L 5 KR 719/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 698/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 719/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 08.08.2016 insoweit abgeändert, als dass die Beklagte dem Kläger 911,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 vom Hundert von 820,- ab dem 01.09.2015 und von 92,- Euro ab dem 01.10.2015 zu erstatten hat. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung des Arbeitnehmeranteils der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 911,60 Euro, den die Beigeladene zu 2) während des juristischen Vorbereitungsdienstes für ihn abgeführt hat.

Der 1984 geborene und bei der Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum gesetzlich krankenversicherte Kläger absolvierte seinen juristischen Vorbereitungsdienst im Rahmen eines öffentlichen Ausbildungsverhältnisses nach § 6 Abs. 1 des Gesetzes über die juristischen Prüfungen und den juristischen Vorbereitungsdienst ((JAG NRW) in der Fassung vom 27.2.2014 bis 30.6.2016) beim Landgericht Münster. Mit Schreiben vom 12.11.2014 wies der Präsident des Landgerichts Münster den Kläger für die Zeit vom 1.12.2014 bis 30.9.2015 zur Ausbildung bei einem Rechtsanwalt gem. § 35 Abs. 2 Nr. 4 JAG NRW Herrn Rechtsanwalt Dr. S, einem Partner der Beigeladenen zu 2), zu. Der Kläger und die Beigeladene zu 2) schlossen am 14.10.2014 einen "Ausbildungsvertrag für Rechtsreferendare" (fortan: Vertrag), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. Nach § 3 des Vertrags erhielt der Kläger neben der durch das Land gewährten Unterhaltsbeihilfe eine monatliche Vergütung von 975,- Euro brutto monatlich, die jeweils zum 20igsten des laufenden Monats gezahlt wurde. Die Beigeladene zu 2) entrichtete für den Kläger an die Beklagte den Arbeitnehmeranteil zur Rentenversicherung für die Zeit vom 1.12.2014 bis 30.9.2015 (insgesamt: 911,60 Euro), den die Beklagte an die Beigeladene zu 1) weiterleitete.

Der Kläger beantragte am 10.7.2015 bei der Beklagten die Erstattung des seiner Ansicht nach zu Unrecht entrichteten Arbeitnehmeranteils.

Die Beigeladene zu 2) gab auf Nachfrage der Beklagten an, den Kläger ausschließlich zu Ausbildungszwecken und nicht im Rahmen einer von der Ausbildung abtrennbaren Zweitbeschäftigung zu beschäftigen.

Mit Bescheid vom 25.8.2015 lehnte die Beklagte die Erstattung ab. Zur Begründung führte sie aus, dass Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung nur bei einem einheitlichen Beschäftigungsverhältnis bestehe. Da die von der Beigeladenen zu 2) gezahlte Vergütung ohne zwingenden Rechtsgrund erfolge, sei von einer Zweitbeschäftigung auszugehen, bei der das Landesamt für Besoldung und Versorgung weiterhin Beitragsschulder für das zusätzlich durch die Beigeladene zu 2) gezahlte Entgelt bleibe. Eine Gewährleistungserstreckungsentscheidung, wonach sich die Gewährleistung einer Versorgungsanwartschaft bei verminderter Erwerbsfähigkeit im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung auch auf die Zweitbeschäftigung mit der Folge erstrecke, dass diese rentenversicherungsfrei sei, liege nach ihrem Kenntnisstand nicht vor.

Mit seinem Widerspruch wies der Kläger unter Bezugnahme auf das Urteil des SG Berlin vom 7.7.2015 (S 76 KR 1743/13) und die Entscheidungen des BSG vom 31.5.1978 (12 RK 25/77 und 12 RK 49/76) darauf hin, mit der Beigeladenen zu 2) keinen "Arbeitsvertrag" abgeschlossen zu haben. Er habe auch keine freien Tätigkeiten für diese ausgeübt, sondern ausschließlich Arbeiten erbracht, die seiner Ausbildung gedient hätten. Die Zahlung der Vergütung sei freiwillig und ohne Rechtsgrund erfolgt.

Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 9.12.2015 hat der Kläger am 18.12.2015 Klage erhoben. Seine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) sei nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) rentenversicherungsfrei, da diese keine weitere, von der Ausbildung unabhängige Beschäftigung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI dargestellt habe. Seine Tätigkeiten in der Kanzlei seien inhaltlich, organisatorisch, zeitlich und örtlich in die Referendarausbildung integriert worden. Im Ausbildungsvertrag sei auch keine von Ausbildungszwecken freie, zusätzliche Arbeitsleistung vereinbart worden.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 25.8.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.12.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1.12.2014 bis zum 30.9.2014 die durch die Beigeladene zu 2) entrichteten Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 911,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 vom Hundert seit dem 14.8.2015 bis zum Ablauf des Kalendermonats vor Zahlung zu erstatten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, eine neben dem Referendardienst ausgeübte weitere Beschäftigung sei grundsätzlich rentenversicherungspflichtig. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Ausbildungsstätten zusätzliche Vergütungen gewährten, da dann davon auszugehen sei, dass eine von der Ausbildung unabhängige entgeltliche Beschäftigung ausgeübt werde. Aus dem Vertrag ergebe sich, dass die zusätzliche Vergütung an den Kläger nicht ohne Rechtsgrund gezahlt worden sei.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 8.8.2016 antragsgemäß verurteilt. Die Ausbildungsvergütung sei von der Beigeladenen zu 2) für eine Tätigkeit im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses und nicht für eine daneben bestehende Beschäftigung gewährt worden. Entscheidend sei, dass das Land NRW auch während der Zuweisung des Klägers an die Beigeladene zu 2) dessen alleiniger Dienstherr geblieben sei. Da der Kläger keine über die Referendarausbildung hinausgehende Arbeitsleistung geschuldet habe, habe ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis vorgelegen. Sowohl aus dem Ausbildungsvertrag als auch den Angaben der Beigeladenen zu 2) ergebe sich, dass die ganze Arbeitskraft des Klägers ausschließlich zu Ausbildungszwecken eingesetzt und der Arbeitsablauf nicht in Ausbildung und Zweitbeschäftigung aufgespalten worden sei. Daran ändere auch der Urlaubsanspruch nichts, da er keine Freistellung von den Pflichten des Referendariats beinhaltet habe. Die Vereinbarung der Vergütung stelle keinen zwingenden Rechtsgrund für deren Zahlung im Sinne der Rechtsprechung des BSG dar. Denn die Vergütung werde freiwillig und ohne rechtliche Verpflichtung von der Beigeladenen zu 2) angeboten, zumal eine Verpflichtung zur Zahlung einer zusätzlichen Vergütung nach § 41 JAG nicht bestehe. Dass Referendare aus ihrer Ausbildungstätigkeit beim Rechtsanwalt einen wirtschaftlichen Nutzen zögen, sei zudem nicht unüblich und begründe für sich genommen kein eigenständiges Beschäftigungsverhältnis.

