L 2 R 91/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 20 R 718/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 R 91/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 25. Juni 2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 4. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2011 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beigeladene zu 1 in seiner im Zeitraum vom 7. Dezember 2009 bis 17. Dezember 2009 für die Klägerin ausgeübten Tätigkeit als Servicefahrer nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung aufgrund abhängiger Beschäftigung unterlag. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Anfrage- bzw. Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV), ob der Beigeladene zu 1 während seiner Tätigkeit für die Klägerin als Servicefahrer aufgrund abhängiger Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.

Die Klägerin betreibt als Franchisenehmerin einen Lieferservice für frische Backwaren. Diese werden früh morgens (ab 4.00 Uhr) durch für die Klägerin tätige Servicefahrer von einer Vertragsbäckerei der Klägerin abgeholt, dort von diesen Fahrern in Tüten der Klägerin verpackt und in den eigenen Fahrzeugen der Fahrer bis zu einem vorgegebenen spätestmöglichen Zeitpunkt (montags bis freitags bis 7.00 Uhr, an Wochenenden bis 8.00 Uhr) an die Haustüren der Kunden der Klägerin ausgeliefert, ohne in Kontakt zu diesen Kunden zu treten. Die zu beliefernden Kunden in dem jeweiligen Liefergebiet werden den Servicefahrern jeweils am Vortag über die Homepage der Klägerin mitgeteilt, woraufhin diese sich selbst die Reihenfolge der Belieferung zusammenstellen. Alle Servicefahrer, die für die Klägerin tätig sind, werden von dieser als selbstständige Subunternehmer geführt und sind nicht nur nicht verpflichtet, die Lieferungen persönlich vorzunehmen, sondern müssen für den Fall einer Verhinderung Mitarbeiter bzw. Ersatzfahrer als Ansprechpartner für die Klägerin benennen.

Der 1988 geborene Beigeladene zu 1 war vom 7. bis 17. Dezember 2009 für die Klägerin tätig. Er war seinen Angaben zufolge zu dieser Zeit ausbildungssuchend und ging keiner weiteren selbstständigen oder angestellten Tätigkeit nach. Zuvor war er auf selbstständiger Basis in einem Callcenter tätig gewesen. Er hatte ein Gewerbe im Bereich Markt- und Meinungsforschung angemeldet.

Unter dem 27. November 2009 schlossen die Klägerin und der Beigeladene zu 1 folgenden, später einvernehmlich mit Wirkung ab 18. Dezember 2009 beendeten "Service-Fahrervertrag":

1. Vertragsgegenstand 1.1. Der Auftragnehmer übernimmt eigenverantwortlich für den Auftraggeber die Auslieferung der vom Auftraggeber vertriebenen Erzeugnisse in dem Vertragsgebiet, das in der Anlage 1 zu diesem Vertrag näher bestimmt ist. 1.2. Der Auftragnehmer ist für die Kommissionierung und Auslieferung der von dem Auftraggeber vertriebenen Erzeugnisse an die Kunden eigenverantwortlich tätig. Aufgrund der Kundenbestellungen hat der Auftragnehmer jedoch sicher zu stellen, dass die von dem Auftraggeber vertriebenen Erzeugnisse bis spätestens 7.00 Uhr (Mo-Fr) und bis 8.00 Uhr (Sa+So) bei den Kunden ausgeliefert werden. Sollte von der Vertragsbäckerei die Ware nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden, so verschiebt sich der Auslieferzeitpunkt entsprechend. 1.3. Der Auftragnehmer ist berechtigt, für die Auslieferung Mitarbeiter einzusetzen. Der Auftraggeber wird durch eine Vertragsvereinbarung zwischen dem Auftragnehmer und dessen Mitarbeiter nicht mit verpflichtet. Der Auftragnehmer hat auch nicht das Recht, den Auftraggeber rechtsgeschäftlich zu vertreten und/oder im Namen des Auftraggebers aufzutreten. Der Auftragnehmer hat sicherzustellen, dass seine Mitarbeiter, die er bei der Auslieferung einsetzt, hinreichend qualifiziert und von ihm geschult sind. Darüber hinaus wird der Auftragnehmer seine Mitarbeiter auf die einschlägigen Vorschriften des Lebensmittelgesetzes hinweisen. 1.4. Der Auftraggeber stellt dem Auftragnehmer die Aufstellungen der Kundenbestellungen für das Vertragsgebiet jeweils am Vortag über die Homepage des Auftraggebers zur Verfügung.

2. Einführungsschulung 2.1. Der Auftragnehmer wird vom Auftraggeber bei Vertragsbeginn eine Schulung erhalten. 2.2. Die Schulung des Auftragnehmers beginnt am 07.12.2009 und dauert bis zum 09.12.2009. 2.3. Der Auftragnehmer ist während der Schulung verpflichtet, zu der vom Auftraggeber benannten Vertragsbäckerei anzureisen, in der die Einführungsschulung stattfindet.

3. Verhinderung des Auftragnehmers 3.1. Der Auftragnehmer ist verpflichtet, einen Mitarbeiter bzw. Ersatzfahrer als Ansprechpartner für den Auftraggeber zu benennen, so dass die regelmäßige und rechtzeitige Belieferung der Kunden gewährleistet bleibt. Der Auftragnehmer wird dem Auftraggeber die vollständige Anschrift und die Telefonnummer seines Ersatzfahrers bzw. seines Mitarbeiters mitteilen und ihn unverzüglich über Änderungen der Wohnanschriften bzw. Telefonnummern des Ersatzfahrers bzw. des zuständigen Mitarbeiters unterrichten.

