L 6 SB 3728/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 3941/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3728/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers und des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. August 2015 abgeändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2013 wird aufgehoben, soweit damit die mit Bescheid vom 8. Oktober 2010 getroffenen Feststellungen des Grades der Behinderung von mehr als 40 sowie die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "aG" und "B" für die Zeit vom 20. Oktober 2011 bis 22. Februar 2013 aufgehoben worden sind.

Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt ein Fünftel der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich im Berufungsverfahren weiter gegen die behördliche Aufhebung der Feststellungen des Grades der Behinderung (GdB) mit 80 und der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "außergewöhnliche Gehbehinderung" und "Berechtigung für eine ständige Begleitung", also die Zuerkennung der Merkzeichen "aG" und "B", der Beklagte gegen die erstinstanzliche Aufhebung seiner Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "G" ("erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr") nicht mehr vorliegen.

Bei dem 1970 geborenen Kläger erfolgte 1996 eine operative Behandlung einer Oberschenkel- und Kniescheibenfraktur, jeweils links, sowie eines Unterarmbruches rechts. Im Folgejahr erlitt er eine Trümmerfraktur am rechten Sprunggelenk und einen Bruch des zweiten Mittelhandknochens rechts, was ebenfalls operativ versorgt wurde. 1999 wurden der Nagel aus dem linken Oberschenkel und die Schrauben aus der linken Kniescheibe entfernt.

Am 17. Mai 2010 erlitt er einen Motorradunfall. Prof. Dr. K., Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie des K.-Hospitals des Klinikums St., berichtete über den deswegen erforderlichen stationären Aufenthalt bis 16. Juni 2010, es seien beidseitige offene proximale Unterschenkelfrakturen (ICD-10 S82.7), ein Weichteilschaden vom Grad I bei offener Fraktur oder Luxation im Bereich des rechten Unterschenkels (ICD-10 S81.87), eine Weber-A-Fraktur im Bereich des rechten Außenknöchels (ICD-10 S82.6), ein Weichteilschaden vom Grad II bei geschlossener Fraktur oder Luxation im Bereich des Unterschenkels "rechts" (ICD-10 S81.85), eine Eisenmangelanämie nach Blutverlust (ICD-10 D50.0) und eine leichte depressive Episode (ICD-10 F32.0) diagnostiziert worden. Bei der Entlassung hätten die Extension und Flexion bis 0-0-90° rechts und 0-0-65° links vorgenommen werden können. Die wegen des Zustandes nach einer Ersatzplastik im Bereich des vorderen Kreuzbandes rechts, welches am 25. Mai 2010 refixiert worden sei, verordnete Knieorthese sei vom Kläger nicht toleriert worden. Die Wundverhältnisse hätten sich von Anfang an komplikationslos gezeigt. Zuletzt sei er im gesamten Krankenhaus mit dem Rollstuhl selbstständig mobil gewesen.

Nach seiner ambulanten Untersuchung am 13. September 2010 diagnostizierte Prof. Dr. K. den Zustand nach einer offenen proximalen Unterschenkelfraktur beidseits und eine Weber-A-Fraktur rechts sowie nach Plattenosteosynthesen im rechten Außenknöchel und beider proximalen Tibiae im Mai 2010. Er habe aktuell über noch bestehende Schmerzen nach wenigen Schritten und vor allem beim Treppensteigen nach jeder Stufe berichtet. Das rechte Bein habe er voll, das linke jedoch schmerzbedingt weiterhin nur teilweise belasten können. Er sei durchgehend auf Gehhilfen angewiesen und größtenteils, vor allem außerhalb der Wohnung, nur im Rollstuhl mobil gewesen. Die Extension und Flexion des rechten Kniegelenkes seien mit 0-0-130° (0-0-110° links) weiterhin noch eingeschränkt gewesen. Die Bandapparate der Kniegelenke hätten sich weitgehend stabil gezeigt; auf der linken Seite habe sich bei der Beugung um 30° noch eine laterale Aufklappbarkeit um 1° ergeben. Beim Bewegen unter Belastung habe der Kläger im rechten Kniegelenk ein Fremdkörpergefühl wahrgenommen. Bei der klinischen Untersuchung sei diese leichte Krepitation jedoch nicht nachzuvollziehen gewesen. Es sei erwogen worden, die auf den Röntgenbildern und auf den Computertomogrammen (CT) zu sehende, ventral liegende Zugschraube im rechten Kniegelenk teilweise zu entfernen. Da jedoch auf den CT eine beginnende Knochenheilung zu erkennen sowie außerdem anzunehmen gewesen sei, dass diese Schraube soweit ventral liege, dass sie nicht in die Hauptbelastungszone rage und sicherlich von dem Knorpel und dem Meniskus bedeckt werde, sei auf eine teilweise Entfernung des Metalls verzichtet worden.

Nach dem Bericht von Prof. Dr. K. über die ambulante Untersuchung des Klägers am 27. Januar 2011 habe sich bei der computertomographischen Untersuchung beider Unterschenkel am Tag zuvor eine zunehmende knöcherne Durchbauung der Frakturen gezeigt. Am rechten Kniegelenk sei weiterhin die ventral liegende Zugschraube mit grenzwertigem Corticaliskontakt zu sehen gewesen. Der Kläger habe mehr Schmerzen im Bereich des linken als des rechten Kniegelenkes angeführt. Er sei wegen dieser Beschwerden an Unterarmgehstützen gegangen, welche er allerdings nicht habe voll belasten dürfen. Beide Kniegelenke seien schlank und ohne Erguss gewesen; die Beugung des rechten sei bis 100° möglich gewesen. Ein Streckdefizit habe nicht vorgelegen. Die Seitenbänder und das Kreuzband seien schmerzbedingt nicht ausreichend untersuchbar gewesen. Der Stand der Patella des linken Kniegelenkes sei ohne Befund gewesen. Beidseits sei ein starker Druckschmerz über der proximalen Fibula geäußert worden. Die Extension und Flexion seien mit 0-5-90° gemessen worden. Die Seitenbänder und das vordere Kreuzband seien wegen der Schmerzen nicht ausreichend beurteilbar gewesen. Es habe eine Beinverkürzung rechts von etwa 1 cm bestanden. Es sei ein Rezept für orthopädische Schuhsohlen mit Erhöhung und weicher Polsterung, beidseitige Abrollhilfen und Kniebandagen, außerdem für Ibuprofen beziehungsweise Novalgin als Schmerzmittel, ausgestellt worden.

