L 6 SB 352/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 16 SB 1435/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 352/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Zuerkennung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "RF" (Ermäßigung der Rundfunkbeiträge).

Die 1953 geborene Klägerin wohnt im Inland. Bei ihr ist auf Grund des Teil-Abhilfe- und Widerspruchsbescheids vom 28. September 2011 ein Grad der Behinderung (GdB) von 90 anerkannt. Dem liegen ausweislich einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 22. Juni 2011 eine "Seelische Störung, Depression, chronisches Schmerzsyndrom, Kopfschmerzen" (Teil-GdB 60), eine "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom, Funktionsbehinderungen des rechten Schulter- und des rechten Ellenbogengelenks (30), eine systemische Mastozytose (pathologische Anhäufung von Mastzellen in der Haut und inneren Organen) mit Flush-Syndrom (Errötung der Haut) und rezidivierenden hypertensiven (Überempfindlichkeit gegen diverse Medikamente) Krisen (30) sowie "Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks" (20) zu Grunde. Ferner hat der Beklagte der Klägerin durch Teil-Abhilfe-Bescheid vom 18. Oktober 2012 die Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche "G" (Einschränkung des Gehvermögens) und "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung im Straßenverkehr) zuerkannt.

Am 19. April 2013 beantragte die Klägerin die Erhöhung des GdB auf 100 und die Zuerkennung des Merkzeichens "RF". Sie legte Arztbriefe des Universitätsklinikums F., Allergologie und Immundermatologie, Dr. M., vor. Aus diesen ergab sich, dass die Klägerin auf Grund der Mastozytose mehrmals in der Woche, insbesondere nachts, an Bauchkrämpfen und Diarrhoen, Unwohlsein und Herzrasen, Luftnot und Ohnmachtsanfällen leide. Sie habe ein Notfallset dabei, um auf plötzlich auftretende Histaminausschüttungen auf Grund äußerer Stressoren zu reagieren. In dem Bericht vom 14. August 2013 berichtete Dr. M. auch, die Klägerin habe das Notfallset seit Beginn der Therapie im Jahre 2011 selten einsetzen müssen. Zur Akte gelangten auch Berichte der Augenärztin Dr. B. vom 1. Februar 2013 (Presbyopie, Astigmatismus, Hypermetropie, Visus beidseits mit Korrektur 1,0 ) und des Hausarztes M. vom 6. Mai 2013 (eine Besserung der geklagten und objektiv feststellbaren Beschwerden sei nicht zu erwarten, die Schwerbehinderteneigenschaft sollte zugesprochen werden). Der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten wertete die Unterlagen aus und kam zu der Einschätzung, die Mastozytose sei zwischenzeitlich mit einem Teil-GdB von 50 zu bewerten, während die seelische Störung nur (noch) einen Teil-GdB von 30 bedinge. Insgesamt bleibe es bei dem GdB von 90. Die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" lägen nicht vor, weil der Klägerin die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen noch in nennenswertem Umfang zumutbar sei. Gestützt hierauf lehnte der Beklagte die Anträge mit Bescheid vom 13. September 2013 ab.

Die Klägerin erhob Widerspruch, worin sie – nur noch – die Zuerkennung des Merkzeichens begehrte. Sie könne ständig nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, weil im S. hohe Außentemperaturen herrschten und bereits geringe Sonneneinstrahlungen heftige hypertensive Krisen und schwere Panikattacken auslösten, während im Winter überhitzte, stickige Räume, vor allem in Verbindung mit großen Menschenansammlungen ebenfalls sofortige Auslöser für hypertensive Notfälle seien. Der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten wies darauf hin, dass die Klägerin ihr Notfallset nur selten eingesetzt habe, sodass eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen möglich sei. Der Beklagte erließ sodann den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 12. März 2014.

Hiergegen hat die Klägerin am 24. März 2014 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, bei Stress könne es zu starken Histaminreaktionen kommen und sie müsse dann ihre Notfallmedikamente einnehmen oder den Notarzt rufen. Die Anfälle träten sehr plötzlich und etwa einmal monatlich auf. Sie könne daher ihr Haus kaum noch verlassen, weil sie Angst davor und den eventuellen negativen Reaktionen Anderer habe.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Die Ärztin für Psychoonkologie und Psychosomatische Energetik Dr. S. hat unter dem 22. Juli 2014 bekundet, es handle sich um eine komplexe Traumafolgestörung mit chronischer Angststörung und chronischen Psychosomatosen; diese Erkrankungen seien in der ICD-10 GM nur unzureichend abgebildet. Der Gesundheitszustand schwanke stark. Zu machen Zeiten könne die Klägerin das Haus verlassen und pflege dann Sozialkontakte, zu anderen nicht. Dr. M. hat den aktuellen Behandlungsbericht des Universitätsklinikums F. vom 3. März 2015 zur Akte gereicht. Darin ist ausgeführt, nach wie vor komme es bei der Klägerin regelmäßig zu Flush, Herzrasen, Ohnmachtsgefühlen und Atembeschwerden. Die Kontaktaufnahme zu einer Mastozytose-Selbsthilfegruppe werde als hilfreich empfunden.

Mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 8. Dezember 2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Es bestehe kein Streit darüber, dass die Klägerin mit einem GdB von 90 in erheblichem Maße in ihrer Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt sei. Sie erfülle jedoch nicht die strengen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF". Sie sei nicht ständig von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Es sei nicht ersichtlich, dass sie ständig ans Haus gebunden sei. Dr. S. habe angegeben, der Gesundheitszustand mache es ihr nur zeitweise unmöglich, aus dem Haus zu gehen. Sie könne aber auch Sozialkontakte pflegen. Die angegebenen Stressoren wie Enge und Hitze lägen nicht bei jeder öffentlichen Veranstaltung vor.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 22. Dezember 2015 bei dem SG Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt, die dort am 25. Januar 2016 anhängig geworden ist. Sie trägt vor, nicht die Angst mache es ihr unmöglich, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, sondern sie reagiere auf Hitze, Kälte, Stress usw. mit Histaminausschüttungen, d.h. unkontrollierbarem Blutdruck, Herzbeschwerden usw. Sie leide zusätzlich an einer chronisch venösen Insuffizienz.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Dezember 2015 und den Bescheid vom 13. September 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. März 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei ihr die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" (Ermäßigung der Rundfunkbeiträge) festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen.

Die Klägerin hat den aktuellen Behandlungsbericht des Universitätsklinikums F. vom 17. März 2016 zur Akte gereicht, der als neue weitere Diagnose eine chronisch venöse Insuffizienz nennt. Deswegen beständen aktuell starke Schmerzen in den Beinen. Sie habe angegeben, es bestehe ein Zusammenhang zwischen den Schmerzen und einer vermehrten Mastzellmediator-Symptomatik. Es bestehe keine kutane Aktivität der Mastozytose. Die depressive Symptomatik werde durch ihre soziale Isolation verstärkt. Die Teilnahme an gesellschaftlichen Tätigkeiten sei sehr eingeschränkt bzw. nach den Angaben der Klägerin sogar nicht möglich. Die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" sei zu befürworten.

Der Senat hat Dr. M. ergänzend als sachverständige Zeugin vernommen. Sie hat unter dem 7. Oktober 2016 mitgeteilt, die zusätzliche venöse Insuffizienz habe Besenreiser zur Folge. Die äußerlichen Symptome der Mastozytose seien eine anfallsartig auftretende Rötung mit Hitzegefühl im Gesicht, Hals, Dekolleté und Oberkörper. Diese Symptome würden durch mehrere Auslöser getriggert. Die Klägerin gebe solche Symptome mehrmals wöchentlich an, ein Anfall dauere zwei bis vier Stunden. Die Mastozytose und auch die venöse Insuffizienz schränkten nicht die Beweglichkeit der unteren Gliedmaßen ein, wohl aber die körperliche Belastbarkeit. Genauere Angaben zu den psychiatrischen Diagnosen könne sie, da fachfremd, nicht machen. Bei der Klägerin führe die Mastozytose zu Todesangst und sozialem Rückzug. Jedoch sei sie, so nicht ständig vom Besuch aller öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Solche Teilnahmen seien ihr zeitweise über mehrere Wochen erschwert bzw. an einzelnen Tagen solcher Phasen nicht zumutbar.

Zu einem Erörterungstermin am 10. November 2016 ist die Klägerin ohne Angaben von Gründen nicht erschienen.

Der Beklagte hat am 10. November 2016 zu Protokoll, die Klägerin hat am 9. Dezember 2016 schriftlich einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Sie hat hierbei das Attest der Neurologin Dr. C. vom 10. November 2016 eingereicht, in dem ein posttraumatisches Carpaltunnelsyndrom, ein Zustand nach (Z.n.) sturzbedingter Radiustrümmerfraktur rechts am 5. November 2016, die Mastozytose, ein Z.n. Lungenhamartom (gutartiger Tumor im Lungengewebe) 2007, ein Z.n. reaktiver Depression multifaktorieller Genese und erhebliche Einschränkungen der Konzentrations- und Gedächtnisleistung diagnostiziert sind. Die Klägerin sei sehr verschüchtert, weise eine deutliche Persönlichkeitsstörung ohne pathologische Denkinhalte auf und die Konzentration sei eingeschränkt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet im Einvernehmen mit beiden Beteiligten (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ohne mündliche Verhandlung über die Berufung der Klägerin. Die von ihr zusammen mit ihrer Zustimmungserklärung zur Akte gereichten Unterlagen wurden dabei berücksichtigt.