4. Vergütung 4.1. Der Auftragnehmer erhält als Entgelt für Waren, die an Privathaushalte ausgeliefert werden, eine Vergütung von 0,06 EUR pro Stück und Tag. Großkunden (über 30 Gebäckstücke pro Tag) werden pauschal mit 1,50 EUR pro Tag vergütet. 4.2. Für jeden gefahrenen Kilometer erhält der Auftragnehmer 0,18 EUR. Die anrechenbaren Kilometer werden ab der Bäckerei berechnet und enden in der Wohnstraße des Auftragnehmers, jedoch maximal 5 Kilometer ab dem letzten Kunden. 4.3. Die jeweils zurzeit gültige Mehrwertsteuer wird auf die Vergütung hinzugerechnet. Der Auftragnehmer wird dem Auftraggeber monatlich eine Abrechnung erstellen und dem Auftraggeber eine ordnungsgemäße Rechnung mit Ausweis der Mehrwertsteuer erstellen. Die Zahlung der Vergütung ist 10 Werktage nach Rechnungserhalt fällig.

5. Dauer des Vertrages Der Vertrag beginnt am 27.11.2009. Der Vertrag wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. Er kann von jeder Vertragspartei mit einer Frist von 8 Wochen zum Monatsende gekündigt werden. Eine Kündigung dieses Vertrages muss schriftlich erfolgen. Das Datum des Poststempels ist zur Einhaltung der Kündigungsfrist maßgeblich.

6. Vertragsstrafe 6.1. Bei schuldhaften Verstößen des Auftragnehmers gegen seine vertraglichen Verpflichtungen, insbesondere bei Unterlassen der Leistungserbringung, einer ungerechtfertigten fristlosen Kündigung durch den Auftragnehmer, Verstoß gegen die Benachrichtigungspflichten gemäß Ziff. 3 dieses Vertrages ist er verpflichtet, eine vom Auftraggeber nach billigem Ermessen festzusetzende, im Streitfall vom zuständigen Gericht zu überprüfende angemessene Vertragsstrafe an den Auftraggeber zu zahlen. 6.2. Zwischen den Vertragsparteien besteht Einigkeit, dass eine Vertragsstrafe für jeden Tag der schuldhaft unterlassenen Leistungserbringung in Höhe von 40,00 EUR (in Worten: vierzig Euro) als in der Regel angemessen anzusehen ist. Für den Fall einer ungerechtfertigten fristlosen Kündigung durch den Auftragnehmer gehen die Vertragsparteien davon aus, dass die Vertragsstrafe für maximal 27 Tage als in der Regel angemessen anzusehen ist. Bei der Festsetzung der Vertragsstrafe hat der Auftraggeber die Schwere der Verletzung im Einzelfall zu berücksichtigen. Die gerichtliche Überprüfung der vom Auftraggeber festgesetzten Vertragsstrafe im Streitfalle gemäß Ziff 6.1 bleibt möglich. 6.3. Der Auftragnehmer erkennt an, dass dem Auftraggeber durch schuldhafte Verstöße gegen die vertraglichen Verpflichtungen durch den Auftragnehmer im erheblichen Umfang Nachteile entstehen (Ersatzfahrer, Ersatzannoncen, Umsatzausfall, etc.). Durch die hier vereinbarte Vertragsstrafe soll im Interesse der Leistungserbringung durch den Auftraggeber unter dem Namen "M. Frühstücksdienste" sichergestellt werden, dass die Leistungserbringung stets gewährleistet und vom Auftragnehmer nicht durch eine unberechtigte Kündigung oder unentschuldigtes Unterlassen des Ausfahrens gefährdet wird. Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch den Auftraggeber bleibt neben der Vertragsstrafe ausdrücklich vorbehalten. Auf den Schadensersatzanspruch des Auftraggebers wird eine vom Auftragnehmer gemäß Ziff. 6.1 zu zahlende Vertragsstrafe angerechnet.

7. Geheimhaltungspflicht/Wettbewerbsverbot 7.1. Der Auftragnehmer ist während der Vertragsdauer nicht berechtigt, ohne ausdrückliche schriftliche Einwilligung des Auftraggebers für ein Konkurrenzunternehmen unmittelbar oder mittelbar, selbstständig oder unselbstständig auf eigene oder fremde Rechnung tätig zu werden oder sich an einem Konkurrenzunternehmen direkt oder indirekt zu beteiligen oder sonst zu unterstützen, z.B. durch Gewährung eines partiarischen Darlehens. 7.2. Der Auftragnehmer darf Geschäfts – und Betriebsgeheimnisse, insbesondere Kundenlisten des Auftraggebers, die ihm während der Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber bekannt geworden sind oder bekannt werden, ohne Einwilligung (§ 183 BGB) vom Auftraggeber weder verwerten, noch Dritten mitteilen. Dies gilt auch für die Zeit nach Beendigung dieses Vertrages. Der Auftragnehmer wird diese Geheimhaltungsverpflichtung auch seinen Mitarbeitern, Ersatzfahrern und/oder Erfüllungsgehilfen auferlegen. 7.3. Verstößt der Auftragnehmer gegen das von ihm übernommene Wettbewerbsverbot und/oder die Geheimhaltungsverpflichtung, so hat er für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung eine vom Auftraggeber nach billigem Ermessen festzusetzende, im Streitfall vom zuständigen Gericht zu überprüfende Vertragsstrafe zu zahlen. Unabhängig davon stehen dem Auftraggeber weiterhin die Rechte zu, den Vertrag fristlos aus wichtigem Grund wegen der Verstöße gegen diesen Vertrag zu kündigen sowie seine Ansprüche auf Auskunftserteilung und Schadensersatz durchzusetzen. Auf einen Schadensersatzanspruch des Auftraggebers wird eine vom Auftragnehmer zu zahlende Vertragsstrafe angerechnet.

8. Nebenabreden/Teilnichtigkeit 8.1. Nebenabreden, Ergänzungen und Abänderungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Dieses gilt auch für die Abbedingung dieses Schriftformerfordernisses. 8.2. Sollte eine Bestimmung dieses Vertrages unwirksam oder undurchführbar werden, so berührt dies die Wirksamkeit des Vertrages im Übrigen nicht. Die Vertragsparteien verpflichten sich vielmehr, in einem derartigen Fall eine wirksame oder durchführbare Bestimmung an die Stelle der unwirksamen oder undurchführbaren Bestimmung zu setzen, die den wirtschaftlichen und ideellen Bestimmungen soweit wie möglich entspricht.

