S 48 AS 3875/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
48
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 48 AS 3875/15
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 24.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2015 wird aufgehoben. 2. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 1.128,03 EUR zu gewähren. 3. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Übernahme der Kosten eines Kostenfestsetzungsbeschlusses.

Die 1975 geborene Klägerin ist psychisch erkrankt. Sie erhielt Arbeitslosengeld II (Alg II) bis zum 31.03.2014. Einem Vermerk des Beklagten zufolge meldete sich die Klägerin am 26.05.2014 dort mittellos. Ihr wurde ein Weiterbewilligungsantrag (WBA) mit weiteren Zusatzblättern und Checkliste ausgehändigt. Am 04.04.2014 übermittelte der Vermieter der Klägerin (S.) dem Beklagten per Fax ein an die Klägerin gerichtetes Schreiben. Darin heißt es, dass sich Mietrückstände erhöhen würden, weil die Miete vom Beklagten in Höhe von 13,73 EUR unterzahlt werde. In einem Aktenvermerk des Beklagten vom 11.07.2014 ist ein Gesprächsinhalt mit einem Mitarbeiter der S. festgehalten. Dem Beklagten wurde mitgeteilt, dass die Klägerin das Sorgerecht für ihre Tochter Hülya verloren habe und die Wohnung wegen Mietschulden gekündigt worden sei. Der Beklagte wies auf die Wohnungsnotstelle und Antragsstellung Alg II hin. Am 11.07.2014 erhielt der Beklagte ein Schreiben der Wohnungsnotstelle vom 09.07.2014, in der drohender Wohnungsverlust angezeigt und um Abzweigung zukünftiger Mietzahlungen und Vorauszahlungen an die Versorgungsunternehmen gebeten wurde. Auf diesem Schreiben wurde von einem Bediensteten der Beklagten handschriftlich vermerkt, dass die Kundin aktuell nicht im Leistungsbezug sei. Mit Fax vom 20.08.2014 übermittelte die S. ein an die Klägerin gerichtetes Schreiben, in dem ausgeführt ist, dass die Räumungsfrist wegen fristloser Kündigung am 04.07.2014 abgelaufen sei und die Mietrückstände 2.543,49 EUR betragen würden. Zur Vermeidung einer gerichtlichen Räumungs- und Zahlungsklage werde ihr Gelegenheit gegeben, das weitere Verfahren abzustimmen. Daraufhin leitete der Beklagte das Schreiben an die die Fachstelle für Wohnungsnotfälle weiter und teilte mit, dass die Klägerin nicht im Leistungsbezug sei und keinen Antrag gestellt habe.

Am 01.09.2014 stellt die Klägerin im Eingangsbereich des Beklagten erneut einen Weiterbewilligungsantrag. Das ausgefüllte und unterschriebene Formblatt wurde hierzu per Fax am 15.10.2014 vom P. Dienst der Klinik für Psychiatrie des U. eingereicht. Die Klägerin werde derzeit stationär behandelt und könne deshalb nicht persönlich vorbeikommen. Daraufhin bewilligte der Beklagte Alg II ab 01.09.2014, auf den Widerspruch der Klägerin mit Hinweis auf die frühere Antragsstellung ab dem 01.05.2014 (Bescheid vom 18.11.2014).

Im November 2014 wurde für Klägerin eine Betreuerin bestellt, weshalb die Räumung der Wohnung der Klägerin verhindert werden konnte. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Hamburg (AZ.: 44 C 427/14) vom 01.06.2015 wurden die von der Klägerin zu erstattenden Kosten für die Zahlungs- und Räumungsklage auf 1.128,03 EUR festgesetzt.

Den Antrag auf Übernahme dieser Kosten lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24.06.2015 ab.

Hiergegen erhob die Klägerin am 10.07.2015 Widerspruch. Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Beklagte die Kosten des Räumungsverfahrens zu tragen habe, da er zu Unrecht keine Leistungen bewilligt habe. Damit habe der Beklagte die Ursache für die Entstehung der Kosten gesetzt.

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2015 zurück. Für die Übernahme der geltend gemachten Kosten bestehe keine Rechtsgrundlage.

Hiergegen hat die Klägerin am 27.08.2015 Klage erhoben. Darin wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 24.06.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2015 zu verurteilen, an die Klägerin 1.128,03 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf seinen Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Prozessakte und die Leistungsakte des Beklagten verwiesen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 29.06.2017 gemacht worden sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Rechtsgrundlage der Entscheidung ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung vom 13.5.2011. Nach dieser Vorschrift werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung (KdU) in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.

