L 6 VG 1799/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 VG 3245/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 1799/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10. März 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen seine Verurteilung zur "Gewährung von Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG)" i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1988 geborene Kläger, der aus K. stammt und als deutscher Staatsbürger im Inland wohnt, traf sich am Abend des Samstags, 17. Dezember 2011, mit einigen - so seine Angaben gegenüber der Polizei - "Freunden und Bekannten" in der Wohnung seiner Eltern in O. (O.-Kreis). Einige der Besucher waren ihm nicht näher bekannt, darunter der später als Täter beschuldigte Zeuge V. W. (1991 geboren, kasachischer Staatsangehöriger, nicht vorbestraft). Diesen hatte ein anderer Besucher, der später identifizierte Zeuge D. K. (inzwischen verheiratet mit anderem Nachnamen), ohne gezielte Einladung durch den Kläger mitgebracht. Während des Abends tranken die Anwesenden Alkohol. Am frühen Morgen des 18. Dezember 2011 kam es zwischen dem Zeugen W. und dem Kläger zu einer Ausein¬an¬der¬setzung. Welche Mengen Alkohols an jenem Abend getrunken wurden, welchen Ablauf die Auseinandersetzung im Einzelnen hatte und welche Verletzungen der Kläger dabei davontrug, ist zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens streitig. Dieser war nach seinen späteren Angaben nach dem hier streitigen Vorfall im Januar 2012 und April 2016 erneut in Auseinandersetzungen verwickelt, bei denen er auch verletzt wurde.

Der Kläger wurde am frühen Morgen des 18. Dezember 2011 in die Notaufnahme des Kreiskrankenhauses A. gebracht. Dort wurden eine Orbitabodenfraktur links (Durchbruch des Augenhöhlenbodens zur Kieferhöhle), eine Nasenbeinfraktur und eine Kieferhöhlenverschattung diagnostiziert. Gegen ärztlichen Rat verließ er das Krankenhaus am Vormittag. Am Abend desselben Tages stellte er sich unter der Mitteilung, ihm sei übel, in der Notfallaufnahme des Bundeswehrkrankenhauses U. vor. Dort wurden Frakturen des linken Jochbeins, des linken Oberkiefers und des Orbitabodens links diagnostiziert. Der Kläger wurde stationär aufgenommen. Eine augenärztliche Untersuchung ergab "soweit schwellungsbedingt beurteilbar" einen unauffälligen Befund bei korrigierten Visen von 0,8 bds.; die Brille sei bei der Auseinandersetzung zerbrochen. Der Kläger wurde am 19. Dezember 2011 operiert (offene Reposition Jochbein und Osteosynthese durch Platte, offene transkonjunktivale Reposition Orbitaboden) und am 23. Dezember 2011 entlassen. Angebotene Nachsorgetermine nahm er nicht wahr.

Am 24. Dezember 2011 erstattete der Kläger bei der damaligen Polizeidirektion A. Strafanzeige gegen den Zeugen W. und stellte Strafantrag. Er gab an, in der Wohnung seien insgesamt fünf Personen gewesen, darunter der K. P. Den V. habe der D. mitgebracht. Nach Mitternacht, nachdem man auf dem Balkon gestanden und geraucht habe, seien "wir" in Streit geraten, den Grund dafür könne er nicht angeben. Er habe dann die Person gegen 1.00 Uhr aufgefordert, die Wohnung zu verlassen. Zum weiteren Verlauf könne er nichts sagen. Später habe ihm der K. mitgeteilt, er - der Kläger - sei gegen 3.00 Uhr mit blutender Nase aus der Küche ins Wohnzimmer zurückgekehrt, nur er und V. seien in der Küche gewesen, niemand sonst habe die Auseinandersetzung dort mitbekommen. Der V. sei nach ihm aus der Küche gekommen und habe dann die Wohnung verlassen. Der Kläger teilte noch mit, die Ärzte im Bundeswehrkrankenhaus hätten einen Metallsplitter in seinem linken Auge gefunden und entfernt; woher dieser stamme, könne er nicht sagen.

Die Polizei vernahm in der Folgezeit die vom Kläger benannten sowie weitere Personen.

Die Zeugin C. S. bekundete am 3. Januar 2011, sie sei die Freundin des Klägers. Sie sei am Tattag nicht anwesend gewesen, aber der V. habe sie am 30. Dezember 2011 angerufen und unter anderem gesagt, der Kläger habe am Tatabend seine - V.s - Mutter beleidigt, deshalb habe er ihm "eine reingeschlagen".

Der Zeuge K. P. sagte am 15. März 2012 aus, es sei allerlei getrunken worden, Wodka und Bier. Später seien alle betrunken gewesen, außer einem, der habe fahren sollen. Nach dem Rauchen auf dem Balkon habe einer der Gäste zusammen mit dem Kläger etwas an dessen Computer gemacht und sie hätten Streit bekommen. Beide seien vom Stuhl gefallen. Der Kläger habe diese Person aufgefordert zu gehen und sie dann "in den Arm genommen und sie nach draußen begleiten" wollen. Er selbst habe dann vom Sofa aus nichts mehr sehen können. Fünf Minuten später habe er in der Diele "bzw. am Kücheneingang" Blut auf dem Boden gesehen. In der Küche habe die andere Person gerade Papier in die blutende Nase des Klägers gestopft. Gefragt, warum er ihn geschlagen habe, habe der Besucher gesagt, er habe gebeten, bleiben zu dürfen, jedoch habe ihn der Kläger aus der Wohnung weisen wollen.

Der Zeuge A. T. gab am 15. März 2012 an, den V. habe der D. mitgebracht. Man habe in der Wohnung so viel getrunken, dass er - T. - auf dem Sofa eingenickt sei. Später sei er geweckt worden und habe den Kläger aus der Nase bluten sehen. Es sei davon geredet worden, dass der Kläger den V., als beide am Computer gesessen hätten, "angestresst" und dieser ihn dann ins Gesicht geschlagen habe.

Der Zeuge R. N. gab am 21. März 2012 an, es seien sieben oder acht Gäste dort gewesen. Es habe keinen besonderen Anlass für das Treffen gegeben. Er selbst habe bis zu der Schlägerei drei Bier und sechs Schnäpse getrunken. Der Kläger habe sich aufdringlich verhalten, sich an mehrere Personen gedrängt und gesagt, dass sie Brüder seien. Dieses Verhalten habe der V. überhaupt nicht gemocht. Die Stimmung zwischen beiden sei immer aggressiver geworden. Sie hätten sich angestoßen. Dann habe der Kläger den V. zum Gehen aufgefordert. Dieser habe den Kläger beruhigen wollen. Beide seien bei diesem Drängeln und Stoßen immer weiter Richtung Wohnungsausgang gegangen. Was dann passiert sei, habe er nicht gesehen.

Der Zeuge J. V. teilte bei seiner Vernehmung am 27. Januar 2012 mit, man habe Bier, Whiskey und Wodka getrunken. Der D. habe als einziger nichts getrunken, weil er noch habe fahren müssen. Ein Gast habe schon geschlafen, er selbst sei schon so betrunken gewesen, dass er die anderen Anwesenden weder benennen noch beschreiben könne. Als man vom Balkon wieder hineingegangen sei, habe der Kläger aus dem Bad gerufen, er blute, und den Namen des V. genannt.