In einer Zusatzvereinbarung vom selben Tag hieß es:

1. Vertragsgegenstand Der Auftragnehmer übernimmt eigenverantwortlich für den Auftraggeber das Vertragsgebiet Sasel und angrenzende Gebiete.

Am 26. Februar 2010 beantragte der Beigeladene zu 1, der ausweislich der vorgelegten Rechnung im streitgegenständlichen Zeitraum vom 7. bis 17. Dezember 2009 einschließlich der Kilometerpauschale von der Klägerin 249,76 Euro brutto erhielt, bei der Beklagten die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status für seine Tätigkeit bei der Klägerin. Er begehrte die Feststellung, dass ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nach § 7 Abs. 1 SGB IV nicht vorliege.

Nach Anhörung der Beteiligten stellte die Beklagte mit Bescheid vom 4. November 2010 das Vorliegen eines dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses des Beigeladenen zu 1 fest. Aus den vorgelegten vertraglichen und tatsächlichen Verhältnissen ergäben sich folgende Tätigkeitsmerkmale, die für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprächen: • Verpflichtung zu Beginn des Vertragsverhältnisses an einer Schulung bei der Vertragsbäckerei des Auftraggebers teilzunehmen (Punkt 2 des Service-Fahrervertrages). • Tourvorgabe durch den Auftraggeber in Form der Benennung des Abholpunktes – Vertragsbäckerei des Auftraggebers - und der zu beliefernden Ortschaften bzw. vorgegebenen Ablageorte der Backwaren (Punkt 1.1. und Anlage 1 des Service-Fahrervertrages). • Der Endzeitpunkt der Tätigkeit bis die zu vertriebenen Erzeugnisse ausgeliefert sein müssen ist durch den Auftraggeber vorgegeben (Punkt 1.2. des Service-Fahrervertrages). • Der Beginn der Tätigkeit richtet sich nach dem Zeitpunkt, zu dem die auszufahrenden Backwaren bereitgestellt werden. Es wird ein regelmäßiger Arbeitsbeginn vorgegeben. • Die Anzahl der auszuliefernden Backwaren und die Privathaushalte werden einseitig durch den Auftraggeber festgelegt und dem Auftragnehmer über das Internet mitgeteilt (Punkt 1.4. des Service-Fahrervertrages). • Der Auftragnehmer ist verpflichtet, Mitarbeiter bzw. Ersatzfahrer für den Fall der Verhinderung zu benennen (Punkt 3 des Service-Fahrervertrages). • Der Auftragnehmer tritt gegenüber den Kunden nicht als selbstständiger Unternehmer in Erscheinung.

Für eine selbständige Tätigkeit sprächen folgende Merkmale:

• Die Tätigkeit kann auf Dritte übertragen werden (Punkt 1.3. des Service-Fahrervertrages). • Der Auftragnehmer führt die Aufträge mit dem Einsatz eines eigenen Fahrzeugs. • Vereinbarte Vertragsstrafen bei Verstößen im Rahmen der Leistungserbringung (Punkt 6 des Service-Fahrervertrages).

Nach Gesamtwürdigung ergäbe sich ein Überwiegen der Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. Es bestehe daher seit dem 7. Dezember 2009 Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung, der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung, weil sich aus den vorliegenden Unterlagen keine Tatbestände ergäben, die die Versicherungspflicht ausschlössen oder Versicherungsfreiheit begründeten, bzw. keine Befreiung von der Versicherungspflicht bestehe.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 22. November 2010 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie u.a. aus, entgegen der Auffassung der Beklagten ergebe die Gesamtwürdigung der Umstände ein Überwiegen der Merkmale für eine selbstständige Tätigkeit. Der Beigeladene zu 1 habe als selbstständiger Unternehmer die Verpflichtung übernommen, für die Klägerin Transportdienstleistungen zu erbringen. Er sei nicht in die Arbeitsabläufe und Organisation der Klägerin eingebunden gewesen, und die Klägerin habe dem Beigeladenen zu 1 nicht einseitig Weisungen erteilen können. Nicht die Klägerin setze den äußeren Rahmen. Der Inhalt des Auftrages ergebe sich vielmehr aus der Tatsache, dass es sich um Transportdienstleistungen handele, bei denen nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Besonderheiten zu beachten seien. Der Beigeladene zu 1 sei nicht zur persönlichen Arbeitsleistung verpflichtet gewesen, er habe ohne Zustimmung der Klägerin andere Personen einsetzen können, und er habe sich auch mehrfach der Mithilfe seiner Mutter bedient. Bereits dies spreche nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofes für eine selbstständige Tätigkeit. Er habe auch keine regelmäßigen Arbeits- und Anwesenheitszeiten einzuhalten gehabt. Die Backwaren stünden in der Zeit von 4.00 bis 4.30 Uhr in der Vertragsbäckerei der Klägerin zur Abholung bereit, was sich aus der Natur der Sache bzw. des Vertragsgegenstandes ergebe. Auch nach 4.30 Uhr hätten die Backwaren abgeholt, nicht jedoch in der Bäckerei kommissioniert werden können. Wann der Beigeladene zu 1 innerhalb des Zeitkorridors die Backwaren abholen würde, habe er selbst entscheiden können. Auch die weitere Auslieferung, die Gestaltung der Tour, also welche Kunden er in welcher Reihenfolge anfahre, habe er sich frei einteilen können, solange die vertraglich vereinbarte Auslieferungsfrist gewährleistet geblieben sei. Werktags nehme der Auftrag in der Regel 1,5 Stunden, samstags und sonntags jeweils 2 bis 2,5 Stunden in Anspruch, wöchentlich also 11,5 bis 12,5 Stunden. Das Auslieferungsfahrzeug habe der Beigeladene zu 1 auf eigene Kosten und eigenes Risiko stellen müssen. Die Vergütung sei erfolgsabhängig gewesen. Die kurze Einführungsschulung sei auch bei selbstständigen Unternehmern üblich und kein Indiz für eine abhängige Beschäftigung. Der Beigeladene zu 1 habe eine Gewerbeanmeldung für den Bereich Markt- und Meinungsforschung vorgelegt. Insofern habe er die Möglichkeit gehabt, weitere Tätigkeiten auszuüben. Ausgeschlossen sei nur gewesen, für andere konkurrierende Frühstücksdienste tätig zu werden. Aufgrund des geringen Zeitaufwandes von 1,5 bis 2 Stunden werktäglich sei der Beigeladene in der Lage gewesen, für sein Unternehmen weitere Auftraggeber zu suchen und mit seinem Unternehmen zu expandieren.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2011 zurück. Ergänzend zum Ausgangsbescheid führte sie aus, ein unternehmerisches Risiko des Beigeladenen zu 1 sei nicht zu erkennen; er habe auf die Menge der auszuliefernden Backwaren keinen Einfluss gehabt, und diese seien auch pauschal vergütet worden. Der Beigeladene zu 1 sei funktionsgerecht dienend in einer fremden Arbeitsorganisation tätig gewesen. Er habe nur das Einkommensrisiko getragen und das Risiko der Nichtbeschäftigung, dieses trügen aber auch beschäftigte Arbeitnehmer.