Nach der Rechtsprechung des Bayrischen Landessozialgerichts (Urteil v. 30.01.2014, L 7 AS 676/13: juris) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 24.11.2011, B 14 AS 15/11 R, B 14 AS 58/09 R, beide Juris) können die durch eine Räumungsklage entstandene Kosten dann Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 S 1 SGB II darstellen, wenn der Grundsicherungsträger angemessene Unterkunftskosten nicht, nicht in voller Höhe oder verspätet geleistet hat und es dadurch zur Räumungsklage betreffend die angemessene Unterkunft gekommen ist. Es handelt sich dabei um eine Annexleistung zu den Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu einem tatsächlich eingetretenen und zum Zeitpunkt der Entstehung der Kosten nicht gedeckten Bedarf (vgl. BSG Urteil vom 22.03.2010 - B 4 AS 62/09 R -, juris, RdNr 17).

Im vorliegenden Fall ist es zu der Räumungsklage aufgrund einer verspäteten Bewilligung der Kosten der Unterkunft für die Zeit vom Mai bis November 2014 gekommen. Trotz mündlich gestelltem WBA der Klägerin am 26.05.2014 beim Beklagten, der an keine Form gebunden ist (vgl. BSG, Urteil vom 20.10.2009, B 14 AS 56/08 R: Juris), hat er es unterlassen, das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchzuführen. Denn er hat nicht gemäß § 16 Abs. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) darauf hingewirkt, dass die Klägerin klare und sachliche Anträge stellt und unvollständige Angaben ergänzt. Der Antrag gemäß § 37 Abs. 1 SGB II hat nämlich eine verfahrensrechtliche Bedeutung, indem der potentiell Hilfebedürftige durch Antragstellung dem Grundsicherungsträger signalisiert, dass er nunmehr die Einleitung des Verwaltungsverfahrens begehrt, dass grundsätzlich mit dem Erlass eines Verwaltungsaktes (Ablehnung oder Bewilligung der Leistungen) abgeschlossen wird. Den Beklagten treffen weitergehende Beratungs- und Aufklärungspflichten. Insbesondere § 66 Abs. 3 SGB I zeigt, dass ein Leistungsberechtigter nach Einleitung des Verwaltungsverfahrens nach § 8 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) darauf vertrauen kann, dass er auf Mitwirkungsversäumnisse schriftlich hingewiesen wird und zudem die Gelegenheit erhält, das Versäumte nachzuholen (BSG, Urteil. V. 28.10.2009, B 14 AS 56/08 R: juris).

Der Beklagte hat es nach Aushändigung des WBA an die Klägerin unterlassen, dafür Sorge zu tragen, dass der Antrag ausgefüllt und unterschrieben eingereicht wird, obgleich er wiederholt Anlass dazu hatte. Bereits im April 2014 nahm die S. Kontakt zum Beklagten auf und wies auf die Unterdeckung des Mietkontos hin. Des Weiteren erteilte der Beklagte auf die Information der S. und der Wohnungsnotstelle über die fristlose Kündigung der Klägerin im Juli 2014 zweimal eine falsche Auskunft, statt zu prüfen, ob er ggfs. zur Übernahme der KdU in Betracht komme. Denn dass der Beklagte hierfür zur Leistung verpflichtet sein könnte, lag durch den vormaligen Leistungsbezug der Klägerin bis zum 31.03.2014, die im Mai 2014 stattgehabte persönliche Antragsstellung, die Information des Vermieters über die soziale Situation der Klägerin sowie dem Umstand, dass der Beklagte während des früheren Leistungsbezugs die KdU direkt an die S. überwiesen hatte auf der Hand. Zuletzt hatte der Beklagte noch nach der fristlosen Kündigung am 04.07.2014 durch das an die Klägerin gerichtete und an ihn zur Information weitergeleitete Schreiben vom 20.08.2014 Gelegenheit gehabt, durch Hinwirken auf einen vollständigen WBA die KdU zu bewilligen.

Durch das Unterlassen der durch das Gesetz vorgeschriebenen Durchführung des Verwaltungsverfahrens hat der Beklagte eine Ursache dafür gesetzt, dass KdU verspätet gewährt und es zu einer Räumungsklage gekommen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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