Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 R 2150/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 345/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 R 45/16
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 26.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.08.2011 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Klägerin trägt die Gerichtskosten.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist eine Beitragsnachforderung in Höhe von EUR 7800,09 einschließlich Säumniszuschlägen. In Auswertung der Ergebnisse einer nach § 28 p Abs. 1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) bei der Klägerin am 09.11.2007 durchgeführten Betriebsprüfung über den Prüfzeitraum 01.06.2003 bis 31.10.2007 hörte die Beklagte die Klägerin am 03.08.2009 zu einer Beitragsnachforderung an, die aus Beschäftigungsverhältnissen der vermeintlich freien Mit-arbeiter C., D., E., F. und G. resultierte. Die Mitarbeiter hatten jeweils sozialpädagogische Arbeit in Wohnanlagen verrichtet. Bis auf den Beigeladenen hatte es sich um geringfügige Beschäftigungen gehandelt. Zu dem oberhalb der Geringfügigkeitgrenze tätig gewordenen und entlohnten Beigeladenen wurde festgestellt, dass er hauptberuflich Angestellter bei der Bundesagentur für Arbeit ist. Ein Gewerbe hatte er nicht angemeldet, eigene Betriebsräume besaß er nicht, er übte ohne Einsatz eigenen Kapitals die gleichen Tätigkeiten wie die Arbeitnehmer der Klägerin aus. Seine Arbeitszeit und seinen Arbeitsort konnte er nicht frei wählen. Die Anhörung kündigte betreffend D., E., F. und G. die Nacherhebung von Pauschalbeiträgen für geringfügig Beschäftigte ab 2005 und von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für alle Zweige der Sozialversicherung betreffend den Beigeladenen für die Zeit ab 01.08.2006 an. Hinsichtlich der Nichtabführung von Beiträgen wurde grobe Fahrlässigkeit unterstellt, weil offensichtlich gewesen sei, dass der Beigeladene kein Selbstständiger gewesen war. Der ebenfalls angehörte Beigeladene hielt entgegen, er sei in den Jahren 2006 und 2007 für die Klägerin freiberuflich tätig gewesen und habe freiwillig den halben Regelbeitrag zur Deutschen Rentenversicherung entrichtet. Eine Gewerbeanmeldung sei nach Aussage des Finanzamts nicht erforderlich gewesen. Nachdem er eine Anstellung gefunden habe, sei er 2008 nur noch auf Wunsch der Klägerin für einen erkrankten Mitarbeiter kurzfristig eingesprungen. Die Klägerin erläuterte ihr Konzept von Conciergedienstleistungen mit sozialpädagogischem Konzept für die eigene Unternehmensgruppe oder für externe Nachfragen. Die freien Mitarbeiter könnten Ort und Einsatzzeiten frei wählen und einen angebotenen Auf-trag/Einsatz auch jederzeit ablehnen. Sie würden nicht die gleichen Tätigkeiten wie die fest angestellten Mitarbeiter ausüben. Sie seien nicht weisungsgebunden, sondern hätten lediglich Rahmenbedingungen zu beachten. Es handele sich um: - Quartierbetreuung, Konfliktmanagement, - Betreuung von Wohnhäusern als Concierge, - Psychosoziale Betreuung. Der freie Mitarbeiter unterlag laut Vertrag keinen Weisungen. Pro nachgewiesene Arbeits-stunde war ein Entgelt von EUR 10,00 vereinbart. Eine Entgeltfortzahlung während Krankheit und Urlaub war abbedungen. Die Aufnahme einer anderen Tätigkeit musste dem Dienstberechtigten angezeigt werden. Dennoch erließ die Beklagte am 26.10.2009 den gegenwärtig angegriffenen Prüfbescheid bezüglich des Zeitraums 01.08.2006 bis 31.08.2007 und forderte Beiträge in Höhe von EUR 7800,09 nach. Die Argumentation bezüglich des Beigeladenen wiederholte im We-sentlichen die Ausführungen aus der Anhörung. Die Gegenvorstellungen wurden