Die Klägerin hat hiergegen am 14. Juli 2011 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben und unter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen bzw. dessen Wiederholung und Vertiefung ergänzend auf näher bezeichnete und größtenteils vorgelegte zivil-, arbeits- und sozialgerichtliche Entscheidungen zu Servicefahrern für Frühstücksdienste verwiesen, die bei gleicher oder ähnlicher Vertragsgestaltung die Selbständigkeit der Servicefahrer bejahten. Auch das Bundessozialgericht (BSG) habe in seinem Urteil vom 27. Januar 1980 (8a RU 26/80) zu sogenannten "Ringtourenfahren", die Zeitungen von Umschlagplätzen zu einer bestimmten Zeit an Einzelhändler auszuliefern hätten, als selbstständige Auftragnehmer angesehen. Jeder Unternehmer eines Werkvertrages übernehme gegenüber dem Besteller bestimmte sachliche und zeitliche Verpflichtungen, bei deren Nichteinhaltung er den Vergütungsanspruch verliere. Auch die Möglichkeit, sich durch einen Ersatzfahrer vertreten zu lassen, spreche gegen eine persönliche Abhängigkeit vom Auftraggeber und damit gegen eine abhängige Beschäftigung. Die Verpflichtungen des Beigeladenen zu 1, der außer dem eigenen PKW auch eine eigene Büroausstattung einsetze, gingen nicht wesentlich über diejenige eines Frachtführers nach §§ 407 ff. Handelsgesetzbuch (HGB) hinaus, der jedoch definitionsgemäß Unternehmer sei, obwohl ihm Abhol- und Bestimmungsort sowie Lieferfrist (§ 423 HGB) vorgegeben würden.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten und bei ihrer Auffassung geblieben.