Über die ambulante Untersuchung am 31. Oktober 2011 teilte Prof. Dr. K. Anfang April 2012 mit, insgesamt sei eine Befundstagnierung eingetreten. Der Kläger sei nach wie vor auf den Gebrauch von Unterarmgehstützen und den Rollstuhl angewiesen gewesen. Er habe eine deutliche Schwäche im Bereich der beidseitigen Oberschenkelmuskulatur beklagt. Diese habe sich auch nach einer intensiven Rehabilitationsmaßnahme nicht verbessert. Radiologisch habe sich eine zunehmende knöcherne Durchbauung bei komplex versorgter proximaler Tibiafraktur beidseits gezeigt.

Das Landratsamt B. hatte beim Kläger zuletzt mit Bescheid vom 8. Oktober 2010 den GdB mit 30 vom 17. Juni 2009 bis 16. Mai 2010 und mit 80 ab 17. Mai 2010 sowie die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "B" und "aG" ebenfalls ab 17. Mai 2010 festgestellt. Nach der zugrunde liegenden versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. M.-T. hätten die Gebrauchseinschränkungen beider Beine und des rechten Fußes sowie die Beinverkürzung einen Einzel-GdB von 80 zur Folge. Die Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogengelenkes und diejenige der Wirbelsäule erreichten jeweils nur einen Einzel-GdB von 10. Eine Blutarmut, eine depressive Verstimmung und ein knöcherner Defekt am Brustkorb erreichten jeweils keinen messbaren GdB.

Mit Schreiben vom 26. Mai 2011 teilte das Landratsamt B. dem Kläger mit, es sei nachzuprüfen, ob gegenüber den bisherigen Feststellungen eine Änderung eingetreten sei. Aufgrund der versorgungsärztlichen Einschätzung von Dr. W. von Mitte August 2011 hörte das Landratsamt den Kläger schließlich mit Schreiben vom 25. August 2011 dazu an, dass sich nach den nun vorliegenden medizinischen Befundunterlagen eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ergeben habe. Die Gebrauchseinschränkungen beider Beine und des rechten Fußes hätten sich zwischenzeitlich gebessert. Der GdB betrage nur noch 30. Die Voraussetzungen für die Feststellung der gesundheitlichen Merkmale "G", "B" und "aG" lägen nicht mehr vor.

Mit Bescheid vom 14. Oktober 2011 hob das Landratsamt die mit der Verwaltungsentscheidung vom 8. Oktober 2010 getroffenen Feststellungen, abgesehen von der weiteren Zuerkennung des GdB mit 30, ab 20. Oktober 2011 auf. Die von ihm aufgrund eines Antrags vom 24. Juni 2011 angenommene erstrebte höhere Bewertung des GdB wurde abgelehnt. Gegen diesen am 17. Oktober 2011 abgesandten Bescheid erhob der Kläger Widerspruch und übersandte das Attest von Dr. E., Assistenzarzt in der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie des K.-Hospitals des Klinikums St., von Anfang November 2011, wonach er wegen persistierender Beschwerden sicher noch für den Zeitraum von mindestens sechs Monate auf die Versorgung mit Unterarmgehstützen und die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen sein werde.

Die Versorgungsärztin Sch. führte in ihrer Stellungnahme von Dezember 2012 aus, die ehemalige Beurteilung von Oktober 2010 habe auf einer postoperativen Akutsituation beruht. Bei der mittlerweile eingetretenen Befundstabilisierung sei die Herabstufung des GdB auf 30 und die Verneinung der bislang festgestellten Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von bestimmten Merkzeichen korrekt. Daraufhin wurde der Widerspruch durch das Regierungspräsidium St. mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2013 zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 5. Juli 2013 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, welches die schriftliche sachverständige Zeugenaussage von Prof. Dr. K. von April 2014 eingeholt hat. Bei der röntgenologischen Untersuchung des rechten Unterschenkels und des oberen Sprunggelenkes Ende Oktober 2011 sei eine unveränderte Lage des Osteosynthesematerials nach der proximalen Tibia- und der Fibulafraktur aufgefallen. Bei unveränderter Stellung der Knochen sei Letztere nun mit deutlich narbigen Veränderungen knöchern durchbaut gewesen. Weiter habe eine zunehmende Konsolidierung auch der proximalen Tibiakopffraktur mit persistierendem umschriebenem Defekt zentral in der Tibia vorgelegen. Es hätten angrenzende deutliche narbige Veränderungen bestanden. Nahe des unteren Endes der langen lateralen Tibiaplatte sei eine knöcherne Brücke zwischen Tibia und Fibula festgestellt worden. In unveränderter Stellung durchbaute Frakturen der Fibula und der distalen Tibia seien gesehen worden. Am linken Unterschenkel und oberen Sprunggelenk sei der Zustand nach einer proximalen Tibia- und Fibulafraktur mit Beteiligung der lateralen Tibiagelenkfläche objektiviert worden. Beide Brüche seien knöchern durchbaut gewesen, wobei im lateralen Tibiaplateau, senkrecht in der lateralen Tibiagelenkfläche, ein kleiner Spalt verlaufen sei. In der Tibia sei eine deutliche narbige Veränderung aufgefallen, demgegenüber weniger an der proximalen Fibula. Bei der Vorstellung am 22. Februar 2013 habe er beidseits keinen Kniegelenkserguss erkannt. Der Kläger habe einen Druckschmerz bei Stress auf die Patella beidseits angegeben. Beide Kniegelenkspalten seien druckschmerzhaft gewesen. Eine Instabilität habe nicht vorgelegen. Bei der Untersuchung der Beweglichkeit seien für die Extension und Flexion Werte von 0-0-120° rechts und 0-20-100° links gemessen worden. Im oberen Sprunggelenk habe sich ebenfalls ein Druckschmerz lateralseitig und vorne gezeigt. Für die Dorsalextension/Plantarflexion seien 10-0-30° ermittelt worden. Nach multiplen Operationen habe noch eine Gefühlsstörung am rechten Unterschenkel vorgelegen. Ansonsten seien die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität intakt gewesen. Nach der röntgenologischen Untersuchung beider Kniegelenke seien die Brüche als verheilt erkannt worden. Beidseits sei eine posttraumatische Gonarthrose erkannt worden. Rechts habe die Schraube im Tibiaplateau in das Gelenk hineinzuragen geschienen. Im oberen Sprunggelenk rechts sei eine sekundäre Arthrose gesehen worden. Die Weber-A-Fraktur sei ebenfalls verheilt gewesen. Danach habe er den Kläger nicht mehr untersucht.

