L 8 U 2034/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 6113/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 2034/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Dient der Aufenthalt am Wochenende an einem außerhalb des Wohnsitzes gelegenen Ort nicht allein der Pflege verwandschaftlicher, familiärer oder freundschaftlicher Verbundenheit, sondern liegen ebenso gewichtige Umstände vor, die dem sonst üblichen häuslichen Aufenthalt am Wohnort entsprechen, ist das Zurücklegen des längeren direkten Weges zwischen diesem Ort und dem Ort der versicherten Tätigkeit auch versichert.
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 08.04.2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 12.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2011 aufgehoben und das Ereignis vom 29.05.2006 als Arbeitsunfall sowie eine Schädigung des unteren Teils des Plexus brachialis mit entsprechenden sensiblen Reiz- und Ausfallerscheinungen sowie ein therapieresistentes chronisches Schmerzsyndrom retroclaviculär und im Bereich der mittleren lateralen Halspartie links als dessen Folge festgestellt.

Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten mit Ausnahme der Kosten des Verfahrens vor dem SG zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Feststellung des Ereignisses vom 29.05.2006 (Vollbremsung mit dem Auto wegen eines überholenden, entgegenkommenden Autos) als Arbeitsunfall und von Unfallfolgen (hier: Schädigung des unteren Teils des Plexus brachialis mit entsprechenden sensiblen Reiz- und Ausfallerscheinungen sowie therapieresistentes chronisches Schmerzsyndrom retroclaviculär und im Bereich der mittleren lateralen Halspartie links) zusteht.

Die 1976 geborene Klägerin, bei der eine geburtstraumatische Tetraspastik besteht (Bericht Prof. Dr. K. vom 08.06.2009, Blatt 18/21 der Beklagtenakte) ist als Ärztin bei einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten versicherungspflichtig beschäftigt. Hinsichtlich der Folgen eines Ereignisses vom 11.04.2006, bei dem eine Kollegin der Klägerin mit dem Visitenwagen gegen das rechte Bein gefahren und die Klägerin gestürzt war, lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Rente ab (Bescheid vom 12.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 12.10.2011, Blatt 31, 135/136 der Beklagtenakte).

Mit Unfallanzeige vom 02.10.2007 (Blatt 1 der Beklagtenakte) zeigte der Arbeitgeber der Klägerin, die Rehabilitationsklinik Q. , Bad W. , der Beklagten einen Unfall der Klägerin vom 29.05.2006 an. Um 7:40 Uhr habe sie auf dem Weg zur Arbeitsstätte wegen eines im Überholvorgang befindlichen entgegenkommenden PKW mit ihrem Pkw eine Vollbremsung machen müssen. Dabei sei sie in den Gurt gedrückt worden. Sie habe sich am Hals, Nacken und der Schulter links verletzt und sich ein Schleudertrauma sowie eine Plexuszerrung zugezogen.

Im Bericht des Facharztes für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. St. vom 02.01.2007 (Blatt 4/5 der Beklagtenakte) wird berichtet, die Klägerin habe nach dem Unfall über Kribbelparästhesien und Schmerzen im linken Arm sowie der linken Schulter berichtet. Die Schmerzsymptomatik sei nicht besser geworden. Nach ihren Angaben sei eine Wandschädigung der A. subclavia der linken Schulter und ein gedecktes Aneurysma der A. vertebralis links festgestellt worden. Zusätzlich habe sich ein Thoracic outlet-syndrom ergeben. Die Klägerin sei darauf hingewiesen worden, dass ein Zusammenhang zu dem geschilderten Vorfall nicht hergestellt werden könne, da das Ereignis nicht geeignet sei, solche schwerwiegenden Schädigungen hervorzurufen.

Im Wegeunfallfragebogen (dazu Blatt 11//15 der Beklagtenakte) machte die Klägerin weitere Angaben und führte mit Schreiben vom 04.11.2007 (Blatt 16 der Beklagtenakte) aus, dass sie sich an den Wochenenden vor dem Unfall regelmäßig bei ihren Eltern aufgehalten habe und seither "bis auf wenige Unterbrechungen" immer bei ihnen wohne und dort versorgt werde.

Die Beklagte zog den Entlassungsbericht über eine vom 29.05.2006 bis 31.05.2006 durchgeführte stationäre Behandlung in der Neurologischen Klinik des Klinikums P. vom 08.06.2006 (Blatt 18/21 der Beklagtenakte) bei. Danach sei es bei der Klägerin am 29.05.2006 gegen 19:00 Uhr zu einer Hypästhesie der linken Hand sowie perioral und der linken Zungenhälfte gekommen. Es habe ein Flimmern vor dem linken Auge bestanden.

Der Facharzt für Neurologie Dipl. Psych. Dr. H. erstellte am 10.12.2008 (Blatt 69/98 der Beklagtenakte) im Auftrag der Beklagten ein Gutachten, in dem er angab, das Unfallereignis vom 29.05.2006 sei wesentliche Ursache bzw. Teilursache einer aufgetretenen Schädigung der unteren Anteile des Plexus brachialis links mit entsprechenden sensiblen Reiz- und Ausfallserscheinungen. Die Schädigung der unteren Anteile des Plexus brachialis links sei durch normale Verrichtungen des täglichen Lebens bzw. ganz ohne äußere Einwirkungen nicht eingetreten. Zusätzlich habe sich durch das Unfallereignis ein Schmerzsyndrom im Bereich der linken Halsregion entwickelt, welches sich im posttraumatischen Verlauf chronifiziert habe und trotz einer operativen Dekompression des Plexus brachialis nicht gebessert werden konnte.

Prof. Dr. K. von der Neurologischen Klinik im Klinikum P. gab mit Schreiben vom 01.04.2009 (Blatt 23 der Beklagtenakte) an, die Klägerin habe bei der notfallmäßigen Aufnahme am 29.05.2006 über ein Unfallereignis nicht berichtet.

Dr. D. , Allgemeinärztin, wies in ihrem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 19.06.2009 (Blatt 26 der Beklagtenakte) auf die Vollbremsung vom 29.05.2006 hin. Anschließend hätten Parästhesien der linken Hand, des linken Rachenbogens und die Schluckstörungen begonnen. Die Klägerin habe danach wieder gearbeitet, erst Mitte des Jahres 2006 habe sich die Stimmung verschlechtert, durch persitierende Schmerzen und die multiplen erfolglosen chirurgischen Eingriffe.

Mit Bescheid vom 12.11.2009 (Blatt 28/29 der Beklagtenakte) lehnte die Beklagte die Feststellung des Ereignisses vom 29.5.2006 als Arbeitsunfall ab. Das Ereignis sei nicht geeignet gewesen, die von der Klägerin geschilderten Beschwerden im Bereich der linken Halsseite und die Gefühlsstörungen im linken Arm zu verursachen. Die Beschwerden seien vielmehr als somatoforme Begleitsymptomatik einer bestehenden depressiven Verstimmung einzuordnen.

Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch (Blatt 34/35, 38 der Beklagtenakte), den die Beklagte unter dem 09.12.2009 notierte (Blatt 36 der Beklagtenakte). Zur Begründung machte die Klägerin u.a. geltend (Blatt 45/47 der Beklagtenakte), eine depressive Verstimmung habe zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalles nicht vorgelegen. Sie sei am 11.04.2006 wegen der Arbeit auf dem Klinikflur gestürzt. Durch den Sturz sei das periphere Nervensystem geschädigt worden mit der Folge, dass unmittelbar im Anschluss an den Sturz persistierende Schmerzen hinter dem Schlüsselbein sowie im Hals- und Armbereich mit ausstrahlenden Missempfindungen aufgetreten seien. Zwar sei hinsichtlich des Ereignisses vom 29.05.2006 zuzugeben, dass bei einer Vollbremsung die biomechanische Insassenbelastung in der Regel unter der bei einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung liege. Bei der bestehenden Vorschädigung müsse jedoch auch dieses Ereignis als Arbeitsunfall eingeordnet werden.

Der Beratungsarzt Dr. We. , Facharzt für Nervenheilkunde u.a., gab in seiner Stellungnahme von 27.04.2010 an (Blatt 49/52 der Beklagtenakte), eine Vollbremsung eines fahrenden Pkw könne ohne Kontaktberührung mit anderen Fahrzeugen nicht zu einer Schädigung des Nervensystems führen. Bei ihrer Aufnahme im Klinikum P. habe die Klägerin auch selbst über den Bremsvorgang oder über ein Unfallereignis nichts berichtet.

Prof. Dr. Pe. , Facharzt für Neurochirurgie, H. , führte in seinem Schreiben vom 17.05.2010 aus (Blatt 52a der Beklagtenakte), bekannt sei, dass die Klägerin Unfallereignisse für die Entstehung der Beschwerden anschulde. Ein zeitlicher Zusammenhang müsse wohl auch bestehen.

Prof. Dr. An. , leitender Oberarzt der Neurochirurgischen Klinik am Bezirkskrankenhaus G. , gab an (Schreiben vom 02.08.2010, Blatt 55/56 der Beklagtenakte), er habe die Klägerin am 06.03.2007 einem operativen Eingriff unterzogen. Bei dem Eingriff hätten sich keine traumabedingten Veränderungen i.S. von Narben im Operationsgebiet ergeben. Aus eigener Erfahrung wie auch aus der Literatur sei zwar bekannt, dass bei Patienten, "die ein Thoracic-outlet-Syndrom aufwiesen, Traumen im Bereich der Nacken- und Schultergürtelmuskulatur ein Thoracic-outlet-Syndrom auslösen könnten". Diese Verletzungen könnten auch noch mehrere Monate später das Thoracic-outlet-Syndrom herbeiführen. Zusammenfassend sei jedoch zu konstatieren, dass keine traumatischen Veränderungen im Operationssitus nachweisbar gewesen seien.

Nachdem der Beratungsarzt Dr. K. in seiner Stellungnahme vom 05.09.2010 (Blatt 60/61 der Beklagtenakte) ausgeführt hatte, es könne nicht von einer Verursachung durch das Ereignis vom 29.05.02006 ausgegangen werden, wies die Klägerin (Schreiben vom 23.11.2010, Blatt 65/66 der Beklagtenakte) darauf hin, dass bei ihr aus dem Unfall vom 11.04.2006 eine relevante Vorschädigung bestehe. So möge bei gesunden Menschen eine Vollbremsung nicht zu einer Schädigung des Nervensystems führen, bei ihrer Vorschädigung sei aber dies der Fall gewesen.

In einer Stellungnahme vom 08.06.2011 (Blatt 104 der Beklagtenakte) verwies Dipl.Ing. J. , V. AG, Unfallforschung, auf die Studie Becke/Castro u.s., "HWS-Schleudertrauma" 2000, NZV 2000, 225-272 (dazu vgl. Blatt 109/121 der Beklagtenakte).

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 30.06.2011 erneut darauf hingewiesen, dass sie beim Unfall bereits vorgeschädigt gewesen sei.

Der Beratungsarzt Dr. K. (Stellungnahme vom 11.07.2011, Blatt 125/126 der Beklagtenakte) gab an, die Vollbremsung sei als willentlich in Gang gesetzter Bewegungsablauf nicht geeignet, die HWS fehlzubelasten.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2011 (Blatt 135/136 der Beklagtenakte) den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie könne sich der Auffassung von Dr. H. nicht anschließen. Nach der einschlägigen wissenschaftlichen Lehrmeinung erfülle eine Vollbremsung ohne Kontaktberührung mit anderen Fahrzeugen für sich alleine nicht den Stellenwert eines Unfalles.

Am 17.11.2011 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Freiburg Klage erhoben (zum Verfahren betreffend den Unfall vom 11.04.2006 vgl. Az.: S 11 U 2231/11 (das Verfahren ruht)). Sie hat weder eine nähere Begründung vorgetragen noch die vom Gericht angeforderte Erklärung zur Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht vorgelegt.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 08.04.2014 die Klage abgewiesen. Selbst wenn es sich bei dem von der Klägerin geltend gemachten Ereignis um einen Unfall i.S.d. Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung gehandelt hätte, stehe doch das Vorliegen eines Ursachenzusammenhangs mit den Gesundheitsstörungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht fest. Aus dem Gutachten des Neurologen H. ergebe sich zwar die Annahme einer Ursächlichkeit für eine Schädigung des Plexus brachials. Diese Annahme werde jedoch durch die Feststellungen in den beratungsärztlichen Stellungnahmen des Nervenarztes Dr. We. und des Chiurgen Dr. K. in Zweifel gezogen. Insbesondere unter Berücksichtigung der Auskunft des Neurochirurgen Prof. Dr. An. ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine bei dem angeschuldigten Ereignis erlittene traumatische Schädigung.

Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 11.04.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 07.05.2014 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Die Auffassung der beratungsärztlichen Stellungnahmen, dass zu keinem Zeitpunkt ein verletzungsspezifischer Befund vorgelegen habe, sei nicht vollends begründet. So seien im Rahmen der operativen Eingriffe nicht die Bereiche freigelegt worden, bei denen die traumatischen Veränderungen hätten festgestellt werden können. Die durchgeführten Operationen seien nicht geeignet, die entsprechenden traumatischen Veränderungen zu beschreiben. Außerdem lägen neue apparative Befunde vor, die den unfallursächlichen Zusammenhang mit den anhaltenden Gesundheitsstörungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegten und der Schmerzlokalisation seit dem Unfall entsprächen. So sei in einer kernspintomographischen Untersuchung, durch die Praxis für Diagnostische Radiologie Prof. Dr. U. , F. , vom 14.10.2011 und 22.05.2014 (dazu vgl. Blatt 16/17, 18/19 der Senatsakte), eine entsprechender Befund erhoben worden, die den unfallursächlichen Zusammenhang des Arbeitsunfalles mit verletzungsspezifischen Veränderungen bestätigten. Aus ihrer Berufserfahrung als Ärztin in der Neuroradiologie könne sie diese verletzungsspezifischen Veränderungen im Nachhinein zurückverfolgen bis zu den MRT-Voraufnahmen aus dem Jahre 2006 (z.B. vom 07.06.2006). Sie habe bereits auf die Faktoren verwiesen, welche die individuelle "Harmlosigkeitsgrenze" eines Betroffenen beeinflussen könnten. Ihr persönlicher Habitus mit vorliegender angeborener körperlicher Behinderung (spastische Tetraparese) und die zusätzliche beim Sturz vom 11.04.2006 erlittene Vorschädigung der Halsweichteile links sei in der beratungsärztlichen Stellungnahme nicht entsprechend berücksichtigt. Sie leide seit dem für sie ursächlichen Wegeunfall zur Arbeit unter sehr starken Nervenschmerzen. Sie sei gezwungen, neben stationären chirurgischen Eingriffen auch eine sehr intensive ambulante Schmerzbehandlung anzunehmen, zum Teil viele und sehr starke Schmerzmedikamente (Lyrica, Targin, Oxycontin, Voltaren, Ibuprofen, Lidocain Pflaster und Durogesic Pflaster) über mehrere Jahre und in hohen Dosierungen einnehmen zu müssen, um ihr Erwerbstätigkeit als Ärztin aufrechterhalten zu können. Leider sei erst Jahre später ein verletzungsspezifischer Befund diagnostiziert worden. Es handele sich bei der bei diagnostizierten Unfallverletzung um ein sehr seltenes Krankheitsbild, auch seien umfangreiche Faktoren zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 08.04.2014 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 12.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2011 das Ereignis vom 29.05.2006 als Arbeitsunfall und eine Schädigung des unteren Teils des Plexus brachialis mit entsprechenden sensiblen Reiz- und Ausfallerscheinungen sowie ein therapieresistentes chronisches Schmerzsyndrom retroclaviculär und im Bereich der mittleren lateralen Halspartie links als dessen Folge festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Zu dem bestehenden Widerspruch zwischen dem neurologischen Gutachten und den beratungsärztlichen Stellungnahmen komme es auf eine persönliche Untersuchung nicht an. Die Untersuchungsbefunde aus der persönlichen Untersuchung des Dr. H. hätten von den beratenden Ärzten in deren medizinischen Würdigungen mit berücksichtigt werden können. Der Klägerin dürfte vor dem Hintergrund der eigenen beruflichen Erfahrungen bekannt sein, dass medizinische Befundauswertungen durchaus unterschiedlich ausfallen könnten. Deshalb sei gerade im Zusammenhang mit der Zurechnung zu einem Unfallereignis maßgebend, welche Beurteilung in sich schlüssig und nachvollziehbar sei. Zum Gutachten des Dr. H. sei anzumerken, dass dieses im Zusammenhang mit einem anderen Unfallereignis am 11.04.2006 erbeten worden sei. Deshalb sei weder schlüssig noch nachvollziehbar, dass das Ereignis vom 29.05.2006 hier unvermittelt allein auf der Grundlage der "anamnetischen Angaben der Probandin" als wesentliche Teilursache bewertet werde. Die beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. We. und Dr. K. seien dagegen nachvollziehbar. Dr. We. unterscheide sehr genau zwischen den Ereignissen vom 11.04.2006 und 29.05.2006 und der Zuordnung der geklagten Beschwerden. Zum Anderen sei im Zusammenhang mit seinem Hinweis auf die Studie von Prof. C. zu den Einwirkungen auf die Halswirbelsäule, die Frage durchaus berechtigt, wieso ein Bremsmanöver, bei dem es zu keiner Kollision mit anderen Fahrzeugen oder Gegenständen gekommen sei, zu einer Schädigung des Nervensystems führen solle. Dr. K. habe den mechanischen Vorgang einer Vollbremsung auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse, über die Konsens in der Literatur bestehe, dargestellt und erkläre nachvollziehbar, warum im vorliegenden Fall kein Zusammenhang bestehe. Soweit die Klägerin behaupte, dass die Feststellung des Dr. We. zu bereits bestehenden Vorerkrankungen falsch sei, sei dargestellt, worauf sie dies gründe. Unklar bleibe, woraus sich in den neu vorgelegten Befunden mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ergeben solle, dass ein Zurechnungszusammenhang zwischen den geklagten Beschwerden und der Vollbremsung am 29.05.2006 vorliege. Der seinerzeit zeitnah durchgeführte operative Eingriff vom 06.03.2007 habe gerade "keine traumabedingten Veränderungen im Sinne von Narben im Operationsgebiet" ergeben Im Aufsatz "HWS-Schleudertrauma" 2000 - Standortbestimmung und Vorausblick" werde ausgeführt, dass ein strenger wissenschaftlicher Beweis, der für eine begünstigende Vorschädigung der Wirbelsäule zur Überwindung der Harmlosigkeitsgrenze sprechen würde, nie erbracht worden sei. Dieser müsste aber gerade vorliegen, um den Anforderungen eines Vollbeweises zu genügen.

Die Klägerin hat nunmehr (Schreiben vom 01.11.2014, Blatt 23/26 der Senatsakte) ausgeführt, es sei unabdingbar, insbesondere wenn zusätzlich zu einem Arbeitsunfall eine schwere körperliche Behinderung vorliege, sich im Rahmen einer körperlichen Untersuchung ein Bild des Betroffenen zu machen. Auch seien im Rahmen des operativen Eingriffes vom 06.03.2007 nicht die Bereiche freigelegt worden, bei denen die traumatischen Veränderungen hätten festgestellt werden können. Auch Prof. Dr. An. , habe oberhalb ihrer Hauptschmerzregion intraoperativ fibröse Strukturen gesehen, die den Truncus inferior und medius komprimierten. Die Feststellung von Dr. We. , dass schon vor dem Jahre 2006 Sensibilitätsstörungen im Bereich der linken oberen Extremität vorhanden gewesen seien und eine im zeitlichen Vorfeld zum Unfall operative Freilegung der linken Scalenuslücke erfolgt sei, sei falsch.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines gefäßchirurgischen Gutachtens beim Oberarzt der Klinik für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin am Klinikum S., Dr. G ... Dieser hat in seinem Gutachten vom 02. 07.2015 (Blatt 36/60 der Senatsakte; Untersuchung am 18.06.2015; zum radiologischen Zusatzgutachten von Prof. Dr. R. /Dr. Ha. vgl. Blatt 61/63 der Senatsakte) ausgeführt, die geschilderte vermehrte Venenzeichnung des linken Handrückens sowie eine Schwellneigung habe bei der körperlichen Untersuchung der Klägerin nicht festgestellt werden können. Es lasse sich zusammenfassend sagen, dass als Folge des Unfalles vom 29.05.2006 auf gefäßchirurgischem Fachgebiet keine Gesundheitsstörungen bei der Klägerin vorlägen.

Die Klägerin hat sich mit Schreiben vom 03.11.2015 (Blatt 68/69 der Senatsakte) zur Begutachtung geäußert und mit Schreiben vom 19.03.2016 (Blatt 74/75 der Senatsakte) weitere ärztliche Unterlagen (Blatt 76/112 der Senatsakte) vorgelegt.

Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. A. , Facharzt für Neurologie, klinische Geriatrie und Rehabilitationswesen die Klägerin begutachtet. In seinem Gutachten vom 21.03.2016 (Blatt 117/153 der Senatsakte; Untersuchung am 11.03.2016) hat er ein therapieresistentes chronisches Schmerzsyndrom retroclavikulär und im Bereich der mittleren lateralen Halspartie links mit glaubhaft und in sich konsistent beschriebenen ständigen, als brennend und ziehend beschriebenen Schmerzen in dieser Region dargestellt. Grds. müsse aufgrund des Unfallmechanismus - ohne Aufprall und daher mit einer deutlich verzögerten negativen Beschleunigungswirkung einhergehend – davon ausgegangen werden, dass dieses Ereignis vom 29.05.2006 alleine nicht mit Wahrscheinlichkeit die beschriebenen Gesundheitsstörungen hervorgerufen haben werde. Allerdings müsse festgestellt werden, dass angesichts der pathologischen muskulären Tonussituation bei der Klägerin aufgrund ihrer angeborenen beinbetonten tetraspastischen Parese sicherlich eine andere biomechanische Ausgangssituation bestanden habe, und darüber hinaus nach plausiblen und durch die gesamte Aktenlage und Anamneseerhebung konsistenten Angaben der Klägerin ein ausgeprägtes Hämatom in diesem Bereich nach einem vorangegangenen Unfallereignis am 11.04.2006 in der Schulterregion links vorgelegen habe, auch wenn die Klägerin - selbst Ärztin - keine sofortige ärztliche Untersuchung für erforderlich gehalten habe.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 10.07.2016 und 12.11.2016 (Blatt 158/162, 164/180 der Senatsakte) weitere Unterlagen vorgelegt und u.a. ausgeführt, dass bei persistierenden Schmerzen vor kurzem eine Vorstellung bei einem Chirurgen der peripheren Nerven erfolgt sei, der von einem komplexen retroclavikulären Kompressionssyndrom durch eine traumatische Sternoklavikulargelenksluxation und Impression des clavikulären Köpfchens in den oberen Thoraxraum ausgehe. Sie beantrage Natalia Samoilenko als Zeugin zum Unfallgeschehen am 11.04.2006 zu hören, die während der Visite mit dem Visitenwagen von hinten gegen ihre Ferse gefahren sei, so dass sie das Gleichgewicht verloren habe und nach vorne gefallen sei. Dabei habe sie mit der linken Hand den Handlauf auf dem Stationsflur erreichen wollen, was nicht gelungen sei, sodass sie ungebremst auf den Boden geschlagen sei. Dabei sei es zu einem starken Aufprall auf den ausgestreckten linken Arm gekommen und sie sei mit dem Hals nach hinten überstreckt worden. Ebenso beantrage sie die Ladung von Prof. Dr. A. zur etwaigen Ergänzung seines schriftlichen Gutachtens unter dem Eindruck der Zeugenaussage. Da es sich bei der bei ihr diagnostizierten Unfallverletzung um ein seltenes und komplexes Krankheitsbild handele, wolle sie auf eine mündliche Anhörung nicht verzichten. Ende Juli 2016 sei der operative Eingriff durch PD Dr. M. B. erfolgt.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17.01.2017 hat Prof. Dr. A. ausgeführt, Dr. B. habe ein retroclavikuläres Engpasssyndrom links (Thoracic inlet Syndrom) bei V.a. fehlverhalten (gemeint ist sicherlich fehlverheilte) Fraktur im Sternoclavikulargelenk links nach Sturzereignis 2006 diagnostiziert, der Zustand nach Revision und Dekompression des Plexus brachialis linksseitig in G. 2007 und nach Dekompression und Teilresektion der 1. Rippe im Oktober 2007 in H. beschrieben. Ferner sei eine beinbetonte spastische Tetraparese nach Geburtstrauma referiert. In diesem Bericht sei festgestellt, dass im Rahmen der operativen Exploration vom 26.07.2016 die retroclavikuläre Kompression der Weichteile durch eine fehlverheilte Clavikula bestätigt werden konnte. Die Clavikula sei durch das Trauma nach medial hingedrückt worden, so dass es zu einer kolbenartigen Auftreibung des Köpfchens mit Luxation hinter das Sternum gekommen sei, wodurch ein Längendeffekt der Clavikula von ca. 1,5 cm im Vergleich zur Gegenseite sowie die medial betonte retroclavikuläre Enge resultierte. Bereits intraoperativ sei eine Abnahme der Armvenenstauung aufgefallen. Das vernarbte Gewebe retroclavikulär, insbesondere um den Plexus brachialis sei reseziert worden, die Nerven mit Fettgewebe ummantelt. In gleicher Sitzung sei auch die eingezogene Narbe submandibulär mit Dehiszenz des Platysma revidiert worden. Die vorangegangen operativen Eingriffe, die zur Dekompression des Plexus brachialis erfolgt seien, seien weiter lateral erfolgt, die fehlverheilte Fraktur im Sternoclavikulargelenk links sei im Vorfeld nicht festgestellt worden. Erst im Rahmen der operativen Exploration am 26.07.2016 habe diese nachgewiesen werden können, und durch Reposition des Sternoclavikulargelenkes eine Korrekturosteotomie der Clavikula, retroclavikuläre Dekompression, Neurolyse des Plexus brachialis links und Readaptation des Platysma submandibulär links behandelt werden können. Dass daraufhin schon intraoperativ eine Abnahme der Armvenenstauung zu beobachten gewesen sei, spreche für eine zuvor bestandene erhebliche pathologische Enge in diesem Bereich. Auch wenn er im Rahmen seiner umfangreichen Untersuchung der Klägerin und des Aktenstudiums von einer Hämatom-bedingten Vernarbung und Einengung und daraus folgend den beschriebenen Gesundheitsstörungen ausgegangen sei, und sich jetzt nicht nur ein Hämatom, sondern eine fehlverheilte Fraktur im Sternoclavikulargelenk links herausgestellt habe, ändere dies letztlich an seiner Einschätzung der Gesamtsituation nichts. Zum Zeitpunkt der Begutachtung am 11.03.2016 habe letztlich als Unfallfolge ein therapieresistentes chronisches Schmerzsyndrom retroclavikulär und im Bereich der mittleren lateralen Halspartie links festgestellt werden müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache begründet.

Mit der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage kann die Feststellung des streitigen Unfalls als Arbeitsunfall als auch der Unfallfolgen begehrt werden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren auch die Feststellung eines therapieresistenten chronischen Schmerzsyndrom retroclaviculär und im Bereich der mittleren lateralen Halspartie links begehrt ist die Berufung nicht deswegen unzulässig, weil sie dies so nicht schon beim SG beantragt hatte. Denn im Verfahren dort hatte das SG den Antrag formuliert, ohne, dass die Klägerin dies so bestimmt hatte. Auch hatte die Klägerin bereits im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens auf die Schmerzen als Unfallfolge hingewiesen, weshalb die Beklagte i.S. einer Ablehnung auch hierüber mit dem angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid entschieden hat. So hat der Widerspruchsbescheid ausdrücklich sich mit der Schmerzsymptomatik befasst.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R= SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, B 2 U 40/05 R= UV-Recht Aktuell 2006, 419-422, B 2 U 26/04 R= UV-Recht Aktuell 2006, 497-509, alle auch in juris).

Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. zuletzt BSG vom 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15, jeweils RdNr 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. dazu nur Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl. 2006, Vorb. v § 249 RdNr. 57 ff m. w. N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Bei mehreren Ursachen ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende (Mit-)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BSG, Urteile vom 09.05.2006, a.a.O.).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a. F. RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O. m.w.H.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N.).

Dass sich der Unfall ereignet hat als die Klägerin am Montag, 29.05.2006, von ihren Eltern kommend, wo sie regelmäßig die Wochenenden verbracht hatte, auf dem Weg zur Arbeit verunfallt war, steht der Annahme eines Arbeitsunfalles nicht entgegen. Denn nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Insoweit knüpft das SGB VII den Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung an die Ausübung einer versicherten Tätigkeit. Eine solche i.S.d. §§ 2, 3 und 6 SGB VII versicherte Tätigkeit hatte die Klägerin zum Unfallzeitpunkt am 29.05.2006 um 7:40 Uhr noch nicht aufgenommen, denn sie befand sich erst auf dem Weg zur Arbeit. Insoweit erweitert § 8 Abs. 2 SGB VII den Versicherungsschutz und zwar nicht dadurch, dass neben dem Arbeitsunfall bei einer versicherten Tätigkeit der Versicherungsschutz auf unversicherte Tätigkeiten ausgeweitet würde, sondern dadurch, dass bestimmte Wege schon vor Beginn bzw. nach Ende der an sich nach §§ 2, 3 und 6 SGB VII versicherten Tätigkeit diesen versicherten Tätigkeiten hinzugezählt werden. So heißt es in § 8 Abs. 2 SGB VII: "Versicherte Tätigkeiten sind auch.". Es wird mithin kein von § 8 Abs. 1 SGB VII unabhängiger zusätzlicher Versicherungsfall eines "Wegeunfalles" begründet, sondern der Unfall auf einem Weg i.S.d. § 8 Abs. 2 SGB VII der (noch nicht begonnenen oder schon beendeten) versicherten Tätigkeit hinzugerechnet.

Vorliegend war der Weg der Klägerin von ihren Eltern in S. zur Arbeit in Bad W. nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII Teil der versicherten Tätigkeit. Zwar befand sich die Klägerin nicht auf dem schnellsten bzw. kürzesten Weg von ihrem Wohnort in Bad W. zum Arbeitsplatz in Bad W. , doch kann im Einzelfall unter Beachtung der Handlungstendenz des Versicherten auch ein anderer Ort als der häusliche Bereich des Versicherten End- oder Anfangspunkt des versicherten Weges von und zum Ort der Tätigkeit sein (G. Wagner in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 8 SGB VII, RdNr. 188). Die Frage, ob ein anderer Ort als der häusliche Bereich Grenzpunkt eines versicherten Weges ist, muss danach beantwortet werden, ob der Weg vom Ort der Tätigkeit zu diesem anderen Ort oder von dort zum Ort der Tätigkeit rechtlich wesentlich von dem Vorhaben des Versicherten geprägt ist, sich zur Arbeit oder Ausbildung oder sonst versicherter Tätigkeit zu begeben oder von dieser zurückzukehren, oder aber davon, einen privatnützigen Zwecken dienenden Besuch am dritten Ort zu beginnen oder abzuschließen (G. Wagner in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 8 SGB VII, RdNr.188). Dabei kommt zunächst der Dauer des Aufenthaltes an diesem Ort Bedeutung zu, denn sie gibt nach der Rechtsprechung des BSG (BSG 27.08.1987 - 2 RU 70/85 - SozR 2200 § 550 Nr. 76 = BSGE 62, 113, 117; BSG 12.06.1990 - 2 RU 31/89 - SozR 3-2200 § 550 Nr. 2) einen ersten Anhaltspunkt über den inneren Zusammenhang des zurückgelegten Weges mit der nach § 8 Abs. 1 SGB VII versicherten Tätigkeit. Danach kann Unfallversicherungsschutz auf dem Wege von einem anderen Ort als der Wohnung zum Ort der Tätigkeit nur dann bestehen, wenn der Aufenthalt an dem dritten Ort zuvor mindestens zwei Stunden andauerte (BSG v. 05.05.1998 - B 2 U 40/97 R - SozR 3-200 § 550 Nr. 18 = BSGE 82, 138). Über diese zeitliche Mindestvoraussetzung hinaus muss der innere (sachliche) Zusammenhang der Zurücklegung des Weges mit der versicherten Tätigkeit gegeben sein, was nur noch dann der Fall ist, wenn der Weg zum dritten Ort unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls in einem angemessenen Verhältnis zu dem unmittelbaren Weg zwischen dem Ort der Tätigkeit und dem häuslichen Bereich steht, weil andernfalls die Prägung des Weges durch die eigenwirtschaftliche Tätigkeit am dritten Ort überwiegen würde G. Wagner in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 8 SGB VII, RdNr. 191). So gebietet es Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung nicht, auch unangemessen weite Wege zu einem dritten Ort unter Versicherungsschutz zu stellen (G. Wagner in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 8 SGB VII, RdNr. 191). Zwar fehlt danach der erforderliche innere Zusammenhang bei Besuchen zur Förderung verwandtschaftlicher bzw. familiärer Verbundenheit regelmäßig (G. Wagner in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 8 SGB VII, RdNr. 191). Doch konnte der Senat im Hinblick auf die schon vor dem Unfall der Klägerin bestehenden Behinderungen feststellen, dass der regelmäßige Aufenthalt am Wochenende bei den Eltern in S. (Wegezeitverlängerung um ca. 1 Stunde) nicht nur der familiären Verbundenheit gedient hatte, sondern auch der Unterstützung und Pflege der Klägerin, wie sie sie auch nach dem Unfall noch von Ihren Eltern erfahren hat. Damit überwiegen bei der morgendlichen Rückfahrt am 29.05.2006 vom Wohnort der Eltern zur Arbeitsstätte im Rehabilitationszentrum Q. Bad W. die Indizien, die für eine unfallversicherungsrechtlich geschützte Fahrt sprechen; diese geben der Fahrt das Gepräge. So war Ziel der Fahrt unmittelbar die Arbeitsstelle und nicht ein Zwischenstopp zuvor in der eigenen Wohnung in Bad W ... Auch war das Wochenende bei den Eltern weder ein vereinzeltes, der familiären Verbundenheit dienendes Ereignis gewesen, sondern eine regelmäßige Gewohnheit, die gerade auch der behinderungsbedingten Pflege und Entlastung der Klägerin gedient hat. Damit konnte der Senat feststellen, dass der regelmäßige Aufenthalt bei den Eltern, der auch der Fahrt zur Arbeit am 29.05.2006 ihr Gepräge aufdrückt, funktional an die Stelle des sonst üblichen häuslichen Aufenthalts am Wohnort der Klägerin trat (Bereiter-Hahn/Mehrtens, gesetzl. Unfallvers. § 8 Anm. 12.21a).