Gegen das ihr am 12.9.2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 4.10.2016 Berufung eingelegt. Sie verweist zur Begründung auf die bestandskräftige Entscheidung des SG Duisburg vom 24.8.2016 (S 9 KR 274/14). Der Kläger habe sich in dem mit der Beigeladenen zu 2) geschlossenen Arbeitsvertrag dazu verpflichtet, den überwiegenden Teil seiner Arbeitszeit dort abzuleisten. Zudem enthalte der Vertrag arbeitsvertragstypische Regelungen zu Freistellung, Meldung von weiteren Beschäftigungen, Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Vergütung sei nicht freiwillig gezahlt worden, da sich die Verpflichtung dazu gerade aus dem Arbeitsvertrag ergebe. Da die Beigeladene zu 2) die Beschäftigung zur Sozialversicherung gemeldet und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt habe, sei sie selbst von einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ausgegangen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 8.8.2016 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat zur Begründung auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen und ergänzt, dass die Ausbildungsvergütung deutlich hinter der seitens der öffentlichen Hand geleisteten Ausbildungsbeihilfe zurückgeblieben sei. Weder habe er -wie in dem der Entscheidung des SG Duisburg zu Grunde liegenden Sachverhalt im Verfahren S 9 KR 271/14- englischsprachige Präsentationen entworfen, noch überwiegend in Englisch korrespondiert. Stattdessen habe er, dem Lernstoff des ersten juristischen Staatsexamens entsprechend, Schriftsätze zu zivil- und zivilprozessualen Fragen entworfen und an der Erarbeitung eines Vertrags mitgewirkt. Aus dem Umfang der Tätigkeit könne keine Abtrennbarkeit vom Lernstoff des klassischen juristischen Vorbereitungsdienstes hergeleitet werden. Er habe den deutlich geringeren Anteil seiner Wochenarbeitszeit in den Räumen der Beigeladenen zu 2) verbracht. Auch sei es ebenso gerichtsbekannt, dass die wöchentliche Ausbildungszeit je nach Stage und Ausbilder variiere als man sich als Referendar je nach Ausbildungsstelle (z.B. in einem gerichtlichen Dezernat für Familien- und Betreuungsrecht) auch mit Inhalten beschäftige, denen keine größere Examens- und Klausurrelevanz zukomme. Das BSG habe in seinen Entscheidungen in den siebziger Jahren weder nach Ausbildungsinhalten noch nach Haupt- und Nebenbereichen der Ausbildung getrennt. Nach § 39 JAG NRW solle die praktische Ausbildung des Referendariats auf die praktische berufliche Tätigkeit vorbereiten, die bei 90% der Absolventen eine solche als Rechtsanwalt sei.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

Die Beigeladene zu 2) hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG und den sich dieser anschließenden Entscheidungen des SG Berlin (Urteil vom 28.3.2017 -S 208 KR 1505/16- (nicht veröffentlicht), Gerichtsbescheid vom 10.2.2017 -S 76 KR 4143/15- und Urteil vom 7.7.2015 -a.a.O.-) sowie des LSG Berlin (Urteil vom 22.6.2016 -L 1 KR 335/15-) vorgetragen, die Beschäftigung des Klägers sei insgesamt im Rahmen der durch die Ausbildungsverordnung vorgeschriebenen Ausbildung verlaufen. Eine Trennung der Arbeitsleistung in eine ausbildungsbezogene und eine freie zusätzliche Beschäftigung sei weder vertraglich noch faktisch erfolgt. Sämtliche Tätigkeiten seien vom Kläger auch ohne eine separate Vergütung zu erbringen gewesen. Dass auch das Justizministerium NRW davon ausgehe, dass eine eventuelle Entgeltgewährung keinen Rückschluss auf das Vorliegen einer von der Ausbildung abhebbaren Zweitbeschäftigung zulasse, ergebe sich aus dem Erlass des Justizministeriums NRW von 2017. Sie selbst unterscheide in ihrer tatsächlichen und vertraglichen Abwicklung explizit zwischen zur Ausbildung zugewiesenen Referendaren und Referendaren in Nebentätigkeit. Letztere seien als wissenschaftliche Mitarbeiter auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags tätig und danach verpflichtet, einen Arbeitszeitnachweis zu führen, anhand dessen auch die Vergütung errechnet werde.

Die Beigeladene zu 2) hat eine Kopie des Rechtsanwaltsstations-Zeugnisses des Klägers vom 30.9.2015 zu den Akten gereicht, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.

Der Kläger hat sich mit einer Entscheidung auf Grund einseitiger mündlicher Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakten, die Gerichtsakten und die Akte S 9 KR 271/14 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers mündlich verhandeln und entscheiden, da sich der Kläger damit ausdrücklich einverstanden erklärt hat; § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Berufung ist nur hinsichtlich der Nebenforderung teilweise begründet.