Das SG hat Prof. Dr. C., Leitender Arzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Klinikums M. in B.-B., mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt, wobei die Beweisfragen ausschließlich darauf abgezielt haben, welcher Gesundheitszustand des Klägers ab März 2011 vorgelegen habe. Prof. Dr. C. hat nach der ambulanten klinischen und röntgenologischen Untersuchung am 11. Juni 2014 ausgeführt, es hätten eine Fehlstatik der Brustwirbelsäule durch eine keilförmige Deformierung des 11. Brustwirbelkörpers mit geringen funktionellen Auswirkungen, eine beidseitige Bewegungseinschränkung und Belastungsminderung der Kniegelenke mit wiederkehrenden Reizerscheinungen, eine weitgehende Aufhebung der Beweglichkeit des oberen und unteren Sprunggelenkes rechts mit wiederkehrenden Reizerscheinungen sowie eine endgradige Einschränkung der Drehbeweglichkeit des rechten Unterarmes und des Grundgelenkes des zweiten Fingers rechts vorgelegen. Er habe jedoch weder eine Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogengelenkes noch einen knöcherner Defekt am Brustkorb feststellen können. Die Fehlstatik der Brustwirbelsäule sei mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Die Funktionsstörung im Bereich beider Kniegelenke erreiche einen Einzel-GdB von 30. Die beidseitige Bewegungseinschränkung rechts rechtfertige zwar nur einen Einzel-GdB von 20. Wegen der rezidivierenden Reizerscheinungen und der hieraus resultierenden Belastungsminderung sei jedoch ein Einzel-GdB von 30 gerechtfertigt. Die Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich des oberen und unteren Sprunggelenkes rechts hätten ebenfalls einen Einzel-GdB von 30 zur Folge. Die Bewegungseinschränkung stärkeren Grades im oberen Sprunggelenk rechts stütze einen Einzel-GdB von 20. Wegen der zusätzlichen Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk und der Verheilung des Bruches in ungünstiger Stellung sowie den hieraus resultierenden wiederkehrenden Reizerscheinungen sei ein Einzel-GdB von 30 erreicht. Die Einschränkung der Drehbeweglichkeit des rechten Unterarmes und des Grundgelenkes des zweiten Fingers rechts sei mit einem Einzel-GdB von 10 ausreichend bewertet. Den Gesamt-GdB schätze er daher ab März 2011 auf 50. Beim Kläger habe ein erheblicher Verschleiß im Bereich beider Kniegelenke und im Bereich eines Teils der Gelenke des rechten Fußes vorgelegen. Er habe nach Durchsicht der Arztberichte von Prof. Dr. K. den Eindruck gewonnen, dass der aktuell erhobene Befund unter Berücksichtigung von tagesüblichen Schwankungen seit März 2011 bestehe. Wegen der erhobenen klinischen und radiologischen Befunde sei dessen Angabe, die schmerzfreie Gehstrecke betrage maximal fünf Minuten, plausibel und nachvollziehbar. Er gehe deshalb davon aus, dass er nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten etwa zwei Kilometer in einer halben Stunde zurücklegen könne. Die Behinderungen an den unteren Gliedmaßen oder an der Lendenwirbelsäule bedingten einen GdB von 50, weshalb die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" weiter vorlägen; nicht jedoch diejenigen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "aG" und "B".

Daraufhin unterbreitete der Beklagte ein Vergleichsangebot, wonach der GdB mit 40 ab 2. Oktober 2011 anerkannt werde. Nach der zugrunde liegenden versorgungsärztlichen Einschätzung von Dr. R. von Ende November 2014 sei die Funktionsbehinderung beider Sprunggelenke mit einem Einzel-GdB von 30 und die Funktionsstörung beider Kniegelenke mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Nach der gutachtlichen Erhebung durch Prof. Dr. C. sei das linke Sprunggelenk mit 0-0-30° mittelgradig eingeschränkt sowie das rechte mit 10° in der Hebung und 0° in der Senkung stärkergradig beeinträchtigt gewesen, wofür unter integrativer Betrachtung ein Einzel-GdB von 20 abzubilden sei. Die vorgenommene Einschätzung der Sprunggelenke mit einem Einzel-GdB von 30 sei gleichwohl sachgerecht. Neben den betroffenen unteren Sprunggelenken sei das rechte obere Sprunggelenk stärkergradig eingeschränkt und das untere weise eine Wackelsteifheit auf, welche ihrerseits einen GdB von 10 bedinge. Der Bewertung eines Einzel-GdB von 30 für die Kniegelenke könne demgegenüber nicht gefolgt werden, weil ein für den GdB relevantes Bewegungsdefizit nicht vorgelegen habe. Würden die rezidivierenden Reizerscheinungen und die hieraus resultierende Belastungsminderung berücksichtigt, so wäre im Rahmen des Ermessens von einem Einzel-GdB zwischen 10 und 20 auszugehen, da nach einer Analogbewertung bei zwei Teilendoprothesen der Knie oder einer Vollprothese ein Einzel-GdB von 20 gerechtfertigt sei. In Zusammenschau mit den Kniegelenken sei allerdings noch kein Gesamt-GdB von 50 vertretbar, welcher bei der Analogbewertung bereits dem Verlust eines Unterarmes oder eines Unterschenkels entspräche. Prof. Dr. C. habe überdies den Einzel-GdB von 10 für das Achsenskelett nach verheiltem Wirbelbruch bestätigt. Die Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogengelenkes erreiche ebenfalls keinen höheren Einzel-GdB als 10, wodurch sich der Gesamt-GdB nicht erhöhe.