Der Senat stellt unter Beachtung der oben genannten Grundsätze fest, dass das streitige Ereignis vom 29.05.2006 nicht nur auf einem versicherten Weg eingetreten ist, sondern es hierbei durch äußere Einwirkung zu einem Gesundheitserstschaden i. S. der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII gekommen ist. Der Unfall hat bei der Klägerin zu einer Schädigung des unteren Teils des Plexus brachialis mit sensiblen Reiz- und Ausfallerscheinungen sowie als weitere Unfallfolge zu einem therapieresistenten chronischen Schmerzsyndrom retroclaviculär und im Bereich der mittleren lateralen Halspartie links geführt. Dagegen ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass bei diesem Unfall es nicht zu einer Gefäßerkrankung, z.B. i.S. eines Aneurhysma, wie dies Prof. Dr. U. angenommen hatte, gekommen war. Das entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. G. vom 02.07.2015, der eine solche Erkrankung nicht feststellen und auch nicht dem Unfall ursächlich zuordnen konnte.

1. Der versicherte Unfall vom 29.05.2006 hat bei der Klägerin hinreichend wahrscheinlich rechtlich wesentlich eine Schädigung des unteren Teils des Plexus brachialis mit sensiblen Reiz- und Ausfallerscheinungen verursacht. Dies entnimmt der Senat den Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. A. , dem Bericht des Dr. B. und der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. A ...

So hat die Klägerin Prof. Dr. A. den Unfall vom 29.05.2006 dahingehend geschildert, dass sie korrekt angeschnallt mit wahrscheinlich korrekt eingestellter Nackenstütze aus ca. 100 km/h eine Vollbremsung durchführen musste. Die bei diesem Bremsvorgang einwirkenden Kräfte wurden komplett vom Gurtzeug der Anschnallvorrichtung aufgefangen. Zwar handelt es sich mit Prof. Dr. A. daher am ehesten um einen einem Frontalauffahrunfall vergleichbaren Vorgang, allerdings wirkt die negative Beschleunigung bei einer Vollbremsung über einen deutlich längeren Zeitraum als bei einer Kollision, bei der die negative Beschleunigungswirkung sich über einen Bereich von 0,1 Sekunden erstreckt. Dies bedeutet, dass der einwirkende Impuls bei diesem Unfall niedriger gewesen war. So war es auch nicht zu Anprallverletzungen im Fahrzeuginneren gekommen. Da die Klägerin selbst Ärztin ist und anfangs von einer bloßen Prellung ohne größere Relevanz ausgegangen war, hatte sie sich zunächst nicht ärztlich untersuchen und ggf. vorhandene Verletzungen wie z.B. ein Hämatom im Bereich der Gutauflage am Schlüsselbein dokumentieren lassen.

Jedoch hat die Klägerin bereits am Abend des 29.05.2006 gerade über Beschwerden im Versorgungsgebiet – vor allem des unteren Teils des Plexus brachialis, einem Geflecht aus den ventralen Ästen der Spinalnerven der letzten vier Hals- und des ersten Brustsegments (Rückenmarkssegmente C5–Th1), das sich in einen oberhalb des Schlüsselbeins (supraclaviculären) und einen unterhalb des Schlüsselbeins gelegenen (infraclaviculären) Teil aufteilt und im infraclaviculären (unteren) Bereich die Versorgung des Arms bildet, beklagt. So hat der Bericht des Klinikum P. – Neurologische Klinik vom 08.06.2006 über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 29.05.2006 bis zum 31.05.2006 Hypästhesien der linken Hand beschrieben; die dort beschriebenen Kopfschmerzen werden vorliegend nicht als Unfallfolge geltend gemacht. Da sich cerebrale Störungen nicht fanden, kann eine solche als Ursache für die Hypästhesien des linken Armes ausgeschlossen werden.

Während in den nachfolgenden Untersuchungen und Operationen weitere auf den Unfall zurückgeführte Befunde nicht erhoben wurden, die neurologischen Beschwerden aber von der Klägerin als weiter bestehend und verschlimmert beschrieben wurden, hat Dr. B. bei seiner Untersuchung und Operation der Klägerin (Bericht vom 04.08.2016) ein retroclavikuläres Engpasssyndrom links (Thoracic inlet Syndrom) bei Verdacht auf fehlverheilte Fraktur im Stemoclavikulargelenk links, einen Zustand nach Revision und Dekompression des Plexus brachialis linksseitig in G. 2007 und einen Zustand nach Dekompression des Plexus brachialis links und Teilresektion der 1. Rippe Oktober 2007 in H. beschrieben und mit einer Reposition des Stemoklavikulargelenkes, einer Korrekturosteotomie der Klavikula, einer retroklavikulären Dekompression sowie einer Neurolyse (Beseitigung einer Einengung) Plexus brachialis links und einer Readaptation des Platysma submandibulär links am 26.07.2016 schon bei der Operation eine deutliche Besserung der Beschwerden erzielt. Bei der körperlichen Untersuchung war bei der Inspektion aufgefallen, dass das Köpfchen der Klavikula links sich nicht abzeichnete. Auch der Nervis sternocleidomastoideus war linksseitig nicht so prominent wie auf der Gegenseite. Die in die Hand ausstrahlenden Beschwerden bestanden bei hängendem Arm, bei Abduktion des Armes auf 90° bestand eine Entlastung. Dr. B. geht davon aus, dass es im Rahmen des Traumas zu einer Impressionsfraktur des Köpfchens der Klavikula gekommen war, mit einer entsprechenden Deformierung (die Klavikula war nach medial hin gedrückt worden, sodass es zu einer kolbenartigen Auftreibung des Köpfchens mit Luxation hinter das Sternum gekommen war). Hieraus resultierte ein Längendefekt der Klavikula von ca. 1,5cm im Vergleich zur Gegenseite sowie die medial (zur Körpermitte hin orientierte), betonte retroklavikuläre Enge.