Die Berufung ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG statthaft, insbesondere nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, weil die Klägerin keine Geld-, Sach- oder Dienstleistung begehrt, sondern eine behördliche Feststellung. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben.

Die Berufung hat aber keinen Erfolg. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) abgewiesen. Der noch aufrecht erhaltene Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF" besteht nicht. Daher erweisen sich die angegriffenen Bescheide als rechtmäßig.

Die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" sind nach § 69 Abs. 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweis-Verordnung (SchwbAwV) landesrechtlich geregelt. In Baden-Württemberg gilt insoweit seit dem 1. Januar 2013 und daher auch für den hier streitigen Zeitraum seit der Antragstellung der Klägerin am 19. April 2013 der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vom 15. Dezember 2010, der durch das baden-württembergische Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18. Oktober 2011 (GBl S. 477 ff.) zum 1. Januar 2013 in Kraft gesetzt worden ist. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird bei gesundheitlichen Einschränkungen keine Befreiung mehr gewährt, es werden lediglich die Rundfunkbeiträge auf ein Drittel ermäßigt. Die medizinischen Voraussetzungen wurden jedoch nicht geändert. Gleichermaßen setzt § 4 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 RBStV, wie zuvor § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 des früheren Rundfunkgebührenstaatsvertrags (RGebStV), voraus, dass es sich um blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von (wenigstens) 60 allein wegen der Sehbehinderung (Nr. 1), hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist (Nr. 2), oder behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können (Nr. 3), handelt (LSG Baden-Würt¬temberg, Urteil vom 27. Januar 2017 – L 8 SB 943/16 –, juris, Rz. 54).

Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin nicht erfüllt.

Sie ist weder hochgradig sehbehindert, wie sich aus dem Arztbrief von Dr. B. vom 1. Februar 2013 ergibt, noch hörgeschädigt mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Auch die Voraussetzungen der demnach allein in Betracht kommenden Regelung in § 4 Abs. 2 Nr. 3 RBStV liegen nicht vor. Zwar besteht bei der Klägerin ein GdB von wenigstens 80. Aber sie ist nicht wegen ihrer Leiden ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.

Als solche sind Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern, also nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG], vgl. Urteil vom 17. März 1982 - 9a/9 RVs 6/81 -, juris). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an diesen Veranstaltungen kann nur dann bejaht werden, wenn der schwerbehinderte Mensch in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist (vgl. SG Potsdam, Urteil vom 31. Januar 2014 – S 34 SB 131/12 –, juris, Rz. 19).

Eine solche Einschränkung folgt zunächst nicht aus den psychischen Erkrankungen. Zwar können auch solche den Besuch öffentlicher Veranstaltungen unmöglich machen. Es muss sich aber in Abgrenzung zu den anerkannten physischen Gründen, die gegen einen solchen Besuch sprechen, um psychische Einschränkungen handeln, die den behinderten Menschen von einem solchen Besuch subjektiv zwingend abhalten (LSG Baden-Würt¬temberg, Urteil vom 16. Januar 2013 – L 3 SB 3862/12 –, juris, Rz. 30). Solche psychischen Gesundheitsstörungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Bei ihr bestanden rezidivierende depressive Episoden und eine Angststörung. Die hieraus folgenden Beeinträchtigungen haben sich jedoch deutlich gebessert. Dies entnimmt der Senat dem Attest von Dr. C. vom 10. November 2016, in dem nur noch von einem "Zustand nach" reaktiven Depressionen berichtet wird. Aktuell werden Störungen des Gedächtnisses und der Konzentration berichtet, aber keine Hemmungen oder Einschränkungen, welche die Klägerin an das Haus binden. Auch die Symptome, die in früheren Arztberichten genannt waren, haben sie nicht zwingend von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Die Klägerin war und ist in der Lage, regelmäßig ihre Ärzte aufzusuchen und sie besucht nach Aktenlage auch eine Mastozytose-Selbsthilfegruppe.

Die Mastozytose selbst steht ebenfalls nicht ständig dem Besuch öffentlicher Veranstaltungen entgegen.