In der nichtöffentlichen Sitzung des SG am 30. Juni 2015, bei der beide Beteiligte anwesend gewesen sind, ist zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden. Mit seiner Entscheidung vom 13. August 2015 hat dieses Gericht, unter Abweisung der Klage im Übrigen, die angefochtene Verwaltungsentscheidung aufgehoben, soweit damit die mit Bescheid vom 8. Oktober 2010 getroffenen Feststellungen des GdB weiter als 40 und der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" aufgehoben worden sind. Dem Beklagten ist auferlegt worden, die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach zu einem Drittel zu erstatten. Entsprechend der versorgungsärztlichen Ausführungen von Dr. R. sei aus einem Einzel-GdB von 30 für die Funktionsbehinderungen der Sprunggelenke und eines Einzel-GdB von 20 für die Funktionsstörungen der Knie ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden. Zudem seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nach wie vor erfüllt. Beim Kläger lägen Gesundheitsstörungen vor, welche besonders die Gehfähigkeit beeinträchtigten und nach ihren Auswirkungen einer Versteifung des Hüftgelenkes oder des Knie- und Fußgelenkes in ungünstiger Stellung gleichkämen. Insoweit hat sich das SG im Wesentlichen auf die Ausführungen von Prof. Dr. C. gestützt, wonach sich der starke Verschleiß beider Kniegelenke in Kombination mit den Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Sprunggelenkes erheblich auf die Gehfähigkeit auswirke. Der Kläger sei infolge der Erkrankungen bei längeren Strecken auf die Benutzung von Unterarmgehstützen angewiesen gewesen. Er sei somit nicht in der Lage, ohne erhebliche Schwierigkeiten zwei Kilometer in einer halben Stunde zurückzulegen. Demgegenüber habe nach der gutachtlichen Untersuchung durch den Sachverständigen nicht objektiviert werden können, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "aG" und "B" weiterhin vorlägen.

Gegen die dem Beklagten am 17. August 2015 und dem Kläger am Folgetag zugestellte Entscheidung haben diese am 3. und 16. September 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt.

Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen erreichten bei ihm weiterhin einen GdB von 80. Zudem lägen auch aktuell nicht nur die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" vor, sondern auch für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "aG" und "B".

Er beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. August 2015 teilweise aufzuheben und den Bescheid vom 14. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2013 umfassend aufzuheben sowie die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. August 2015 teilweise aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit die Aufhebung des Bescheides vom 14. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2013, mit dem die mit Bescheid vom 8. Oktober 2010 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" vorliegen, ab 20. Oktober 2011 aufgehoben wurde, begehrt worden ist, sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er trägt, im Wesentlichen gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 3. August 2016, vor, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" lägen schon deshalb nicht mehr vor, weil der Kläger nicht mehr schwerbehindert sei. Im Übrigen sei er in seiner Gehfähigkeit nicht mehr entsprechend eingeschränkt. Er habe im Mai 2010 eine offene proximale Unterschenkelfraktur beidseits und eine Sprunggelenksfraktur rechts in Form einer Weber-A-Fraktur erlitten. Es seien Plattenosteosynthesen am rechten Außenknöchel und an beiden proximalen Schienbeinen erfolgt. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine solche schwere Verletzung wenige Monate später, also bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 8. Oktober 2010, nur noch geringe Funktionsbehinderungen bedingt habe. So habe Prof. Dr. K. nach seiner ambulanten Untersuchung Mitte September 2010 ausgeführt, es hätten weiterhin Schmerzen nach wenigen Schritten bestanden und das linke Bein habe nur teilweise belastet werden können. Der Kläger sei damals durchgehend auf Gehilfen angewiesen und größtenteils, vor allem außerhalb der Wohnung, nur im Rollstuhl mobil gewesen. Daher sei es bei Erlass des Bescheides vom 8. Oktober 2010 keinesfalls unrichtig gewesen, den GdB mit 80 sowie die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "B" und "aG" ab 17. Mai 2010 anzunehmen. Hierfür sei insbesondere die Belastbarkeit der Frakturen maßgeblich gewesen. Diese könne auch bei nur geringer oder freier Beweglichkeit des Gelenkes hochgradig eingeschränkt sein. Eine Konsolidierung der Frakturen sei erst nach Erlass dieser Verwaltungsentscheidung eingetreten. Erhobene Bewegungsmaße seien vorliegend für die Bewertung des GdB nicht geeignet; entscheidend sei vielmehr die Belastbarkeit der Frakturen. Die Brüche hätten sich erst nach Oktober 2010 konsolidiert, worin die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu sehen sei, auch hinsichtlich der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der festgestellten Nachteilsausgleiche.