Der Beigeladene zu 1 hat sich dem Antrag der Beklagten angeschlossen und vorgetragen, ihm sei nahegelegt worden, am Vorabend die Tüten für die Gebäckstücke vorzubereiten. Hierzu habe er online die Kundendaten erhalten. Das Eintüten in der Bäckerei habe etwa eine halbe Stunde gedauert, so dass er gegen 4.30 Uhr spätestens seine Tour angetreten habe. Es habe sich hauptsächlich um verkehrsberuhigte Straßen – 30er Zonen – gehandelt. Zu der reinen Fahrtzeit seien das Parken oder Halten, Aussteigen und Verbringen der Brötchen an die vorgegebenen, oft nicht leicht zugänglichen Stellen, sowie der Rückweg zum Auto gekommen. Bei entsprechender Witterung habe er die vorgegebene Zeit manchmal nur mit Hilfe einhalten können. Auch habe die Klägerin es ihm nicht gestattet, seine Mutter und seinen Vater als Ersatzfahrer einzuarbeiten.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25. Juni 2015 hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom selben Tag abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 4. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2011 erweise sich als rechtmäßig. Zu Recht habe die Beklagte festgestellt, dass es sich bei der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 als Servicefahrer für die Klägerin im Zeitraum vom 7. bis 17. Dezember 2009 um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt habe. Gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV sei Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung seien eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Darüber hinaus seien für die Abgrenzung der selbstständigen von der abhängigen Tätigkeit weitere Merkmale maßgebend. Eine Beschäftigung liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG dann vor, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig sei. Dies sei der Fall, wenn der Beschäftigte in die betriebliche Struktur des Arbeitgebers eingegliedert sei und einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege. Selbstständig sei regelmäßig, wer über die eigene Arbeitskraft verfügen, seine Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen könne. Weitere Indizien für eine selbstständige Tätigkeit seien das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte und eigener Arbeitsmittel, das Auftreten gegenüber den Endkunden als Selbstständiger und die Vereinbarung von Vertragsstrafen. Für eine selbstständige Tätigkeit spreche insbesondere das Vorliegen eines eigenen Unternehmerrisikos, nämlich der Einsatz von Kapital und/oder Arbeitskraft mit Verlustgefahr, wobei mit der Übernahme eines Unternehmerrisikos auch tatsächliche Chancen und nicht nur Risiken bei der Einkommenserzielung verbunden sein müssten. Allein die Zuweisung von Risiken mache einen abhängig Beschäftigten noch nicht zum Selbstständigen. Die Zuweisung von Risiken an den Arbeitenden spreche vielmehr nur dann für eine Selbstständigkeit, wenn damit größere Freiheiten und größere Verdienstmöglichkeiten verbunden seien. Maßgeblich für die Beurteilung sei, welche Merkmale im Einzelnen überwögen. Maßgeblich sei stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Dabei sei das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es tatsächlich vollzogen worden sei, ausschlaggebend. Danach habe es sich bei der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 nicht um eine im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit gehandelt. Er habe derart engen vertraglichen Vorgaben und Bindungen unterlegen, dass Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Ausführung der Arbeit – zeitlich, örtlich und in Bezug auf die Art der Arbeit – nicht gegeben gewesen seien. Er sei zur Auslieferung an sieben Wochentagen verpflichtet gewesen; eine Tour abzusagen oder nur einzelne Wochentage zu vereinbaren, sei nicht möglich gewesen. Er habe am Abend vor der Auslieferung die von der Klägerin vorgegebene Kundenliste online abzurufen gehabt, die Tüten entsprechend vorzubereiten, am frühen Morgen, in einem vorgegebener Zeitkorridor von 4.00 bis 4.30 Uhr die Gebäckstücke in der Vertragsbäckerei der Klägerin entgegenzunehmen, abzupacken und bis spätestens 7.00 Uhr auszuliefern. Soweit er dabei die Route frei habe gestalten können, erweise sich diese Freiheit in Anbetracht des engen zeitlichen Rahmens als völlig untergeordnet. Es sei dem Beigeladenen zu 1 auch nicht möglich, durch besondere Geschicklichkeit oder Schnelligkeit ein zweites Liefergebiet mit abzudecken und dadurch sein Einkommen zu erhöhen. Hierzu hätte es eines weiteren Fahrers bedurft. Die Bezahlung des Beigeladenen zu 1 sei nicht erfolgsabhängig gewesen, wie die Klägerin behaupte, denn sie habe sich nach der ausgelieferten Menge gerichtet, auf die der Beigeladene zu 1 keinen Einfluss gehabt habe. Über den Zuschnitt der Tour und die Anzahl der anzufahrenden Kunden habe allein die Klägerin entschieden. Aus der Schilderung des Gesellschafters der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung folge, dass die Fahrer spezielle Werbemaßnahmen in einem Gebiet nur anregen könnten. Die Entscheidung über Akquisemaßnahmen treffe die Klägerin als Unternehmer. Damit ähnele die Gestaltung der Tätigkeit dem Sachverhalt, der der Entscheidung des BSG vom 11. März 2009 (B 12 KR 21/07 "Transportfahrerin") zugrunde gelegen habe. Hier habe das BSG festgestellt, dass Transportfahrer, die bei ihrer Tätigkeit ihr eigenes Fahrzeug benutzten und auch Delegationsmöglichkeiten hätten, abhängig Beschäftigte sein könnten, wenn ein festes Zeitschema vorgegeben sei, aus dem eine Eingebundenheit in die betrieblichen Abläufe folge. Auch andere Fahrertätigkeiten wie Lieferanten von Tiefkühlkost, Kurierfahrer, Brotausfahrer, Labordienstfahrer, Menübringer mit engen Terminvorgaben und Bindungen seien in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung, z.T. auch bei Nutzung des eigenen Fahrzeugs, als versicherungspflichtig Beschäftigte angesehen worden. Für Zeitungszusteller, die hinsichtlich Zeit, Art und Ort der Arbeitsausführung weisungsgebunden seien und denen ein bestimmter Zustellbezirk zugeteilt worden sei, werde ebenfalls die Selbstständigkeit verneint, wenn sie weder eigenes Kapital noch eigenen Betriebsmittel einsetzten. Dies gelte auch dann, wenn bestimmte Gesichtspunkte für sich genommen für eine selbstständige Tätigkeit sprächen wie Rechnungsstellung oder Stellen einer Ersatzkraft bei Verhinderung. Nichts anderes gelte im vorliegenden Fall, in dem der Beigeladene zu 1 seine Tätigkeit ohne die Klägerin, ihre Organisation und ihr Material – hier Backwaren der Vertragsbäckerei – nicht ausüben könne. Ihm sei vorgegeben gewesen, welche Backwaren er an wen bis wann auszuliefern habe. In die betrieblichen Abläufe der Klägerin, deren Kerngeschäft darin bestehe, frische Frühstücksbackwaren an die Haustür der Kunden zu bringen, sei der Beigeladene zu 1 daher weitestgehend eingebunden gewesen. Umgekehrt sei die Klägerin vollständig auf ihre Auslieferungsfahrer angewiesen, denn diese erledigten ihr – der Klägerin – Kerngeschäft und seien für die Vertriebsorganisation unentbehrlich. Wären die Fahrer tatsächlich als selbstständige Unternehmer tätig, wären diese und nicht die Klägerin Frühstücksauslieferungsbetriebe. Dass die Klägerin die Verantwortung für die tägliche Auslieferung an die Kunden und sämtliche diesbezüglichen Ausfallrisiken auf den Beigeladenen zu 1 verlagert und mit Vertragsstrafen verknüpft habe, stelle ein erhebliches wirtschaftliches Risiko, nicht aber ein unternehmerisches Risiko des Beigeladenen zu 1 dar. Das gleiche gelte für das Risiko des Rückgangs der Kundenaufträge, auf die der Beigeladene zu 1 keinen Einfluss habe, dessen Folge er aber in Form geringerer Einkünfte trage. Unternehmerische Chancen stünden diesen Risiken nicht gegenüber. Allein der geringe zeitliche Umfang der Tätigkeit und die hiermit verbundene Möglichkeit, ab 7.00 Uhr noch anderweitig tätig sein zu können, stelle jedenfalls dann keine unternehmerische Chance dar, wenn der vermeintlich Selbstständige – wie vorliegend – keine weiteren unternehmerischen Aktivitäten unternehme und unternehmen wolle. Dass der Beigeladene zu 1 im streitigen Zeitraum aufgrund seiner vorhergehenden Tätigkeit im Bereich Markt- und Meinungsforschung ein Gewerbe angemeldet gehabt habe, sei deshalb ohne Belang. Allein die Möglichkeit, nach "Feierabend" noch umfangreich anderweitig tätig sein zu können, biete jede stundenweise Beschäftigung und mache diese nicht zur selbstständigen Tätigkeit. Soweit das Landessozialgericht Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 5. November 2013 (L 11 R 4053/12) für einen Fahrer eines M.-Frühstücksdienst-Betriebes zu dem Ergebnis komme, die vertraglichen Regelungen begründeten kein Weisungsrecht des Klägers und solche seien auch nicht erteilt worden, vermöge die Kammer dieser Auffassung für den vorliegenden Fall nicht zu folgen. Aufgrund der engen vertraglichen Vorgaben seien zusätzliche Weisungen zum einen kaum erforderlich gewesen, zum anderen seien in der abzurufenden Kundenliste Vorgaben gemacht worden, etwa wo die Backwaren abzuliefern gewesen seien. Die Kontrolle sei sodann indirekt über ggf. eingehende Reklamationen erfolgt, die zur Entgeltkürzung geführt hätten. Neben der Nutzung eines eigenen Internetzugangs und Fahrzeugs, welches der Beigeladene zu 1 ohnehin besessen und nicht für die Tätigkeit angeschafft habe, spreche als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit nach alledem nur die Möglichkeit des Fahrers, sich durch einen Ersatzfahrer vertreten zu lassen. Auch dieser Umstand erweise sich allerdings weniger als unternehmerische Freiheit denn als vertraglich auferlegte Pflicht. Denn nach Punkt 3 des Service-Fahrervertrags habe der Fahrer einen Mitarbeiter oder Ersatzfahrer mit Anschrift und Telefonnummer gegenüber der Klägerin zu benennen, damit die regelmäßige und rechtzeitige Belieferung der Kunden gewährleistet sei. Nicht der Fahrer entscheide demnach, ob er einen Ersatzfahrer hinzuziehe, sondern die Klägerin erwarte dies. In Anbetracht der unbefristeten Tätigkeit und der Verpflichtung des Beigeladenen zu 1 zur Auslieferung an sieben Tagen der Woche liege schließlich auch kein Anhaltspunkt dafür vor, dass eine geringfügige Beschäftigung nach dem im streitigen Zeitraum geltenden Recht vereinbart gewesen sei und deshalb Versicherungspflicht nicht vorgelegen habe.

