (BSG, Urteil vom 06. Juni 2002 – B 3 P 2/02 R –, SozR 3-3300 § 39 Nr. 5, SozR 3-3300 § 19 Nr. 1, juris Rn. 19). Die Unterbringung in dieser Einrichtung während der Verhinderung der Eltern stellt sich dabei nicht ihrerseits als Form der Verhinderungspflege dar, weil die pflegebedürftige Person dort auch regulär gepflegt wird und die Pflegekasse für diese den Kostenbeitrag (§ 43a SGB XI) auch in den Ferienzeiten weiter bezahlt.

Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit Sinn und Zweck der Regelung. Die Regelung über die Übernahme der Kosten für Verhinderungspflege gemäß § 39 SGB XI bezweckt die Sicherstellung der notwendigen Pflege von Pflegebedürftigen während einer Verhin-derung der Pflegeperson. Die Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass den Pflege-personen ein hohes Maß an psychischer und physischer Anstrengung abverlangt wird und regelmäßige Erholungsphasen erforderlich sind. In diesen Erholungsphasen soll die Pflege sicher gestellt werden. Entscheidend ist daher, dass die Pflegeperson in einem bestimmten Zeitraum urlaubsbedingt die Pflege tatsächlich nicht durchführen kann und (zusätzliche) Kosten für die Sicherstellung der notwendigen Pflege des Pflegebedürftigen während der Zeit, in der die Pflegeperson "Urlaub von der Pflege" macht, entstehen (BSG, Urteil vom 17. Mai 2000 – B 3 P 9/99 R –, SozR 3-3300 § 39 Nr. 3, juris Rn. 26). Steht jedoch eine stationäre Pflegeeinrichtung ohnehin zur Verfügung, weil der Pflegebedürftige dort regulär lebt, bedarf es keiner (zusätzlichen) Sicherstellung der Pflege in den Erholungsphasen.

Die begehrten Aufwendungen in Höhe von 1.246,- Euro sind von der Beklagten somit nicht zu tragen. Die Klage war abzuweisen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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