mit dem Einwand beantwortet, dass die gewisse zeitliche und örtliche Flexibilität der Mitarbeiter bei Tätigkeiten als Haushaltshilfen, Revierbetreuer, Quartierbetreuer, Pförtner und sonstige bedarfsgerechte Dienstleister (Faxdienste, Sicherheitsrundgänge, Besorgungen usw.) nicht im Widerspruch zu einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehe. Es handele sich bei den freien Mitarbeitern um Außendienstmitarbeiter. Aufgrund der gegenseitigen Vertretungsmöglichkeit habe die Möglichkeit der Ablehnung von Aufträgen kein großes Gewicht. Mangels spezieller Kenntnisse könnten sich die Mitarbeiter gegenseitig vertreten. Ihren Widerspruch hiergegen begründete die Klägerin mit dem Verweis auf - Einzelfallbeauftragung, - Entscheidungsfreiheit zur Ablehnung oder Annahme eines Auftrages, - keine Weisungsgebundenheit, - kein Konkurrenzverbot, - Entgelt. Der Beigeladene habe seine Betriebsführung in nachvollziehbarer und den Erfordernissen entsprechender Weise gestaltet, indem er für Erreichbarkeit sorgte, frist- und formgerecht Rechnung stellte und sein eigenes "Personal-Geschäftsmanagement" bewerkstelligte. Entgegen den Vermutungen der Beklagten könnten sich die Mitarbeiter nicht automatisch oder grundsätzlich gegenseitig vertreten, weil die Tätigkeit im Quartier lösungsorientiert sehr viel Fingerspitzengefühl verlange. So seien Frauen und Männer und ältere oder jün-gere Quartierbetreuer nicht frei austauschbar. Die freien Mitarbeiter würden projektbezogen, klienten-, zeit- und bedarfsorientiert angefragt. Der zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 02.08.2011 bestätigte den Ausgangsbescheid. Er wurde mit der gegenwärtigen Klage angefochten. Erst in der Klagebegründung wurden die Einwände auf die Nachforderung wegen Beschäftigung des Beigeladenen be-schränkt. Erneut wurde auf Gestaltungsfreiheit und eigenes Risiko des Beigeladenen hingewiesen. Im Hinblick auf die pädagogisch notwendigen Erfordernisse im Sinne von Beziehungsarbeit sei es selbstverständlich notwendig gewesen, dass die erteilten Aufgaben persönlich übernommen wurden oder auch abgelehnt werden konnten. Für die betroffenen Klienten habe es in sozial schwierigen Situationen durchaus einen spürbaren Unterschied gemacht, ob ein Gegenüber sich mit ihnen freiwillig und nach bewusster eigener Entscheidung auseinandersetzt oder aufgrund einer Handlungsanweisung als Dienstbe-auftragter. Die Klage war verbunden mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Beitragsforderung. Dieses Verfahren wurde vom Gericht unter dem Aktenzeichen S 30 R 2679/11 ER mit ablehnendem Beschluss vom 21.11.2011 erledigt. Es fehle an einem Anordnungsgrund im Sinne eines plausiblen vorgetragenen besonderen Nachteils durch die sofortige Vollstreckung der Beitragsforderung. Deshalb genüge ein lediglicher Anordnungsanspruch wegen materiellrechtlicher Fragwürdigkeit der Forderung nicht. Das Bayerische Landessozialgericht wies die Beschwerde gegen diesen Beschluss am 01.02.2012 mit dortigem Aktenzeichen L 5 R 1063/11 B zurück. Das LSG führte aus, im Rahmen der angezeigten summarischen Prüfung seien aus dem Inhalt des "freien Mitarbeitervertrages" vom 01.08.2006 überwiegend die Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnis-ses zu erkennen. Eine weitere Klagebegründung vom 28.06.2012 verwies auf den Entschluss des Beigeladenen von 2005, sich mithilfe eines Gründungszuschusses als Sozialbetreuer selbstständig zu machen. Unmittelbar nach dem Start in die Selbstständigkeit sei er erstmals für die Klägerin tätig gewesen. Das Finanzamt habe ihm vermittelt, dass er kein Gewerbe anmelden müsse, sondern nur dem Finanzamt die Aufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit mitteilen müsse. Um in der Aufbauphase Kunden zu gewinnen, habe der Beigeladene In-serate geschaltet und einen Flyer erstellt. Aufgrund der Werbemaßnahmen habe er erste Aufträge (Beaufsichtigung Demenzkranker, Entrümpelung einer Messie-Wohnung) erhal-ten. Er habe entsprechend klassischen Bedingungen eines selbstständigen Dienstleisters Aufträge annehmen oder ablehnen können. Die Parallelität des Einsatzes zu fest angestellten Kräften besage nicht, dass dies zwangsläufig und immer der Fall war. Folge man der Haltung der Beklagten, so würde zwangsläufig jeder, der sich in der Startphase der Selbstständigmachung befindet, zum Scheinselbstständigen, wenn er den ersten und damit automatisch zunächst einzigen Auftraggeber hätte. In einem Termin zur mündlichen Verhandlung am 13.12.2012 regte der Vorsitzende an, die Klage zurückzunehmen, weil nach regem Austausch von Argumenten der Eindruck einer abhängigen Beschäftigung des Klägers dominiere. Auch das LSG habe im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits diese Tendenz erkennen lassen. Weil die Klägerin das Verfahren fortsetzen wollte, wurde der Rechtsstreit zwecks Beiladung und weiterem Meinungsaustausch vertagt.
Die Klägerin beantragt die Aufhebung des Bescheides vom 26.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 02.08.2011.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten und die Akte aus dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Aktenzeichen S 30 R 2679/11 ER beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Sie ist jedoch in der Sache nicht begründet. Die Beklagte hatte zu beurteilen, ob der Beigeladene für die Klägerin nach Maßgabe von § 7 Abs. 1 SGB IV abhängig beschäftigt war. In der modernen Arbeitswelt wird eine Di-versifikation des Berufs- und Erwerbslebens immer alltäglicher. Klassische Selbstständige und Freiberufler wie Landwirte, Handwerksmeister, Rechtsanwälte oder Architekten set-zen auf das "zweite Standbein" einer in Teilzeit erbrachten Nebentätigkeit genauso wie Angestellte, Beamte oder Richter. Ein immer größerer Teil der Studenten und Rentner verrichtet verschiedenste Teilzeitarbeiten. Die zeitlich begrenzten Erwerbsarbeiten werden je nach Umfang, Art und Wesen in versicherungspflichtiger Beschäftigung, auf der Basis einer Geringfügigkeit oder in selbstständiger Tätigkeit erbracht. In keinem Falle hat der Status eines Hauptberufes oder eine sozial vorrangig prägende Situation wie das Studium, die Arbeitslosigkeit oder der Ruhestand eine Ausstrahlung auf den Rechtscharakter der nachrangigen Teilzeitarbeit. Eine selbstständige Tätigkeit kann genauso gut durch eine in Teilzeit ausgeübte abhängige Beschäftigung ergänzt werden wie umgekehrt eine abhängige Beschäftigung mit einer an arbeitsfreien Abenden und Wochenenden erbrach-ten selbstständigen Tätigkeit kombiniert werden kann. Es besteht also keine rechtliche Logik des Inhalts, dass ein selbstständiger Sozialbetreuer in der ganzen Breite seines Erwerbslebens als freiberuflich zu gelten habe. Die klägerische Argumentation gegen einen Verdacht auf "Scheinselbstständigkeit" geht fehl. Bei diesem Schlagwort handelt es sich nicht um einen Rechtsbegriff. Selbstständige Tätigkeiten sind genauso legal und gesell-schaftlich akzeptiert wie abhängige Beschäftigungen. Auch ohne dass im Einzelfall Vor-würfe einer missbräuchlichen, umgehenden oder tarnenden Dokumentation erhoben werden, müssen in jedem Fall die durch schriftlichen Vertrag, ergänzende Abreden und tat-sächlichen Verhältnisse geprägten Beziehungen zwischen Arbeitgeber/Auftraggeber und Arbeitnehmer/Mitarbeiter ergebnisoffen geprüft werden.
