Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 11 R 140/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 102/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Verzinsung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Die 1963 geborene Klägerin war nach einem 1990 erlittenen Unfall zuletzt 1994 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Sie stellte am 10. Februar 1997 bei der Beklagten einen Antrag auf medizinische Rehabilitationsleistungen. Der Verwaltungsvorgang ist nicht mehr vorhanden, die Unterlagen wurden vernichtet.
Wegen einer Arbeitsunfähigkeit ab dem 10. Februar 1997 bezog die Klägerin seit dem 24. März 1997 bis zum 9. August 1998 Krankengeld. Die Beklagte bestätigte der Klägerin mit Schreiben vom 27. März 1997 den Eingang ihres Antrages auf Leistungen zur Rehabilitation. Die HEK teilte der Klägerin mit Schreiben vom 6. August 1997 mit, dass bereits ein Rehabilitationsantrag vorliege. Weitere Maßnahmen würden sich erübrigen, sie sei aber in ihrer Disposition im Hinblick auf eine Rücknahme des Rentenantrages eingeschränkt.
Die Klägerin bezog im Anschluss an das Krankengeld ab dem 10. August 1998 Arbeitslosengeld vom Arbeitsamt H ... Die Leistungen wurden durch Bescheid vom 9. März 1999 mit Beginn einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme eingestellt. Für die Dauer der medizinischen Reha gewährte die Beklagte der Klägerin in der Zeit vom 9. März 1999 bis zum 20. April 1999 Übergangsgeld. Die medizinische Rehabilitationsmaßnahme wurde in der H.- in B. durchgeführt. Nach dem vorliegenden Entlassungsbericht wurde die Klägerin unter der Diagnose einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung, einer Somatisierungsstörung sowie weiteren Erkrankungen mit einem halb- bis untervollschichtigen Leistungsvermögen als arbeitsunfähig entlassen. Sie bezog im Anschluss in der Zeit vom 21. April 1998 bis zum 8. September 2000 Arbeitslosengeld. Auf Veranlassung der Beklagten wurde ein Verfahren auf Teilhabeleistungen am Arbeitsleben bei der Bundesanstalt für Arbeit (Arbeitsamt H.) eingeleitet. Mit Bescheid vom 10. Februar 2003 wurde der Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass zunächst medizinische Maßnahmen vorrangig seien.
In der Zeit vom 9. September 2000 bis zum 14. November 2010 bezog die Klägerin bis auf eine Wohngeldzahlung im September 2000 in Höhe von 83 Euro keinerlei Sozialleistungen und war krank und arbeitsunfähig. Sie lebte von einer Schmerzensgeldzahlung, die im Hinblick auf den erlittenen Unfall gezahlt wurde.
Ab dem 15. November 2010 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld II. Auf Veranlassung des Leistungsträgers wurde eine Begutachtung zur Erwerbsfähigkeit durchgeführt. Nachdem mit Gutachten vom 7. November 2011 Erwerbsunfähigkeit für mehr als sechs Monate festgestellt worden war, stellte der Leistungsträger die Zahlung von Arbeitslosengeld II zum 31. Dezember 2011 ein. Ab dem 1. Januar 2012 bezog die Klägerin dann Sozialhilfe.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2012 teilte der Sozialhilfeträger der Beklagten mit, dass ab 1. Januar 2012 Sozialhilfe gezahlt werde, machte gleichzeitig einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 f. Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch (SGB X) geltend und bat hilfsweise um Einleitung eines Rentenverfahrens.
Am 10. Mai 2012 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, überreichte das zuvor von der Beklagten übersandte und von ihr ausgefüllte Rentenantragsformular und legte zahlreiche Dokumente vor.
Auf Veranlassung der Beklagten wurden Befundberichte beigezogen und ein medizinisches Gutachten eingeholt. Der Neurologe und Psychiater Dr. S. kam nach Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten vom 31. August 2012 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin bereits zum Zeitpunkt des Beginns der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme, also am 9. März 1999, erwerbsunfähig gewesen sei.