Gegen dieses, ihren Prozessbevollmächtigten am 31. Juli 2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 17. August 2015 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie bezieht sich zunächst auf den eigenen bisherigen Vortrag und trägt vor, die vom Beigeladenen zu 1 gewünschte Einarbeitung auch seiner Eltern sei schon aus räumlichen Gründen in den Räumen der Bäckerei, wo diese erfolge, nicht möglich gewesen. Im Übrigen erfolge regelmäßig nur eine Einarbeitung der Vertragspartner der Klägerin, die für den Fall, dass diese Dritte mit dem Ausfahren der Backwaren betrauten, jene selbst zu instruieren hätten. Auch der Beigeladene zu 1 wäre selbst verpflichtet gewesen, seine Eltern einzuarbeiten, falls diese für ihn hätten fahren sollen, was jedenfalls dessen Mutter nach Kenntnis der Klägerin auch getan habe. Die vertraglich vorgesehene dreitätige Schulung diene der Vermittlung der Besonderheiten der Tätigkeit. Es gehe immerhin um 60 verschiedene Backwaren bei 120 Kunden mit sehr unterschiedlichen Wünschen. Das lerne man nicht mal so eben. Bereits beim Einstellungsgespräch würden Hygienevorschriften vermittelt. Die Fahrer würden u.a. darüber informiert, dass das Auto rauchfrei sein müsse. Sie würden gefragt, ob sie ggf. während der Touren das Rauchen einstellen könnten. Wenn sie dies verneinten, komme ein Vertragsverhältnis nicht zu Stande. Ergänzend führt die Klägerin aus, dass das Sozialgericht verkannt habe, dass es sich vorliegend nur um ein Transportvertragsverhältnis gehandelt habe. Akquisemaßnahmen seien kein Vertragsgegenstand. Die Klägerin habe nicht allein über den Zuschnitt der Tour entschieden, sondern das Liefergebiet sei ausgehandelt worden. Nach Empfang der Ware habe die Klägerin keinerlei Einfluss mehr auf die Durchführung des Transportauftrags gehabt. Es habe dem Beigeladenen zu 1 jederzeit freigestanden, Dritte zu beauftragen, was er hinsichtlich seiner Mutter nach ihrer Kenntnis auch getan habe. Ob auch der Vater Transportfahrten gemacht habe, sei der Klägerin nicht bekannt. Die Verpflichtung, einen Ersatzfahrer zu benennen, sei typisch für Selbstständige, nicht jedoch für abhängig Beschäftigte. Entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts sei die Bezahlung sehr wohl erfolgsabhängig gewesen, weil nur die rechtzeitig ausgelieferten Waren bezahlt worden seien. Der Beigeladene zu 1 habe dergestalt ein unternehmerisches Risiko getragen, dass er bei Nichtlieferung keine Vergütung erhalten habe, gegebenenfalls zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet gewesen wäre, seinen eigenen PKW eingesetzt habe und nach Erledigung des Auftrags anderweitig hätte tätig werden können. Wäre der Beigeladene zu 1 als Auftragnehmer eine juristische Person, käme niemand auf die Idee, eine abhängige Beschäftigung anzunehmen. Die Klägerin sieht nach wie vor eine Vergleichbarkeit des hiesigen Sachverhalts mit denjenigen, die den Urteilen des BSG vom 27. November 1980 zu Grunde lagen (Ringtourenfahrer – 8a 26/80 – und Zeitungsfahrer bzw. Charterfahrer – 8a RU 74/79). Insbesondere der Sachverhalt, der der von der Beklagten in Bezug genommenen BSG-Entscheidung vom 19. August 2003 (Menü-Bringer – B 2 U 38/02 R) zu Grunde lag, sei schon wegen der dortigen größeren zeitlichen Einbindung und Verpflichtung, ein Fahrzeug mit dem Logo des Auftrag- bzw. Arbeitgebers zu fahren, nicht heranzuziehen. Schließlich sieht die Klägerin sich durch weitere von ihr benannte und teilweise vorgelegte Entscheidungen verschiedener Arbeits- und Sozialgerichte und insbesondere auch Landessozialgerichte bestätigt, von denen die Landessozialgerichte Baden-Württemberg (Urteil vom 5. November 2013 – L 11 R 4053/12), Bayern (nach Rechtsmittelverzicht abgekürztes Urteil vom 8. Oktober 2015 – L 14 R 585/13), Thüringen (Urteil vom 11. November 2015 – L 3 R 1847/13) und zuletzt Schleswig-Holstein (Urteile vom 23. Juni 2016 – L 5 KR 99/14, L 5 KR 100/14 und L 5 KR 61/15) ebenfalls die Vertragsverhältnisse zwischen M.-Franchisenehmern und Servicefahrern beträfen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 25. Juni 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2011 aufzuheben und festzustellen, dass der Beigeladene zu 1 in seiner im Zeitraum vom 7. Dezember 2009 bis 17. Dezember 2009 für die Klägerin ausgeübten Tätigkeit als Servicefahrer nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung aufgrund abhängiger Beschäftigung unterlegen hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für überzeugend und bezieht sich auf dessen Entscheidungsgründe sowie auf den eigenen bisherigen Vortrag.