I. Hauptforderung

Das Sozialgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 25.8.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.12.2015 zu Recht mit Urteil vom 8.8.2016 dazu verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1.12.2014 bis zum 30.9.2014 die durch die Beigeladene zu 2) entrichteten Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 911,60 Euro zu erstatten. Denn der Bescheid vom 25.8.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.12.2015 verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten nach § 54 Abs. 2 SGG.

Nach § 26 Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruches aufgrund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hatte. Der Erstattungsanspruch steht nach § 26 Abs. 3 Satz 4 SGB IV dem zu, der die Beiträge getragen hat. Hier hat der Kläger die Rentenversicherungsbeiträge getragen, soweit es um den Arbeitnehmeranteil geht. Die Beigeladene zu 2) hätte diesen nicht für den Kläger an die Beklagte erbringen müssen.

Die Beklagte ist als Einzugsstelle für die Erstattung zuständig. Nach § 211 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist für die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge die Rentenversicherung zuständig, wenn der Erstattungsanspruch noch nicht verjährt ist, die Beiträge vom Träger der Rentenversicherung noch nicht beanstandet worden sind und die Träger der Rentenversicherung dies mit den Einzugsstellen oder den Leistungsträgern vereinbart haben. Nach Nr. 4.3.1 Abs. 1 Satz 1 der "Gemeinsamen Grundsätze für die Verrechnung und Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aus einer Beschäftigung" der Spitzenverbände der Krankenkassen, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit vom 21.11.2006 ist für die Bearbeitung des Antrags auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge die Einzugsstelle zuständig, soweit sich aus den Abschnitten 4.3.2 und 4.3.3 nicht anderes ergibt. Die Nr. 4.3.2 (Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers) und die Nr. 4.3.3 (Zuständigkeit der Agentur für Arbeit) der Grundsätze sind hier nicht einschlägig.

Gem. § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI sind versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung alle Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI sind sonstige Beschäftigte von Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts, deren Verbänden einschließlich der Spitzenverbände oder ihrer Arbeitsgemeinschaften, wenn ihnen nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen Anwartschaft auf Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist, versicherungsfrei.

Das BSG hat in seinen Entscheidungen vom 31.5.1978 zur einstufigen Juristenausbildung ausgeführt, dass es Ausbildungsbeschäftigungen durchaus zu eigen sei, dass sie der ausbildenden Stelle auch wirtschaftlichen Nutzen brächten, ohne dass dies dem Sinn und Zweck der Ausbildung und dem rechtlichen Status des Auszubildenden entgegenstehe. Für eine abstrakte Aufspaltung des zum Zwecke der Ausbildung begründeten, diesem Zweck dienenden und auch inhaltlich von ihm geprägten Beschäftigungsverhältnisses bestehe kein Anlass, nur weil es gleichzeitig auch wirtschaftlich relevante Arbeitsleistungen enthalte. Dies gelte auch dann, wenn in Anerkennung des mit der Ausbildungsbeschäftigung verbundenen wirtschaftlichen Nutzens ohne zwingenden Rechtsgrund eine zusätzliche Vergütung gezahlt werde. Lediglich dann, wenn die Beschäftigung des Auszubildenden - sei es durch ausdrückliche Vereinbarung, sei es durch tatsächliche Gestaltung des Arbeitsablaufs - konkret in zwei voneinander unabhängige Teile getrennt sei, nämlich zum einen in ein reines Ausbildungsverhältnis und zum anderen in ein von Ausbildungszwecken freies Beschäftigungsverhältnis, könne die zusätzliche Vergütung einem neben der Ausbildung bestehenden Beschäftigungsverhältnis zugeordnet werden und zur Versicherungspflicht führen (BSG, Urteile vom 31.5.1978 - 12 RK 48/76, 12 RK 48/76 und 12 RK 49/76). Diese Rechtsprechung hat das BSG mit Urteil vom 31.3.2015 (B 12 R 1/13 R) fortgeführt: Entscheidend sei, dass auch während der praktischen Ausbildung das "Rechtspraktikantenverhältnis" zu dem betreffenden Land fortbestanden und der "Dienstherr" der auszubildenden Person lediglich das Weisungsrecht für die täglichen Arbeiten vor Ort überlassen habe, der Dienstherr sich nicht seines Weisungsrechts zur Sanktionierung für Dienstvergehen begebe, er allein zuständig für die Zahlung der Unterhaltsbeihilfe bleibe, keine Verpflichtung des Referendars bestehe, über den notwendigen Teil der Ausbildung hinaus Aufgaben zu erbringen und die Vergütung der Kanzlei freiwillig und ohne Rechtsgrund gezahlt werde. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung ausdrücklich an (so auch das LSG Berlin Brandenburg (Urteil vom 22.6.2016 -L 1 KR 335/15- und das SG Berlin, zuletzt Gerichtsbescheid vom 10.2.2017 -S 76 KR 4143/15- und Urteil vom 28.3.2017 -S 208 KR 1505/16). Ausgehend von den benannten Kriterien ist folglich in jedem Einzelfall anhand der gesetzlichen Regelungen des Referendarverhältnisses sowie der vertraglichen und tatsächlichen Ausgestaltung des Ausbildungsverhältnisses zu prüfen, ob eine versicherungsfreie Beschäftigung vorliegt.

