S 8 KR 356/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 8 KR 356/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 134/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik.

Die bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet an einem Bandscheibenvorfall zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel links, einem Rundrücken nach einer Aufbaustörung vom Scheuermann-Typ im Wachstumsalter mit Texturstörung zweier Bandscheiben sowie an überdurchschnittlicher Brustgröße.

Am 17.01.2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik unter Vorlage zweier ärztlicher Atteste.

Mit Bescheid vom 02.04.2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die vorgelegten Befunde keinen operativen Eingriff rechtfertigen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 12.04.2012 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, es sei doch nicht sinnvoll, ihren Krankheitsverlauf nach wie vor nicht behandeln zu können. Gerne wäre sie endlich wieder gesund und schmerzfrei und wieder zu 100 % arbeitsfähig.

Mit dem Widerspruchsbescheid vom 07.08.2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, Behandlungskosten die kosmetischen Zwecken dienen, würden grundsätzlich keinen Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung begründen, es sei denn der Zustand weiche derart von der Norm ab, dass wesentliche Funktionen nicht mehr in befriedigendem Umfang erfüllt werden können. Operationen mit kosmetischer Zielsetzung würden nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann nicht zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, wenn hierdurch eine psychische Störung behoben oder gelindert werden soll. Eine psychische Störung sei mit den Mitteln der Psychiatrie oder Psychotherapie zu behandeln. Die Kosten einer Brustverkleinerung seien von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu tragen, soweit die Brüste nicht entstellend wirken und keine Funktionsbeeinträchtigung vorliegt. Eine Entstellung würde im Fall der Klägerin nicht vorliegen. Auch eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung insbesondere im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates würde nicht vorliegen.

Am 04.09.2012 hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben. Zur Begründung trägt die Klägerin vor, sie leide massiv unter Nackenschmerzen, Rückenschmerzen und erheblichen Schulterschmerzen und sei deshalb nicht arbeitsfähig. Mitursächlich für die erheblichen Schmerzen seien die übergroßen Brüste. Aus diesem Grunde sei ihr ärztlicherseits eine Mammareduktionsplastik empfohlen worden. Bei den vergrößerten Brüsten der Klägerin handle es sich um einen ärztlich attestierten Befund mit Krankheitswert. Mithin handle es sich nicht um einen kosmetischen Eingriff. Gegen das Gutachten des Dr, C. wendet sich die Klägerin, da der Gutachter, insbesondere auf S. 14 und S. 19 des Gutachtens lediglich Meinungen aus der medizinischen Literatur aufzählen würde, ohne sich mit diesen inhaltlich auseinanderzusetzen. Weiter wird die Äußerung des Gutachters zum Nichtvorliegen einer Entstellung der Klägerin kritisiert. Des Weiteren würde der Gutachter zu dem Ergebnis kommen, dass die Klägerin sich ihre Schmerzen wohl nur einbilde.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2012 zu verurteilen, die Kosten für einen operativen Eingriff zur Brustkorrektur bei der Klägerin zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf die angefochtenen Bescheide.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung von Befundberichten von Dr. G., Dr. A., Dr. F. sowie Dr. B ... Des Weiteren hat das Gericht Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Dr. C. auf Grund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichts- und Beklagtenakte verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für eine Mammareduktionsplastik.

Die beantragte Operation ist nicht als Maßnahme der Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V notwendig. Eine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne ist ein regelwidriger Körperzustand, der Behandlungsbedürftigkeit und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Eine Regelwidrigkeit liegt vor, wenn der Körperzustand vom Leitbild eines gesunden Menschen abweicht. Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu. Eine für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht maßgebende Krankheit liegt nur vor, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSG, Urteil vom 13.07.2004, Az.: B 1 KR 11/04 R; Hessisches LSG, Urteil vom 21.08.2008, Az.: L 1 KR 7/07).

In diesem Sinne sind die überdurchschnittlich großen Brüste der Klägerin keine Krankheit. Insbesondere wirken die Brüste der Klägerin nicht entstellend. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit bewirkt und erwarten lässt, dass die betroffene Person ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzieht (vgl. BSG, Urteil vom 28.02.2008, Az.: B 1 KR 19/07 R; Hessisches LSG, Urteil vom 21.08.2008, Az.: L 1 KR 7/07; Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 27 SGB V Rn. 12b). Als Beispiel für eine Entstellung kann der Verlust der Kopfbehaarung bei Frauen oder Wangenatrophie genannt werden (vgl. Kasseler Kommentar, § 27 SGB V Rn. 12c). Ausweislich der Fotos (Bl. 82 der Gerichtsakte) passen die Brüste der Klägerin noch zu ihrem Habitus. Diesen Eindruck gewann auch die Kammer in der mündlichen Verhandlung am 17.02.2014. An dieser Stelle sei auch anzumerken, dass die überdurchschnittlich großen Brüste der Klägerin im Alltag durch das Tragen eines passenden BH und entsprechender Kleidung kaschiert werden können.