Die Beigeladenen zu 2 bis 5 schließen sich der Rechtsauffassung der Beklagten an, die Beigeladene zu 6 hat keine inhaltliche Stellungnahme abgegeben. Der Beigeladene zu 1 trägt vor, er sehe sich aus heutiger Sicht in der streitgegenständlichen Tätigkeit eher als abhängig Beschäftigter. Während der vertraglich vereinbarten Schulung sei ihm erklärt worden, wie er seine Aufgaben zu erledigen habe, wie er in der Bäckerei agieren solle und wie er beispielsweise die Backwaren zu verpacken habe. Ihm sei auch gesagt worden, wie die Tour ablaufe, und er sei bei Herrn Dorr mehrmals mitgefahren.

Einen Antrag stellt keiner der Beigeladenen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 13. Juli 2016, die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist unabhängig von dem Zeitraum, für den um eine Sozialversicherungspflicht gestritten wird, und unabhängig von der Höhe etwaiger nachzuentrichtender Beiträge statthaft, weil beim vorliegenden Streit über die Versicherungspflicht dem Grunde nach kein auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung gerichteter Verwaltungsakt betroffen ist (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 4. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in deren Rechten. Die Beklagte hat zu Unrecht festgestellt, dass der Beigeladene zu 1 im Zeitraum vom 7. Dezember 2009 bis zum 17. Dezember 2009 in seiner Tätigkeit für die Klägerin als Servicefahrer der Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung in der gesetzlichen Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag. Der Beigeladene zu 1 war insoweit selbstständig tätig.

Zwar hat das Sozialgericht die rechtlichen Grundlagen einschließlich der im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung zu berücksichtigenden für und gegen eine selbstständige Tätigkeit bzw. eine abhängige Beschäftigung sprechenden Umstände zutreffend wiedergegeben. Insoweit kann auf das erstinstanzliche Urteil entsprechend § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen werden. Die Gesamtabwägung selbst hat das Sozialgericht allerdings nach Überzeugung des erkennenden Senats im Ergebnis fehlerhaft vorgenommen. Die mit der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwände gegen das angegriffene Urteil sind allesamt berechtigt, und der erkennende Senat macht sich diese zu Eigen.

Das Sozialgericht hat dem in der vertraglichen Regelung zum Ausdruck kommenden Willen der Parteien des Beratungsvertrages zu wenig Bedeutung beigemessen, obwohl sich nach ständiger Rechtsprechung des BSG, der sich der erkennende Senat nach eigener Überzeugungsbildung ebenfalls in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat, aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist, ergibt, ob eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung gerechtfertigt ist; Ausgangspunkt der weiteren Abwägung ist daher zunächst das Vertragsverhältnis, so wie es sich aus getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus den gelebten Beziehungen erschließen lässt (vergleiche BSG, Urteil vom 30. April 2013 – B 12 KR 19/11 R, Handbuch Soziale Pflegeversicherung – Rechtsprechung SGB XI, § 20 SGB XI Nr. 2.12). Die Beteiligten haben nicht nur nach der Wortwahl, sondern auch nach der Zielrichtung eine selbstständige Tätigkeit der Klägerin für die Beigeladene zu 1 gewollt. Dies gilt auch für den Beigeladenen zu 1, der zwar im Klageverfahren den Antrag der Beklagten unterstützt und im Berufungsverfahren mitgeteilt hat, er sehe sich in der streitgegenständlichen Tätigkeit eher als abhängig Beschäftigten denn als Selbstständiger; im Verwaltungsverfahren hat er jedoch die entgegenstehende Feststellung beantragt und das Vertragsverhältnis wie ein Selbstständiger durch Gewerbeanmeldung und Rechnungsstellung unter Ausweisung von Umsatzsteuer abgewickelt.

Da auch die tatsächlichen Umstände weit überwiegend für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, vermag diese Indizwirkung nicht widerlegt zu werden.

So werden zwar die bei der Auslieferungstour anzufahrenden Kunden und hinsichtlich des Beginns und des Endes auch die Auslieferungszeiten vorgegeben; es bleibt dabei jedoch ein gewisser Freiraum hinsichtlich der konkreten Gestaltung der Tour, und der Servicefahrer hat es in der Hand, bei frühzeitigem Beginn und schneller Auslieferung deutlich vor der spätestmöglichen Auslieferungszeit fertig zu werden und die gewonnene Zeit anderweitig – und sei es gewinnbringend durch Ausübung einer weiteren Tätigkeit – einzusetzen oder zum Beispiel auch einen Auftrag, im selben Gebiet Zeitungen auszutragen, zu akquirieren und gleichzeitig zu erledigen. Dass der hiesige Beigeladene zu 1 – anders als die in anderen Verfahren betreffend M.-Franchisenehmer wie dem ebenfalls mit Urteil vom 13. Juli 2016 vom erkennenden Senat entschiedenen Verfahren L 2 R 129/15 beigeladenen Fahrer – offenbar mit seiner Tour in dem von ihm ausgehandelten Liefergebiet unzufrieden und zeitlich stark eingebunden war, was vermutlich zu der sehr kurzfristigen Vertragsauflösung nach nur 10-tägiger Tätigkeit geführt haben dürfte, vermag hieran nichts zu ändern.