Daraufhin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Oktober 2012 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit ab 1. Dezember 2012 in Höhe von monatlich 677,32 EUR. Nach einem Widerspruch der Klägerin und weiteren Ermittlungen berechnete die Beklagte mit Anpassungsbescheid vom 13. März 2013 die Rente die Zeit ab 1. Mai 2013 neu (monatlich 729,18 EUR) und bezifferte den Nachzahlungsbetrag für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 30. April 2013 auf 37.223,96 EUR. Mit Gegenstandsbescheid vom 10. Juni 2013 gewährte die Beklagte der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit ab 1. Januar 2008. Die Anspruchsvoraussetzungen seien am 10. Februar 1997 erfüllt, rechtswirksamer Antrag sei der 27. März 1997 und Rentenbeginn somit der 1. März 1997. Aufgrund der eingetretenen Verjährung bestehe ein Anspruch auf Rentenzahlungen jedoch erst ab dem 1. Januar 2008. Das gelte sowohl für den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit als auch für ein mögliches Übergangsgeld. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Anspruch sei gemäß § 45 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch (SGB I) für die Zeit vor dem 1. Januar 2008 verjährt. Darüber hinaus komme auch bei einem Verschulden des Leistungsträgers § 44 Abs. 4 SGB X zur Anwendung, wonach Sozialleistungen rückwirkend für vier Jahre zu gewähren seien. Die Gewährung der Rente war Gegenstand eines Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Hamburg (S 11 R 1334/13) und einem anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Hamburg (L 3 R 101/15).
Mit Bescheid vom 15. Oktober 2013 stellte die Beklagte zwischenzeitlich auf Antrag der Klägerin die Verzinsung der nunmehr ab dem 1. Januar 2008 zu gewährenden Rente fest. Dabei berechnete sie - ausgehend von einem Verzinsungsbeginn ab dem 1. Dezember 2012 - einen Betrag in Höhe von 723,51 EUR.
Hiergegen richtete sich der am 24. Oktober 2013 erhobene Widerspruch, mit dem die Klägerin eine Verzinsung ab dem 1. Januar 2008 in Höhe von 3951,19 EUR begehrte und zur Begründung auf die Antragstellung im März 1997 verwies.
Das Widerspruchsverfahren blieb ohne Erfolg. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2014 den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach den gesetzlichen Vorschriften sei für den Beginn der Verzinsung allein auf den Eingang des vollständigen Rentenantrages abzustellen und dieser habe der Beklagten erst am 10. Mai 2012 vorgelegen.
Die Klägerin argumentiert weiter, dass im Juni 2000 eine Kontoklärung durch die Beklagte erfolgt sei und daher alle für die Rente erforderlichen Informationen vorgelegen hätten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. August 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2014 zu verurteilen, die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auch für die Zeit vom 1. März 2008 bis 30. November 2012 zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, insbesondere gemäß § 151 SGG form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Sozialgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 15. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2014 ist rechtmäßig und nicht zu beanstanden. Die von der Beklagten vorgenommene Verzinsung für die ab dem 1. Januar 2008 gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entspricht den gesetzlichen Vorgaben.
Der Beginn der Verzinsung ist von der Beklagten zutreffend ermittelt worden. Die Rentenzahlung ist ab dem 1. Dezember 2012 zu verzinsen. Ein früherer Beginn kommt nicht in Betracht.
Maßgeblich ist § 44 SGB I. Gemäß Abs. 2 der Vorschrift beginnt die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger, beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung. Der Antrag ist spätestens dann vollständig gestellt, wenn der Leistungsberechtigte den vom Leistungsträger verwendeten Antragsvordruck vollständig ausgefüllt und die hierin aufgeführten beizubringenden Unterlagen eingereicht hat (BSG v. 31.01.2008 – B 13 R 17/07 R in juris, Rn. 12 mit weiteren Nachweisen).
Der vollständige – auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bzw. Erwerbsunfähigkeit bezogene – Leistungsantrag ist erst am 10. Mai 2012 bei der Beklagten eingegangen. Dieser Antrag ist maßgeblich und es kann nicht auf den Antrag auf Gewährung von Rehabilitationsleistungen aus dem Jahre 1997 abgestellt werden. Die Rente ist deshalb erst ab dem 1. Dezember 2012 zu verzinsen.