Im Ergebnis dieser Prüfung lässt sich zwanglos und widerspruchsfrei erkennen, dass der Beigeladene in einem wenn auch sehr bescheidenen Umfang eine eigene betreuende und beratende Tätigkeit selbstständig ausübte, jedoch daneben für kurze Zeit auch einer fachlich eng am Hauptberuf orientierten abhängigen Beschäftigung bei der Klägerin nach-ging. Sein Beschäftigungsverhältnis war gekennzeichnet durch eine im Kern gleichblei-bende und wiederkehrende konkrete Aufgabenstellung der Konfliktbeseitigung und -Schlichtung, durch eine problemlose zeitliche Messbarkeit des Arbeitsvolumens und demgemäß durch ein an Arbeitsstunden orientiertes festes Entgelt. Die Einräumung einer sehr flexiblen Arbeitszeit ist heute absolut üblich. Für Büroarbeiten ohne unmittelbaren Kundenkontakt wird oft nicht einmal mehr die Einhaltung einer Kernzeit verlangt. Eine Vielzahl von Dienstleistungen insbesondere in Bereichen der Beratung, Schulung, Reparatur, Reinigung, EDV-Unterstützung sowie in den Bereichen der Personen- und Güterbeförderung kann entsprechend der Natur der Sache nur bedarfsabhängig und demgemäß flexibel auf Abruf erbracht werden. Jeder Taxifahrer, Aushilfskraftfahrer, Erntehelfer, bei gutem Wetter tätig werdender Koch und Kellner in einer Ausflugsgaststätte usw. wird auf Abruf tätig. Zu diesem System der flexiblen Inanspruchnahme von Arbeitskräften gehört auch die Freiheit für Personen innerhalb des jeweils ansprechbaren Pools, aktuell zuzusagen oder abzulehnen.
Das geistige oder technische Niveau von Tätigkeiten ist kein tragfähiges Kriterium für die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit. Genauso gut wie im Rahmen eines Hausmeisterservices auch so einfache Arbeiten wie das Schneeräumen oder Dachrinnensäubern zum Katalog selbstständiger Dienstleistungen gehören können, wird im höchsten Qualifikationsbereich auch ärztliche Tätigkeit, juristische Unterneh-mensberatung oder hochtechnische Ingenieurleistung tagtäglich in abhängiger Beschäftigung erbracht. Vorliegend geht jedoch die Argumentation mit einem unverwechselbaren speziellen un-ternehmerischen Profil des Beigeladenen ohnehin fehl, weil er über keinerlei Fachausbildung im Bereich des Konfliktmanagements verfügt. Ein Stundenlohn von 10 Euro lässt ihn ganz im Gegenteil als durchaus billig entlohnten Zeitarbeiter erscheinen. Irgendwelche Investitionen, eigenen betrieblichen Strukturen und Kapazitäten und vorauslaufende Planungen waren für seine Tätigkeiten bei der Klägerin nicht erforderlich. Auf Fragen des Schuldmaßstabes bei der Nichtabführung der Beiträge kommt es nicht an, weil die Beklagte ihre Forderung innerhalb der regulären Verjährungsfrist nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV erhoben hat.
