L 18 AL 154/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 9 AL 117/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 154/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 17. August 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung eines Gründungszuschusses (GZ).

Die Beklagte hatte dem 1979 geborenen Kläger, der zuletzt als Metallbaumonteur bis 31. August 2012 beider IVECO Magirus AG in U versicherungspflichtig beschäftigt war, ab 1. September 2012 Arbeitslosengeld (Alg) für 360 Kalendertage bewilligt, wobei die Leistung in der Zeit vom 1. September 2012 bis 30. September 2012 wegen einer Entlassungsentschädigung ruhte (Bescheid vom 12. August 2013). Im November 2012 beantragte der Kläger für den Weiterbetrieb des zuvor von seinen Eltern bewirtschafteten Gasthofes in M für die Zeit ab 1. Februar 2013 einen GZ. Auf die insoweit eingereichten Unterlagen wird Bezug genommen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2013 ab mit der Begründung, die Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis habe Vorrang. Für die Tätigkeiten als Metallbauer- Nutzfahrzeugbau und Isolierer seien ausreichend offene Stellen sowohl wohnortnah als auch bundesweit gemeldet. Die Arbeitslosigkeit hätte daher auch ohne Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit beendet werden können. Der Kläger betreibt den Gasthof seit 1. Februar 2013.

Das Sozialgericht (SG) Cottbus hat die auf Neubescheidung des GZ-Antrages unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts gerichtete Klage, mit der der Kläger im Wesentlichen vorgetragen hat, die Beklagte habe seine persönliche Situation nicht hinreichend gewürdigt, zudem sei eine Eingliederung auf den Arbeitsmarkt weder ihm noch der Beklagten geglückt, mit Gerichtsbescheid vom 17. August 2016 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Beklagte habe die Gewährung eines GZ ermessensfehlerfrei abgelehnt. Zutreffend sei sie von einem Vorrang der Vermittlung ausgegangen. Es hätten hier auch Eingliederungsmöglichkeiten bestanden, wie sich aus den Stellensuchläufen der Beklagten ersehen lasse. Aus der fehlenden Vermittlung in dem relativ kurzen Zeitraum zwischen Eintritt der Arbeitslosigkeit und dem GZ-Antrag folge keine andere Beurteilung, zumal es vordringliches Ziel des Klägers gewesen sei, den elterlichen Betrieb zu erhalten.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Auf die Berufungsbegründung vom 14. September 2016 und die weiteren Schriftsätze wird verwiesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 17. August 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Antrag auf Gewährung eines Gründungszuschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden und Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Die als kombinierte Anfechtungs- und Bescheidungsklage zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neubescheidung seines im November 2012 gestellten Antrags auf Gewährung eines GZ.

Nach § 93 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) in der seit 1. April 2012 geltenden und hier anwendbaren Fassung können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhaltes und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen GZ erhalten. Ein GZ kann nach § 93 Abs. 2 Satz 1 SGB III geleistet werden, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer erstens bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Alg hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Abs. 3 SGB III beruht, zweitens der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und drittens ihre oder seine Kenntnisse und Fähigkeit zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit darlegt. Nach § 93 Abs. 2 Satz 2 SGB III ist zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung der Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen; fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute. Gemäß § 93 Abs. 3 SGB III wird der GZ nicht geleistet, solange Ruhenstatbestände nach den §§ 156 bis 159 SGB III vorliegen oder vorgelegen hätten. Die Förderung ist ausgeschlossen (§ 93 Abs. 4 SGB III n. F.), wenn nach Beendigung einer Förderung der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit nach diesem Beruf noch nicht 24 Monate vergangen sind; von dieser Frist kann wegen besonderer in der Person der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers liegender Voraussetzungen abgesehen werden.

