S 31 AS 2363/14

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Nordhausen (FST)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
31
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 31 AS 2363/14
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Ein Anspruch auf Freistellung vom Vergütungsanspruch des Prozessbevollmächtigten nach § 63 SGB X ist ausgeschlossen, wenn der Mandant im Zeitpunkt des Kostenerstattungsantrags die Einrede der Verjährung erheben könnte (Anschluss an S 31 AS 818/14). Dies gilt unabhängig davon, ob der Mandant aktuell die Einrede der Verjährung erheben würde.
2) Der Beklagte ist berechtigt, die Erstattung der Gebühren und Auslagen des Prozessbevollmächtigten unter Hinweis auf die Kostenminderungspflicht abzulehnen.
3) Es spricht vieles dafür, von einer dreijährigen Verjährungsfrist der Ansprüche nach § 63 SGB X auszugehen (obiter dictum).
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 3. Die Berufung ist zulässig.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der für die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren zu erstattenden Kosten.

Die Kläger bezogen u.a. im Juli 2008 Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende vom Beklagten. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2008 bewilligte der Beklagte in Abänderung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides für Juli 2008 insgesamt 637,59 EUR. Hiergegen legten die Kläger durch ihren Bevollmächtigten am 24. November 2008 Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 8. April 2009 gab der Beklagte dem Widerspruch statt und erhöhte den bewilligten Betrag auf 672,87 EUR. Mit Bescheid vom 9. April 2009 erklärte sich der Beklagte bereit, die notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren zu erstatten.

Am 28. Dezember 2013 beantragte der Bevollmächtigte der Kläger, die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten auf 480,76 Euro festzusetzen. Dabei ging er von einer Geschäfts-gebühr in Höhe von 240,00 Euro zzgl. der Erhöhung für zwei weitere Widerspruchsführer aus. Auf Anforderung des Beklagten übersandten die Kläger eine Schreiben des Prozessbevollmächtigten an sie vom 28. Dezember 2013, dem eine "Kostenrechnung vom 31. Dezember 2009" mit dem Hinweis beigefügt war, dass der Bevollmächtigte diesen Betrag nunmehr bei dem Beklagten geltend macht. Der Beklagte setzte die zu erstattenden Gebühren und Auslagen auf 0,00 Euro fest, weil der Kostenerstattungsanspruch des Bevollmächtigten gegenüber seinem Mandanten bereits verjährt sei (Bescheid vom 28. Juli 2014). Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2014).

Mit der im November 2014 erhobenen Klage haben die Kläger weiterhin die Festsetzung der beantragten Gebühr begehrt. Der Prozessbevollmächtigte hat die Auffassung vertreten, dass die Verjährungsfrist vier Jahre betrage.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Juli 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2014 zu verpflichten, sie von dem Vergütungsanspruch gegenüber ihrem Klägerbevollmächtigten in Höhe von 480,76 EUR freizustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, die Gebührenansprüche des Bevollmächtigten würden der dreijährigen Verjährung unterliegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist in Form der Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft und zulässig, im Ergebnis aber unbegründet. Die Kläger waren wegen Zeitablaufs nicht berechtigt, weitere Gebühren von dem Beklagten zu fordern.

Nach § 63 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Gebühren und Auslagen in diesem Sinne sind nur die ge-setzlichen Gebühren und Auslagen. Sie sind nach Maßgabe des RVG sowie des VV der Anlage 1 zum RVG zu bestimmen (vgl. Roos in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 7. Auflage, § 63 Rdnr. 29). Die Kläger hatten zunächst grundsätzlich Anspruch auf Erstattung der Gebühren und Auslagen ihres Bevollmächtigten, weil der Beklagte dies im Bescheid vom 9. April 2009 anerkannte.