Die Fiktion des § 116 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch (SGB VI) führt zwar dazu, dass der Rentenantrag im Sinne des § 99 SGB VI wirksam gestellt worden ist, hat jedoch keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der Vollständigkeit des Rentenantrags und damit auch nicht auf den Verzinsungsbeginn (BSG v. 31.01.2008 – B 13 R 17/07 R in juris, Rn. 13 mit weiteren Nachweisen). Mit dem Antrag auf Gewährung von Rehabilitationsleistungen soll gemäß § 116 Abs. 2 SGB VI lediglich ein wirksamer, nicht jedoch ein vollständiger Antrag fingiert werden. Im Regelungszusammenhang der §§ 115, 116 SGB VI komme es – so das BSG – auf die Vollständigkeit Antrags von vornherein nicht an. Sinn und Zweck der Antragfiktion und der Zinsregelung gebiete es nicht, von einem früheren vollständigen Antrag auszugehen. Mit der Fiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI soll sichergestellt werden, dass sich die Rehabilitationsbereitschaft des Versicherten rentenrechtlich nicht nachteilig auswirken kann und die Zinspflicht des § 44 SGB I soll die Nachteile ausgleichen, die die verspätete Zahlung von oftmals existenzsichernden Sozialleistungen mit sich bringen kann (BSG v. 31.01.2008 – B 13 R 17/07 R in juris, Rn. 13). Ein Ausgleich eines Zinsschadens, der möglicherweise dadurch verursacht wurde, dass der Leistungsträger zu einem früheren Zeitpunkt hätte entscheiden können oder müssen, ist von der Zielsetzung der Regelungen nicht erfasst. Es ist auch nicht von Belang, ob die Informationen, die für die Rentengewährung erforderlich sind, bereits zu einem früheren Zeitpunkt, z.B. durch eine Kontoklärung vorgelegen haben, denn nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 44 Abs. 2 SGB I ist allein der Eingang des vollständigen Leistungsantrages maßgeblich und es wird gerade nicht auf den Zeitpunkt abgestellt, an dem die erforderlichen Informationen tatsächlich vorlagen. Hinzu kommt, dass nach Ablauf von rund 12 Jahren weitere Angaben zwingend erforderlich waren.
Auch die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, der als Folgenbeseitigungsanspruch allein auf die Herstellung des Zustands gerichtet ist, der ohne die Pflichtverletzung bestehen würde, sind nicht erfüllt. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist, dass bei einer rechtzeitigen Bescheidung durch die Beklagte gerade kein Anspruch auf eine Zinszahlung bestanden hätte. Geht man von einem Verschulden bzw. Beratungsfehler der Beklagten aus, indem sie den Rehabilitationsantrag nicht unter Berücksichtigung der Regelung des § 116 SGB VI als Rentenantrag bewertet hat, und würde man eine rechtzeitige Bearbeitung annehmen, ergebe sich hieraus kein Anspruch auf eine Verzinsung. Bei dem geltend gemachten Zinsanspruch handelt es sich hingegen um einen Schadensersatzanspruch, der aus einer verspäteten Leistungsgewährung resultiert. Ein Ausgleich dieses Schadens ist nicht nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs möglich und muss vor den ordentlichen Gerichten verfolgt werden (LSG Baden-Württemberg v. 22.01.2016 – L 4 R 412/15 in juris, Rn. 27). Die Voraussetzungen für einen – isoliert auf die Zinsen bezogenen Herstellungsanspruch – liegen demnach nicht vor und die Klägerin müsste einen Amtshaftungsanspruch vor den ordentlichen Gerichten geltend machen. Eine Teilverweisung des Rechtsstreits zu den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist nicht möglich (vgl. LSG Baden-Württemberg v. 22.01.2016 – L 4 R 412/15 in juris, Rn. 36 mit weiteren Nachweisen).
Soweit es um einen Herstellungsanspruch bezogen auf die Rente geht, erübrigen sich weitere Ausführungen, weil die Rente nicht nach den Grundsätzen eines Herstellungsanspruchs beansprucht werden kann, sondern sich unter Anwendung der gesetzlichen Vorschriften ergibt. Wie bereits im Parallelverfahren (L 1 R 101/15) dargestellt, ist aufgrund der Fiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI von einem Antrag bereits im März 1997 auszugehen und es bedarf keiner zusätzlichen Fiktion nach den Grundsätzen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Der Beginn der Verzinsung für den Fall, dass die Rentenantragsfiktion gemäß § 116 SGB VI eingreift, ist bereits höchstrichterlich geklärt.
