S 28 AS 579/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 28 AS 579/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Leistungsgewährung an die Kläger hat als Zuschuss statt als Darlehn zu erfolgen, weil aufgrund des kurzfristigen Leistungszeitraums das Hausgrundstück durch die Vorschrift des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II privilegiert ist und daher bei der Leistungswährung nicht zu berücksichtigen ist.
1. Der Bescheid vom 18.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30.06.2016 wird dahingehend abgeändert als die Leistungsgewährung statt als Darlehn als Zuschuss zu gewähren ist.

2. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer darlehnsweisen Leistungsgewährung für den Zeitraum Dezember 2015 bis April 2016.

Die Kläger beantragten am 14.12.2015 Leistungen nach dem SGB II (Bl. 5 VA).

Die Kläger sind Eigentümer eines Zweifamilienhauses. Die Kläger bewohnen eine Wohnung, die zweite Wohnung wird von deren Tochter bewohnt, welche die monatlichen anfallenden Zinsen und Tilgung für das Haus trägt (Bl. 5 VA).

Das Haus ist noch belastet. Am 19.11.2015 bestand bei der C-Sparkasse eine Verbindlichkeit in Höhe von 41.353,46 EUR (Bl. 30) und bei der D-Sparkasse belief sich am 31.12.2014 die Höhe der Verbindlichkeit auf 15.106,74 EUR und 6.795,00 EUR (Bl. 32, 32 VA). Im Erbschein vom 16.07.1986 wird der Wert des Hauses nach Abzug der Verbindlichkeiten mit 164.153,00 DM beziffert (Bl. 117 VA).

Das Ortsgericht hat am 09.02.2015 den Wert des Hauses mit Grundstück ohne Wintergarten auf 109.454,30 EUR geschätzt (Bl. 38 VA). Das Haus hat eine Wohnfläche von 175 EUR (Bl. 41-39 VA).

Der Kläger verfügt über einen Bausparvertrag bei der E., der 2009 ein Guthaben von 250,46 EUR aufwies (Bl. 46 VA). Sein Bausparvertrag bei der C-Sparkasse wies am 31.12.2014 ein Guthaben von 543,64 EUR auf (Bl. 47 VA).

Des Weiteren gehört den Klägern ein Auto der Marke F. Kombi Baujahr 2000.

Die Klägerin erzielte im November und Dezember 2015, sowie Januar 2016 Einkommen in Höhe von 450 EUR (Bl. 100, 101 VA).

Der Kläger erhielt bis zum 13.12.2015 Arbeitslosengeld in Höhe von 10,62 EUR täglich und erzielte im Januar und Februar ein Einkommen in Höhe von je 100,00 EUR (Bl. 19, 102, 169 VA).

Mit Bescheid vom 18.02.2016 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen auf Darlehnsbasis für die Zeit vom 01.12.2015 bis 31.05.2015 (Bl. 107 VA). Für den Dezember 2015 bewilligte der Beklagte den Klägern jeweils 172,01 EUR für die Monate Januar 2016 bis Mai 2016 jeweils in Höhe von 224,00 EUR. Kosten der Unterkunft wurden nicht berücksichtigt.

Der Prozessbevollmächtigte der Kläger legte mit Schreiben vom 25.02.2015 Widerspruch ein (Bl. 002 VA).

Im Februar trat die Klägerin eine Teilzeitstelle an (Bl. 133 VA). Die Klägerin erzielte einen Nettoverdienst von 878,21 EUR (Bl. 150 VA), der im März ausgezahlt wurde (Bl. 151 VA).

Mit Bescheid vom 17.08.2016 bewilligte die DRV Hessen dem Kläger rückwirkend zum 01.04.2016 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bl. 179 VA) in Höhe von 883,71 EUR monatlich.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2016 zurückgewiesen.

Die Kläger haben am 27.07.2016 Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben.

Mit Bescheid vom 15.09.2016 hat der Beklagte den Bescheid vom 18.02.2016 dahingehend abgeändert als Leistung in Höhe von jeweils 74,88 EUR an die Kläger für den Monat April 2016 als Darlehn gewährt wurden. Für den Mai 2016 wurden keine Leistungen gewährt (Bl. 53-59 GA).