Der Kläger hatte zwar für die Zeit vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit als Gastwirt am 1. Februar 2013 einen durch bestandskräftigen Bescheid – zuletzt vom 12. August 2013 - begründeten Anspruch auf Alg iS eines Zahlungsanspruchs (vgl BSG, Urteil vom 5. Mai 2010 – B 11 AL 11/09 R = SozR 4-4300 § 57 Nr. 6) und verfügte damit auch auf der Grundlage dieses – bindenden – Bewilligungsbescheides am 1. Februar 2013 noch über einen Restanspruch von mehr als 150 Tagen. Der Anspruch ruhte auch nicht allein im Hinblick auf § 147 Abs. 3 SGB III. Der Kläger hatte auch die Tragfähigkeit der Existenzgründung durch die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle nachgewiesen und seine Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit dargelegt. Ruhenstatbestände nach den §§ 156 bis 159 SGB III oder ein Ausschlusstatbestand liegen nicht vor. Der Kläger hat zudem seine Arbeitslosigkeit durch Aufnahme der selbständigen Tätigkeit beendet.

Ausgehend vom Vorliegen der dargelegten tatbestandlichen Voraussetzungen erweist sich die ablehnende Entscheidung der Beklagten aber als rechtmäßig, weil sie das ihr nach § 93 Abs. 1 SGB III zustehende Ermessen rechtmäßig ausgeübt hat. Aus § 39 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – und § 54 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergeben sich zwei Schranken der Ermessensausübung: Das Ermessen ist entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens sind einzuhalten. Hieraus haben Rechtsprechung und Literatur verschiedene Kategorien von Ermessensfehlern (Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, Ermessensunterschreitung, Ermessensfehlgebrauch) entwickelt, wobei die Begrifflichkeiten und Unterteilung in die einzelnen Fallgruppen zT nicht einheitlich sind (vgl insoweit BSG, Urteil vom 18. März 2008 - B 2 U 1/07 R -, juris. Rn. 16). Keiner dieser Ermessensfehler liegt hier indes vor.