Der Berichterstatter hat am 22. Juli 2016 eine nichtöffentliche Sitzung anberaumt, zu welcher der Kläger nicht erschienen ist. Prof. Dr. C. ist daraufhin, unter erneuter Überlassung sämtlicher Verfahrensakten, als Sachverständiger ergänzend dazu gehört worden, ob sich aus medizinischer Sicht die tatsächlichen Verhältnisse nach Erlass des Bescheides vom 8. Oktober 2010 geändert haben. Er hat im September 2016 nach Aktenlage ausgeführt, bei dem Unfall im Mai 2010 habe der Kläger eine offene proximale Unterschenkelfraktur beidseits und einen Sprunggelenksbruch rechts in Form einer Weber-A-Fraktur erlitten. Darüber hinaus sei es an der rechten Hand zu einem leichten dislozierten Bruch des fünften Mittelhandknochens und einer Absprengung des Processus styloideus ulnae gekommen. Wegen der Gelenkbeteiligung nach der Schienbeinkopffraktur sei unfallbedingt vor allen Dingen eine Verschlechterung der Beweglichkeit der Kniegelenke zu erwarten. Nach dem Ereignis von Mitte Mai 2010 sei zwar Mitte September 2010 am rechten Kniegelenk eine freie Beweglichkeit und am linken, bei freier Streckfähigkeit, eine funktionell bessere Bewegungsmöglichkeit als vor dem Unfall dokumentiert worden. Es sei jedoch aufgrund seiner klinischen Erfahrung davon auszugehen, dass zu diesem Zeitpunkt die Frakturen noch nicht vollständig verheilt gewesen seien. Ende Januar 2011 sei hinsichtlich des linken Kniegelenkes eine schlechtere Streckung sowie in Bezug auf beide eine eingeschränktere Beugung als Mitte September 2010 dokumentiert worden. Offensichtlich sei jedoch die knöcherne Heilung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen gewesen. Denn computertomographisch sei eine "zunehmende knöcherne Durchbauung" dokumentiert worden. Diese Terminologie lasse darauf schließen, dass die knöchernen Heilungsvorgänge noch nicht beendet gewesen seien. Eine freie Belastung sei zwar erlaubt gewesen, der Kläger habe jedoch nach wie vor Unterarmgehstützen benutzt. Ende Oktober 2011 sei nativradiologisch eine zunehmende knöcherne Durchbauung befundet worden. Im entsprechenden Arztbrief sei festgehalten, dass der Kläger immer noch auf den Gebrauch von Unterarmstockstützen und einen Rollstuhl angewiesen sei. Erst am 22. Februar 2013 sei dokumentiert worden, dass die Frakturen verheilt seien und dass er keine Schmerzmittel mehr einnehme. Solange die knöcherne Heilung noch nicht abgeschlossen gewesen sei, sei nach klinischer Erfahrung von einer eingeschränkten, weil unter Umständen schmerzhaften Belastbarkeit der betroffenen Extremität auszugehen. Dies gelte, auch wenn ärztlicherseits nach einem angemessenen Zeitraum nach dem Unfall, vorliegend Ende Januar 2011, prinzipiell eine volle Belastung gestattet worden sei. Erst mit Abschluss der knöchernen Heilungsvorgänge sei von einer freien Belastbarkeit der ehemaligen Frakturen auszugehen. Er stimme daher der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. von Anfang August 2016 zu. Wann die knöcherne Heilung abgeschlossen gewesen sei, sei nach Aktenlage nicht eindeutig beurteilbar. Zu diskutieren sei der Zeitraum zwischen dem 31. Oktober 2011 und 22. Februar 2013. Nach klinischer Erfahrung dürfte es wahrscheinlich sein, dass die knöcherne Frakturheilung am 31. Dezember 2011 beendet gewesen sei. Zusammenfassend gehe er davon aus, dass nach Erlass des Bescheides vom 8. Oktober 2010 behinderungsbedingte Funktionseinschränkungen länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abgewichen hätten. Der Stellungnahme von Dr. W. von Anfang August 2016 werde also dahingehend zugestimmt, dass nach dieser Verwaltungsentscheidung eine Konsolidierung der Frakturen eingetreten sei. Demzufolge sei es gerechtfertigt gewesen, spätestens ab 1. Januar 2012 den GdB herabzusetzen und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "B" und "aG" nicht mehr als gegeben anzusehen. Nach nochmaliger kritischer Durchsicht und Analyse der Akten habe er auf dieser Grundlage seine Beurteilung im Gutachten vom 20. Juni 2014 revidieren müssen. Diese habe er damals ausschließlich auf die klinischen Angaben gestützt, die dokumentierten radiologischen Befunde jedoch nicht hinreichend berücksichtigt.

Auf Nachfrage des Berichterstatters hat das Sekretariat von Prof. Dr. K. am 18. Mai 2017 bestätigt, dass der Kläger zwischen dem 31. Oktober 2011 und 22. Februar 2013 nicht untersucht worden ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Beklagten (2 Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung über seine und die Berufung des Beklagten entscheiden, da er ordnungsgemäß zum Termin geladen worden war (§ 110 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Rechtsmittel des Klägers und des Beklagten sind form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG), aber jeweils nur zum Teil begründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist aufgrund des vom Beklagten eingelegten Rechtsmittels der Gerichtsbescheid des SG vom 13. August 2015, soweit der Bescheid vom 14. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2013 aufgehoben worden ist, als er die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" vorliegen, ab 20. Oktober 2011 aufhob. Ob der vom Kläger umfassend eingelegen Berufung steht diese erstinstanzliche Entscheidung auch insoweit zur Überprüfung, als seine Klage, mit welcher er die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung in Bezug auf die Absenkung des GdB unter 80 sowie der Verneinung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "aG" und "B", jeweils ab 20. Oktober 2011, begehrt hat, abgewiesen wurde. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der vom Kläger erhobenen - isolierten - Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) der Erlass des Widerspruchsbescheides (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015 - B 9 SB 2/15 R -, SozR 4-1300 § 48 Nr. 31, Rz. 13).

Seine Berufung hat Erfolg, soweit die mit Bescheid vom 8. Oktober 2010 getroffenen Feststellungen rechtmäßig erst ab 23. Februar 2013 aufgehoben werden konnten. Die bereits ab 20. Oktober 2011 vorgenommene behördliche Aufhebung erfolgte daher rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Beklagte ist demgegenüber mit seinem Rechtsmittel erfolgreich, als ab 23. Februar 2013 die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht mehr vorlagen.