Tatbestand:
Im Streit ist die Verzinsung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Die 1963 geborene Klägerin war nach einem 1990 erlittenen Unfall zuletzt 1994 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Sie stellte am 10. Februar 1997 bei der Beklagten einen Antrag auf medizinische Rehabilitationsleistungen. Der Verwaltungsvorgang ist nicht mehr vorhanden, die Unterlagen wurden vernichtet.
Wegen einer Arbeitsunfähigkeit ab dem 10. Februar 1997 bezog die Klägerin seit dem 24. März 1997 bis zum 9. August 1998 Krankengeld. Die Beklagte bestätigte der Klägerin mit Schreiben vom 27. März 1997 den Eingang ihres Antrages auf Leistungen zur Rehabilitation. Die HEK teilte der Klägerin mit Schreiben vom 6. August 1997 mit, dass bereits ein Rehabilitationsantrag vorliege. Weitere Maßnahmen würden sich erübrigen, sie sei aber in ihrer Disposition im Hinblick auf eine Rücknahme des Rentenantrages eingeschränkt.
Die Klägerin bezog im Anschluss an das Krankengeld ab dem 10. August 1998 Arbeitslosengeld vom Arbeitsamt H ... Die Leistungen wurden durch Bescheid vom 9. März 1999 mit Beginn einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme eingestellt. Für die Dauer der medizinischen Reha gewährte die Beklagte der Klägerin in der Zeit vom 9. März 1999 bis zum 20. April 1999 Übergangsgeld. Die medizinische Rehabilitationsmaßnahme wurde in der H.- in B. durchgeführt. Nach dem vorliegenden Entlassungsbericht wurde die Klägerin unter der Diagnose einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung, einer Somatisierungsstörung sowie weiteren Erkrankungen mit einem halb- bis untervollschichtigen Leistungsvermögen als arbeitsunfähig entlassen. Sie bezog im Anschluss in der Zeit vom 21. April 1998 bis zum 8. September 2000 Arbeitslosengeld. Auf Veranlassung der Beklagten wurde ein Verfahren auf Teilhabeleistungen am Arbeitsleben bei der Bundesanstalt für Arbeit (Arbeitsamt H.) eingeleitet. Mit Bescheid vom 10. Februar 2003 wurde der Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass zunächst medizinische Maßnahmen vorrangig seien.
In der Zeit vom 9. September 2000 bis zum 14. November 2010 bezog die Klägerin bis auf eine Wohngeldzahlung im September 2000 in Höhe von 83 Euro keinerlei Sozialleistungen und war krank und arbeitsunfähig. Sie lebte von einer Schmerzensgeldzahlung, die im Hinblick auf den erlittenen Unfall gezahlt wurde.
Ab dem 15. November 2010 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld II. Auf Veranlassung des Leistungsträgers wurde eine Begutachtung zur Erwerbsfähigkeit durchgeführt. Nachdem mit Gutachten vom 7. November 2011 Erwerbsunfähigkeit für mehr als sechs Monate festgestellt worden war, stellte der Leistungsträger die Zahlung von Arbeitslosengeld II zum 31. Dezember 2011 ein. Ab dem 1. Januar 2012 bezog die Klägerin dann Sozialhilfe.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2012 teilte der Sozialhilfeträger der Beklagten mit, dass ab 1. Januar 2012 Sozialhilfe gezahlt werde, machte gleichzeitig einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 f. Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch (SGB X) geltend und bat hilfsweise um Einleitung eines Rentenverfahrens.
Am 10. Mai 2012 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, überreichte das zuvor von der Beklagten übersandte und von ihr ausgefüllte Rentenantragsformular und legte zahlreiche Dokumente vor.
Auf Veranlassung der Beklagten wurden Befundberichte beigezogen und ein medizinisches Gutachten eingeholt. Der Neurologe und Psychiater Dr. S. kam nach Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten vom 31. August 2012 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin bereits zum Zeitpunkt des Beginns der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme, also am 9. März 1999, erwerbsunfähig gewesen sei.