Der Zeuge D. K. bekundete am 9. Februar 2012, er sei als Einziger nüchtern gewesen. Der V. habe erst später angerufen und gefragt, ob er kommen könne, der Kläger sei damit einverstanden gewesen. V. habe an dem Laptop gesessen und ein Lied gesucht. Der Kläger sei zu ihm gegangen und habe ihm den Arm um den Hals gelegt. Dies habe der V. nicht gemocht, den Kläger weggeschubst und - auf Russisch - gefragt, was das solle. Der Kläger habe auf Russisch geantwortet, der V. solle sich aus der Wohnung "verpissen". Dieser sei dann zum Ausgang gegangen und habe den Kläger beruhigen wollen. Dieser sei sehr wütend und rot im Gesicht gewesen. Aus dem Flur sei dann ein Schrei zu hören gewesen. Der Kläger habe dort gestanden und stark aus der Nase geblutet. Der V. habe noch mit ihm gesprochen, als er versorgt worden sei, habe dann aber die Wohnung verlassen.

Die Zeugin A. G. gab am 9. Februar 2012 an, der V. sei später allein gekommen. Man habe viel Bier, Wodka und Sekt getrunken. Sie selbst sei betrunken gewesen und habe nicht alles genau mitbekommen. Sie sei aufgewacht und habe den Kläger aus der Nase bluten sehen.

Der damals beschuldigte V. W. gab bei seiner Vernehmung am 13. März 2012 an, alle außer D. hätten Alkohol getrunken, der Kläger am meisten. Er - V. - habe am Laptop bei YouTube ein Lied gesucht. Der Kläger sei aggressiv geworden, habe sich neben ihn gesetzt und ihn in den Schwitzkasten genommen. Er habe den Kläger mehrfach erfolglos aufgefordert, dies zu unterlassen. Er habe ihn dann angeschrien, sei aufgestanden und in Richtung Küche gegangen. Der Kläger habe ihn verfolgt und mit Fäusten auf ihn eingeschlagen. Er - V. - sei den Schlägen ausgewichen. Er habe dann einmal zurückgeschlagen und den Kläger dabei ins Gesicht getroffen. Er sehe dies als Selbstverteidigung an. Der Kläger habe aus der Nase geblutet. Er - V. - habe dann Papier geholt, die Nase abgewischt, den Kläger auf einen Stuhl gesetzt und ihm bedeutet, seinen Kopf in den Nacken zu legen.

Die Polizei leitete die Ermittlungsakten am 22. März 2012 an die Staatsanwaltschaft Ellwangen weiter. Der zuständige Ermittlungsbeamte führte dabei in dem Abschlussvermerk aus, der genaue Sachverhalt könne wegen der widersprüchlichen Angaben des W., der Zeugen und des - jetzigen - Klägers nicht geklärt werden. Dieser habe bislang trotz polizeilicher Aufforderungen keine Unterlagen zu seinen Verletzungen und der Klinikbehandlung beigebracht.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht (AG) Neresheim (Cs 12 Js 4587/12) wegen Körperverletzung nach § 223 Strafgesetzbuch (StGB) den Strafbefehl vom 5. April 2012 gegen den Zeugen W. Die Geldstrafe wurde auf 70 Tagessätze zu je EUR 15,00 festgesetzt. Der Strafbefehl wurde W. am 7. April 2012 durch Einwurf in den Briefkasten zugestellt. Die Staatsanwaltschaft informierte auch die für ihn zuständige Ausländerbehörde.

Am 3. Mai 2012 legte W. Einspruch gegen den Strafbefehl ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist, weil seine Mutter, in deren Wohnung er lebe und die kaum Deutsch spreche, den Strafbefehl aus dem Briefkasten genommen und zur Seite gelegt habe, ohne ihm dies mitzuteilen. Mit Beschluss vom 21. Juni 2012 gewährte das AG Neresheim Wiedereinsetzung. Nachdem der Kläger als Nebenkläger zugelassen worden war, ordnete es dem W. einen Pflichtverteidiger bei. Der Kläger reichte den Entlassungsbericht des Bundeswehrkrankenhauses U. vom 23. Dezember 2011 und die Patientenkartei seines behandelnden Arztes Dr. G. zur Strafakte.

In der Einspruchsverhandlung vor dem Jugendrichter des AG Neresheim am 13. November 2012 ließ sich W. dahin ein, er sei gegen 0.00 oder 1.00 Uhr gekommen. Der Kläger sei schon sehr betrunken gewesen. Er habe sich an den Laptop gesetzt. Der Kläger sei aggressiv gewesen und habe neben ihm Platz genommen. Er habe den Kläger weggeschubst, weil er das nicht gewollt habe. Der Kläger habe ihn in den Schwitzkasten genommen. Er habe sich befreit und die Wohnung verlassen wollen. Der Kläger sei hinter ihm hergelaufen und habe ihn mit Fäusten schlagen wollen, aber nicht getroffen. Einmal habe er zurückgeschlagen. Der Schlag habe so heftig sein müssen, weil der Kläger ihn in die Ecke gedrängt habe und er sich habe verteidigen müssen, um aus der Wohnung zu kommen. Es sei nicht richtig, dass dieser seine - des W.s - Mutter beleidigt habe.

Der Kläger gab beim AG als Zeuge an, der W. habe am Laptop gesessen. Er sei zu ihm gegangen, habe ihm die Hand auf die Schulter gelegt und gefragt, was er dort mache. Da seien sie in Streit geraten. Er habe den W. dann aus der Wohnung gewiesen und zur Tür gebracht. Er habe noch mal reden wollen, da seien sie in die Küche gegangen. Zwei bis drei Minuten später habe er - der Kläger - mit einem Taschentuch an der Nase dort gesessen. Eine Erinnerung an den Schlag habe er nicht; erst im Nachhinein sei wieder Vieles in Erinnerung gekommen. Er habe den W. nicht in den Schwitzkasten genommen, sondern nur den Arm um ihn gelegt. Er könne es sich nicht vorstellen, W. geboxt zu haben.

Zwei weitere, geladene und erschienene Zeugen wurden nicht mehr vernommen.

Das AG stellte mit Beschluss vom 13. November 2012 das Strafverfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des W. nach § 47 Abs. 1 Satz 2 Jugendgerichtsgesetz (JGG) wegen Geringfügigkeit vorläufig ein und gab dem W. auf, an den Kläger EUR 1.500,00 Schmerzensgeld sowie EUR 700,00 auf seine Verfahrenskosten zu zahlen. Außergerichtlich einigten sich der Kläger und W. später darauf, dass diese EUR 2.200,00 in Raten zu EUR 200,00 monatlich beglichen werden sollten. Nachdem vier dieser Raten gezahlt worden waren, stellte das SG das Strafverfahren mit Beschluss vom 12. November 2013 endgültig ein.

Mit Schreiben vom 9. Februar 2012, bei dem Beklagten vier Tage später eingegangen, übersandte die Krankenkasse des Klägers einen ausgefüllten Antrag auf Leistungen nach dem OEG. Erstattungsansprüche wurden nicht geltend gemacht.

Der Beklagte zog die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Ellwangen bei und wertete diese aus, auch den darin enthaltenen Entlassungsbericht des Bundeswehrkrankenhauses U.

Mit Bescheid vom 4. Juni 2012 lehnte er es ab, eine Beschädigtenversorgung nach dem OEG zu gewähren. Unter der Überschrift "Begründung" führte er zunächst aus, der Kläger sei Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden und habe hierdurch eine gesundheitliche Schädigung erlitten (Ziffer II Nr. 4). Leistungen nach dem OEG seien jedoch zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht habe. Ein Verhalten des Geschädigten sei in der Regel dann als gleichwertige Ursache zu beurteilen, wenn es die Rechtsordnung in ähnlicher Weise wie das des Angreifers missbillige. Dies sei hier nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Fall. Der Kläger habe sich durch sein Verhalten, nämlich einen Alkoholrausch und durch aktives Mitwirken an der Auseinandersetzung (er habe seinen Arm um den Hals des W gelegt und versucht, ihn auch mit körperlicher Gewalt aus der Wohnung zu drängen) in eine Lage begeben, in der er damit habe rechnen müssen, ggfs. auch Verletzungen davonzutragen.

Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, sein Verhalten sei nicht sozialwidrig gewesen. Alkoholisierung werde allerorten auf Werbeplakaten in Gaststätten und anderswo gepriesen, sie führe grundsätzlich nicht zu Tätlichkeiten. Im Übrigen führe der Ausschluss alkoholisierter Opfer von einer Versorgung dazu, dass schwerste Kriminalstraftaten folgenlos blieben.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 2012 zurück. Die Versagung stützte sich auf die Vorschrift des § 2 Abs. 1 OEG. Der Kläger sei zwar Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden und habe dadurch eine gesundheitliche Schädigung erlitten. Jedoch sei eine Entschädigung unbillig, weil das Vorverhalten, nämlich der Alkoholrausch und die aktive Mitwirkung an der Auseinandersetzung, schwerwiegend, vorwerfbar und eine annähernd gleichwertige Ursache für die Verletzungshandlung sei. Es müsse bekannt sein, dass verbale Streitigkeiten auch zu körperlichen Tätlichkeiten führen könnten, "zumal" wenn beide Parteien über das Maß alkoholisiert seien.

Hiergegen hat der Kläger am 12. Oktober 2012 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Juni 1996 (9 RVg 7/94) könnten weder eine Einladung anderer in die eigene Wohnung noch das gemeinsame Alkoholtrinken als Mitverursachung angesehen werden, weil eine in einvernehmlicher Runde erfolgende Alkoholaufnahme in der Regel nicht mit Tätlichkeiten einhergehe.

Der Beklagte erwiderte, er habe eine Versorgung nicht wegen Mitursächlichkeit, sondern wegen Unbilligkeit versagt. Es habe sich nicht um ein geselliges Treffen gehandelt, bei dem "auch" Alkohol konsumiert worden sei, sondern das gemeinsame Alkoholtrinken habe im Vordergrund gestanden. Es sei alles durcheinander getrunken worden. Der Kläger sei durch seinen Alkoholkonsum enthemmt gewesen und habe sich aufdringlich verhalten.

Dieser ist der Behauptung der Beklagten entgegengetreten. Er habe sich nicht zum Alkoholtrinken verabredet. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Alkoholgenuss von Anfang an beabsichtigt gewesen sei.

In der mündlichen Verhandlung am 10. März 2016 hat das SG den Kläger persönlich angehört und die Zeugen D. K. (unter dem neuen Nachnamen G.), J. V., K. P. und V. W. vernommen.

Der Kläger hat berichtet, bei der Operation sei ein Tränenkanal verletzt worden, weswegen er immer ein tränendes Auge habe. An dem fraglichen Abend sei der Alkohol ausgegangen, weswegen der D. losgefahren sei und neuen besorgt habe. Er sei dann mit dem V. zurückgekommen, der nicht eingeladen gewesen sei. Dieser habe sich dann an den Computer gesetzt und Musik gesucht. Er - der Kläger - habe ihn mehrfach aufgefordert aufzustehen und ihn dabei an der Schulter angefasst, um ihn wegzuziehen. Er sei jedoch sitzen geblieben. Daraufhin habe er ihn aufgefordert, die Wohnung zu verlassen. Danach habe er ihn in Richtung Tür gebracht. An mehr könne er sich nicht erinnern. Es sei wohl so gewesen, dass er noch mit ihm habe reden wollen. Es sei möglich, dass er - der Kläger - den W. beleidigt habe, möglicherweise auch dessen Mutter. Er könne sich nicht vorstellen, dass er den W. habe schlagen wollen, denn er sei kein aggressiver Mensch.

Der Zeuge D. K. hat bekundet, der Kläger und V. hätten sich ein bisschen gestritten. V. seit dann gegangen. Der Kläger sei ihm hinterhergelaufen. Alle Gespräche seien auf Russisch geführt worden. V. habe sich nicht aggressiv verhalten.

Der Zeuge K. P. hat, vermittelt durch einen Dolmetscher für polnisch, mitgeteilt, man habe Bier getrunken, später auch Whiskey und Wodka und dieses gemischt. Es sei dadurch zum Streit gekommen. Der Kläger habe mit einem anderen mehr und mehr getrunken. Er habe den anderen gebeten, das Haus zu verlassen. Später habe der Kläger im Flur gestanden und geblutet. V. habe auf Nachfrage gesagt, der Kläger habe ihn aus dem Haus ekeln wollen, daraufhin habe er dreimal zugeschlagen. Ob der Kläger den V. beleidigt habe, wisse er nicht. Weder der Kläger noch W. seien aggressiv gewesen.

Der Zeuge V. W. hat bekundet, man habe etwas getrunken, er selbst allerdings wenig, da er zuletzt gekommen sei. Er habe sich an den Laptop gesetzt, um Musik zu machen oder zu ändern. Der Kläger sei gekommen, habe geredet und ihn zuletzt in den Schwitzkasten genommen. Er habe dann gehen wollen und sei rückwärts zum Flur gelaufen. Der Kläger sei auf ihn losgegangen und habe versucht, ihn zu schlagen. Irgendwann habe er in einer Ecke gestanden. Er sei den Schlägen ausgewichen und habe einmal zurückgeschlagen, wodurch der Kläger auf den Boden gefallen sei. Er habe dann Klopapier geholt, um dessen blutende Nase zu versorgen. Der Kläger habe nicht mehr gewusst, was passiert sei. Er habe später gehört, dieser habe versucht, seine Nase selbst zu richten. Daher müssten die vielen Brüche kommen, denn diese könnten nicht von dem einen Schlag herrühren. Der Kläger sei in der Situation sehr aggressiv gewesen. Auf Nachfragen hat der Zeuge W. einerseits angegeben, beleidigt habe ihn der Kläger nicht, andererseits, es könne sein, dass er seine - des Zeugen - Mutter beleidigt habe.

Mit Urteil vom selben Tage hat das SG die angegriffenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger "Entschädigungsleistungen" nach dem OEG zu gewähren. Es hat ausgeführt, zwischen den Beteiligten sei unstreitig und vom Beklagten auch bestandskräftig anerkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt seien (dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei). Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 OEG seien dagegen nicht im Vollbeweis festzustellen gewesen.

Zum einen habe der Kläger die Schädigung nicht mitverursacht. Es sei nicht bewiesen, dass er den Zeugen W. provoziert habe noch dass er - strafrechtlich relevant - versucht habe, ihn zu verletzen. Dies habe zwar der W. behauptet. Dessen Aussagen widersprächen aber seinen eigenen Angaben am Telefon der Zeugin S. am 30. Dezember 2011. Dort habe der Zeuge angegeben, er habe den Kläger geschlagen, nachdem dieser seine Mutter beleidigt habe. Bei der Polizei und vor dem Amtsgericht habe er dann zwar bereits angegeben, der Kläger habe versucht, ihn zu schlagen. Dort habe er den Vorfall jedoch in der Küche geschildert, nunmehr beschreibe er ihn im Flur neben der Wohnungstüre. W. habe auch auf Grund des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens ein vitales Interesse daran, seinen Schlag als Notwehr darzustellen, daher seien seine Einlassungen nicht für glaubhaft zu erachten. Ferner hätten die übrigen Zeugen in den Vernehmungen vor dem SG wie auch im Ermittlungsverfahren nicht bestätigt, dass sich der Kläger aggressiv verhalten habe. Wesentlich sei auch die Aussage des Zeugen K. P., der im Ermittlungsverfahren wie auch beim SG angegeben habe, der W. habe ihm nach der Tat mitgeteilt, er habe dem Kläger dreimal ins Gesicht geschlagen, nachdem dieser ihn aus dem Haus habe ekeln wollen. Es gebe keinen Grund, der Aussage des P. nicht zu folgen. Im Übrigen habe der Kläger den W. auch nicht dadurch provoziert, dass er seine Mutter beleidigt habe. Von dieser Aussage sei W. bei seiner Vernehmung beim SG selbst abgerückt.