Die hypertensiven Krisen bzw. Attacken, welche die Klägerin auf Grund ihrer Erkrankung erleidet, schließen sie nicht ständig von allen öffentlichen Veranstaltungen aus. Diese Einschätzung hat Dr. M. in ihrer Zeugenaussage vom 7. Oktober 2016 abgegeben. Die Anfälle der Klägerin werden durch äußere Anreize getriggert, zu denen Enge und Hitze gehören mögen. Damit sind aber öffentliche Veranstaltungen mit wenigen Besuchern und ohne belastende äußere Umstände, wie z.B. Konzerte oder Gottesdienste, nicht ausgeschlossen. Ferner treten die Anfälle nur zeitweise auf; es gibt auch Tage und längere Zeitspannen, in denen die Klägerin anfallsfrei auf solche Veranstaltungen gehen kann. Und letztlich ist sie mit einem Notfallset ausgestattet, mit dessen Hilfe sie die Auswirkungen eines Anfalls abmildern kann. Wie auch der versorgungsmedizinische Dienst des Beklagten entnimmt der Senat dem Arztbrief von Dr. M. vom 14. August 2013, dass die Klägerin dieses Notfallset nur selten benutzen muss, was dar¬auf schließen lässt, dass die geschilderten Anfälle eher selten auftreten. Insgesamt ergibt sich nach Aktenlage ein Bild, wonach sie durchaus häufig ihr Haus verlässt und am öffentlichen Leben teilnimmt. So sucht sie regelmäßig ihre Ärzte und nunmehr mindestens zweimal jährlich das Universitätsklinikum F. aus, was der Senat den Berichten von Dr. M. entnimmt. Wenn aber ein behinderter Mensch in größerem Umfang seine behandelnden Ärzte noch selbst aufsuchen und sich einer Begutachtung an einem fremden Ort unterziehen kann, liegen die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" regelmäßig nicht vor (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Februar 2015 – L 7 SB 36/14 –, juris, Rz. 33).

Auch im Hinblick auf eine unzumutbare Belästigung oder Störung anderer Teilnehmer solcher Veranstaltungen führt die Mastozytose nicht zu einem Ausschluss der Klägerin von allen öffentlichen Veranstaltungen. Von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen im Sinn des Merkzeichens "RF" ausgeschlossen ist der behinderte Mensch nur dann, wenn es anderen Teilnehmern an öffentlichen Veranstaltungen nicht zumutbar ist, ihn wegen der Auswirkungen seiner Behinderung zu ertragen, insbesondere, weil er durch seine Behinderung auf die Umgebung unzumutbar, abstoßend oder störend wirkt. Beispielhaft können hier die Geruchsbelästigung bei unzureichend verschließbarem Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können, oder ekelerregende oder ansteckende Krankheiten genannt werden (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 1997 - Az.: 9 RVs 2/96 -, juris, Rz. 13). Bei dieser Beurteilung ist aber zu bedenken, dass der Öffentlichkeit ein hohes Maß an Belastung durch behinderungsbedingte Auffälligkeiten zuzumuten ist, weil das Schwerbehindertenrecht die Eingliederung und nicht die Ausgrenzung Behinderter bezweckt (Bayerisches LSG, Urteil vom 11. Oktober 2016 – L 15 SB 207/15 –, juris, Rz. 70). Die staatliche Pflicht, behinderte Menschen so weit wie möglich in die Gesellschaft einzugliedern, hat nach Art. 3 Abs. 3 Satz 3 Grundgesetz (GG) Verfassungsrang, auf dieser Basis können auch nicht behinderte Menschen in die Pflicht genommen werden. Vor diesem Hintergrund können nur massivste Störungen Anderer zu einem Ausschluss des behinderten Menschen selbst führen. Solche Auswirkungen auf Andere hat die Mastozytose der Klägerin nicht. Dr. M. hat in ihrer Aussage vom 7. Oktober 2016 auf konkrete Nachfrage des Senats zu diesem Punkt zwar ausgeführt, es handle sich um anfallsartig auftretende Rötungen an Körperstellen, die nicht durch Kleidung verdeckt zu werden pflegen. Das ist gleichwohl nicht unzumutbar abstoßend.

Die weiteren Erkrankungen schließen die Klägerin ebenfalls nicht ständig vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen aus. Insbesondere liegen keine Einschränkungen des Gehvermögens vor, die zu einer Rollstuhlpflicht führen würden, bei der auch mit Hilfe Dritter keine öffentliche Veranstaltung aufgesucht werden kann. In diesem Bereich ist ein schwerbehinderter Mensch solange nicht von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen, wie er mit technischen Hilfsmitteln wie einem Rollator oder Rollstuhl und ggfs. mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann (BSG, Urteil vom 3. Juni 1987 – 9a RVs 27/85 –, juris Rz. 11). Weitere einschränkende Behinderungen der Klägerin sind nicht erkennbar.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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