Der Kläger befand sich im streitgegenständlichen Zeitraum nach § 30 Abs. 1 JAG NRW in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis zum Land NRW und war Dr. S nach § 34 Abs. 1 i.V.m. § 35 Abs. 2 Nr. 4 JAG NRW zur Ausbildung bei einem Rechtsanwalt zugewiesen. In dieser Zeit war Dr. S sein Ausbilder, die Dienstherrschaft oblag jedoch weiterhin dem Präsidenten des Landgerichts Münster; §§ 34 Abs. 1 und 2 JAG NRW. Der Kläger hatte nach wie vor einen Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe und Erholungs- sowie Sonderurlaub nach § 34 Abs. 3-6 JAG NRW.

Dafür, dass diese gesetzlichen Vorgaben durch den Vertrag abbedungen worden wären oder ein daneben insoliertes eigenständiges Beschäftigungsverhältnis begründet worden wäre, ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Vielmehr gestaltete der Vertrag das Verhältnis der Vertragsparteien lediglich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben durch das JAG NRW. Der mit der Beigeladenen zu 2) geschlossene Vertrag war bereits dem Wortlaut nach ein Ausbildungs- und kein Arbeitsvertrag, der zeitlich auf die Dauer der Zuweisung in der Anwaltsstation begrenzt war (§ 1 des Vertrags). Die Beigeladene zu 2) verpflichtete sich, bei der Ausbildung die Erfordernisse des Referendariats zu beachten. Die Anwesenheit eines Referendars an drei Tagen in der Woche während der Rechtsanwaltsstation (§ 2 des Vertrags) ist weder unüblich noch außergewöhnlich, zumal die vertragliche Regelung nicht bestimmt, wie viele Stunden der Referendar täglich bleiben muss. Nach dem Wortlaut der vertraglichen Vereinbarung wäre es auch möglich -wie in der Praxis durchaus üblich - an drei Tagen in der Woche nur für einige Stunden zu erscheinen und dann Arbeiten mit nach Hause zu nehmen. Die Belange der Ausbildung wurden durch die Anwesenheitsverpflichtung des Klägers nicht beeinträchtigt. Denn einerseits diente die Anwesenheitspflicht ausdrücklich "der Ausbildung", dem gesetzgeberischen Ziel also, die Tätigkeit eines Rechtsanwalts im Berufsalltag kennenzulernen. Andererseits ermöglichte es die flexible Gestaltung der Anwesenheitspflicht dem Referendar, seinen weiteren Verpflichtungen (z.B. Teilnahme an Arbeitsgemeinschaften) nachzukommen und sich auf das 2. Staatsexamen vorzubereiten (§ 2 des Vertrags). Hinsichtlich des Urlaubsanspruchs nahm § 5 des Vertrags auf den gesetzlichen Anspruch auf Jahresurlaub Bezug (i.e. § 32 Abs. 3-6 JAG NRW iVm dem Landesbeamtengesetz NRW), ohne darüberhinausgehende Ansprüche zu generieren. Bei der Gewährung waren die Erfordernisse des Referendariats zu berücksichtigen.