Des Weiteren rufen die überdurchschnittlich großen Brüste der Klägerin keine Funktionseinschränkungen hervor. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Kammer das Gutachten des Dr. C. auf Seite 14 oben (Bl. 120 der Gerichtsakte) so versteht, dass der Gutachter im Fall der Klägerin eine Gewichtsreduktion nicht als Voraussetzung für die Notwendigkeit einer Brustverkleinerung für erforderlich hält. Daher zitiert er lediglich die hierzu divergierenden Meinungen in der Literatur, ohne sich explizit einer Meinung anzuschließen. Auch auf S. 19 des Gutachtens (Bl. 125 der Gerichtsakte) erschließen sich aus dem Text des Gutachtens die benannten Kriterien für eine symptomatische Brustübergröße. Dies sind "therapieresistente Hautveränderungen in der Unterbrustfalte seit mehr als 1 Jahr", "wesentliche BH-Trägerschnürfurchen" sowie "neuroorthopädische Unregelmäßigkeitenan den oberen Gliedmaßen ohne konkurrierende Ursache".

Ausweislich des Gutachtens des Dr. C. ist die Haut der Klägerin in beiden Unterbrustfalten unauffällig, sodass sich keine Indikation zur operativen Brustverkleinerung aufgrund von therapieresistenten und seit mehr als einem Jahr vorliegenden Hautentzündungen in den Unterbrustfalten ergibt. Die bei der Klägerin vorliegenden Funktionseinschränkungen im Haltungs- und Bewegungsapparat sind auch nicht ursächlich auf die überdurchschnittlich großen Brüste zurückzuführen. Ausweislich des Gutachtens des Dr. C. besteht bei der Klägerin zwar ein linksseitiger Bandscheibenvorfall zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel der Klägerin was als Anschlussdegeneration nach der vorangegangenen Versteifung ihres darüber gelegenen Bewegungssegmentes aufzufassen ist. Jedoch lassen sich diesem Bildbefund weder die vorgetragenen Schmerzen noch die vermittelte Bewegungsbeeinträchtigung des Halses zuordnen. Dies ergibt sich daraus, dass keine Tonusunregelmäßigkeiten in der Rückenmuskulatur der Klägerin oder im Kapuzenmuskel der Klägerin bestehen. Auch würden sich keine muskulären Verquellungen (Myogelosen) erkennen lassen. Auch seien keine wesentlichen BH-Trägerschnürfurchen vorhanden. Des Weiteren sei der Rundrücken der Klägerin zwar überdurchschnittlich ausgeprägt, jedoch innerhalb des alters- und geschlechtsspezifischen Normbereichs. Des Weiteren würden sich aus dem Akteninhalt und aufgrund der Untersuchung der Klägerin durch den Gutachter Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass bei der Klägerin weitgehend generalisierte Schmerzen am Stütz- und Bewegungsapparat vorliegen würden. Die Klägerin würde jedoch nur gelegentlich Schmerzmedikamente einnehmen, während sie ständig Psychopharmaka einnehmen würde. Diese Gesichtspunkte sprechen in einer Gesamtschau dafür, dass ein psychosomatischer Hintergrund eine wesentlich überzeugendere Ursache für das Auftreten der bei der Klägerin vorliegenden Beschwerden ist als das Brustgewicht. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Gutachter in nachvollziehbarer Weise. Die von der Klägerin angegebene Minderempfindlichkeit an den speichenseitigen Fingern der linken Hand entspricht ausweislich des Gutachtens des Dr. C. dem Versorgungsgebiet des Mittelnerven auf Handgelenkshöhe (Carpaltunnel), nicht aber jenem der sechsten Halsnervenwurzel. Die Ursache für die Minderempfindlichkeit an den Fingern der linken Hand ist somit weder der Bandscheibenvorfall im Bereich der Halswirbelsäule noch die Übergröße der Brüste der Klägerin.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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