Daraufhin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Oktober 2012 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit ab 1. Dezember 2012 in Höhe von monatlich 677,32 EUR. Nach einem Widerspruch der Klägerin und weiteren Ermittlungen berechnete die Beklagte mit Anpassungsbescheid vom 13. März 2013 die Rente die Zeit ab 1. Mai 2013 neu (monatlich 729,18 EUR) und bezifferte den Nachzahlungsbetrag für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 30. April 2013 auf 37.223,96 EUR. Mit Gegenstandsbescheid vom 10. Juni 2013 gewährte die Beklagte der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit ab 1. Januar 2008. Die Anspruchsvoraussetzungen seien am 10. Februar 1997 erfüllt, rechtswirksamer Antrag sei der 27. März 1997 und Rentenbeginn somit der 1. März 1997. Aufgrund der eingetretenen Verjährung bestehe ein Anspruch auf Rentenzahlungen jedoch erst ab dem 1. Januar 2008. Das gelte sowohl für den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit als auch für ein mögliches Übergangsgeld. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Anspruch sei gemäß § 45 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch (SGB I) für die Zeit vor dem 1. Januar 2008 verjährt. Darüber hinaus komme auch bei einem Verschulden des Leistungsträgers § 44 Abs. 4 SGB X zur Anwendung, wonach Sozialleistungen rückwirkend für vier Jahre zu gewähren seien. Die Gewährung der Rente war Gegenstand eines Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Hamburg (S 11 R 1334/13) und einem anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Hamburg (L 3 R 101/15).
Mit Bescheid vom 15. Oktober 2013 stellte die Beklagte zwischenzeitlich auf Antrag der Klägerin die Verzinsung der nunmehr ab dem 1. Januar 2008 zu gewährenden Rente fest. Dabei berechnete sie - ausgehend von einem Verzinsungsbeginn ab dem 1. Dezember 2012 - einen Betrag in Höhe von 723,51 EUR.
Hiergegen richtete sich der am 24. Oktober 2013 erhobene Widerspruch, mit dem die Klägerin eine Verzinsung ab dem 1. Januar 2008 in Höhe von 3951,19 EUR begehrte und zur Begründung auf die Antragstellung im März 1997 verwies.
Das Widerspruchsverfahren blieb ohne Erfolg. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2014 den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach den gesetzlichen Vorschriften sei für den Beginn der Verzinsung allein auf den Eingang des vollständigen Rentenantrages abzustellen und dieser habe der Beklagten erst am 10. Mai 2012 vorgelegen.
Die Klägerin argumentiert weiter, dass im Juni 2000 eine Kontoklärung durch die Beklagte erfolgt sei und daher alle für die Rente erforderlichen Informationen vorgelegen hätten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. August 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2014 zu verurteilen, die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auch für die Zeit vom 1. März 2008 bis 30. November 2012 zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, insbesondere gemäß § 151 SGG form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Sozialgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 15. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2014 ist rechtmäßig und nicht zu beanstanden. Die von der Beklagten vorgenommene Verzinsung für die ab dem 1. Januar 2008 gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entspricht den gesetzlichen Vorgaben.
Der Beginn der Verzinsung ist von der Beklagten zutreffend ermittelt worden. Die Rentenzahlung ist ab dem 1. Dezember 2012 zu verzinsen. Ein früherer Beginn kommt nicht in Betracht.
Maßgeblich ist § 44 SGB I. Gemäß Abs. 2 der Vorschrift beginnt die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger, beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung. Der Antrag ist spätestens dann vollständig gestellt, wenn der Leistungsberechtigte den vom Leistungsträger verwendeten Antragsvordruck vollständig ausgefüllt und die hierin aufgeführten beizubringenden Unterlagen eingereicht hat (BSG v. 31.01.2008 – B 13 R 17/07 R in juris, Rn. 12 mit weiteren Nachweisen).
Der vollständige – auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bzw. Erwerbsunfähigkeit bezogene – Leistungsantrag ist erst am 10. Mai 2012 bei der Beklagten eingegangen. Dieser Antrag ist maßgeblich und es kann nicht auf den Antrag auf Gewährung von Rehabilitationsleistungen aus dem Jahre 1997 abgestellt werden. Die Rente ist deshalb erst ab dem 1. Dezember 2012 zu verzinsen.