Weder aus dem Vertrag noch aus dem Zeugnis des Klägers ergibt sich, dass er sich vorwiegend mit Themen oder Methoden ohne Examensrelevanz beschäftigt hat oder die Tätigkeit des Rechtsanwalts entgegen dem gesetzgeberischen Ziel nicht kennengelernt hat. Nach § 39 Abs. 3 JAG NRW sollen die Referendare und Referendarinnen insbesondere an Aufgaben mitarbeiten, die sie in ihrer Selbständigkeit des Denkens und in den praktisch methodischen Fähigkeiten fördern und ihr soziales, wirtschaftliches und rechtspolitisches Verständnis entfalten. Sie sollen zweckmäßige Arbeitsweisen erlernen und Grundsituationen des Verfahrens in dem jeweiligen Ausbildungsbereich beherrschen. Dem Umgang mit Rechtssuchenden, dem Erkennen der Interessen, der Partei- und Zeugenvernehmung und der Würdigung von Aussagen soll unter Berücksichtigung der rechtsberatenden Praxis besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Vertraglich hat sich die Beigeladene zu 2) verpflichtet, die Ausbildungserfordernisse des Referendariats zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 2 des Vertrags). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger darüber hinaus vertraglich weitere Arbeiten schuldete oder ausgeführt hat, sind nicht ersichtlich. Auch hat die Beklagten nicht vorgetragen oder belegt, dass die Ausbildungsziele des Klägers nach §§ 39 Abs. 3 JAG NRW oder sein Ausbildungsplan nach § 41 Abs. 3 JAG NRW nicht erfüllt worden seien. Ausweislich des Zeugnisses hat der Kläger Arbeiten aus verschiedenen Rechtsgebieten zur selbständigen Bearbeitung und zum Entwerfen verschiedener Schriftsätze erhalten, wurde vorwiegend mit der beratenden Tätigkeit des Rechtsanwalts vertraut gemacht, war in die Mandantenberatung eingebunden, verfasste rechtliche Stellungnahmen, recherchierte zu zivilrechtlichen, zivilprozessrechtlichen sowie sozialrechtlichen Fragen und Fragen der Compliance, arbeitete an Vertragsentwürfen mit, bereitete Präsentation vor und arbeitete an einer Publikation mit. Dass es sich materiell-rechtlich vorwiegend um Themen des Wirtschaftsrechts und des Healthcare/Life/Science/Chemicals handelte, spricht nicht gegen die in § 39 Abs. 3 JAG BRW genannten Ausbildungsziele, da selbständiges Denken und methodische Fähigkeiten gerade anhand rechtlicher Themen außerhalb des Stoffs des 1. Staatsexamens trainiert werden können. Dass der Kläger neben Kursen zur Examensvorbereitung auch einen Kurs in legal englisch belegte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn in der vom Referendar kennenzulernenden anwaltlichen Praxis dürfte die englische Sprache bspw. im Mandantenkontakt und bei der Lektüre europarechtlicher Entscheidungen durchaus Relevanz besitzen.