Die Kostenentscheidungen beruhen auf §§ 193 und 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 154 – 162 Verwaltungsgerichtsordnung.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Klägerin trägt die Gerichtskosten.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist eine Beitragsnachforderung in Höhe von EUR 7800,09 einschließlich Säumniszuschlägen. In Auswertung der Ergebnisse einer nach § 28 p Abs. 1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) bei der Klägerin am 09.11.2007 durchgeführten Betriebsprüfung über den Prüfzeitraum 01.06.2003 bis 31.10.2007 hörte die Beklagte die Klägerin am 03.08.2009 zu einer Beitragsnachforderung an, die aus Beschäftigungsverhältnissen der vermeintlich freien Mit-arbeiter C., D., E., F. und G. resultierte. Die Mitarbeiter hatten jeweils sozialpädagogische Arbeit in Wohnanlagen verrichtet. Bis auf den Beigeladenen hatte es sich um geringfügige Beschäftigungen gehandelt. Zu dem oberhalb der Geringfügigkeitgrenze tätig gewordenen und entlohnten Beigeladenen wurde festgestellt, dass er hauptberuflich Angestellter bei der Bundesagentur für Arbeit ist. Ein Gewerbe hatte er nicht angemeldet, eigene Betriebsräume besaß er nicht, er übte ohne Einsatz eigenen Kapitals die gleichen Tätigkeiten wie die Arbeitnehmer der Klägerin aus. Seine Arbeitszeit und seinen Arbeitsort konnte er nicht frei wählen. Die Anhörung kündigte betreffend D., E., F. und G. die Nacherhebung von Pauschalbeiträgen für geringfügig Beschäftigte ab 2005 und von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für alle Zweige der Sozialversicherung betreffend den Beigeladenen für die Zeit ab 01.08.2006 an. Hinsichtlich der Nichtabführung von Beiträgen wurde grobe Fahrlässigkeit unterstellt, weil offensichtlich gewesen sei, dass der Beigeladene kein Selbstständiger gewesen war. Der ebenfalls angehörte Beigeladene hielt entgegen, er sei in den Jahren 2006 und 2007 für die Klägerin freiberuflich tätig gewesen und habe freiwillig den halben Regelbeitrag zur Deutschen Rentenversicherung entrichtet. Eine Gewerbeanmeldung sei nach Aussage des Finanzamts nicht erforderlich gewesen. Nachdem er eine Anstellung gefunden habe, sei er 2008 nur noch auf Wunsch der Klägerin für einen erkrankten Mitarbeiter kurzfristig eingesprungen. Die Klägerin erläuterte ihr Konzept von Conciergedienstleistungen mit sozialpädagogischem Konzept für die eigene Unternehmensgruppe oder für externe Nachfragen. Die freien Mitarbeiter könnten Ort und Einsatzzeiten frei wählen und einen angebotenen Auf-trag/Einsatz auch jederzeit ablehnen. Sie würden nicht die gleichen Tätigkeiten wie die fest angestellten Mitarbeiter ausüben. Sie seien nicht weisungsgebunden, sondern hätten lediglich Rahmenbedingungen zu beachten. Es handele sich um: - Quartierbetreuung, Konfliktmanagement, - Betreuung von Wohnhäusern als Concierge, - Psychosoziale Betreuung. Der freie Mitarbeiter unterlag laut Vertrag keinen Weisungen. Pro nachgewiesene Arbeits-stunde war ein Entgelt von EUR 10,00 vereinbart. Eine Entgeltfortzahlung während Krankheit und Urlaub war abbedungen. Die Aufnahme einer anderen Tätigkeit musste dem Dienstberechtigten angezeigt werden. Dennoch erließ die Beklagte am 26.10.2009 den gegenwärtig angegriffenen Prüfbescheid bezüglich des Zeitraums 01.08.2006 bis 31.08.2007 und forderte Beiträge in Höhe von EUR 7800,09 nach. Die Argumentation bezüglich des Beigeladenen wiederholte im We-sentlichen die Ausführungen aus der Anhörung. Die Gegenvorstellungen wurden mit dem Einwand beantwortet, dass die gewisse zeitliche und örtliche Flexibilität der Mitarbeiter bei