Von einem Ermessensnichtgebrauch oder Ermessensausfall kann keine Rede sein. Die Beklagte hat ihr Ermessen ausweislich der Begründung der angefochtenen Bescheide tatsächlich ausgeübt und sich nicht nur mit formelhaften Erwägungen begnügt. Ebenso wenig liegt eine Ermessensunter- oder -überschreitung vor. Die Beklagte hat keine Rechtsfolge gesetzt, die im Gesetz nicht vorgesehen ist. Sie war sich auch dessen bewusst, dass die Bewilligung des GZ in ihrem Ermessen stand und hat ihr Ermessen folglich auch nicht zu eng ausgelegt. Der Beklagten kann schließlich auch kein Ermessensfehlgebrauch vorgeworfen werden (siehe zum Ermessensfehlgebrauch zusammenfassend BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 2 U 10/10 R – juris - Rn. 15). Indem die Beklagte darauf abgestellt hat, ob der Kläger voraussichtlich auch ohne die Förderung einer selbstständigen Tätigkeit in absehbarer Zeit in den Arbeitsmarkt eingegliedert worden wäre, hat sie einen legitimen, der Teleologie des § 93 SGB III entsprechenden Zweck verfolgt und damit ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung ausgeübt. Der GZ dient der möglichst frühzeitigen Reintegration des Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Insoweit ist aber der allgemeine Vorrang der Vermittlung zu beachten, so dass der GZ als Ermessensleistung nur dann gewährt werden kann, wenn er für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich ist (§ 4 Abs. 2 SGB III), dh wenn die Vermittlung voraussichtlich nicht zu einer dauerhaften Eingliederung in den Arbeitsmarkt führt (vgl LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. November 2013 – L 9 AL 81/13 – juris - Rn 42 mwN; Urteil des erkennenden Senats vom 28. Mai 2014 – L 18 AL 236/13 - juris). Diesen normativen Vorgaben entspricht es, wenn die Beklagte, wie im Falle des Klägers geschehen, im Rahmen ihres Ermessens entscheidend darauf abstellt, ob eine möglichst nachhaltige Integration innerhalb des Alg-Bezugszeitraums realistisch ist, ob sofort oder in absehbarer Zeit Stellenangebote unterbreitet werden können oder ob Hemmnisse bestehen, die den Integrationserfolg behindern können. Die Beklagte ist auch nicht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen. Vielmehr ist ihre – als Teil einer Ermessensentscheidung nur eingeschränkt überprüfbare – Prognose, dass der Kläger bei Inanspruchnahme der Vermittlungsbemühungen der Beklagten in absehbarer Zeit in den Arbeitsmarkt integriert worden wäre, ohne dass hierfür die Förderung der Selbstständigkeit notwendig gewesen wäre, angesichts der von der Beklagten dargestellten Lage auf dem für den Kläger in Betracht kommenden regionalen bzw überregionalen Stellenmarkt nicht zu beanstanden. Danach durfte und musste die Beklagte davon ausgehen, dass für die Kläger hinreichende Vermittlungschancen bestanden, auch wenn möglicherweise für die konkret bezeichneten Stellen gesundheitliche und fachliche Einschränkungen vorlagen, die aber ggfs durch entsprechende Eingliederungsleistungen hätten ausgeglichen werden können und jedenfalls hinsichtlich des konkret in Bezug genommenen Stellenangebots als Isolierer bei der Johann Rohrer GmbH nicht ersichtlich gewesen sein dürften. Diese Einschätzung war auch Grundlage der Eingliederungsvereinbarung vom 28. August 2012. Hier ist zudem zu beachten, dass der Beklagten auch ein gewisser Zeitraum einzuräumen ist, um eine Vermittlungsstrategie zu ermitteln und ein konkretes Vermittlungsprofil des Klägers zu erstellen, wie aus deren Stellungnahme vom 24. April 2014 erhellt. Dass durch dem Kläger ggfs obliegende Pflegetätigkeiten seine Vermittelbarkeit derart eingeschränkt war, dass letztlich nur noch die selbständige Tätigkeit in Betracht kam, ist nicht plausibel dargetan. Weder Umfang noch Inhalt etwaiger zu verrichtender Pflegedienste an der Großmutter hat der Kläger, der selbst für seine selbständige Tätigkeit im GZ-Antrag 60 Wochenstunden angesetzt hatte, im Einzelnen dargelegt, ebenso wenig den Pflegeanteil Dritter oder ambulanter Pflegedienste. Noch in seinem Antrag auf Alg hatte er diesbezüglich zeitliche Einschränkungen ausdrücklich verneint. Schließlich hat der Kläger bereits anlässlich seiner Vorsprache bei der Beklagten am 28. November 2012 (!) unmissverständlich klargestellt, dass er den elterlichen Gasthof übernehmen wolle, weil seine Eltern altersbedingt hierzu nicht mehr in der Lage seien (vgl Vermerk vom 28. November 2012). Durch diese Festlegung war eine erfolgversprechende Vermittlungstätigkeit der Beklagten nach diesem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr zu erwarten, die der Kläger selbst aber nicht ausgeschlossen hatte, wenn er in seinem Widerspruchsschreiben vom 28. Januar 2013 ausführt: "Ich stelle die Möglichkeit der Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht in Frage. Zweifellos würde diese Entscheidung der einfachere und ökonomisch sichere Weg für mich sein. Aus meinem Pflichtbewusstsein gegenüber der Familie und Region habe ich mit jedoch bewusst für den Weg in die Selbständigkeit entschieden." Die Beklagte hat insoweit ermessensfehlerfrei berücksichtigt, dass der GZ keine allgemeine Subvention selbständiger Tätigkeiten darstellt, sondern die Beendigung der Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit fördern soll, die ansonsten durch Vermittlung in eine Beschäftigung nicht erfolgen kann. Der Kläger hat aber selbst eingeschätzt, dass eine solche Vermittlung erfolgversprechend gewesen wäre. Schließlich liegt auch ansonsten kein Abwägungsfehler vor. Ein für die Bewilligung sprechender Gesichtspunkt, der mindestens ebenso gewichtig wäre wie der für die Ablehnung maßgebliche Gesichtspunkt der ausreichenden Vermittlungschancen des Klägers, ist nicht erkennbar. Die Beklagte hat auch einen GZ weder mündlich zugesagt noch sich im Wege einer Eingliederungsvereinbarung auf eine selbständige Tätigkeit des Klägers als Eingliederungsziel festgelegt (vgl hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Februar 2014 – L 8 AL 1515/13 – juris).

Auf die Ausführungen des SG in dem angefochtenen Gerichtsbescheid nimmt das Gericht in entsprechender Anwendung von § 153 Abs. 2 SGG ergänzend Bezug.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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