L 8 R 1040/15 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 976/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 1040/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 15.10.2015 teilweise geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13.7.2015 wird hinsichtlich der Säumniszuschläge in Höhe von 523 EUR angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Von den Kosten des gesamten Verfahrens trägt der Antragsteller fünf Sechstel, die Antragsgegnerin ein Sechstel. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 808,76 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nur insoweit begründet, als das Sozialgericht (SG) es abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 13.7.2015 hinsichtlich der Säumniszuschläge (SZ) anzuordnen. Im Übrigen hat sie keinen Erfolg.

1. Nach den vom SG zutreffend dargelegten Beurteilungsmaßstäben, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) bestehen aufgrund der im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung keine überwiegenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides der Antragsgegnerin, soweit diese Sozialversicherungsbeiträge auf tariflich geschuldetes Arbeitsentgelt auch in Höhe der vom Antragsteller gewährten Sachbezüge erhoben hat. Dies gilt unabhängig von der Frage, wie § 8 des maßgeblichen Entgelttarifvertrages für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen v. 4.5.2012 (Entgelt-TV) und § 6 des Manteltarifvertrages für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen (MTV) auszulegen sind.

a) Der Antragsteller versteht die Formulierung "ohne Kost und Wohnung" in § 8 Satz 1 Entgelt-TV dahingehend, dass sich die in § 5 Entgelt-TV geregelten Bruttoentgelte bei Gewährung von Kost und Wohnung um die in der Sachbezugsverordnung festgelegten Werte (§ 6 MTV) verringern. Dies entspreche auch der ständigen Handhabung des Tarifvertrages im Gaststätten- und Hotelgewerbe. § 8 Satz 2 Entgelt-TV und § 6 MTV verlangten lediglich, dass eine entsprechende Vereinbarung bei Abschluss des Arbeitsvertrages getroffen werden müsse. Eine dahingehende Auslegung der tarifvertraglichen Regelungen erscheint dem Senat nicht von vornherein ausgeschlossen. Sollte es im Hauptsacheverfahren darauf ankommen und für die Auslegung die ständige tarifliche Praxis von Bedeutung sein, könnte es sich gegebenenfalls anbieten, insoweit Auskünfte der Tarifvertragsparteien, insbesondere zu etwaigen das Verständnis der Vorschriften erhellenden Protokollnotizen, einzuholen (vgl. zur Zulässigkeit und den Voraussetzungen derartiger Ermittlungen BAG, Urteil v. 22.4.2010, 6 AZR 962/08, BAGE 134, 184 ff., juris-Rdnr. 32 m.w.N.).

b) Selbst wenn man die maßgebenden tariflichen Bestimmungen jedoch - entgegen dem SG und der Antragsgegnerin - in diesem Sinne auslegt, ist eine Anrechnung der gewährten Sachbezüge auf die tariflich geschuldeten Entgelte nach summarischer Prüfung im vorliegenden Fall jedenfalls hinsichtlich der Arbeitnehmer E und E1 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit unzulässig.

aa) Im Fall des Arbeitnehmers E scheidet eine Anrechnung schon deshalb aus, weil es insoweit an der von §§ 8 Satz 2 Entgelt-TV, 6 MTV geforderten Vereinbarung bei Abschluss des Arbeitsvertrages fehlt. Der vom Antragsteller selbst vorgelegte Arbeitsvertrag vom 1.4.2010 sieht - im Gegensatz zu den Arbeitsverträgen von Frau K und Herrn E1 - die Gewährung von Sachbezügen gerade nicht vor.

bb) Im Falle des Arbeitnehmers E1 scheitert eine Anrechnung, selbst wenn man sie tarifvertraglich für grundsätzlich zulässig hielte, voraussichtlich an § 107 Abs. 2 Satz 5 Gewerbeordnung (GewO).

(1) Nach § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO können Arbeitgeber und Arbeitnehmer zwar Sachbezüge als Teil des Arbeitsentgelts vereinbaren, wenn dies dem Interesse des Arbeitnehmers oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses entspricht. § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO schränkt dies jedoch dahingehend ein, dass der Wert der vereinbarten Sachbezüge die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen. Diese Vorschrift ist als Verbotsgesetz dahingehend zu verstehen, dass eine Anrechnung des Sachbezuges auf das Arbeitseinkommen dann ausscheidet, wenn die in Geld geleistete Nettovergütung und der Sachbezug in ihrer Summe nach §§ 850c Abs. 1, 850e Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) unpfändbar sind (BAG, Urteil v. 24.3.2009, 9 AZR 733/07, AP Nr. 22 zu § 611 BGB Sachbezüge).

(2) So liegt es mit überwiegender Wahrscheinlichkeit hier. Da der Arbeitnehmer E1 im gesamten Streitzeitraum in Lohnsteuerklasse III eingestuft war, liegt es nahe anzunehmen, dass er zumindest gegenüber einer Person gesetzlich unterhaltspflichtig war und sich der unpfändbare Betrag seines Arbeitseinkommens damit auf 1.289,99 EUR belief (Tabelle zu § 850c ZPO in der seinerzeit maßgeblichen Fassung). Diesen Betrag erreichte das ihm ausgezahlte Nettoeinkommen zuzüglich des Wertes der gewährten Sachbezüge jedoch bei weitem nicht.

cc) Lediglich bei Frau K wurde das pfändbare Arbeitseinkommen - äußerst knapp - überschritten. Mit Rücksicht darauf, dass der Ausgang des Hauptsachverfahrens noch offen ist angesichts der noch zu klärenden Frage, ob eine Anrechnung der Sachbezüge auf das Arbeitsentgelt nach Maßgabe der tarifvertraglichen Vorschriften überhaupt stattfinden darf, und angesichts des gemessen an der Gesamtnachforderung geringen auf Frau K entfallenden streitigen Betrages hat der Senat in Wahrnehmung seines von § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG eingeräumten Ermessens davon abgesehen, insoweit die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers anzuordnen, zumal Anhaltspunkte für eine besondere Härte im Falle des Antragstellers weder ersichtlich noch vorgetragen sind.

2. Anders verhält es sich demgegenüber, soweit die Antragsgegnerin SZ festgesetzt hat.

a) Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 v.H. des rückständigen auf 50,00 EUR nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (§ 24 Abs. 2 SGB IV).

Für die Frage, ob in diesem Sinne unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht vorgelegen hat, ist in Ermangelung anderer Maßstäbe auf diejenigen zurückzugreifen, die das BSG für die Beurteilung des Vorsatzes im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV entwickelt hat (BSG, Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7). Danach muss der Beitragsschuldner seine Beitragspflicht für möglich gehalten und die pflichtwidrige Nichtabführung der Beiträge zumindest billigend in Kauf genommen haben. Hierzu sind konkrete einzelfallbezogene Feststellungen zu treffen (vgl. im Einzelnen Senat, Beschluss v. 2.5.2017, L 8 R 618/16 B ER, juris m.w.N.).

b) Die Antragsgegnerin hat hierzu bislang lediglich festgestellt, es sei dem Antragsteller bekannt gewesen, dass der Entgelt-TV für allgemeinverbindlich erklärt worden sei. Das reicht zur Begründung bedingt vorsätzlicher Nichtzahlung der Beiträge auch in Höhe der gewährten Sachbezüge nicht aus. Diese Frage ist jenseits der Allgemeinverbindlichkeit des Entgelt-TV durch Auslegung der §§ 8 Entgelt-TV, 6 MTV zu klären. Auch wenn sich im Hauptsacheverfahren die Auffassung des Antragstellers hierzu als unrichtig herausstellen sollte, ist derzeit überwiegend wahrscheinlich, dass sie auf einem einfachen Rechtsirrtum, nicht aber auf bedingtem Vorsatz beruhte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung, die Entscheidung über den Streitwert auf §§ 52, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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