Für die Ansicht der Beklagten spricht auch nicht, dass die Beigeladene zu 2) dem Kläger nach § 3 Abs. 1 des Vertrags eine monatliche Vergütung in Höhe von 975,- Euro brutto schuldete. Dass die Beigeladene zu 2) während der Anwaltsstation eine Vergütung zahlt, um möglicherweise besonders geeignete Referendare anzusprechen und ein gegenseitiges Kennenlernen mit Blick auf eine ggf. spätere Zusammenarbeit zu forcieren, führt nicht allein dazu, dass aus dem Ausbildungsvertrag im Rahmen des Referendariats ein eigenständiger, davon unabhängiger Arbeitsvertrag wird. Nach den unbestrittenen Angaben der Beigeladenen zu 2) und des Klägers hätte sich auch ohne die Vergütungsvereinbarung nichts an den vertraglichen Pflichten des Klägers geändert. Dies zeigt im Umkehrschluss, dass der Kläger auch keine ausbildungsfernen separaten Tätigkeiten schuldete, zu deren Vergütung sich die Beigeladene zu 2) hätte verpflichtet sehen müssen. Darüber hinaus konnte der Kläger die Vergütung nur erlangen, weil er von seinem Dienstherrn als Referendar Dr. S zugewiesen worden war. Die wirtschafltiche Bedeutung der Vergütung für den Kläger übertraf auch nicht die der vom Dienstherrn gezahlten Unterhaltsbeihilfe, von der der Kläger immer noch vorwiegend seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte.

Auch die Regelung der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses spricht nicht gegen die Annahme einer einheitlichen Beschäftigung. § 7 Abs. 2 des Vertrags regelt, dass das Ausbildungsverhältnis von beiden Parteien unter Einhaltung der jeweils geltenden gesetzlichen Kündigungsfrist gekündigt werden kann. Damit soll lediglich sichergestellt werden, dass eine Kündigungsmöglichkeit dann besteht, wenn die Parteien nicht zu einer den Ausbildungszielen entsprechenden Zusammenarbeit in der Lage sind, sodass dann durch den Dienstherrn gegebenenfalls die Zuweisung zurückgenommen werden und ein anderer Ausbilder für eine erneute Zuweisung gesucht werden kann.

II. Nebenforderung

Die Berufung ist hinsichtlich der Nebenforderung teilweise begründet. Die Hauptforderung ist mit 4 vom Hundert von 820,- ab dem 01.09.2015 und von 92,- Euro ab dem 01.10.2015 zu verzinsen.

Nach § 28 Abs. 1 SGB IV ist der Erstattungsanspruch nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags, beim Fehlen eines Antrags nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Erstattung bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Verzinst werden volle Euro-Beträge. Dabei ist der Kalendermonat mit dreißig Tagen zugrunde zu legen.

"Nach Ablauf eines Kalendermonats" bedeutet schon dem Wortlaut nach, dass die Verzinsungspflicht erst nach Ablauf des auf den Antrag oder die Bekanntgabe folgenden Monats beginnt (Schwerdtfeger in: SGB-SozVers-GesKomm, SGB IV, § 27 Anm. 5; von Maydell in: GK-SGB IV, § 27 Rn. 9; Figge in: Jahn, SGB IV, § 27 Rn. 6; VerbKomm, SGB IV, § 27 Rn. 8; Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 27 SGB IV; Schulz, SVFAng Nr 133, 51, 59; a.A.: Udsching in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 27 Rn. 3; Felix in: Wannagat, SGB IV, § 27 Rn. 13; Seewald in: KassKomm-SGB, SGB IV, § 27 Rn. 3, die die Auffassung vertreten, dass die Verzinsungspflicht mit dem Monat beginnt, der der Antragstellung oder der Bekanntgabe der Entscheidung folgt).

Da der Kläger den Antrag am 10.7.2015 stellte, beginnt die Verzinsung hinsichtlich der bis zu diesem Zeitpunkt abgeführten Beiträge am 1.9.2015. Da die Vergütung von der Beigeladenen zu 2) jeweils zum 20. des laufenden Monats ausgezahlt wurde, sind die vom 1.12.2014 bis 31.8.2015 abgeführten Beiträge ab dem 1.9.2015 und der Beitrag für September 2015 ab dem 1.10.2015 - jeweils gerundet auf volle Euro-Beträge - zu verzinsen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Da der Senat das Urteil vom 8.8.2016 nur geringfügig hinsichtlich der Nebenforderung geändert hat, kommt eine Kostenbeteiligung des Klägers nicht in Betracht.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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