Vorliegend konnte der Senat feststellen, dass das Schlüsselbein der Klägerin i.S. einer Impressionsfraktur des Köpfchens der Klavikula gebrochen ist, was zu einer kolbenartigen Auftreibung des Köpfchens mit Luxation hinter das Sternum und einem daraus resultierenden retroclavikulären Engpasssyndrom links im Bereich des Plexus brachialis links geführt hatte. Dies ist hinreichend wahrscheinlich rechtlich wesentlich auf den Unfall vom 29.05.2006 zurückzuführen. Insoweit konnte der Senat keine andere Ursache für diese Gesundheitsstörung feststellen, insbesondere konnten spätere versicherte oder unversicherte Unfalleinwirkungen auf diese Körperregion nicht festgestellt werden. Soweit die Klägerin im, September 2009 den rechten Oberarm gebrochen hatte, betrifft dies nicht das vorliegend erkrankte Körperareal. Der Bruch des linken Oberarmes 2007 hat aber auch nicht die vorliegend streitigen Gesundheitsschäden verursacht, denn diese bestanden bereits ab dem 29.05.2006, also vor dem Bruch des linken Oberarmes. dass dieser eine dauerhafte Verschlimmerung verursacht hätte konnte der Senat angesichts der Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und den Gutachten nicht feststellen. Soweit im Gutachten Dr. H. für den 02.12.2007 ein weiterer Auffahrunfall angegeben ist, konnte der Senat weder feststellen, dass dieser Unfall tatsächlich stattgefunden hat ¬ so hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass ein solcher Unfall nicht vorgelegen hatte, auch lässt sich den auch von der Beklagten vorgelegten ärztlichen Unterlagen, auch zeitnah zu Dezember 2006, auch anamnestisch ein solcher Unfall nicht entnehmen , noch dass ¬ einen solchen Unfall unterstellt ¬dieser zu Einwirkungen auf das vorliegend betroffene Körperareal oder zu Verschlimmerungen der vorliegend streitigen Gesundheitsstörungen geführt hatte ¬ denn solche lassen sich gerade den Gutachten nicht entnehmen.

Darüber hinaus besteht ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 29.05.2006 mit den erstmals bereits am 29.05.2006 im Klinikum P. geklagten Beschwerden des linken Armes, mithin des Versorgungsgebietes des unteren Plexus brachialis. Das aber alleine genügt grds. noch nicht, einen Unfallzusammenhang hinreichend wahrscheinlich anzunehmen. Auch spricht gegen einen Unfallzusammenhang, dass grds. eine Vollbremsung, wie von Prof. Dr. A. dargelegt eine geringere negative Beschleunigung aufweist, als ein Aufpralltrauma, und daher das Schlüsselbein regelmäßig nicht zu brechen im Stande ist. Jedoch musste der Senat insoweit berücksichtigen, dass die körperliche Konstitution der Klägerin, mit der sie dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung unterlag, vorliegend gerade nicht der Zustand eines gesunden, "normal" gebauten Körpers ist. Vielmehr hat auch Prof. Dr. A. darauf hingewiesen, dass in Folge der schon vorbestehenden Behinderung der Klägerin bei pathologischer muskulärer Tonussituation eine andere biomechanische Ausgangssituation bestanden hatte, und darüber hinaus nach den plausiblen und durch die gesamte Aktenlage und Anamneseerhebung konsistenten Angaben der Klägerin ein ausgeprägtes Hämatom in diesem Bereich nach einem vorangegangenen Unfallereignis am 11.04.2006 in der Schulterregion links von Prof. Dr. A. angenommen und als glaubhaft bestätigt werden konnte.

Insoweit sieht es der Senat als hinreichend wahrscheinlich an, dass der Unfall vom 29.05.2006, bei dem die Klägerin durch die Vollbremsung und den über das linke Schlüsselbein verlaufenden Gurt einem erheblichen Druck im Bereich des linken Schlüsselbeines, bei dem Prof. Dr. A. einen behinderungsbedingt pathologischen Muskeltonus angegeben hatte, bei der Klägerin zu einer Impressionsfraktur des Köpfchens der Klavikula mit nachfolgender kolbenartigen Auftreibung des Köpfchens mit Luxation hinter das Sternum und einem daraus resultierenden retroclavikulären Engpasssyndrom links im Bereich des Plexus brachialis links geführt hatte; Dr. H. hatte diesen Zustand 2008 bereits mit einer aufgetretenen Schädigung der unteren Anteile des Plexus brachialis links mit entsprechenden sensiblen Reiz- und Ausfallerscheinungen beschrieben. Diese Unfalleinwirkung war für das Entstehen dieses Erkrankungszustandes rechtlich wesentlich; andere Ursachen für das Entstehen dieses Zustandes konnten auch Prof. Dr. A. und auch nicht die Beratungsärzte der Beklagten darstellen.

Selbst wenn der Unfall vom 11.04.2006 schon zu einer Verletzung des Schlüsselbeins geführt haben sollte, so konnte der Senat jedenfalls die nachfolgende kolbenartige Auftreibung des Köpfchens mit Luxation hinter das Sternum und einem daraus resultierenden retroclavikulären Engpasssyndrom links im Bereich des Plexus brachialis links diesem Unfall nicht zuordnen. Denn neurologische Beeinträchtigungen, die dem Versorgungsgebietes des Plexus brachialis zuzuordnen wären, waren erst aufgetreten, nachdem die Klägerin am 29.05.2006 in Folge der Vollbremsung einem besonderen Druck auf die Schlüsselbeinregion ausgesetzt war. Hätte also der versicherte Arbeitsunfall vom 11.04.2006 bereits zur Impressionsfraktur des Schlüsselbeinköpfchens geführt, hatte das Unfallereignis vom 29.05.2006 durch Auftreibung des Köpfchens mit Luxation hinter das Sternum und einem daraus resultierenden retroclavikulären Engpasssyndrom links im Bereich des Plexus brachialis links einen eigenständigen zusätzlichen Gesundheitszustand hinreichend wahrscheinlich rechtlich wesentlich verursacht, der dem Unfall vom 11.04.2006 nicht i.S. einer Kausalfolge zugerechnet werden kann. Die am 29.05.2006 auf das Schlüsselbein einwirkenden Druckkräfte der Gurtstraffung bei Vollbremsung sind nicht mit einer diesen Körperteil betreffenden Alltagsbelastung gleichzustellen, was die Austauschbarkeit der Unfalleinwirkung mit einer jederzeit auftretenden anderen Alltagsbelastung bedingen würde. Maßgebend zur Bewertung einer Alltagsbelastung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht das Unfallereignis als solches (z. B. die Tatsache eines Sturzes etc.) bzw. der generell zum Tragen gekommene Kraftaufwand, sondern die Intensität der Einwirkungen auf das verletzte Organ (ständige Rechtsprechung des Senats vgl. Senatsurteile vom 23.03.2012 - L 8 U 884/11 -, juris Rn. 36, zuletzt vom 22.02.2017 - L 8 U 2444/14 - , unveröffentlicht). Eine Alltagsbelastung ist damit nicht nach der individuellen Lebensführung des Versicherten zu beurteilen, sondern abstrakt danach, welche Verhaltensweisen in der Lebensführung in der Bevölkerung verbreitet vorzufinden sind und nach allgemeiner Anschauung als alltägliche, nur mäßiggradig belastende Verrichtungen gelten (Senatsurteil vom 23.03.2012 a.a.O.). Hierzu zählt der Kraftimpuls aus einer Gurtstraffung bei Vollbremsung nicht. Dass der Kraftimpuls grundsätzlich ungeeignet war, ein gesundes Organsystem zu schädigen, ist rechtlich ohne Belang (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 30.06.2017 - L 8 U 2553/15 - , juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Befunde über eine leichte Ansprechbarkeit im Sinne einer jederzeitigen Luxation des Schlüsselbeinköpfchens liegen nicht vor. Damit hätte die Unfalleinwirkung am 29.05.2006 eine ¬ unterstellte ¬ vorbestehende Krankheitsanlage, die angenommene Schlüsselbeinfraktur ab April 2006, wesentlich im Sinne einer symptomatisch gewordenen, jetzt aktuell eingetretenen Luxation verschlimmert. Da aber im vorliegend Rechtsstreit nur eine Schädigung des unteren Teils des Plexus brachialis mit entsprechenden sensiblen Reiz- und Ausfallerscheinungen sowie ein therapieresistentes chronisches Schmerzsyndrom retroclaviculär und im Bereich der mittleren lateralen Halspartie links als Unfallfolge festzustellen begehrt wurde, musste der Senat lediglich feststellen, ob diese Gesundheitsstörungen Folge des Unfalles vom 29.05.2006 sind. Ob dagegen die Impressionsfraktur des Schlüsselbeins beim Unfall am 11.04.2006 oder – was der Senat eher annimmt – am 29.05.2006 aufgetreten ist, konnte daher offenbleiben.

Gegen einen Unfallzusammenhang der Schädigung des unteren Teils des Plexus brachialis mit entsprechenden sensiblen Reiz- und Ausfallerscheinungen spricht nicht, dass erst im Jahr 2016 bei Dr. B. die Ursache für die Beschwerden der Klägerin gefunden wurde. Denn die Beschwerden waren seit dem neurologischen Bericht des Klinikums P. vom 29.05.2006 durchgehend von der Klägerin konsistent und nachvollziehbar beschrieben worden. Auch konnte Dr. B. mit dem von ihm gefundenen traumatischen Befund diese durchgehend bestehenden Beschwerden für den Senat überzeugend erklären und dem Unfallgeschehen am 29.05.2006 zuweisen.

Dass die früheren Operateure in dem von ihnen behandelten Bereich eine Unfallverletzung nicht haben feststellen können, liegt – worauf die Klägerin bereits früh hingewiesen hat – mit daran, dass diese gerade nicht das von Dr. B. und von der Klägerin als verletzt beschriebene Areal untersucht und behandelt haben. Auch dass im Rahmen der Operation vom 26.10.2007 ausgeprägte fibrotischen Veränderungen festgestellt wurden, jedoch keine typischen Veränderungen in Form von Einblutungen, steht dem vorliegend vom Senat zur Überzeugung festgestellten Kausalzusammenhang nicht entgegen. Denn Prof. Dr. A. konnte dem Senat überzeugend darlegen, dass zum Zeitpunkt dieser Operation das Trauma bereits mehr als ein Jahr zurück gelegen hatte und daher solche Einblutungen nicht mehr zu erwarten gewesen waren. Vielmehr sind zur Bildung solcher fibrotischen Veränderungen endogene oder exogene Noxe zu fordern, was z.B. auch ein Hämatom mit Kompression der umgebenden Strukturen darstellen könnte. Ein solches Hämatom hat Prof. Dr. A. im Hinblick auf die in sich konsistenten und plausiblen, sehr nüchtern dargelegten Beschwerdeschilderungen der Klägerin angenommen. Dem schließt sich der Senat an. Zumal andere Ursache für die fibrösen Strukturen im Plexusbereich links bei zeitnahem Auftreten der Beschwerden nach dem Unfall vom 29.05.2006 nicht ersichtlich sind.

Zwar beschreibt Prof. Dr. A. vorliegend eine "ausgesprochen komplexe Sachlage bei erst mit großer Latenz stattgefundener Unfallanzeige, sich zum Teil widersprechenden radiologischen MRT-Befundungen, und fehlender initialer objektivierter Untersuchungsbefunde, insbesondere im Hinblick auf ein Hämatom im linken Clavikulabereich". Jedoch konnte der Senat angesichts der zuvor beschriebenen Umstände, der medizinischen Befunde und der Schilderungen der Klägerin die für die Feststellung der Kausalität ausreichende hinreichende Wahrscheinlichkeit der rechtlich wesentlichen Verursachung der Schädigung des unteren Teils des Plexus brachialis mit entsprechenden sensiblen Reiz- und Ausfallerscheinungen durch das Unfallereignis vom 29.05.2006 feststellen.

2. Darüber hinaus konnte der Senat auf Grundlage des Gutachtens von Prof. Dr. A. , insbesondere auch dessen ergänzender Stellungnahme feststellen, dass das Unfallgeschehen vom 29.05.2006 bei der Klägerin ein therapieresistentes chronisches Schmerzsyndrom retroclavikulär und im Bereich der mittleren lateralen Halspartie links hinreichend wahrscheinlich rechtlich wesentlich verursacht hat.

Prof. Dr. A. konnte in seinem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme darstellen, dass bei der Klägerin ein therapieresistentes chronisches Schmerzsyndrom retroclavikulär und im Bereich der mittleren lateralen Halspartie links besteht. Dieses hatte auch schon Dr. H. in seinem Gutachten vom 10.12.2008 beschrieben und auf den Unfall vom 29.05.2006 zurückgeführt. Zu derselben Einschätzung ist auch Prof. Dr. A. gelangt. Insoweit konnte der Senat angesichts der zuvor festgestellten Verletzungen der Auftreibung des Klavikulaköpfchens mit Luxation hinter das Sternum und einem daraus resultierenden retroclavikulären Engpasssyndrom links im Bereich des Plexus brachialis links, die bis zum August 2016 nicht ausreichend behandelt worden war, feststellen, dass sich aus den Folgen des Unfalles vom 29.05.2006 ein therapieresistentes chronisches Schmerzsyndrom retroclavikulär und im Bereich der mittleren lateralen Halspartie links entwickelt hatte. Dieses ist damit auch rechtlich wesentlich hinreichend wahrscheinlich auf den Unfall vom 29.05.2006 zurückzuführen.

Damit konnte der Senat feststellen, dass das Ereignis vom 29.05.2006 als versichertes Ereignis i.S. einer von außen auf den Körper einwirkenden Kraft zu einer Schädigung des unteren Teils des Plexus brachialis mit entsprechenden sensiblen Reiz- und Ausfallerscheinungen sowie einem therapieresistenten chronischen Schmerzsyndrom retroclaviculär und im Bereich der mittleren lateralen Halspartie links geführt hat. Es handelt sich daher um einen versicherten Arbeitsunfall, der als solcher sowie mit den Unfallfolgen vorliegend festzustellen war.

3. Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen nicht für erforderlich. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen haben mit den Gutachten dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen für die rechtliche Bewertung des Ereignisses vom 29.05.2006 als Arbeitsunfall und für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs mit den hieraus resultierenden Unfallfolgen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Eine weitergehende Einvernahme von Prof. Dr. A. – insoweit hat die Klägerin schon keine weitergehenden zu beantwortenden Fragen aufgeworfen – und der Zeugin ist daher nicht erforderlich.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass die Klägerin zwar obsiegt hatte, im Rahmen des Klageverfahrens vor dem SG sich jedoch nicht geäußert, keinen Antrag gestellt und auch die Ermittlung des Sachverhalts mangels Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht erschwert hatte, weshalb sie trotz Obsiegens die insoweit angefallenen Kosten selbst zu tragen hat.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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