Grundlage für die vom Beklagten nach Anhörung des Klägers gemäß § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Schreiben vom 25. August 2011 vorgenommene teilweise Aufhebung des Bescheides vom 8. Oktober 2010 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Dabei liegt eine solche vor, soweit die Regelung nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so getroffen werden dürfte, wie sie ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, das sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung ist im vorliegenden Zusammenhang bei einer Besserung im Gesundheitszustand des Klägers auszugehen, wenn aus dieser die Verminderung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt (vgl. BSG, Urteil vom 11.November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 12 zur Erhöhung des Gesamt-GdB) oder die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Merkzeichens nicht mehr vorliegen. Im Falle solcher Änderungen ist der jeweilige Verwaltungsakt (teilweise) aufzuheben und durch die zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 - 9a RVs 55/85 -, juris, Rz. 11 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 V 2/10 R -, juris, Rz. 38 m. w. N.; Schütze, in von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rz. 4). Bei den mit Bescheid vom 8. Oktober 2010 getroffenen Feststellungen des GdB mit 80 sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen "G", "aG" und "B", jeweils seit 17. Mai 2010, also dem Tag, als sich der Motorradunfall ereignete, handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 6/12 R -, juris, Rz. 31 m. w. N.). In den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass dieser Verwaltungsentscheidung vorlagen, ist eine Änderung eingetreten, die dazu geführt hat, dass der GdB ab 23. Februar 2013 nur noch 40 beträgt und die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen "G", "aG" und "B" ab diesem Datum nicht mehr begründbar sind. Beim Kläger ist aufgrund des Heilungsprozesses, insbesondere der eingetretenen knöchernen Durchbauung der erlittenen Frakturen, eine wesentliche Änderung eingetreten.

Seine behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen rechtfertigten bis 22. Februar 2013 einen GdB von 80, anschließend keinen höheren als 40.

Der Anspruch des Klägers auf Feststellung des GdB richtet sich materiell-rechtlich nach § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und anderer Vorschriften vom 20. Juni 2011 (BGBl I S. 1114). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er-Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30. Juni 2011: § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellten und fortentwickelten Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig ihrer Ursache, also final, bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regel-mäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen - wie im Falle des Klägers - mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10, 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B -, juris, Rz. 5).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer (unbenannten) Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzel-fall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R -, juris, Rz. 13). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob der Senat im Berufungsverfahren Teil-GdB-Werte in anderer Höhe für richtig erachtet als der Beklagte oder die Vorinstanz, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung begründeten die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen des Klägers wegen der bei dem Motorradunfall im Mai 2010 erlittenen beidseitigen offenen proximalen Unterschenkelfrakturen (ICD-10 S82.7), der Weber-A-Fraktur im Bereich des rechten Außenknöchels (ICD-10 S82.6) sowie der Weichteilschäden vom Grad I bei offener Fraktur im Bereich des rechten Unterschenkels (ICD-10 S81.87) und vom Grad II bei geschlossener Fraktur im Bereich des linken Unterschenkels (ICD-10 S81.85), wie sie der sachverständige Zeuge Prof. Dr. K. nach dem anschließenden stationären Aufenthalt diagnostizierte, wobei ihm bei der im Entlassungsbericht aufgeführten Diagnose "Weichteilschaden vom Grad II bei geschlossener Fraktur oder Luxation im Bereich des Unterschenkels rechts" offensichtlich ein die Körperseite verwechselnder Wiedergabefehler unterlaufen ist, zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 8. Oktober 2010 für das Funktionssystem "Beine" einen Teil-GdB von 80, woraus sich auch der Gesamt-GdB in dieser Höhe ergab. Hiervon konnte sich der Senat letztendlich aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Prof. C., insbesondere im Berufungsverfahren im September 2016, überzeugen.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird der GdB für angeborene und erworbene Schäden an den Haltungs- und Bewegungsorganen entscheidend bestimmt durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung und Minderbelastbarkeit) sowie die Mitbeteiligung anderer Organsysteme. Die üblicherweise auftretenden Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt. Außergewöhnliche Schmerzen sind gegebenenfalls zusätzlich zu werten (vgl. VG, Teil A, Nr. 2 j). Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Gelenke können schwerwiegender als eine Versteifung sein. Bei Haltungsschäden und/oder degenerativen Veränderungen an Gliedmaßengelenken und an der Wirbelsäule (z. B. Arthrose, Osteochondrose) sind auch Gelenkschwellungen, muskuläre Verspannungen, Kontrakturen oder Atrophien zu berücksichtigen. Mit bildgebenden Verfahren festgestellte Veränderungen (z. B. degenerativer Art) allein rechtfertigen noch nicht die Annahme eines GdB. Ebenso kann die Tatsache, dass eine Operation an einer Gliedmaße oder an der Wirbelsäule (z. B. Meniskusoperation, Bandscheibenoperation, Synovialektomie) durchgeführt wurde, für sich allein nicht die Annahme eines GdB begründen. Der GdB bei Gliedmaßenschäden ergibt sich nach den VG, Teil B, Nr. 18.11 aus dem Vergleich mit dem GdB für entsprechende Gliedverluste. Trotz erhaltener Extremität kann der Zustand gelegentlich ungünstiger sein als der Verlust. Die aufgeführten GdB für Gliedmaßenverluste gehen, soweit nichts anderes erwähnt ist, von günstigen Verhältnissen des Stumpfes und der benachbarten Gelenke aus. Bei ausgesprochen ungünstigen Stumpfverhältnissen, bei nicht nur vorübergehenden Stumpfkrankheiten sowie bei nicht unwesentlicher Funktionsbeeinträchtigung des benachbarten Gelenkes sind diese Sätze im allgemeinen um 10 zu erhöhen, unabhängig davon, ob Körperersatzstücke getragen werden oder nicht. Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel mindern bei Verlust und Funktionsstörungen der Gliedmaßen sowie bei Funktionseinschränkungen des Rumpfes die Auswirkungen der Behinderung, ohne dass dadurch der durch den Schaden allein bedingte GdB eine Änderung erfährt. Bei der Bewertung des GdB von Pseudarthrosen ist zu berücksichtigen, dass straffe günstiger sind als schlaffe. Bei habituellen Luxationen richtet sich die Höhe des GdB außer nach der Funktionsbeeinträchtigung der Gliedmaße auch nach der Häufigkeit der Ausrenkungen. Für Endoprothesen werden nach den VG, Teil B, Nr. 18.12 Mindest-GdB angegeben, die für Implantate bei bestmöglichem Behandlungsergebnis gelten. Bei eingeschränkter Versorgungsqualität sind höhere Werte angemessen. Die Versorgungsqualität kann insbesondere beeinträchtigt sein durch eine Beweglichkeits- und Belastungseinschränkung, Nervenschädigung, deutliche Muskelminderung sowie ausgeprägte Narbenbildung. Die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte schließen die bei der jeweiligen Versorgungsart üblicherweise gebotenen Beschränkungen ein. Bei einseitiger Totalendoprothese im Kniegelenk beträgt der GdB mindestens 20. Eine Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk geringen Grades hat nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 einen GdB von 0 zur Folge; bei einem mittleren Grad (Heben/Senken 0-0-30°) beträgt er 10 und bei einem stärkeren 20. Die Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk eröffnet einen GdB-Rahmen von 0 bis 10. Eine Bewegungsstörung im Kniegelenk geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung 0-0-90°) ist nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 einseitig mit einem GdB zwischen 0 und 10 sowie beidseitig mit einem solchen zwischen 10 und 20 zu bewerten. Bei einem mittleren Grad (z. B. Streckung/Beugung 0-10-90°) ist bei einseitiger Betroffenheit ein GdB von 20 und bei beidseitiger von 40 vorgesehen. Liegt eine Bewegungseinschränkung stärkeren Grades vor (z. B. Streckung/Beugung 0-30-90°), führt die Einseitigkeit zu einem GdB von 30, die Beidseitigkeit zu einem solchen von 50.

Die Bewegungsstörung beider Sprunggelenke des Klägers war danach mit einem Einzel-GdB von 30 und die entsprechende Funktionsbehinderung beider Kniegelenke mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Nach der gutachtlichen Erhebung durch Prof. Dr. C. im Juni 2014 war das linke Sprunggelenk mit 0-0-30° mittelgradig eingeschränkt sowie das rechte mit 10° in der Hebung und 0° in der Senkung stärkergradig beeinträchtigt, wofür unter integrativer Betrachtung ein Einzel-GdB von 20 abzubilden ist. Seine vorgenommene Einschätzung der Sprunggelenke mit einem Einzel-GdB von 30 ist gleichwohl sachgerecht, wovon auch Dr. R. in seiner versorgungsärztlichen Einschätzung von November 2014 ausgegangen ist. Neben den betroffenen unteren Sprunggelenken war das rechte obere Sprunggelenk stärkergradig eingeschränkt und das untere wies ob der Verheilung des Bruches in ungünstiger Stellung eine Wackelsteifheit auf, welche ihrerseits einen Einzel-GdB von 10 bedingt. Der von Prof. Dr. C. vorgenommenen Bewertung eines Einzel-GdB von 30 für die Kniegelenke ist der Senat allerdings nicht gefolgt, da ein für den GdB relevantes Bewegungsdefizit nicht vorlag; indes ist hierfür keinesfalls ein Einzel-GdB von 20 überschritten. Der gutachterlich erhobene Befund von Mitte Juni 2014 entsprach mit den tagesüblichen Schwankungen demjenigen seit März 2011. Prof. Dr. K. wiederum stellte nach seiner ambulanten klinischen Untersuchung Mitte September 2010, also zuvor, die Bewegungsmaße nach der Neutral-0-Methode für das rechte Kniegelenk mit 0-0-130° und für das linke mit 0-0-110° fest. Nach der Untersuchung Ende Januar 2011 maß er rechts 0-0-100° und links 0-5-90°. Nach einer weiteren Untersuchung Ende Oktober 2011 ging er von einer Befundstagnierung im Vergleich zu den Voruntersuchungen aus, wobei die letzte Ende Januar 2011 stattfand. Nach der Untersuchung im Februar 2013 stellte Prof. Dr. K. die Werte für rechts mit 0-0-120° und für links mit 0-20-100° fest. Prof. Dr. C. selbst maß bei seiner Untersuchung Mitte Juni 2014 rechts 0-0-90° und links 0-0-150°. Hinzu kam bis zum Abschluss der knöchernen Heilungsvorgänge eine Minderbelastbarkeit durch die Frakturen; ein Zustand, welcher nach der schlüssigen Darlegung von Prof. Dr. C. prognostisch länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter des Klägers typischen Zustand abwich (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die hierdurch bedingten weiteren Funktionseinschränkungen rechtfertigten einen GdB von 80, wovon bereits die Versorgungsärztin Dr. M.-T. im Jahre 2010 ausgegangen war. Prof. Dr. C. hat überzeugend ausgeführt, dass nach klinischer Erfahrung von einer eingeschränkten, schmerzhaften Belastbarkeit der betroffenen Extremität auszugehen ist, solange die knöcherne Heilung noch nicht abgeschlossen ist. Dies gilt selbst dann, wenn, wie vorliegend, ärztlicherseits nach einem angemessenen Zeitraum nach dem Unfall, vorliegend Ende Januar 2011, prinzipiell eine volle Belastung gestattet wird. So war der Kläger Ende Oktober 2011 immer noch auf den Gebrauch von Unterarmstockstützen und einen Rollstuhl angewiesen. Im Bereich der beidseitigen Oberschenkelmuskulatur bestand eine deutliche Schwäche.

Mit dem Abschluss der knöchernen Heilung betrug der GdB indes wegen der Bewegungseinschränkungen der Beine, aber nunmehr ohne maßgebliche Minderbelastbarkeit, nur noch 40. Da der Beklagte ein eingeräumtes Recht teilweise aufhob, wirkt sich nach den Grundsätzen über die objektive Feststellungslast (vgl. BSG, Urteil vom 8. Oktober 1964 - 1 RA 63/62 -, juris, Rz. 18) die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu seinen Ungunsten aus. Die vollständige Konsolidierung der Frakturen ergab sich erst nach der ambulanten Untersuchung durch Prof. Dr. K. am 22. Februar 2013, als der Kläger ihn nach Oktober 2011 erstmals wieder konsultierte, was von dort im Mai 2017 auf telefonische Nachfrage bestätigt wurde. Bei der radiologischen Untersuchung im Herbst 2011 wurde eine erst zunehmende Konsolidierung auch der proximalen Fraktur des Tibiakopfes mit einem persistierenden umschriebenen zentralen Defekt festgestellt. Die Ausführungen von Prof. Dr. C., wonach es gerechtfertigt sei, ab 1. Januar 2012 den GdB herabzusetzen, vermochten den Senat nicht davon zu überzeugen, dass die knöchernen Durchbauungen früher eingetreten waren. Es selbst ging davon aus, dass sich nach Aktenlage nicht eindeutig beurteilen lässt, wann die knöcherne Heilung zwischen dem 31. Oktober 2011 und 22. Februar 2013 abgeschlossen war. Seine Einschätzung, wonach dies mit Ablauf des Jahres 2011 der Fall gewesen sein soll, fußt allein auf seiner klinischen Erfahrung, welche sich vorliegend nicht mit einem Befund hat untermauern lassen. Hinzu kommt, dass Dr. E. Anfang November 2011 wegen persistierender Beschwerden davon ausging, dass der Kläger sicher noch für den Zeitraum von mindestens sechs Monate auf die Versorgung mit Unterarmgehstützen und die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen sein würde, was dem entgegensteht. Letztendlich belegen damit erst die von Prof. Dr. K. am 22. Februar 2013 vorgenommenen Erhebungen, zumal radiologischer Art, dass die Frakturen ausgeheilt gewesen sind. In entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) konnte der Beklagte daher ab dem Folgetag eine Minderbelastbarkeit ausschließen und den geringeren GdB von 40 zugrunde legen. Dieser betrug wegen der sonstigen behinderungsbedingten Funktionsstörungen noch keine 50. Der festgestellten Beinverkürzung um 1 cm kommt für den GdB noch keine Bedeutung zu; nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 ist einer solchen Gesundheitsstörung erst ab 2,5 cm eine Relevanz beizumessen. Die Fehlstatik der Brustwirbelsäule durch eine keilförmige Deformierung des 11. Brustwirbelkörpers mit geringen funktionellen Auswirkungen bei nicht objektiviertem Defekt am Brustkorb erreicht nach den nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. C. ebenso wenig einen höheren Einzel-GdB als 10 (VG, Teil B, Nr. 18.9) wie die endgradige Einschränkung der Drehbeweglichkeit des rechten Unterarmes und des Grundgelenkes des zweiten Fingers rechts (VG, Teil B, Nr. 18.13), zumal sich eine Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogengelenkes nicht feststellen ließ. Die Funktionssysteme "Rumpf" und "Arme" erhöhen den Gesamt-GdB damit nicht (VG, Teil A, Nr. 3 d ee). Die während des stationären Aufenthaltes im Jahre 2010 festgestellte Eisenmangelanämie nach Blutverlust (ICD-10 D50.0) und die leichte depressive Episode (ICD-10 F32.0) führten jedenfalls nach Januar 2013 nicht mehr zu Teilhabeeinschränkungen. Der Gesamt-GdB beträgt daher 80 bis 22. Februar 2013 und anschließend 40.

Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen "G", "aG" und "B" liegen ab 23. Februar 2013 nicht mehr vor, da die Minderbelastbarkeit, welche die Gehfähigkeit beeinträchtigte und eine ständige Begleitung erforderte, weggefallen ist und für alle diese Nachteilsausgleiche Voraussetzung ist, dass weiter die Schwerbehinderteneigenschaft, also ein GdB von mindestens 50 (§ 2 Abs. 2 SGB IX), gegeben ist.

Die Feststellung von Merkzeichen richtet sich vorliegend ebenfalls nach den Vorschriften des SGB IX in der genannten Fassung. Auf Antrag des Menschen mit Behinderung treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX) und stellen auf Grund einer Anerkennung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).

Zu diesen Merkmalen gehört die erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr, also das Merkzeichen "G". Menschen mit Schwerbehinderung, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, werden von Unternehmerinnen oder Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert (§ 145 Abs. 1 SGB IX). Zu diesen Merkmalen gehört zudem die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung - SchwbAwV). Danach geht es um die Schaffung von Parkmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, mit beidseitiger Amelie oder Phokomelie oder vergleichbaren Funktionseinschränkungen sowie für blinde Menschen, insbesondere in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung oder Arbeitsstätte. Zu den Nachteilsausgleichen gehört ferner die Berechtigung für eine ständige Begleitung, also das Merkzeichen "B". Gemäß § 146 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sind zur Mitnahme einer Begleitperson Menschen mit Schwerbehinderung berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Die Feststellung bedeutet nach § 146 Abs. 2 Satz 2 SGB IX nicht, dass die Person mit Schwerbehinderung, wenn sie nicht in Begleitung ist, eine Gefahr für sich oder für andere darstellt. Mangels eines GdB von mindestens 50 für die Zeit nach dem 22. Februar 2013 ist der Kläger indes nicht mehr schwerbehindert (§ 2 Abs. 2 SGB IX), weshalb es bereits deshalb an den jeweiligen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "aG" und "B" fehlt.

Nach alledem hatten die Berufungen nur jeweils teilweise, im tenorierten Umfang, Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger erfolgreich war, soweit die Aufhebungsentscheidung des Beklagten hinsichtlich aller Regelungen für die Zeit bis 22. Februar 2013, also für etwa sechszehn Monate, aufzuheben war.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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