Tätigkeiten als Haushaltshilfen, Revierbetreuer, Quartierbetreuer, Pförtner und sonstige bedarfsgerechte Dienstleister (Faxdienste, Sicherheitsrundgänge, Besorgungen usw.) nicht im Widerspruch zu einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehe. Es handele sich bei den freien Mitarbeitern um Außendienstmitarbeiter. Aufgrund der gegenseitigen Vertretungsmöglichkeit habe die Möglichkeit der Ablehnung von Aufträgen kein großes Gewicht. Mangels spezieller Kenntnisse könnten sich die Mitarbeiter gegenseitig vertreten. Ihren Widerspruch hiergegen begründete die Klägerin mit dem Verweis auf - Einzelfallbeauftragung, - Entscheidungsfreiheit zur Ablehnung oder Annahme eines Auftrages, - keine Weisungsgebundenheit, - kein Konkurrenzverbot, - Entgelt. Der Beigeladene habe seine Betriebsführung in nachvollziehbarer und den Erfordernissen entsprechender Weise gestaltet, indem er für Erreichbarkeit sorgte, frist- und formgerecht Rechnung stellte und sein eigenes "Personal-Geschäftsmanagement" bewerkstelligte. Entgegen den Vermutungen der Beklagten könnten sich die Mitarbeiter nicht automatisch oder grundsätzlich gegenseitig vertreten, weil die Tätigkeit im Quartier lösungsorientiert sehr viel Fingerspitzengefühl verlange. So seien Frauen und Männer und ältere oder jün-gere Quartierbetreuer nicht frei austauschbar. Die freien Mitarbeiter würden projektbezogen, klienten-, zeit- und bedarfsorientiert angefragt. Der zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 02.08.2011 bestätigte den Ausgangsbescheid. Er wurde mit der gegenwärtigen Klage angefochten. Erst in der Klagebegründung wurden die Einwände auf die Nachforderung wegen Beschäftigung des Beigeladenen be-schränkt. Erneut wurde auf Gestaltungsfreiheit und eigenes Risiko des Beigeladenen hingewiesen. Im Hinblick auf die pädagogisch notwendigen Erfordernisse im Sinne von Beziehungsarbeit sei es selbstverständlich notwendig gewesen, dass die erteilten Aufgaben persönlich übernommen wurden oder auch abgelehnt werden konnten. Für die betroffenen Klienten habe es in sozial schwierigen Situationen durchaus einen spürbaren Unterschied gemacht, ob ein Gegenüber sich mit ihnen freiwillig und nach bewusster eigener Entscheidung auseinandersetzt oder aufgrund einer Handlungsanweisung als Dienstbe-auftragter. Die Klage war verbunden mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Beitragsforderung. Dieses Verfahren wurde vom Gericht unter dem Aktenzeichen S 30 R 2679/11 ER mit ablehnendem Beschluss vom 21.11.2011 erledigt. Es fehle an einem Anordnungsgrund im Sinne eines plausiblen vorgetragenen besonderen Nachteils durch die sofortige Vollstreckung der Beitragsforderung. Deshalb genüge ein lediglicher Anordnungsanspruch wegen materiellrechtlicher Fragwürdigkeit der Forderung nicht. Das Bayerische Landessozialgericht wies die Beschwerde gegen diesen Beschluss am 01.02.2012 mit dortigem Aktenzeichen L 5 R 1063/11 B zurück. Das LSG führte aus, im Rahmen der angezeigten summarischen Prüfung seien aus dem Inhalt des "freien Mitarbeitervertrages" vom 01.08.2006 überwiegend die Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnis-ses zu erkennen. Eine weitere Klagebegründung vom 28.06.2012 verwies auf den Entschluss des Beigeladenen von 2005, sich mithilfe eines Gründungszuschusses als Sozialbetreuer selbstständig zu machen. Unmittelbar nach dem Start in die Selbstständigkeit sei er erstmals für die Klägerin tätig gewesen. Das Finanzamt habe ihm vermittelt, dass er kein Gewerbe anmelden müsse, sondern nur dem Finanzamt die Aufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit mitteilen