Die Kläger sind der Ansicht, dass das Hausgrundstück gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II ein selbstgenutztes Hausgrundstück von angemessener Größe nicht als Vermögen zu berücksichtigen ist. Dabei sei unter den Begriff der Selbstnutzung, nicht nur die Kläger sondern auch die Tochter und der Schwiegersohn zu subsumieren. Die Besonderheit bestehe darin, dass die Tochter und ihr Mann mit den Klägern keinen Mietvertrag geschlossen haben und monatlich eine Nettomiete zuzüglich Nebenkosten bezahlten sondern stattdessen die für das gesamte Hausgrundstück anfallenden Lasten wie zum Beispiel Grundsteuer, Versicherungen Wasser und Abwassergebühren, Kanalgebühren etc. vollständig tragen würden. Darüber hinaus trügen die Tochter und ihr Ehemann die monatlichen Belastungen aus den auf dem Hausgrundstück noch lastenden Schulden, d.h. sie trügen das bestehende Darlehen ab. Die Höhe dieser Belastungen übersteige deutlich eine gegebenenfalls von der Tochter und ihrem Ehemann zu zahlende angemessene Miete.

Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Bescheid vom 18.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30.06.2016 abzuändern und den Klägern Leistung nach dem SGB II als Zuschuss zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass der angegriffene Bescheid rechtmäßig sei. Die Voraussetzungen von § 24 Abs. 5 SGB II lägen vor. Es läge auch kein Härtefall vor. Zum Zeitpunkt der Antragstellung hätte keine begründete Aussicht bestanden, dass die Leistungen nur für einen kurzen Zeitraum in Anspruch genommen werden würde. Bei der Antragstellung im Dezember 2015 habe die Klägerin zu 1) lediglich Einkommen aus einer geringfügigen Tätigkeit erzielt. Zu diesem Zeitpunkt sei nicht bekannt gewesen, dass eine Aufstockung zur sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit erfolgen werde. Auch die Tatsache, dass der Kläger zu 2) einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente habe, sei zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht bekannt gewesen. Bei Antragstellung im Dezember 2015 war somit davon auszugehen, dass Leistungen für einen längeren Zeitraum in Anspruch genommen werden und nicht nur für den Zeitraum Dezember 2015 bis April 2016. Im Klageantrag werden des Weiteren Leistungen ab Dezember 2015 zeitlich unbegrenzt begehrt.

Im Rahmen des am 19.04.2017 durchgeführten Erörterungstermins haben die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf die Prozessakte, die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Sitzungsniederschrift des Erörterungstermins vom 19.04.2017 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Aufgrund des durch die Beteiligten erklärten Einverständnisses konnte die Kammer ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden.

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 18.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30.06.2016 in Form des Änderungsbescheides vom 15.09.2016 ist insofern rechtswidrig als die Leistungsgewährung auf Darlehnsbasis und nicht als Zuschuss an die Kläger erfolgt. Er verletzt insoweit die Kläger in ihren Rechten und ist daher in tenoriertem Umfang abzuändern.

Die Kläger sind Eigentümer eines Zweifamilienhauses mit einer Wohnfläche von 175 Quadratmetern. Das Haus wird von vier Personen bewohnt. Das Ortsgericht hat am 09.02.2015 den Wert des Hauses mit Grundstück ohne Wintergarten auf 109.454,30 EUR geschätzt (Bl. 38 VA). Die Wohnfläche überschreitet, die vom BSG entwickelte Angemessenheitsgrenze von 120 qm, so dass von einer Privilegierung des Vermögens nach § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nicht auszugehen ist (vgl. hierzu (BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016 - B 4 AS 4/16 R -, SozR 4-4200 § 12 Nr. 27).

Bei Zugrundelegung der Schätzung des Ortsgerichts und Abzug der bestehenden Verbindlichkeiten übersteigt das Vermögen der Kläger deren Freibetragsgrenzen.

Jedoch wurde hier von Seiten des Beklagten übersehen, dass § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II einschlägig ist. Den Klägern wurden durch den Bescheid vom 18.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30.06.2016 in Form des Änderungsbescheides vom 15.09.2016 Leistungen für den Zeitraum Dezember 2015 bis April 2016 auf Darlehnsbasis bewilligt. Aufgrund der von der Klägerin aufgenommenen Beschäftigung im Februar 2016 und der Rentengewährung an den Kläger seit April 2016 besteht darüber hinaus kein Leistungsanspruch der Kläger nach dem SGB II gegen den Beklagten.

Die Leistungsgewährung an die Kläger ist rechtswidrig, weil das Hausgrundstück durch die Vorschrift des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II privilegiert ist und daher bei der Leistungswährung nicht zu berücksichtigen ist.

Als Vermögen sind nach § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II nicht zu berücksichtigen Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde.

Die Konkretisierung des Begriffs der besonderen Härte erfordert eine Abwägungsentscheidung zwischen dem Interesse des Leistungsberechtigten an dem Erhalt des Vermögens und dem öffentlichen Interesse des, sparsamen Umgangs mit Steuergeldern. Dabei ist neben der Berücksichtigung der persönlichen, familiären und beruflichen Verhältnisse auch auf die Höhe des Vermögens im Verhältnis zur Höhe und voraussichtlichen Dauer des Sozialleistungsbezugs abzustellen. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass Leistungen der Grundsicherung nur der Bedarfsdeckung, nicht aber der Vermögensbildung und grundsätzlich auch nicht ohne Einschränkung dem Vermögenserhalt dienen sollen (Radüge in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 12, Rn. 172).

Der Beklagte hat es unterlassen den Tatbestand des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II zu prüfen.

Das BSG kam im Urteil vom 20.02.2014 (Az.: B 14 AS 10/13 R) zum Ergebnis, dass eine absehbar kurze Leistungsdauer die Annahme einer besonderen Härte gemäß § 12 Abs. 3 S 1 Nr. 6 Alt 2 SGB 2 rechtfertigen kann. In der Entscheidung wird ausgeführt: "Das BSG hat es bislang offen gelassen, inwieweit an die Verwertung von Vermögen im Rahmen des § 12 SGB II andere Maßstäbe anzulegen sind, wenn die Leistungen beanspruchende Person lediglich für einen absehbar kurzen Zeitraum Leistungen begehrt. Zwar hat es sich skeptisch gezeigt und formuliert, dass das Argument, die Leistung werde nur für einen kurzen Zeitraum beantragt, kaum jemals dazu führe, dass eine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt 2 SGB II zu bejahen sei (BSG, Urteil vom 06.09.2007, Az.: B 14/7b AS 66/06 R - BSGE 99, 77 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 5, RdNr. 12, 24; noch enger: BSG Urteil vom 15.4.2008, Az.: B 14 AS 27/07 R - juris RdNr 49, wonach in der Nutzung der Dispositionsfreiheit von Versicherungen ohne Verwertungsausschluss keine besondere Härte liegen könne). Allerdings hat es auch formuliert, eine kurze Leistungs- bzw. Anspruchsdauer könne (allenfalls) dann eine besondere Härte begründen, wenn bereits bei Antragstellung die konkret begründete Aussicht bestanden habe, dass Leistungen nur für einen kurzen Zeitraum in Anspruch genommen würden (BSG Urteil vom 06.05.2010, Az.: B 14 AS 2/09 R - SozR 4-4200 § 12 Nr. 15 RdNr. 26). Vorliegend kann diese Frage erneut offen gelassen werden, weil es auch insoweit vor einer abschließenden Entscheidung hierüber noch Feststellungen des LSG zur zeitlichen Dimension einer möglichen Verwertung der Rentenversicherung der Klägerin [ ] bedarf (BSG, Urteil vom 20. Februar 2014, Az.: B 14 AS 10/13 R -, BSGE 115, 148-158, SozR 4-4200 § 12 Nr. 23, Rn. 47).

Das Argument des Beklagten unter Bezugnahme auf das oben genannte Urteil, dass bei Antragstellung die Kürze des Leistungsbezuges nicht absehbar gewesen sei und deshalb nur eine Leistungsgewährung auf Darlehnsbasis eröffnet sei, greift nach Ansicht der Kammer unter Verweis auf die BSG Rechtsprechung zu kurz.

Aus der zitierten Passage kann nach Überzeugung der Kammer nicht abgeleitet werden, dass eine Zuschussgewährung nur dann in Betracht käme, wenn die Dauer der benötigten Hilfegewährung bei Antragstellung bekannt ist. Das BSG stellt in der Entscheidung lediglich unterschiedliche Urteile des BSG dar. Das Urteil enthält aber gerade keine abschließende Stellungnahme.

Für die Anwendung im vorliegenden Fall spricht zum einen, dass die Kläger die Leistungsgewährung für weniger als fünf Monate in Anspruch nahmen. Zum anderen ist bei der Abwägung die geringe Höhe des Anspruches mit zu berücksichtigen. Die Kläger machen keine Ansprüche im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft geltend.

Des Weiteren spricht gegen die restriktive Auslegung des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB VI durch den Beklagten, dass für die Härtefallregelung quasi keinen Anwendungsraum mehr eröffnet wäre.

Da die Härtefallregelung des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II greift, ist der angegriffene Bescheid rechtswidrig, denn das Vermögen der Kläger ist bei der Leistungsgewährung nicht zu berücksichtige, weshalb diese als Zuschuss zu gewähren ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gegen die Entscheidung ist das Rechtsmittel der Berufung nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG statthaft.
Rechtskraft
Aus
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