Zum anderen sei auch keine Unbilligkeit gegeben. Es seien keine Umstände ersichtlich, die ein bewusstes oder leichtfertiges Eingehen einer Gefahr darstellten. Dass der Kläger seine Bekannten zum Konsumieren von Alkohol "im Rahmen eines geselligen Beisammenseins" eingeladen habe, begründe noch nicht die Gefahr einer Körperverletzung. Er habe nicht davon ausgehen müssen, dass der Zeuge W. besonders aggressiv reagieren könne. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass es sich um ein "Koma-Saufen" gehandelt habe. Die Ausübung des Hausrechts durch den Kläger sei nicht als leichtfertiges Eingehen einer Gefahr zu qualifizieren. Er müsse es nicht dulden, wenn eine Person gegen seinen Wunsch in der Wohnung seiner Eltern bleibe. Gesichert sei auch nicht, dass es zu einem Geschubse oder einer anderen körperlichen Auseinandersetzung gekommen sei, da die Aussagen der Zeugen insoweit widersprüchlich gewesen seien.

Gegen dieses Urteil, das ihm am 4. Mai 2016 zugestellt worden ist, hat der Beklagte am 17. Mai 2016 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er hält an seiner Ansicht fest, Leistungen an den Kläger seien wegen Unbilligkeit zu versagen gewesen. Der Zeuge R. N., den das SG nicht vernommen habe, habe bei der Polizei bekundet, der Kläger habe mehrere Personen bedrängt. Auch der Zeuge D. K. (G.) habe bestätigt, dass es eine Auseinandersetzung zwischen diesem und dem Zeugen W. gegeben habe. Der Beklagte rügt ferner, das SG habe keine Feststellungen über die aus dem angenommenen Angriff folgenden Gesundheitsschäden getroffen, was aber nach dem Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 (B 9 V 1/13 R) notwendig sei. In rechtlicher Hinsicht meint der Beklagte, er habe zwar einen vorsätzlichen rechtswidrigen Angriff bejaht, jedoch könne die isolierte Feststellung, dass keine Versagungsgründe vorlägen, nur der Beantwortung einer abstrakten Rechtsfrage dienen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 16. März 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Er trägt ergänzend vor, ggfs. müsse auch das affektionierte, eine Kommunikation ausschließende Verhalten des Zeugen W. beleuchtet werden. Er sei nicht verantwortlich dafür, dass der Beklagte keine Feststellungen zu den Schädigungsfolgen getroffen habe. Hilfsweise werde vorgetragen, dass er einen Bruch von Jochbein und Nase habe hinnehmen müssen.

Der Senat hat die Behandlungsakte des Bundeswehrkrankenhauses U. beigezogen und Dr. G. schriftlich als sachverständigen Zeugen vernommen. Aus seiner Patientenkartei geht hervor, dass der Kläger am 10. Januar 2012 bei einer Behandlung angegeben habe, er habe ein junges Mädchen verteidigt und sei dabei verprügelt worden, wobei auch das rechte Auge verletzt worden sei, am 24. Mai 2013 der Verdacht auf ein Glaukom links bestanden habe, er am 29. Januar 2013 bei einem Arbeitsunfall einen Metallsplitter in den linken Daumen bekommen habe und am 24. Oktober 2013 eine Verstauchung und Zerrung der Rippen und des Sternums (Brustbein) vorgelegen habe. Dr. G. hat auch den Behandlungsbericht des Stauferklinikums Sch. G. zur Akte gereicht, wonach der Kläger am 22. April 2016 von mehreren Personen ins Gesicht geschlagen worden sei und eine Schädelprellung erlitten habe.

Der Berichterstatter des Senats hat den Kläger persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen R. N. und - erneut - D. K. Der Kläger hat Angaben zu den anderen Angriffen bzw. Unfällen im Januar 2012, im Januar 2013, im Oktober 2013 und im April 2016 sowie zu einem noch nicht bekannten Unfall im August 2016 (Sportunfall mit Verletzungen am rechten Unterarm) gemacht. Dabei hat er den Schlag auf das rechte Auge bei der Schlägerei Anfang Januar 2012 bestätigt. Der Zeuge N. hat bekundet, der Kläger habe "eher wie auf einen guten Bruder gemacht" und dem Zeugen W. den Arm umgelegt, obwohl W. gesagt habe, das nicht zu wollen. Es sei auch Musik gelaufen, von einem Computer wisse er nichts. Er habe den Schlag nicht gesehen, gehe aber von einem solchen aus. Er habe später Blut bemerkt. Was passiert sei, sei im Flur geschehen, das habe er nicht sehen können. Im Übrigen wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 15. September 2016 verwiesen.

Im Nachgang dazu hat der Kläger den Befundbericht der Augenheilpraxis A., Dr. E., beigezogen, aus dem sich ergibt, dass er dort am 25. Juni 2012 wegen eines tränenden und häufig entzündeten linken Auges in Behandlung gewesen sei, es seien Augentropfen verordnet worden, den vereinbarten Kontrolltermin nach drei Wochen habe der Kläger nicht wahrgenommen.

Der Senat hat abschließend erneut den Zeugen W. vernommen. Wegen seiner Aussagen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2017 Bezug genommen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, da sich der Beklagte gegen seine Verurteilung zur Gewährung laufender Sozialleistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) wehrt.

Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 Abs. 1 SGG).

Sie ist auch begründet. Nach Ansicht des Senats hat das SG den Beklagten zu Unrecht verurteilt, sodass sein Urteil aufzuheben ist.

Allerdings leidet das Urteil des SG entgegen der Ansicht des Beklagten nicht daran, dass es "keine Schädigungsfolgen festgestellt" habe, sodass nicht etwa im Rahmen einer entsprechenden Anwendung des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG das Urteil aufzuheben und das Verfahren zurückzuverweisen wäre. In dem auch vom Beklagten zitierten Urteil hat das BSG lediglich entschieden, dass im Rahmen einer Klage nach § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 3 SGG nur die Feststellung eines bestimmten Gesundheitsschadens als Folge einer Gewalttat nach dem OEG begehrt werden kann, nicht aber die bloße Feststellung, dass eine solche Gewalttat vorgelegen habe bzw. der Antragsteller "Opfer einer Gewalttat" geworden sei (Urteil vom 16. Dezember 2014 - B V 1/13 R -, juris, Rz. 12). Der Kläger hat hier jedoch keine Feststellung beantragt, sondern begehrt mit einer Anfechtungs- und Leistungsklage eine Verurteilung zur Gewährung einer "Entschädigung". Eine Leistungsklage ist nicht an den Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 SGG zu messen. Zwar müssen auch bei einer solchen Klage die Gesundheitsstörung und ihre Folgen auf funktioneller Ebene festgestellt werden (Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 – L 6 VG 4400/15 –, juris, Rz. 35). Eine solche "Feststellung" muss aber nicht im Tenor getroffen werden, gemeint ist nur die positive gerichtliche Entscheidung über diese Voraussetzungen des ausgeurteilten Anspruchs. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das SG im Tatbestand seiner Entscheidung einige Feststellungen zu den Schädigungsfolgen getroffen hat (S. 2 UA: "Nasoethmoidalefraktur links, Orbitalbodenfraktur links, Fraktur des Jochbeins und des Oberkiefers links, periorbitales Hämatom links, Hypästhesien im Bereich des linken Oberkiefers links"). Ferner hat es auf das vom Kläger behauptete fortbestehende Tränen des linken Auges hingewiesen. Ob diese Schädigungen vorliegen und ob sie direkt oder mittelbar Angriffsfolgen sind, ist eine Frage der Begründetheit der Klage.

Nach der Ansicht des Senats ist dagegen der Tenor des angegriffenen Urteils zu beanstanden. Die Verurteilung des Beklagten durch das SG dürfte nicht vollstreckungsfähig sein. Der Antrag des Klägers, den Beklagten zur Gewährung von "Entschädigungsleistungen" zu verurteilen, war zu unbestimmt im Sinne von § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG und daher unzulässig. Zwar kann im sozialgerichtlichen Verfahren die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG auf jede nach dem materiellen Recht vorgesehene Leistung gerichtet werden. Die beanspruchte Leistung muss indes genau bezeichnet werden (BSG Urteil vom 17. Juli 2008 - B 9/9a VS 5/06 R -, juris, Rz. 15). Eine Leistung mit der Bezeichnung "Entschädigung" ist im Recht des OEG und des BVG nicht vorgesehen (vgl. § 1 Abs. 1 OEG i.V.m. § 9 BVG). Und selbst wenn nach den Umständen des Falles als "Entschädigung" nur Geldleistungen begehrt sein sollten, ist auch ein solcher Antrag immer noch zu unbestimmt, um Gegenstand eines Grundurteils nach § 130 SGG zu sein (BSG, Urteil vom 2. Oktober 2008 - B 9 VG 2/07 R - juris, Rz. 12; BSG, Urteil vom 17. April 2013 – B 9 V 3/12 R –, juris, Rz. 24). Der Antrag kann auch nicht durch Auslegung weiter konkretisiert werden. Bei seiner Anhörung in dem Erörterungstermin am 15. September 2016 hat der Kläger selbst ausgeführt, dass eine Beschädigtenrente auch aus seiner Sicht nicht in Betracht kommt. Allenfalls ein Anspruch auf Heilbehandlung könnte bestehen, soweit er fortbestehende Beschwerden an seinem linken Auge beklagt und mittelbar auf die Schädigung zurückführt. Aber zu weiteren Behandlungen in diesem Bereich wurde nichts Konkretes ausgeführt.

Es ist jedoch nicht notwendig, in diesem Berufungsverfahren auf einen ausreichend konkreten Leistungsantrag oder stattdessen auf einen Feststellungsantrag des Klägers hinzuwirken. Dies wäre nur dann notwendig, wenn die Berufung des Beklagten zurückzuweisen und durch Berichtigung von Amts wegen ein vollstreckungsfähiger Tenor zu schaffen wäre. Die Berufung ist aber, wie ausgeführt, begründet, sodass die Klage ohnehin abzuweisen ist.

Der Senat kommt - anders als das SG - zu der Entscheidung, dass bereits keine entschädigungspflichtige Gewalttat vorliegt, sodass Leistungsansprüche nach dem OEG i.V.m. dem BVG unter keinem Gesichtspunkt bestehen können. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG geworden ist. Jedenfalls, auch in diesem Punkt kann der Senat nicht der Einschätzung des SG folgen, sind Leistungen an den Kläger nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 OEG wegen Mitwirkung zu versagen.

Der Senat ist an einer Entscheidung über die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht dadurch gehindert, dass der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid vom 4. Juni 2012 - und erneut in dem Widerspruchsbescheid vom 12. September 2012 - ausgeführt hat, ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff habe stattgefunden. In beiden Bescheiden findet sich diese Ausführung im Bereich der Begründung im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Sie stellt keinen Teil des Verfügungssatzes dar, der allein in Bestandskraft erwachsen und Bindungswirkung nach § 77 SGG entfalten kann (vgl. Leitherer, in Meyer-La¬de¬wig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 77 Rz. 5b m.w.N.). In dem Verfügungssatz des Bescheids hat der Beklagte ganz allgemein eine Versorgung nach dem OEG abgelehnt. Dieser Tenor kann auch so verstanden werden, dass damit bereits die Feststellung einer - entschädigungspflichtigen - Gewalttat und einer daraus folgenden Gesundheitsschädigung abgelehnt worden ist. Im Übrigen wäre der Beklagte auch nicht befugt gewesen, isoliert das Vorliegen einer Gewalttat festzustellen. Dies wäre eine unzulässige Elementenfeststellung gewesen.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG.

Der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs ist zunächst unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 StGB auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R – juris, Rz. 25 ff. und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, juris, Rz. 19 f.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, juris, Rz. 37 f.). Dieser tätliche Angriff setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5/84 -, juris, Rz. 10 f.). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7/93 -, juris, Rz. 10). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, juris, Rz. 35 ff.). Ein solcher Angriff ist indes auch im Recht der Opferentschädigung nur rechtswidrig, wenn keine ausreichenden Rechtfertigungsgründe wie z.B. Notwehr (§ 32 StGB), rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) oder andere vorliegen.

Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG voll bewiesen sein (Urteil des Senats vom 21. April 2015 - L 6 VG 2096/13 -, juris, Rz. 37 ff. m.w.N.). Die (materielle) Beweislast, also der Nachteil aus der Unaufklärbarkeit der tatsächlichen Voraussetzungen, liegt hierbei nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen bei dem Antragsteller, der eine Begünstigung erstrebt (vgl. Leitherer, a.a.O., § 103 Rz. 19a). Dies gilt z.B. auch für den erforderlichen Vorsatz des tätlichen Angriffs; eine fahrlässige Schädigung genügt nämlich außer in den Fällen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 OEG nicht. Ebenso muss die Rechtswidrigkeit des Angriffs festgestellt werden. Daher muss mit dem Maßstab des Vollbeweises auch erwiesen sein, dass keine Rechtfertigungsgründe vorliegen (ebenso Bayerisches LSG, Urteil vom 17. August 2011 – L 15 VG 21/10 -, juris). Beweisregeln wie jene, dass ein bei einem vorsätzlichen Angriff die Rechtswidrigkeit indiziert sei und deshalb die Versorgungsverwaltung das Fehlen von Rechtfertigungsgründen zu beweisen habe, existiert nicht, insbesondere nicht in der Form des Anscheinsbeweises (hierzu im Einzelnen LSG Hamburg, Urteil vom 31. Mai 2016 – L 3 VE 6/14 –, juris, Rz. 25), auch weil sich der Anscheinsbeweis, der an allgemeine Erfahrungssätze anknüpft, zur Feststellung individueller, willensgesteuerter Verhaltensweisen nicht eignet (BSG, Urteil vom 22. Juni 1988 – 9/9a RVg 3/87 –, juris).

Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Nach § 15 Satz 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Glaubhaftmachung in diesem Sinne bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, juris, Rz. 35 m.w.N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht aus, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung.