Der Anspruch auf Erstattung von Kosten ist jedoch auf die notwendigen Aufwendungen be-schränkt. Notwendig ist dabei alles, was ein verständiger Beteiligter im Hinblick auf die Bedeutung sowie die sachliche oder rechtliche Schwierigkeit der Angelegenheit vernünftigerweise für erforderlich halten durfte (vgl. Roos ebenda, Rdnr. 13 m.w.N.). Grundsätzlich sind in Fällen mit anerkannt notwendiger rechtsanwaltlicher Bevollmächtigung die vom Rechtsanwalt nach dem RVG zu fordernden Gebühren und Auslagen als vernünftige Ausgabe in diesem Sinn zu verstehen. Das Gericht lässt es im vorliegenden Fall nochmals und ausdrücklich zur Vermeidung überra-schender Entscheidungselemente dahingestellt, welcher konkreten Verjährungsfrist der Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten durch den Beklagten unterliegt. Rein vorsorglich und mit Blick auf die noch anhängigen Verfahren einer gleichgelagerten Konstellation weist das Gericht jedoch auf folgendes hin:

Die dreißigjährige Verjährungsfrist des § 52 SGB X ist auf die vorliegende Fallgestaltung nicht anwendbar. Die Regelung betrifft ausschließlich Verwaltungsakte, die Ansprüche von Behörden regeln (vgl. Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 52 SGB X, Rn. 15 und für die Parallelvorschrift des § 53 VwVfG "Nicht von der Norm erfasst sind hingegen Ansprüche des Bürgers gegen einen öffentlich-rechtlichen Rechtsträger, die durch VA festgestellt sind", Pautsch in: Pautsch/Hoffmann, VwVfG, 1. Aufl. 2016, § 53 Hemmung der Verjährung durch Verwaltungsakt, Rn. 3). Eine analoge Anwendung auf sämtliche Verwaltungsakte widerspräche auch dem eindeutigen Wortlaut.

Entgegen der Auffassung des SG Berlin (Urteil vom 20. August 2014 – S 204 AS 14829/13 –, Rn. 15, juris) ist auch nicht die Regelung des § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB anwendbar. Bestandskräftig festgestellte Ansprüche werden von der Vorschrift des § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB nach ihrem Wortlaut nicht erfasst. Sie spricht mit dem Begriff der "rechtskräftigen" Feststellung in erster Linie die Feststellung des Anspruchs durch staatliche Gerichte an, weil nur deren Entscheidung in Rechtskraft erwachsen. Die Vorschrift erfasst allerdings auch Entscheidungen anderer Stellen, wenn sie einem staatlichen Gericht vergleichbar unabhängig sind. Gedacht ist dabei vornehmlich an Entscheidungen ausländischer Gerichte, die im Inland anzuerkennen sind, oder die Urteile von Schiedsgerichten. Zu solchen Stellen gehört eine Verwaltungsbehörde nicht (BGH, Urteil vom 12. April 2013 – V ZR 203/11 –, Rn. 19 mwN, juris). Nur wenn zivilrechtliche Ansprüche durch Verwaltungsbehörden bestandskräftig festgestellt werden, kommt eine analoge Anwendung der Vorschrift in Betracht (so BGH ebenda für Restitutionsansprüche).

Konkrete Verjährungsregelungen für den Kostenerstattungsanspruch sieht das Sozialrecht nicht vor. Insbesondere bestehen auch erhebliche Zweifel, dass die vierjährige Frist des § 45 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) einschlägig ist, denn sie bezieht sich ausdrücklich auf Sozialleistungen. Zu diesen gehört der Kostenerstattungs- oder Freistellungsanspruch des Klägers sehr sicher nicht (so auch SG Berlin ebenda). Ebenso wie die Verzinsungsvorschrift des § 44 SGB I nicht auf den Anspruch nach § 63 SGB X anzuwenden ist (vgl. Urteil des BSG vom 24. Juli 1986, 7 RAr 86/84, recherchiert bei Juris), ist auch § 45 SGB I keine allgemeine Verjährungsregelung. Es sprechen daher erhebliche Anhaltspunkte für die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB.

Gleichwohl hat sich die Kammer allein mit der Frage befasst, welchen Einfluss der Ablauf der Verjährungsfrist im Innenverhältnis zwischen den Klägern und seinem Bevollmächtigten auf den Freistellungsanspruch hat. Das konkrete Mandat war mit Erlass der Abhilfeentscheidung am 9. April 2009 abgelaufen, die Verjährung trat mithin am 31. Dezember 2012 ein. Damit hätte der Kläger seinem Bevollmächtigten bei Rechnungslegung im Dezember 2013 die Einrede der Verjährung entgegenhalten können. Unstreitig hat er dies nicht getan.

Die Kammer ist auch nach wie vor der Überzeugung, dass der Beklagte nicht verpflichtet ist, Rechtsanwaltskosten zu erstatten, die der Leistungsempfänger selbst wegen Verjährung nicht mehr zahlen müsste (so bereits Urteil vom 6. Oktober 2015 – S 31 AS 818/14, juris). Auch die hier vorgetragenen weiteren Argumente überzeugen nicht. Zwar ist den Klägern einzuräumen, dass die Frage der notwendigen Kosten generell mit deren Entstehung zu prüfen ist. Die hier zu entscheidende Fallgestaltung trägt aber ein besonderes Kennzeichen. Es ist keine Fälligkeitsvereinbarung zwischen dem Kläger und seinem Bevollmächtigten zu berücksichtigen. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Fälligkeit der Forderung zu keiner Zeit zwischen den Vertragsparteien thematisiert wurde.

Deutlich wurde (wieder einmal), dass der Bevollmächtigte den Mandanten versichert, dass diese keine Kosten – außer ggf. den Betrag der Beratungshilfe – zu erstatten haben. Er (der Bevollmächtigte) wird entweder auf die Behörde oder den Freistaat (im Wege der Prozesskostenhilfe) wegen der Erstattung der Rechtsanwaltskosten zugehen. Der Kläger hat glaubhaft versichert, dass er noch nie eine Rechnung vom Bevollmächtigten erhalten hat. Das Gericht ist aus den Erkenntnissen, die im Zusammenhang mit den weiteren Verfahren des Bevollmächtigten bekannt wurden, auch von dieser Darstellung überzeugt.

Dies kann letztlich nur so ausgelegt werden, dass der Bevollmächtigte eine Abrede dahingehend getroffen hat, dass die Forderungen gegenüber seiner Mandantschaft niemals fällig werden. Dies ist hochgradig rechtsmissbräuchlich. In jedem Fall drängt sich ein gesetzlicher Verstoß auf. Nach § 49b Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) ist es unzulässig, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorsieht, soweit dieses nichts anderes bestimmt. Lediglich im Einzelfall darf der Rechtsanwalt besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers, insbesondere dessen Bedürftigkeit, Rechnung tragen durch Ermäßigung oder Erlass von Gebühren oder Auslagen nach Erledigung des Auftrags. Dieser Regelung läuft das nachgewiesene Verhalten des Prozessbevollmächtigten zuwider. In Anlehnung an das Urteil des SG Neubrandenburg vom 27. November 2015 (S 12 AS 1004/13 –, Rn. 57, juris) kann diese – ausschließlich zu Lasten des Beklagten - erfolgten Abrede nicht zu einer wirksamen Gebührenforderung gegenüber dem Dritten führen. Auch dies ist ein tragfähiges Argument gegen die Erstattungspflicht des Beklagten.

Daneben stehen die bereits bekannten Argumente zur Kostenminderungspflicht. Hierzu wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidung vom 6. Oktober 2015 (S 31 AS 818/14) Bezug genommen. Zusätzlich wird noch folgender Aspekt aufgeführt: Der hinter der Argumentation der Kammer stehende Gedanke, der Dritte (hier der Beklagte) dürfe nicht stärker in Anspruch genommen werden, als es der Schuldner selbst leisten müsste, findet sich ebenso in der Vorschrift des § 768 BGB. Danach kann der Bürge die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. Er verliert dieses Recht auch nicht, wenn der Hauptschuldner auf die Einrede verzichtet (Satz 2). Die Vorschrift ist Ausdruck der Akzessorietät der Bürgschaft zur Hauptforderung, begrenzt aber die Haftung des Bürgen auf das, was auch der Hauptschuldner (nur) leisten müsste. Die hier zu würdigende Situation ist jener durchaus vergleichbar. Die Vorgehensweise des Bevollmächtigten führt letztlich dazu, dass der Beklagte immer und der Mandant grundsätzlich nie zur Gebührenforderung herangezogen wird. Dies kann nicht Ziel der Regelung des § 63 SGB X sein.

Es verbleibt somit bei der fehlenden Erstattungs- bzw. Freistellungspflicht des Beklagten in den Fällen des Ablaufs der Verjährungsfrist. Die Klage war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). In Anbetracht der in Literatur und Rechtsprechung kontrovers diskutierten Rechtsauffassungen und der auch am hiesigen Gericht divergierenden Auffassungen sieht das Gericht nun nochmals die Notwendigkeit der Zulassung der Berufung, um eine grundsätzliche Klärung der Rechtsfrage zu ermöglichen.
Rechtskraft
Aus
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