Die Fiktion des § 116 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch (SGB VI) führt zwar dazu, dass der Rentenantrag im Sinne des § 99 SGB VI wirksam gestellt worden ist, hat jedoch keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der Vollständigkeit des Rentenantrags und damit auch nicht auf den Verzinsungsbeginn (BSG v. 31.01.2008 – B 13 R 17/07 R in juris, Rn. 13 mit weiteren Nachweisen). Mit dem Antrag auf Gewährung von Rehabilitationsleistungen soll gemäß § 116 Abs. 2 SGB VI lediglich ein wirksamer, nicht jedoch ein vollständiger Antrag fingiert werden. Im Regelungszusammenhang der §§ 115, 116 SGB VI komme es – so das BSG – auf die Vollständigkeit Antrags von vornherein nicht an. Sinn und Zweck der Antragfiktion und der Zinsregelung gebiete es nicht, von einem früheren vollständigen Antrag auszugehen. Mit der Fiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI soll sichergestellt werden, dass sich die Rehabilitationsbereitschaft des Versicherten rentenrechtlich nicht nachteilig auswirken kann und die Zinspflicht des § 44 SGB I soll die Nachteile ausgleichen, die die verspätete Zahlung von oftmals existenzsichernden Sozialleistungen mit sich bringen kann (BSG v. 31.01.2008 – B 13 R 17/07 R in juris, Rn. 13). Ein Ausgleich eines Zinsschadens, der möglicherweise dadurch verursacht wurde, dass der Leistungsträger zu einem früheren Zeitpunkt hätte entscheiden können oder müssen, ist von der Zielsetzung der Regelungen nicht erfasst. Es ist auch nicht von Belang, ob die Informationen, die für die Rentengewährung erforderlich sind, bereits zu einem früheren Zeitpunkt, z.B. durch eine Kontoklärung vorgelegen haben, denn nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 44 Abs. 2 SGB I ist allein der Eingang des vollständigen Leistungsantrages maßgeblich und es wird gerade nicht auf den Zeitpunkt abgestellt, an dem die erforderlichen Informationen tatsächlich vorlagen. Hinzu kommt, dass nach Ablauf von rund 12 Jahren weitere Angaben zwingend erforderlich waren.
Auch die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, der als Folgenbeseitigungsanspruch allein auf die Herstellung des Zustands gerichtet ist, der ohne die Pflichtverletzung bestehen würde, sind nicht erfüllt. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist, dass bei einer rechtzeitigen Bescheidung durch die Beklagte gerade kein Anspruch auf eine Zinszahlung bestanden hätte. Geht man von einem Verschulden bzw. Beratungsfehler der Beklagten aus, indem sie den Rehabilitationsantrag nicht unter Berücksichtigung der Regelung des § 116 SGB VI als Rentenantrag bewertet hat, und würde man eine rechtzeitige Bearbeitung annehmen, ergebe sich hieraus kein Anspruch auf eine Verzinsung. Bei dem geltend gemachten Zinsanspruch handelt es sich hingegen um einen Schadensersatzanspruch, der aus einer verspäteten Leistungsgewährung resultiert. Ein Ausgleich dieses Schadens ist nicht nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs möglich und muss vor den ordentlichen Gerichten verfolgt werden (LSG Baden-Württemberg v. 22.01.2016 – L 4 R 412/15 in juris, Rn. 27). Die Voraussetzungen für einen – isoliert auf die Zinsen bezogenen Herstellungsanspruch – liegen demnach nicht vor und die Klägerin müsste einen Amtshaftungsanspruch vor den ordentlichen Gerichten geltend machen. Eine Teilverweisung des Rechtsstreits zu den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist nicht möglich (vgl. LSG Baden-Württemberg v. 22.01.2016 – L 4 R 412/15 in juris, Rn. 36 mit weiteren Nachweisen).
Soweit es um einen Herstellungsanspruch bezogen auf die Rente geht, erübrigen sich weitere Ausführungen, weil die Rente nicht nach den Grundsätzen eines Herstellungsanspruchs beansprucht werden kann, sondern sich unter Anwendung der gesetzlichen Vorschriften ergibt. Wie bereits im Parallelverfahren (L 1 R 101/15) dargestellt, ist aufgrund der Fiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI von einem Antrag bereits im März 1997 auszugehen und es bedarf keiner zusätzlichen Fiktion nach den Grundsätzen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Der Beginn der Verzinsung für den Fall, dass die Rentenantragsfiktion gemäß § 116 SGB VI eingreift, ist bereits höchstrichterlich geklärt.
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