Allerdings hat die Absenkung der Anforderungen an das Beweismaß weitere Voraussetzungen. § 15 Satz 1 KOVVfG gilt nicht generell im Versorgungsrecht.

Zunächst muss der Antragsteller selbst Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen können und widerspruchsfrei vortragen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 17/02 -, juris, Rz. 36). Dieses Erfordernis zeigt sich schon in § 15 Satz 2 KOVVfG, wonach die Verwaltungsbehörde in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen kann, dass er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe. Aber auch wenn eine eidesstattliche Versicherung nicht abgegeben wurde, so würde sich ein Antragsteller, der bewusst falsche Angaben macht, des versuchten oder vollendeten Betrugs (§§ 263 Abs. 1, 22 f. StGB) schuldig machen. Diese zusätzliche, über die Glaubhaftigkeit aus sonstigen Gründen hinausgehende Gewähr für die Richtigkeit würde fehlen, wenn die Behörde oder das Gericht auch schon solche - inhaltlich - glaubhaften Sachverhalte der Entscheidung zugrunde legen würde, zu denen der Antragsteller keine Angaben aus eigenem Wissen machen kann (BSG, Urteil vom 28. Juni 2000 - B 9 VG 3/99 R -, juris, Rz. 12).

Ferner greift die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG über ihren Wortlaut - der sich auf das Fehlen von Unterlagen bezieht - zwar, aber auch nur dann ein, wenn andere Beweismittel, z.B. Zeugen, nicht vorhanden sind. Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Nach Ansicht des Senats gehört zu den Tatzeugen, deren Vorhandensein eine bloße Glaubhaftmachung u.U. nicht mehr ausreichen lässt, grundsätzlich auch das beschuldigte Opfer, zumindest dann, wenn der als Täter beschuldigte Zeuge keine strafrechtliche Verfolgung mehr befürchten muss und die in Betracht kommenden Schadensersatzansprüche gegen ihn verjährt sind. Der Senat hat hierzu ausgeführt (Urteil vom 22. September 2016 – L 6 VG 1927/15 –, juris, Rz. 72 ff.), dass die Würdigung der Aussagen aller Zeugen, auch eines Beschuldigten, einzelfallbezogene richterliche Aufgabe ist (ebenso Bayerisches LSG, Urteil vom 30. April 2015 - L 15 VG 24/09 -, juris, Rz. 61). Dies gilt zumindest dann, wenn der als Täter beschuldigte Zeuge keine strafrechtliche Verfolgung mehr befürchten muss und die in Betracht kommenden Schadensersatzansprüche gegen ihn verjährt sind. Wenn das Prozessrecht in diesen Fällen übereinstimmend dem beschuldigten Zeugen kein uneingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht mehr gewährt (§ 384 Nr. 1 und Nr. 2 Zivilprozessordnung [ZPO] i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG), so zeigt die Rechtsordnung damit, dass die Aussagen solcher Zeugen nicht grundsätzlich anderes oder weniger Gewicht haben als die Angaben unbeteiligter Zeugen, sondern allenfalls bei ihrer Würdigung die Beschuldigung gegen den Zeugen zu berücksichtigen ist. Hinzu kommt die Erwägung, dass es der Antragsteller in der Hand hätte, durch weitreichende Vorwürfe alle Zeugen auszuschalten, die seine Angaben womöglich nicht bestätigen oder sogar widerlegen könnten, um auf diese Weise in den Genuss des abgesenkten Beweismaßes zu gelangen. Dies wäre nicht "ohne Verschulden" im Sinne von § 15 Satz 1 KOVVfG.

Vor diesem Hintergrund reicht hier eine bloße Glaubhaftmachung der angeschuldigten Tat einschließlich ihrer Rechtswidrigkeit nicht aus.

Der Kläger hat keine schlüssigen, widerspruchsfreien und vor allem aus eigener Erinnerung folgenden Angaben machen können. Er hat vielmehr sogar selbst mehrfach eingeräumt, sich an die konkreten Umstände nicht erinnern zu können, eventuell wegen seiner erheblichen Alkoholisierung während der Tat. Manche seiner Aussagen beruhten auf den Mitteilungen, die ihm die anwesenden Bekannten später gemacht hatten. Eine eigene Erinnerung an die Tat hat der Kläger offensichtlich nicht. Bei seiner - tatnahen - Vernehmung bei der Polizei am 24. Dezember 2011 hat er noch angegeben, man ("wir") sei in Streit geraten, den Grund dafür könne er nicht angeben, und Näheres wisse er nicht. Bei seiner Vernehmung durch das AG Neresheim am 13. November 2012 konnte der Kläger dann konkrete Angaben machen, allerdings hat er auch dort nur ausgeführt, der Zeuge W. habe am Laptop gesessen und er - der Kläger - habe ihm die Hand auf die Schulter gelegt, ihn aufgefordert zu gehen und zur Tür gebracht. Er konnte zwar auch noch angeben, die Tat sei in der Küche geschehen, aber Näheres wusste er nicht. Bei seiner Anhörung beim SG am 10. März 2016 hat der Kläger zwar diesen Ablauf im Wesentlichen bestätigt, aber nicht mehr sagen können, wo die Tat stattgefunden hat. Auch bei weiteren Kernpunkten des Geschehens hat er sich auf Erinnerungslücken berufen.

Da bereits aus diesen Gründen der Rückgriff auf § 15 Satz 1 KOVVfG ausgeschlossen ist, muss der Senat nicht entscheiden, ob im Falle des Klägers überhaupt Beweisnot vorliegt, ob also der angeschuldigte Zeuge W. - andere, neutrale Zeugen waren bei der tätlichen Auseinandersetzung nicht zugegen - ausgeschlossen ist. W. hat zwar die Aussage nicht verweigert, sondern Angaben zur Sache gemacht. Für ihn besteht auch nicht mehr die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung. Die endgültige Einstellung des Strafverfahrens durch den Jugendrichter hat nach § 47 Abs. 3 JGG zur Folge, dass wegen derselben Tat nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel von neuem Anklage erhoben werden könnte. Außerdem ist inzwischen ohnehin Verfolgungsverjährung eingetreten, weil seit den letzten verjährungsunterbrechenden Maßnahmen gegen den Zeugen W. in den Jahren 2012/2013 (vgl. dazu § 78c Abs. 1 StGB) die nach § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB - da nur einfache Körperverletzung im Raum stand - dreijährige Verjährungsfrist vollendet wäre. Jedoch ist nicht ausgeschlossen, dass gegen den Kläger noch (weitere) Schadensersatzansprüche aus §§ 823 Abs. 1, 253 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geltend gemacht werden können, die ggfs. nach § 5 OEG i.V.m. § 81a Abs. 1 BVG zum Teil auf den Beklagten übergegangen wären (vgl. auch § 116 Abs. 1 SGB X). Solche Ansprüche auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher Körperverletzung unterlagen bei Begehung der angeschuldigten Tat am 18. Dezember 2011 der dreijährigen Regelverjährung des § 195 BGB und richten sich heute nach den am 30. Juni 2013 in Kraft getretenen Änderungen der §§ 194 ff. BGB durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) der 30-jährigen Verjährungsfrist nach § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB n.F. Diese Neuregelung ist nach Art. 229 § 31 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) auch auf solche Ansprüche anwendbar, die am 30. Juni 2013 noch nicht verjährt waren.

Aus diesen Gründen muss der vorsätzliche Angriff im Vollbeweis festgestellt sein, ebenso wie das Fehlen von Rechtfertigungsgründen. In diesem Rahmen sind dann auch die Aussagen des Zeugen W. wie üblich zu würdigen.

Auf dieser Basis konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass der Angriff des Zeugen W. gegen den Kläger - dieser hat mindestens einen Schlag in Richtung des Gesichts des Klägers eingeräumt - rechtswidrig war. Es ist vielmehr nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, dass insoweit Notwehr vorlag (§ 32 Abs. 1 StGB). Zu dieser Einschätzung kommt der Senat auf der Basis der gesamten Beweisaufnahme (§ 128 Abs. 1 SGG, § 286 ZPO), wobei nicht nur die Zeugenaussagen beider Instanzen, sondern nach den Grundsätzen über den Beweis durch öffentliche Urkunden (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 415, 418 ZPO) auch die Protokolle der polizeilichen Vernehmungen verwertet werden.

Ausgangspunkt der Betrachtung durch den Senat ist, dass der Kläger den Zeugen W. aus dem Haus weisen wollte und dadurch Hausrecht ausübte, was nach einhelliger Rechtsprechung zumindest volljährige, in der Wohnung lebende Familienangehörigen des eigentlichen Hausrechtsinhabers tun können (vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 14. Dezember 1966 – 2 StR 346/66 –, juris, Rz. 7). Die Geschehnisse zuvor sind für die Frage, ob der Zeuge W. gerechtfertigt war, als er den Kläger ins Gesicht schlug, zunächst nicht relevant. Für den Senat steht allerdings fest, dass der Zeuge W. keinen Hausfriedensbruch nach § 123 Abs. 1 Var. 2 StGB beging, sodass nicht etwa Angriffshandlungen durch den Kläger gerechtfertigt gewesen wären. Dazu hätte der Zeuge, nach der Aufforderung zu gehen, in der Wohnung "verweilen" müssen. Das hat er zur Überzeugung des Senats nicht getan. Er war bereit zu gehen, stand auf und ging in Richtung Wohnungstür. Dies entnimmt der Senat nicht nur den Angaben des Zeugen W. selbst, sondern auch den Aussagen der - insoweit unbeteiligten - Zeugen N. und K. (G.). Beide Zeugen haben sowohl vor der Polizei auch bei ihren Vernehmungen durch den Berichterstatter des Senats am 15. September 2016 bekundet, dass der Kläger aufgeregt war und den Zeugen gedrängt hat, während dieser freiwillig ging und versucht hat, den Kläger zu beruhigen. Einen grundsätzlich anderen Ablauf hat auch der Kläger selbst nicht geschildert. Nachdem er in seinen zeitnahen Vernehmungen durch die Polizei keine Erinnerungen hatte, hat er später, zuletzt beim SG, bekundet, dass der Zeuge zwar nicht sofort aufstand, er brachte ihn aber zur Tür. Hieraus entnimmt der Senat, dass der Kläger keine Gewalt anwenden musste, um den Zeugen zum Gehen zu bewegen.

Der Senat geht weiterhin davon aus, dass der Zeuge W. dem Kläger im Flur bzw. im Bereich zur Küche einen Schlag ins Gesicht versetzt hat, aber nicht etwa mehrere Schläge. Dies schließt der Senat aus den Angaben des Zeugen und des Klägers über den Ablauf selbst und ihr Nachtatverhalten, denn die Ereignisse außerhalb des Wohnzimmers hat keiner der unbeteiligten Zeugen beobachten können. Diesen einen Schlag hat der Zeuge W. bereits bei seiner polizeilichen Vernehmung am 13. März 2012 eingeräumt und später an dieser Einlassung festgehalten. Mehrere Schläge hat auch der Kläger nicht behauptet. Die Angabe, der Zeuge habe dreimal geschlagen, stammt allein von dem Zeugen K. P. aus seiner Vernehmung beim SG. Abgesehen davon, dass dies keine Aussage aus eigener Wahrnehmung war - der Zeuge hat nur vom Hörensagen eine angebliche eigene Aussage des Zeugen W. wiedergegeben - hatte P. entgegen den Ausführungen des SG in dem angegriffenen Urteil auch bei seiner ersten Vernehmung bei der Polizei noch nicht von drei Schlägen gesprochen, sondern ausgeführt, der Zeuge habe sich beklagt, "zwei- bis dreimal" zum Gehen aufgefordert worden zu sein, deshalb habe er geschlagen. Allein auf eine solche Zeugenaussage lässt sich die Annahme mehrerer Schläge nicht stützen.

Es ist nicht auszuschließen, dass der Zeuge W. mit diesem einen Schlag einen vorsätzlichen rechtswidrigen Angriff des Klägers abwehren wollte und daher in Notwehr gehandelt hat.

Allerdings sieht der Senat einen solchen Angriff nicht in einer Beleidigung der Mutter des W. durch den Kläger. Eine solche Beleidigung ist auszuschließen. Dass der Kläger die Mutter des W. beleidigt habe, hat anfangs allein die Zeugin S. bei der Polizei bekundet. Sie konnte dies aber nur vom Hörensagen berichten, angeblich habe der Zeuge W. ihr gegenüber bei einem Telefonat am 30. Dezember 2011 eine solche Beleidigung vorgebracht. Ferner war diese Aussage der Zeugen S. unglaubhaft. Einen telefonischen Kontakt zu W. nach der Tat hat kein anderer Zeuge bekundet. Selbst der Kläger hat, zuletzt bei seiner Anhörung durch den Berichterstatter des Senats, jeglichen Kontakt zu dem Zeugen nach der Tat verneint. Entgegen diesen Angaben hat W. selbst bei seinen Vernehmungen eine Beleidigung seiner Mutter nicht behauptet, weder bei der Polizei noch beim AG Neresheim. Diese Aussage wiegt nach Ansicht des Senats erheblich, weil es dem Zeugen W. im Strafverfahren nur günstig gewesen wäre, wenn dem Kläger eine Beleidigung zur Last gefallen wäre, denn daraus hätte er ggfs. eine Notwehrlage zu seinen Gunsten ableiten können. Vor diesem Hintergrund hält der Senat eine Beleidigung auch nicht durch die eigenen Angaben des Klägers für bewiesen. Dieser selbst hat es bei seiner Anhörung beim SG für möglich gehalten, dass er die Mutter des Zeugen beleidigt habe. Aber angesichts der Erinnerungslücken des Klägers im Übrigen reicht dies nicht aus.

Dagegen hält es der Senat für nicht ausgeschlossen, dass sich der Zeuge mit seinem Schlag dagegen wehren wollte, dass ihn der Kläger seinerseits zu schlagen versuchte und ihn beim Hinausgehen "in eine Ecke" im Flur oder in der Küche gedrängt hat, also in eine Position, aus der sich der Zeuge mit Hilfe des Schlags befreien wollte. Einen solchen Hergang hat der Zeuge W. geschildert. Er hat zwar anfangs, bei der Polizei, die Schläge des Klägers in seine Richtung in den Vordergrund gerückt. Aber seit seiner Vernehmung beim AG hat er auch immer ausgeführt, er habe sich in eine Ecke gedrängt gefühlt und deshalb "heftiger" zuschlagen müssen. Diesen Punkt hat er auch in seiner Vernehmung durch den Senat am 2. Februar 2017 nochmals wiederholt, ohne dabei eine übertriebene Belastungstendenz an den Tag zu legen oder den Eindruck erweckt zu haben, er wolle dem Kläger schaden. Seine Angaben werden durch die Aussagen der unbeteiligten Zeugen im Wohnzimmer gestützt. Keiner dieser Personen hat eine Bedrängung durch den Kläger ausdrücklich verneint. Vor allem die Zeugen R. N. und D. K. (G.) haben ausgeführt, der Kläger sei aggressiv gewesen, als er den W. aus der Wohnung habe bringen wollen, während dieser eher zu beruhigen versucht habe. Der Senat hält die Angaben dieser Zeugen für durchaus glaubhaft, denn es handelt sich um Freunde oder engere Bekannte des Klägers, nicht des Zeugen W., und es sind keine Gründe ersichtlich, warum sie dem Kläger durch ihre Aussagen schaden wollten.

Dass sich der Zeuge mit seinem Schlag nur wehren wollte, dafür spricht auch das Nachtatverhalten. Unbestrittenermaßen hat der Zeuge dem Kläger geholfen, Toilettenpapier geholt und das Blut abgewischt. Dies hat nicht nur der Kläger selbst so geschildert, sondern z.B. auch der Zeuge K. P., der dann - in der Küche - ebenfalls zu Hilfe kam.

Ausgehend von einer solchen Situation - ungezielte Schläge in Richtung des Zeugen und Abdrängen in eine "Ecke" - war der eine Schlag in das Gesicht des Klägers nach § 32 Abs. 1 StGB gerechtfertigt. Das Notwehrrecht verlangt nicht, das denkbar mildeste Mittel einzusetzen, vielmehr kann getan werden, was die Gefahr effektiv und sofort beseitigt. Die erheblichen Verletzungen im Gesicht des Klägers sind ohnehin außer Betracht zu lassen, weil sie allenfalls eine fahrlässig verursachte Folge des Schlags selbst - der nur eine einfache Körperverletzung darstellt - waren und auch durch den alkoholisierten Zustand des Klägers mitverursacht sein können. Ein krasses Missverhältnis zwischen der Gefahr für den Zeugen und dem Schlag vermag der Senat jedenfalls nicht zu erkennen.

Gegen die Annahme, dass eine Notwehrlage nicht auszuschließen ist, spricht auch nicht, dass das Strafverfahren mit Zustimmung des Zeugen W. nach § 47 Abs. 1 JGG eingestellt worden ist. Diese Zustimmung wird schon strafrechtlich nicht als Schuldeingeständnis, sondern als bloße Verfahrenshandlung aufgefasst. Dem entspricht es, dass der Zeuge W. gegenüber dem Senat bekundet hat, eigentlich habe er sich schon unschuldig gefühlt, auf Grund der Hinweise seines Pflichtverteidigers habe er geglaubt, er müsse zustimmen.

Ebenso wären Ansprüche des Klägers - sofern doch ein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG vorgelegen hätte - jedenfalls nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 OEG ausgeschlossen.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung entweder selbst verursacht hat (1. Alt.) oder wenn es aus sonstigen, insbesondere aus in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren (2. Alt.). Als Sonderfall der Unbilligkeit ist die Mitverursachung stets zuerst zu prüfen (BSG, Urteil vom 18. April 2001 - B 9 VG 3/00 R -, BSGE 88, 96). Eine Mitverursachung in diesem Sinne kann nur angenommen werden, wenn das Verhalten des Opfers nach der auch im Opferentschädigungsrecht anwendbaren versorgungsrechtlichen Kausalitätsnorm nicht nur einen nicht hinweg zu denkenden Teil der Ursachenkette, sondern eine wesentliche Bedingung neben dem Beitrag des rechtswidrig handelnden Angreifers darstellt (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z. B. Urteil vom 21. Oktober 1998 - B 9 VG 6/97 R -, BSGE 83, 62). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der entschädigungsrechtliche Kausalitätsmaßstab nicht mit dem der gesetzlichen Unfallversicherung identisch ist. Während dort nur ein gegenüber den betrieblichen Gefahren deutlich überwiegendes selbstgeschaffenes Risiko den Versicherungsschutz ausschließt, führt auf dem Gebiet des OEG bereits eine etwa gleichwertige Mitverursachung zur Versagung der Entschädigung (Urteil des Senats vom 29. April 2014 – L 6 VG 4545/13 –, juris, Rz. 26). Ein Leistungsausschluss unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung liegt auch dann vor, wenn das Opfer zwar keinen Straftatbestand erfüllt hat, sich aber leichtfertig durch eine unmittelbare, mit dem eigentlichen Tatgeschehen insbesondere zeitlich eng zusammenhängende Förderung der Tat, z. B. eine Provokation des Täters, der Gefahr einer Gewalttat ausgesetzt und dadurch selbst gefährdet hat. Gleiches gilt, wenn sich das Opfer einer konkret erkannten Gefahr leichtfertig nicht entzogen hat, obwohl es ihm zumutbar und möglich gewesen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18; Urteil des Senats, a.a.O., Rz. 28).

Diese Voraussetzungen einer vorwerfbaren Mitwirkung des Klägers an der Schädigung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 OEG, für die der Versorgungsträger die Beweislast trägt, sieht der Senat hier für gegeben.

Es ist davon auszugehen, dass sich der Kläger - noch im Wohnzimmer - dem Zeugen W. gegenüber aggressiv verhalten und ihn in gewisser Weise körperlich angegangen hat. Hierbei lässt der Senat offen, ob der Kläger den Zeugen "in den Schwitzkasten genommen" hat bzw. ob der Zeuge W. das Verhalten in dieser Weise, also als Angriff, verstanden hat und verstehen durfte. Selbst der Kläger hat eingeräumt, er habe dem Zeugen die Hand auf die Schulter gelegt, weil er ihn zum Gehen habe auffordern wollen. In einer solchen Situation muss der Betroffene die Hand auf der Schulter nicht zwingend als rein freundschaftlich auffassen. Dass andere Zeugen, vor allem N. und P., das Verhalten des Klägers eher als "freundschaftlich" bzw. "wie auf Bruder" machend aufgefasst haben, ändert nichts daran, dass der Zeuge W. das Verhalten als missbilligenswert auffassen durfte. Die anderen Zeugen hatten von dem konkreten Inhalt der Auseinandersetzung am Computer nichts mitbekommen. Jedenfalls hat der Zeuge W. - dies haben auch die anderen Zeugen bestätigt - deutlich gemacht, dass er die Berührung durch den Kläger als Übergriff ansah und nicht wollte.

Auch wenn das Verhalten des Klägers nicht strafbar war, so hätte er dann doch von dem Zeugen ablassen müssen, nachdem dieser deutlich gemacht hatte, keinen Körperkontakt, welcher Art auch immer, zu wollen. Das Verhalten des Klägers hat dann den Zeugen gestört und dadurch einen wesentlichen Beitrag zur anschließenden Auseinandersetzung gesetzt, die letztlich in dem Schlag ins Gesicht gemündet hat. Damit haben sich, worauf der Beklagte zu Recht hinweist, auch typische Gefahrenmomente durch den übermäßigen Alkoholkonsum verwirklicht, nämlich die Enthemmung und Aufdringlichkeit des Klägers auf der einen Seite, eine Aggressivität des Täters auf der anderen Seite, die es in diesem konkreten Einzelfall rechtfertigen, Opferentschädigungsleistungen zu versagen.

Vor diesem Hintergrund ist nicht zu entscheiden, ob eine Versorgung des Klägers auch nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 OEG zu versagen gewesen wäre, also nicht wegen Mitverursachung, sondern wegen der Teilnahme an einem Treffen mit Alkoholkonsum in sozialwidrigem Ausmaß ohne weiteren Beitrag zu der letztlichen Schädigung.

Die Entscheidung über die Kosten beider Instanzen beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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