müsse. Um in der Aufbauphase Kunden zu gewinnen, habe der Beigeladene In-serate geschaltet und einen Flyer erstellt. Aufgrund der Werbemaßnahmen habe er erste Aufträge (Beaufsichtigung Demenzkranker, Entrümpelung einer Messie-Wohnung) erhal-ten. Er habe entsprechend klassischen Bedingungen eines selbstständigen Dienstleisters Aufträge annehmen oder ablehnen können. Die Parallelität des Einsatzes zu fest angestellten Kräften besage nicht, dass dies zwangsläufig und immer der Fall war. Folge man der Haltung der Beklagten, so würde zwangsläufig jeder, der sich in der Startphase der Selbstständigmachung befindet, zum Scheinselbstständigen, wenn er den ersten und damit automatisch zunächst einzigen Auftraggeber hätte. In einem Termin zur mündlichen Verhandlung am 13.12.2012 regte der Vorsitzende an, die Klage zurückzunehmen, weil nach regem Austausch von Argumenten der Eindruck einer abhängigen Beschäftigung des Klägers dominiere. Auch das LSG habe im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits diese Tendenz erkennen lassen. Weil die Klägerin das Verfahren fortsetzen wollte, wurde der Rechtsstreit zwecks Beiladung und weiterem Meinungsaustausch vertagt.
Die Klägerin beantragt die Aufhebung des Bescheides vom 26.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 02.08.2011.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten und die Akte aus dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Aktenzeichen S 30 R 2679/11 ER beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Sie ist jedoch in der Sache nicht begründet. Die Beklagte hatte zu beurteilen, ob der Beigeladene für die Klägerin nach Maßgabe von § 7 Abs. 1 SGB IV abhängig beschäftigt war. In der modernen Arbeitswelt wird eine Di-versifikation des Berufs- und Erwerbslebens immer alltäglicher. Klassische Selbstständige und Freiberufler wie Landwirte, Handwerksmeister, Rechtsanwälte oder Architekten set-zen auf das "zweite Standbein" einer in Teilzeit erbrachten Nebentätigkeit genauso wie Angestellte, Beamte oder Richter. Ein immer größerer Teil der Studenten und Rentner verrichtet verschiedenste Teilzeitarbeiten. Die zeitlich begrenzten Erwerbsarbeiten werden je nach Umfang, Art und Wesen in versicherungspflichtiger Beschäftigung, auf der Basis einer Geringfügigkeit oder in selbstständiger Tätigkeit erbracht. In keinem Falle hat der Status eines Hauptberufes oder eine sozial vorrangig prägende Situation wie das Studium, die Arbeitslosigkeit oder der Ruhestand eine Ausstrahlung auf den Rechtscharakter der nachrangigen Teilzeitarbeit. Eine selbstständige Tätigkeit kann genauso gut durch eine in Teilzeit ausgeübte abhängige Beschäftigung ergänzt werden wie umgekehrt eine abhängige Beschäftigung mit einer an arbeitsfreien Abenden und Wochenenden erbrach-ten selbstständigen Tätigkeit kombiniert werden kann. Es besteht also keine rechtliche Logik des Inhalts, dass ein selbstständiger Sozialbetreuer in der ganzen Breite seines Erwerbslebens als freiberuflich zu gelten habe. Die klägerische Argumentation gegen einen Verdacht auf "Scheinselbstständigkeit" geht fehl. Bei diesem Schlagwort handelt es sich nicht um einen Rechtsbegriff. Selbstständige Tätigkeiten sind genauso legal und gesell-schaftlich akzeptiert wie abhängige Beschäftigungen. Auch ohne dass im Einzelfall Vor-würfe einer missbräuchlichen, umgehenden oder tarnenden Dokumentation erhoben werden, müssen in jedem Fall die durch schriftlichen Vertrag, ergänzende Abreden und tat-sächlichen Verhältnisse geprägten Beziehungen zwischen Arbeitgeber/Auftraggeber und Arbeitnehmer/Mitarbeiter ergebnisoffen geprüft werden.