Während der Ausübung der Tätigkeit unterliegt der Fahrer keinerlei Kontrolle oder konkreten Weisungen der Klägerin. Eine Kommunikation während der Auslieferungszeit findet schon gar nicht statt. Alle Details des Auftrags bis hin zum Lieferbezirk werden vorab durch individuell ausgehandelten Vertrag geregelt, was für Dienstverträge mit abhängig Beschäftigten vollkommen unüblich und wegen der Weisungsunterworfenheit während der Ausübung des Dienstes auch überflüssig ist. So ist es zum Beispiel nach den vertraglichen Regelungen nicht möglich, dass die Klägerin dem Beigeladenen zu 1 einseitig eine abweichende Tour oder einen bestimmten Ablauf der vereinbarten zuweist oder ihm gar andere Tätigkeiten wie zum Beispiel die Werbung für die Klägerin beim Kunden aufträgt. Es handelt sich um ein reines Transportauftragsverhältnis, ergänzt um die Kommissionierungsverpflichtung. Deshalb sind die Ausführungen des Sozialgerichts zu Akquisemaßnahmen und dass der Fahrer ein Frühstücksauslieferungsbetrieb wäre, wenn er tatsächlich als selbstständiger Unternehmer tätig wäre, dem Senat nicht nachvollziehbar. Eine Eingliederung des Beigeladenen zu 1 in die Betriebsorganisation des Klägers erfolgt praktisch nicht. Der Fahrer schuldet wie ein Werkunternehmer nur den Erfolg der pünktlichen Auslieferung und wird nach der Stückzahl und den gefahrenen Kilometern vergütet. Damit unterscheidet er sich kaum von dem Frachtführer im Sinne der §§ 407 ff. HGB, der jedoch definitionsgemäß selbstständiger Unternehmer ist (zu diesem Aspekt vgl. BSG, Urteil vom 11. März 2009 – B 12 KR 21/07 R, Die Beiträge Beilage 2009, 340). Dass der Servicefahrer vor Beginn der Tour auch die Verpackung der auszuliefernden Ware übernimmt, ist für Transportdienstleister nicht völlig unüblich und insoweit zu vernachlässigen.

Die vertragliche Verpflichtung, an einer dreitägigen Schulung teilzunehmen, betrifft lediglich eine auch für andere Werkunternehmer nicht unübliche Einweisung in die besonderen Gegebenheiten des konkreten Auftragsverhältnisses.

Angesichts der Natur der Tätigkeit wird zwar nur wenig Kapital mit Verlustrisiko im Sinne eines Unternehmerrisikos eingesetzt; der Servicefahrer nutzt jedoch seinen eigenen PKW, für dessen Unterhaltung er aufzukommen hat, mit entsprechendem Verlustrisiko und bei kaum auskömmlicher Kilometerpauschale sowie eine eigene Büroausstattung einschließlich eines Internetzugangs.

Es fehlt mit Ausnahme eines Wettbewerbsverbots jegliche vertragliche Beschränkung, inwiefern der Servicefahrer für Dritte tätig sein darf, was arbeitnehmeruntypisch ist.

Dem Servicefahrer obliegt insofern ein erhebliches Unternehmerrisiko, als er sich für den Fall fehlender oder mangelhafter Vertragserfüllung Schadensersatz- oder Vertragsstrafenverpflichtungen gegenüber sieht.

Der Beigeladene zu 1 tritt nach außen schon mangels Kundenkontakts nicht als Mitarbeiter der Klägerin auf, ist insbesondere nicht zum Tragen von Arbeitskleidung, die ihn als Angehörigen der Klägerin auswiese, verpflichtet.

Schließlich spricht ganz wesentlich gegen eine abhängige Beschäftigung, dass der Beigeladene zu 1 nicht zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet ist, sondern eine uneingeschränkte Delegationsmöglichkeit besteht und dies nicht nur bei Krankheit. Hiervon ist auch Gebrauch gemacht worden (zu diesem Aspekt vgl. BSG, Urteil vom 11. März 2009 – B 12 KR 21/07 R, a.a.O.). Auch die darüberhinausgehende Verpflichtung, für den Fall der Verhinderung des Fahrers einen Ersatzfahrer nebst Kontaktdaten zu benennen wäre, wie das Thüringer Landessozialgericht in seinem Urteil vom 11. November 2015 (L 3 R 1847/13, juris) zu Recht ausgeführt hat, im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses alles andere als üblich.

Da nach Abwägung aller Umstände vorliegend im streitgegenständlichen Zeitraum nicht von einer abhängigen Beschäftigung, sondern von einer selbstständigen Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 für die Klägerin auszugehen ist, fehlt es insoweit an einem Anknüpfungspunkt für Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Dabei sieht sich der erkennende Senat im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG. Der vorliegende Sachverhalt erscheint nach der Vertragslage und der tatsächlichen Gestaltung am ehesten denjenigen vergleichbar, die den Urteilen des BSG vom 27. November 1980 (8a RU 74/79 (Zeitungsfahrer bzw. Charterfahrer), juris; 8a RU 26/80 (Ringtourenfahrer), DOK 1981, 125) zu Grunde lagen. In den späteren Entscheidungen vom 19. August 2003 (B 2 U 38/02 R (Menü-Bringer), SozR 4-2700 § 2 Nr. 1), vom 22. Juni 2005 (B 12 KR 28/03 R (Transportfahrer im Bereich medizinischer Labordiagnostik), SozR 4-2400 § 7 Nr. 5) und vom 11. März 2009 (B 12 KR 21/07 R (Transportfahrer), Die Beiträge Beilage 2009, 340) hat das BSG nachvollziehbar in Abgrenzung zu den erstgenannten Entscheidungen vor allem auf den die Arbeitskraft weitgehend bindenden zeitlichen Umfang der Tätigkeit, das nach außen erkennbare Auftreten für den Auftrag- bzw. Arbeitgeber in dessen Namen sowie auf die regelhafte persönliche Leistungserbringung abgestellt und damit auf Umstände, die im vorliegenden Fall nicht gegeben sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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