Im Ergebnis dieser Prüfung lässt sich zwanglos und widerspruchsfrei erkennen, dass der Beigeladene in einem wenn auch sehr bescheidenen Umfang eine eigene betreuende und beratende Tätigkeit selbstständig ausübte, jedoch daneben für kurze Zeit auch einer fachlich eng am Hauptberuf orientierten abhängigen Beschäftigung bei der Klägerin nach-ging. Sein Beschäftigungsverhältnis war gekennzeichnet durch eine im Kern gleichblei-bende und wiederkehrende konkrete Aufgabenstellung der Konfliktbeseitigung und -Schlichtung, durch eine problemlose zeitliche Messbarkeit des Arbeitsvolumens und demgemäß durch ein an Arbeitsstunden orientiertes festes Entgelt. Die Einräumung einer sehr flexiblen Arbeitszeit ist heute absolut üblich. Für Büroarbeiten ohne unmittelbaren Kundenkontakt wird oft nicht einmal mehr die Einhaltung einer Kernzeit verlangt. Eine Vielzahl von Dienstleistungen insbesondere in Bereichen der Beratung, Schulung, Reparatur, Reinigung, EDV-Unterstützung sowie in den Bereichen der Personen- und Güterbeförderung kann entsprechend der Natur der Sache nur bedarfsabhängig und demgemäß flexibel auf Abruf erbracht werden. Jeder Taxifahrer, Aushilfskraftfahrer, Erntehelfer, bei gutem Wetter tätig werdender Koch und Kellner in einer Ausflugsgaststätte usw. wird auf Abruf tätig. Zu diesem System der flexiblen Inanspruchnahme von Arbeitskräften gehört auch die Freiheit für Personen innerhalb des jeweils ansprechbaren Pools, aktuell zuzusagen oder abzulehnen.
Das geistige oder technische Niveau von Tätigkeiten ist kein tragfähiges Kriterium für die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit. Genauso gut wie im Rahmen eines Hausmeisterservices auch so einfache Arbeiten wie das Schneeräumen oder Dachrinnensäubern zum Katalog selbstständiger Dienstleistungen gehören können, wird im höchsten Qualifikationsbereich auch ärztliche Tätigkeit, juristische Unterneh-mensberatung oder hochtechnische Ingenieurleistung tagtäglich in abhängiger Beschäftigung erbracht. Vorliegend geht jedoch die Argumentation mit einem unverwechselbaren speziellen un-ternehmerischen Profil des Beigeladenen ohnehin fehl, weil er über keinerlei Fachausbildung im Bereich des Konfliktmanagements verfügt. Ein Stundenlohn von 10 Euro lässt ihn ganz im Gegenteil als durchaus billig entlohnten Zeitarbeiter erscheinen. Irgendwelche Investitionen, eigenen betrieblichen Strukturen und Kapazitäten und vorauslaufende Planungen waren für seine Tätigkeiten bei der Klägerin nicht erforderlich. Auf Fragen des Schuldmaßstabes bei der Nichtabführung der Beiträge kommt es nicht an, weil die Beklagte ihre Forderung innerhalb der regulären Verjährungsfrist nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV erhoben hat.
Die Kostenentscheidungen beruhen auf §§ 193 und 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 154 – 162 Verwaltungsgerichtsordnung.
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved