L 3 R 405/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 7 R 408/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 R 405/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1967 geborene Kläger absolvierte von September 1983 bis Juli 1985 eine Ausbildung zum Kfz-Schlosser (vgl. Facharbeiterzeugnis vom 15. Juli 1985) und war bis März 1993 als Kfz-Mechaniker erwerbstätig. Es folgten verschiedene Berufstätigkeiten, überwiegend als Kraftfahrer. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit (mit Leistungsbezug) war der Kläger ab dem 01. September 2008 selbständig als Kurierfahrer für verschiedene Auftraggeber tätig, wobei er keine Beiträge mehr zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtete und sich privat krankenversicherte. Am 11. Oktober 2009 erlitt er bei seiner Tätigkeit einen schweren Verkehrsunfall mit Polytrauma (geschlossene Schädelbasisfraktur, Schädel-Hirn-Trauma Grad 2 mit nachfolgendem organischen Psychosyndrom, Frakturen der Klavikula beidseits, Unterarmschaft- und Radiusgelenk-Trümmerfraktur rechts, Lungenkontusion, Innenknöchel- und Mittelfußfraktur rechts, Unterschenkelfraktur links etc, vgl. Bericht des H Klinikum B vom 16. Oktober 2009). Aufgrund seiner freiwilligen Mitgliedschaft erkannte die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (im Folgenden: BG) den Unfall als Arbeitsunfall an und gewährte dem Kläger bis zum 09. April 2011 Verletztengeld und im Anschluss daran eine Verletztenrente zunächst als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 v.H. (vgl. Bescheid vom 16. Februar 2012), ab dem 01. Oktober 2012 als Dauerrente nach einer MdE von 50 v.H. (vgl. Bescheid vom 20. September 2012) bzw. 60 v.H. (vgl. Abhilfebescheid vom 21. Oktober 2014).

Am 28. Juni 2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente wegen der Unfallfolgen mit Epilepsie, Bewegungseinschränkungen im linken oberen Sprunggelenk, linken Kniegelenk und rechten Handgelenk, verbleibender Implantate, seelischer Belastung, Schmerzen und Gleichgewichtsstörungen. Er legte die Berichte des H Klinikum B vom 16. Oktober 2009, der Rehabilitationsklinik M vom 15. Januar 2010, der S Rehabilitationsklinik S vom 14. Juni 2010 sowie der O Kliniken GmbH (im Folgenden: Klinik O) vom 03. Dezember 2010 und 04. März 2011 vor.

Die Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Facharztes für Psychiatrie Dr. K vom 23. August 2011 sowie ein Gutachten durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 03. April 2012 ein. Dr. S stellte nach Untersuchung des Klägers die Diagnosen "posttraumatisches symptomatisches Anfallsleiden sowie rezidivierende depressive Verstimmungen, leichtgradig". Das Leistungsvermögen des Klägers beurteilte sie als aufgehoben für eine Kraftfahrertätigkeit jedoch noch für 6 Stunden und mehr arbeitstäglich für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Wechsel der Haltungen und ohne Nachtschicht. Wegefähigkeit, zumindest zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sei gegeben. Sie führte aus, eine epileptische Wesensänderung sei nicht gegeben und die mitgeteilten kognitiven Defizite könnten nicht bestätigt werden. Bei der Untersuchung hatte der Kläger über zwei epileptische Anfälle am 05. Juli 2010 und 20. Dezember 2010 sowie Anfallsfreiheit nach Umstellung der Medikation auf Kreppa berichtet.

Mit Bescheid vom 03. Mai 2012 lehnte die Beklagte die Gewährung von Erwerbsminderungsrente ab. Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren verwies der Kläger auf seine weiteren Behinderungen und legte die im Auftrag der BG erstellten neurologischen und unfallchirurgischen Gutachten von Prof. Dr. Sch/ Dr. H vom 20. Juli 2011 und Dr. V vom 10. Juni 2011 nebst Ergänzung vom 16. Dezember 2011 vor. Im Auftrag der Beklagten begutachtete der Facharzt für Orthopädie Dr. R den Kläger und stellte nach dessen Untersuchung in seinem Gutachten vom 24. August 2012 die weiteren Diagnosen "Bewegungseinschränkung linkes oberes und unteres Sprunggelenk nach operativ behandelter Fraktur, geringgradiges Streckdefizit linkes Kniegelenk nach operativ behandelter proximaler Tibiafraktur und Kompartmentsyndrom sowie Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes nach operativ behandelter distaler Radiusfraktur". Er hielt den Kläger aus orthopädischer Sicht noch für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten vollschichtig belastbar. Das Leistungsvermögen für eine Tätigkeit als Kurierfahrer sei aufgehoben, jedoch für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht gefährdet oder gemindert. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 2012 zurück.

Mit der am 15. November 2012 beim Sozialgericht Neuruppin (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Rentenbegehren weiterverfolgt. Die Beklagte habe die schweren Unfallfolgen und die darüber hinaus bestehenden Erkrankungen nicht ausreichend gewürdigt. Er sei nicht in der Lage, mehr als drei Stunden täglich zu arbeiten. Das Gutachten von Dr. R sei ungenau und teilweise falsch. So habe er einen unsicheren Gang, Probleme beim Treppensteigen, eine Verbiegung der Wirbelsäule, einen Schulterschiefstand, ein deformiertes rechtes Handgelenk, eine Beinverkürzung von 1,5 cm, eine Deformation der Mittelfußknochen rechts. Es sei offen, wie der Sachverständige zu seiner Einschätzung komme und welche Tätigkeit noch möglich sei. In dem Gutachten von Dr. S werde falsch festgestellt, dass Unfallursache ein Anfallsleiden sei und dass keine epileptische Wesensveränderung vorliege. Trotz Medikamente träten noch kleine fokale Anfälle auf. Der letzte Anfall mit Bewusstlosigkeit und Notarzteinsatz sei am 05. August 2012 gewesen. Die benannte Tagesaktivität spreche nicht für Erwerbsfähigkeit, sondern gegen Pflegebedürftigkeit. Sämtliche beschriebene Beschwerden hätten sich verschlechtert. Der Kläger hat den Ausführungsbescheid des Landesamtes für Soziales und Versorgung Brandenburg vom 19. März 2013 über das Vorliegen eines Grades der Behinderung (GdB) von 70 sowie der Voraussetzungen des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung) für die Zeit ab dem 10. Juni 2011 vorgelegt.

Das SG hat Befundberichte von den behandelnden Ärzten des Klägers, dem Facharzt für Psychiatrie Dr. K vom 28. April 2013 (nur neurologische Führung und medikamentöse Einstellung der Epilepsie) sowie dem Durchgangsarzt (Chefarzt der chirurgischen Abteilung in der Klinik O) Dr. S vom 30. Oktober 2013 eingeholt. Letzterem beigefügt war u.a. der Entlassungsbrief der Klinik O vom 18. August 2011 (operative Behandlung einer Basisfraktur des Mittelfußknochens V links nach Umknicken auf unebenem Boden bei unfallbedingten sensiblen Missempfindungen im linken Fuß).

Im Auftrag des SG hat die Chirurgin Dr. Ham 08. August 2014 ein sozialmedizinisches Gutachten nach Untersuchung des Klägers am 28. Juli 2014 erstellt. Die Sachverständige hat als beim Kläger bestehende Gesundheitsstörungen festgestellt:

1. Posttraumatisches Anfallsleiden nach stattgehabtem Verkehrsunfall. 2. Zustand nach Schädelhirntrauma zweiten Grades. 3. Rezidivierende depressive Episoden. 4. Funktionseinschränkung im Bereich des rechten Handgelenkes nach operativ versorgter Unterarm- und komplizierter Handgelenksfraktur rechts. 5. Funktionseinschränkung im Bereich des linken oberen und unteren Sprung- gelenkes. 6. Funktionseinschränkung im Bereich des linken Kniegelenkes.

Das Leistungsvermögen des Klägers sei aus chirurgisch-orthopädischer Sicht nicht quantitativ, sondern nur qualitativ eingeschränkt, da es sich nicht um schwerste Funktionseinschränkungen handele. Der Kläger könne noch vollschichtig leichte körperliche Arbeiten überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit des Wechsels zum Stehen und Gehen und ohne Überkopf-, Leiter- und Gerüstarbeiten, Bücken, Hocken, Knien und besonderer Beanspruchung des rechten Armes verrichten. Wegefähigkeit sei gegeben. Hinsichtlich der vom Kläger beklagten Schmerzen bei Belastung wäre neurologischerseits zu prüfen, ob eine Optimierung der Schmerzmedikation bei auch neuropathischem Schmerz im Bereich des linken Fußes, Sprunggelenkes und Unterschenkels möglich sei. Wegen der beklagten Konzentrationsschwäche sei eine neurologische Testung und Begutachtung notwendig.

Anschließend hat der vom SG beauftragte Facharzt für Neurologie B am 30. Juni 2015 ein Sachverständigengutachten nach Untersuchung des Klägers am 12. Februar 2015 erstellt. Hierbei hat er die Ergebnisse des vom Dipl.-Psych. Dr. H am 26. Juni 2015 nach Testung des Klägers am 07. April 2015 erstellten neuropsychologischen Zusatzgutachtens mitberücksichtigt. Bei der Untersuchung durch den Dipl.-Psych. H war in den Zeichnungen ein feinschlägiger Tremor aufgefallen. Zudem hatte der Kläger im Nachgang zu dieser Untersuchung Dipl.-Psych. H per Email über einen erneuten epileptischen Anfall mit Sturz und Rippenprellung am 20. April 2015 berichtet.

Der Sachverständige B hat auf neurologischem Gebiet die Diagnosen gestellt:

1. Symptomatische Epilepsie nach SHT 2. Grades mit frontalen Kontusions- blutungen, Schädelbasisfraktur und traumatischer Subarachnoidalblutung. 2. Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion.

Diese Leiden bedingten qualitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit: Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an laufenden Maschinen und Fahrtätigkeiten seien wegen der Epilepsie nicht möglich. Aufgrund der Anpassungsstörung seien Arbeiten mit erhöhtem Zeitdruck und erhöhter Stressbelastung sowie Nachtschicht auszuschließen. Ansonsten bestehe beim Kläger eine vollschichtige Leistungsfähigkeit unter Beachtung der orthopädisch-chirurgisch festgestellten Einschränkungen. Die Wegefähigkeit sei erhalten.

Der Kläger hat die Gutachten kritisiert: Er habe bei der Untersuchung durch den Sachverständigen unter erheblichem Medikamenteneinfluss gestanden, da er wegen der Schmerzen auf der Hinfahrt eine Ibuprofen 800 zusammen mit Pantoprazol 40 eingenommen habe. Die Angaben zu Motorik und Sensibilität seien falsch. Die Fehlstellung des Mittelfingers und Auswachsungen am rechten Handgelenk führten unabhängig vom Alkohol zu dem beschrieben Tremor. Seine neurologische Erkrankung nach Frontalhirnsyndrom bewirke eine Störung der Motorik, ein schlechtes Zeitgedächtnis und ein gestörtes Sozialverhalten. Die Auswirkungen der gesichert diagnostizierten mittelgradigen Depressivität mit Schlafstörungen auf die Leistungsfähigkeit seien nicht hinreichend gewürdigt worden.

Das SG hat von dem Sachverständigen B eine ergänzende Stellungnahme vom 19. November 2015 eingeholt, der bei seiner Beurteilung des Leistungsvermögens geblieben ist und ausgeführt hat, dass der Kläger über eine Ibuprofeneinnahme bei der Untersuchung nicht berichtet habe; diese stelle auch keine Kontraindikation bzgl. einer vollschichtigen Tätigkeit dar. Die Gleichgewichtsstörung sei durch den Romberger Standversuch (leicht schwankend) und den Unterberger Tretversuch (leicht unsicher) objektiviert worden. Jedoch habe sich ein weitgehend sicheres, lediglich leicht links betont hinkendes Gangbild gezeigt. Dies führe nur zu den benannten qualitativen Einschränkungen. Die Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus führe unter entsprechender Schlafhygiene und Alkoholkarenz zu keiner Leistungseinschränkung. Durch Urteil vom 08. April 2016 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe gemäß § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Nach allen vorliegenden Gutachten scheide ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente wegen § 43 Abs. 3 SGB VI aus, da beim Kläger noch eine sechsstündige Leistungsfähigkeit für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe. Die Kammer halte die Gutachten von Dr. H, Dipl.-Psych. H und dem Sachverständigen B für schlüssig und nachvollziehbar. Daraus bilde sich die Überzeugung für ein vorliegendes Leistungsvermögen, das über sechs Stunden liege. Den erneuten epileptischen Anfall vom 20. April 2015, den der Kläger an Dipl.–Psych. H per Mail nachgemeldet habe, sei dem Sachverständigen B bei seiner Begutachtung im Februar 2015 natürlich unbekannt gewesen. Aus der nachgereichten Unfallmeldung vom 27. April 2015 ergebe sich ein Sturz in der Häuslichkeit und eine Thoraxprellung. Insgesamt seien demnach beim Kläger seit 2010 viermal epileptische Anfälle aufgetreten; dem werde mit dem Ausschluss von Leiter- und Gerüstarbeiten, Arbeiten an laufenden Maschinen und einer Fahrtätigkeit qualitativ Rechnung getragen.

Gegen das ihm am 25. April 2016 zugestellte Urteil richtet sich der Kläger mit seiner am 24. Mai 2016 eingelegten Berufung. Unter Bezugnahme auf die weitere unfallmedizinische Begutachtung aus den Jahren 2013 und 2014 verfolgt er sein Rentenbegehren weiter. Das Gutachten von Frau Dr. H sei mangelhaft, da es nur teilweise Messungen nach der Neutral-Null-Methode enthalte. Der Dipl.-Psych. Hhabe bei seiner Untersuchung verkannt, dass sein von ihm beschriebenes Verhalten Ausdruck seiner psychischen Erkrankung infolge der Hirnschädigung sei. Der Gutachter habe seinen Vorurteilen freien Lauf gelassen und sehe fehlerhaft Charaktermängel statt einer Erkrankung. Wegen der umfangreichen Unfallfolgen auf neurologischem und chirurgischem Gebiet hätte das SG ein Obergutachten einholen müssen, welches die Auswirkungen der diversen Funktionseinschränkungen auf die Leistungsfähigkeit im Zusammenhang würdige. Aufgrund der Bewegungseinschränkungen an mehreren Körperteilen komme eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen in Betracht. Er sei seit dem Unfall durchgehend voll erwerbsgemindert. In einem für die Krankenkasse am 21. Februar 2011 erstellten Gutachten sei er als vollständig arbeitsunfähig sowie berufsunfähig eingestuft worden. Auch beziehe er seit dem Jahr 2011 (aufstockend) Arbeitslosengeld II vom Jobcenter.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 08. April 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 03. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt unter Bezugnahme auf eine beratungsärztliche Stellungnahme der Internistin Dr. Ebert vom 07. Dezember 2016 aus, beim Kläger lägen nur qualitative Einschränkungen vor. Zwar bestehe letztlich seit dem Unfall durchgehend Arbeitsunfähigkeit als Kraftfahrer, jedoch sei eine Leistungsunfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bereits nach dem Abschlussbericht der ersten berufsgenossenschaftlichen Rehabilitation nicht mehr zu begründen. Zudem reicht sie einen Versicherungsverlauf vom 26. Juli 2016 zur Akte und legt dar, dass im Hinblick auf die vorhandenen Lücken (01. September 2008 bis zum 28. Februar 2013 und ab dem 17. August 2013 fortlaufend) die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmalig bei einem Versicherungsfall im September 2010 erfüllt seien.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der BG Verkehr beigezogen und hieraus in Kopie das Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. K vom 09. September 2013 nebst ergänzenden Stellungnahmen vom 20. August und 09. Oktober 2014 (unfallchirurgische MdE 40 v.H., Beweislage bzgl. einer posttraumatischen Epilepsie wie auch eines hirnorganischen Psychosyndroms sei nicht überzeugend), das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. T vom 28. November 2013 nebst ergänzender Stellungnahme vom 25. September 2014 (allenfalls leichtgradiges hirnorganisches Psychosyndrom, posttraumatische Epilepsie mit seltenen sekundär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen und nach den nicht gesicherten Angaben des Klägers einmal wöchentlich auftretenden einfach fokalen Anfällen (Auren), periphere Nervenschädigung am linken Unterschenkel z.T. als Ausdruck einer alkoholbedingten Polyneuropathie) und das gefäßchirurgische Gutachten von Dr. S / Dr. T vom 12. November 2013 (kein Anhalt für eine periphere arterielle Verschlusskrankheit) zur Gerichtsakte genommen.

Im Auftrag des Senats hat sodann die erstinstanzliche Sachverständige Dr. H zu den nach ihrer Untersuchung des Klägers zur Akte gelangten medizinischen Unterlagen unter dem 08. November 2016 ergänzend gutachtlich Stellung genommen. Sie hat ausgeführt, nach dem Unfall habe Arbeitsunfähigkeit längstens bis zum 10. April 2011 bestanden. Die lange Dauer erkläre sich dadurch, dass nach Verheilung der Brüche die mit Krankenhausaufenthalten verbundene Metallentfernung sowie nach Auftreten von Krampfanfällen eine entsprechende Diagnostik und Therapie notwendig gewesen seien. Ab dem 11. April 2011 sei der Kläger als leistungsfähig für den allgemeinen Arbeitsmarkt für mehr als sechs Stunden täglich anzusehen.

Im Erörterungstermin der Senatsvorsitzenden vom 09. März 2017 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere des Vorbringens der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte, die bei Entscheidungsfindung vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten im Erörterungstermin vom 09. März 2017 ihr Einverständnis hierzu erklärt haben.

Die frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet.

Das angefochtene Urteil des SG Neuruppin vom 08. April 2016 wie auch der Bescheid der Beklagten vom 03. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2012 erweisen sich als rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach seinem gemäß § 115 Abs. 1 SGB VI am 28. Juni 2011 gestellten Antrag.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (medizinische Voraussetzung), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (versicherungsrechtliche Voraussetzung). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (medizinische Voraussetzung), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (versicherungsrechtliche Voraussetzung). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist erwerbsgemindert nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Zudem haben nach § 240 Abs. 1 SGB VI auch Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweise Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, die vor dem 02. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind.

Der Kläger erfüllte weder bei Rentenantragstellung am 28. Juni 2011 noch erfüllt er zu einem späteren Zeitpunkt die in §§ 43 Abs. 1 und 2, 240 Abs. 1 SGB VI genannten Voraussetzungen für eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Ein Anspruch nach § 240 Abs. 1 SGB VI scheitert schon daran, dass der Kläger erst im Jahre 1967 geboren wurde.

Zwar hat der Kläger ausweislich des Versicherungsverlaufes vom 26. Juli 2016 die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (60 Kalendermonaten) an Beitragszeiten (§§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 51 Abs.1, 55 Abs. 1 SGB VI) bereits im Oktober 1988 erfüllt. Jedoch lagen bei der Rentenantragstellung im Juni 2011 weder die besonderen versicherungsrechtlichen noch die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI vor.

Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nach § 43 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI i. V. m. § 122 Abs. 1 SGB VI lagen letztmalig am 30. September 2010 vor. Zu diesem Zeitpunkt verfügte der Kläger in dem vorhergehenden Fünf-Jahres-Zeitraum vom 30. September 2005 bis zum 29. September 2010 letztmalig über drei Jahre (= 36 Kalendermonate) mit Pflichtbeiträgen wegen einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit, nämlich vom 30. September 2005 bis zum 31. August 2008. Denn im Versicherungsverlauf des Klägers sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nach § 55 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 SGB VI zuletzt für die Zeit vom 01. März bis zum 16. August 2013 (sechs Kalendermonate) und davor durchgehend für die Zeit vom 27. September 1999 bis zum 31. August 2008 enthalten. In der Zeit vom 01. September 2008 bis zum 18. Februar 2013 ist kein den Fünf-Jahres-Zeitraum verlängernder Tatbestand im Sinne von § 43 Abs. 4 SGB VI erfüllt.

Gemäß § 43 Abs. 4 SGB VI verlängert sich der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind: 1. Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, 2. Berücksichtigungszeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine ver-sicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflicht-beitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nr. 1 oder 2 liegt, 4. Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

Die Zeit der selbständigen Tätigkeit vom 01. September 2008 bis zum Arbeitsunfall am 11. Oktober 2009 erfüllt keinen rentenrechtlichen Tatbestand und damit auch keinen der zuvor aufgeführten Verlängerungstatbestände. Die Zeit der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit ab dem 11. Oktober 2009 mit Bezug von Verletztengeld bis zum 09. April 2011 erfüllt zwar die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, wonach Anrechnungszeiten Zeiten sind, in denen Versicherte wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sind. Gleichwohl stellt sie gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 SGB VI keine Anrechnungszeit dar, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen worden ist. Ebenso wenig erfüllt die Zeit der Arbeitsunfähigkeit ab dem 11. Oktober 2009 den Verlängerungstatbestand des § 43 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI, da in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeit kein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und auch keine Zeit nach Nr. 1 (Anrechnungszeit oder Zeit des Bezuges einer Rente wegen Erwerbsminderung) oder Nr. 2 (Berücksichtigungszeit, vgl. § 57 SGB VI wegen Kindererziehung) liegt. Sofern der Kläger in der Zeit nach dem Ende des Verletztengeldbezuges sich wegen Arbeitslosigkeit bei der Agentur für Arbeit (bzw. Jobcenter) bis Ende Februar 2013 durchgehend als Arbeitssuchender gemeldet hat, scheitert die Berücksichtigung dieser Zeit als Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI ebenfalls an der hierfür nach § 58 Abs. 2 Satz 1 SGB VI geforderten Unterbrechung einer versicherten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit. Diese Zeit der Arbeitslosigkeit stellt aus den gleichen Gründen wie die vorhergehende Zeit der Arbeitsunfähigkeit keinen Verlängerungstatbestand nach § 43 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI dar.

Soweit der Kläger in der Zeit vom 10. April 2011 bis zum 28. Februar 2013 Arbeitslosengeld II bezogen hat, liegt zwar eine Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB VI vor, die eine Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit ausschließt (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 4 SGB VI). Dieser Verlängerungstatbestand im Sinne von § 43 Abs. 4 Nr.1 SGB VI verhilft jedoch nicht zur Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach dem 30. September 2010, da nach dem letzten Pflichtbeitrag im August 2008 für die Zeit bis zum 09. April 2011 eine mehr als zweijährige (rentenschädliche) Lücke im Versicherungsverlauf des Klägers verbleibt. Bei Annahme eines Versicherungsfalles im Zeitpunkt der Rentenantragstellung am 28. Juni 2011 würde sich der Fünf-Jahres-Zeitraum vom 28. Juni 2006 bis zum 27. Juni 2011 um die Anrechnungszeit vom 10. April bis zum 27. Juni 2011 (zwei Monate und 18 Tage) auf die Zeit ab dem 10. April 2006 verlängern, in dem nur 29 Kalendermonate (10. April 2006 bis zum 31. August 2008) mit Beitragszeiten für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen. Auch bei einem späteren Eintritt der vollen oder teilweisen Erwerbsminderung, etwa am 01. September 2013 würde bei Verlängerung des Fünf-Jahres-Zeitraumes vom 01. September 2008 bis zum 31. August 2013 um die Anrechnungszeit vom 10. April 2011 bis zum 28. Februar 2013 (22 Monate und 19 Tage) auf die Zeit ab dem 13. Oktober 2006 gleichwohl nur 29 Kalendermonate mit Beitragszeiten für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen, d.h. für die Zeit vom 13. Oktober 2006 bis zum 31. August 2008 (23 Monate) und vom 01. März bis zum 16. August 2013 (6 Monate).

Auch wenn der Kläger aufgrund der beim Arbeitsunfall am 11. Oktober 2009 erlittenen multiplen Verletzungen und deren über sechs Monate andauernden intensiven Behandlungsbedürftigkeit zumindest bis zum Abschluss der Intensivrehabilitationsmaßnahmen, d.h. zuletzt der erweiterten ambulanten Physiotherapie in der Sana Rehabilitationsklinik Sommerfeld GmbH vom 21. Januar bis zum 18. Juni 2010, nicht nur arbeitsunfähig sondern auch voll erwerbsgemindert gewesen sein dürfte, würde dieser Umstand nicht den in § 43 abs. 4 Nr. 1 SGB VI weiter aufgeführten Verlängerungstatbestand "Zeiten des Bezuges einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit" erfüllen. Hierfür ist in der Regel der tatsächliche Bezug einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erforderlich. Zeiten in denen zwar ein Rentenstammrecht bestand, aber wegen des fehlenden Antrages keine Rente bezogen wurde, reichen nicht aus (vgl. Ulrich Freudenberg in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 43 Rn. 287; Bundessozialgericht (BSG) Urteile vom 27. Januar 1994 – 5 RJ 18/93 –, in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 43, und 17. Januar 2005 – B 13 RJ 1/04 R -, in juris).

Zwar ist nach § 43 Abs. 5 SGB VI eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, mit dem die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist. Die Voraussetzungen des hier für eine vorzeitige Wartezeiterfüllung allein in Betracht kommenden Tatbestandes des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist die allgemeine Wartezeit auch erfüllt, wenn der Versicherte aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit vermindert erwerbsfähig geworden ist. Dies gilt jedoch nach § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB VI nur, wenn der Versicherte vor Eintritt des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit versicherungspflichtig war oder in den letzten zwei Jahren davor mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat. Weder war der Kläger vor Eintritt des Arbeitsunfalls am 11. Oktober 2009 versicherungspflichtig noch hat er in den letzten zwei Jahren davor, d.h. in der Zeit vom 11. Oktober 2007 bis zum 10. Oktober 2009, mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge aufzuweisen, da der letzte Pflichtbeitrag im August 2008 war. Eine vorzeitige Erfüllung der allgemeinen Wartezeit nach § 53 Abs. 2 SGB VI scheidet bereits deshalb aus, weil der Kläger nicht vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker im Juli 1985 voll erwerbsgemindert war.

Auch sind bei Vorliegen der in § 241 Abs. 2 SGB VI genannten weiteren Voraussetzungen Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Auf diese Regelung kann sich der Kläger jedoch nicht berufen, da er erst ab Beginn seiner Berufsausbildung zum Kfz-Mechaniker im September 1983 Beiträge zur Rentenversicherung entrichtete, so dass vor dem 01. Januar 1984 die Mindestversicherungszeit von fünf Jahren (§§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 51 Abs.1, 55 Abs. 1 SGB VI) noch nicht erfüllt war.

Die medizinischen Voraussetzungen der teilweisen und auch vollen Erwerbsminderung stehen nicht gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG zur Überzeugung des Senats fest und sind so nicht bewiesen. Denn nach dem Ergebnis der im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten der Chirurgin Dr. H vom 08. August 2014 nebst ergänzender Stellungnahme vom 08. November 2016, des Neurologen B vom 30. Juni 2015 nebst ergänzender Stellungnahme vom 19. November 2015 und des Dipl.-Psych. Dr. H vom 26. Juni 2015 sowie der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. S vom 03. April 2012 und des Orthopäden R vom 24. August 2012 setzen die beim Kläger bestehenden Leiden unzweifelhaft dessen Leistungsfähigkeit herab, jedoch nur in qualitativer und nicht in quantitativer (zeitlicher) Hinsicht.

Nach den Feststellungen der im Gerichtsverfahren gehörten Sachverständigen und der im Verwaltungsverfahren gehörten Gutachter bestehen beim Kläger - im Wesentlichen als Folgen der beim Arbeitsunfall vom 11. Oktober 2009 erlittenen Verletzungen - eine posttraumatische symptomatische Epilepsie (medikamentös behandelt), eine Anpassungsstörung mit rezidivierenden depressiven Verstimmungen (leichtgradig), eine deutliche Bewegungseinschränkung am linken oberen und unteren Sprunggelenk nach operativ behandelter Fraktur, eine geringgradiges Streckdefizit am linken Kniegelenk nach operativ behandelter proximaler Tibiafraktur und Kompartmentsyndrom, eine mäßiggradige Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes nach operativ behandelter distaler Radiusfraktur sowie die vom Kläger bei der Begutachtung geschilderte belastungsabhängige Schmerzsymptomatik.

Diese Feststellungen decken sich weitgehend mit den Ergebnissen der unfallmedizinischen Begutachtung. So handelt es sich auch nach dem Ergebnis der Begutachtung durch die Neurologin und Psychiaterin Prof. Dr. Sch/ Dr. H (Untersuchung am 16. März 2011, Gutachten vom 20. Juli 2011) wie auch des Neurologen und Psychiaters Dr. T (Untersuchung am 22. November 2013, Gutachten vom 28. November 2013 nebst ergänzender Stellungnahme vom 25. September 2014) um eine symptomatische posttraumatische Epilepsie mit seltenen, sekundär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen und nach - den nicht gesicherten - Angaben des Klägers einmal wöchentlich auftretenden einfach fokalen Anfällen (Auren).

Ob die psychische Alteration des Klägers Ausdruck eines unfallbedingten hirnorganischen Psychosyndroms (HOPS) bzw. einer epileptischen Wesensveränderung oder einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion sind, kann letztlich dahinstehen. Maßgeblich sind vielmehr die aus der psychischen Alteration abzuleitenden Funktionseinschränkungen. Insoweit besteht Übereinstimmung zwischen den unfallmedizinischen und sozialmedizinischen Gutachten. So zeigte sich der Kläger bei allen Untersuchungen als bewusstseinsklar, orientiert zur Person, Ort und Zeit. Die Neurologin und Psychiaterin Prof. Dr. Sch (Untersuchung am 16. März 2011) beschrieb in ihrem Gutachten vom 20. Juli 2011 eine indifferente Stimmung beim Kläger mit affektiv ausreichender Schwingungsfähigkeit, bei einem ansonsten unauffälligen psychischen Befund. Bei der Begutachtung durch die Neurologin und Psychiaterin Dr. S (Gutachten vom 03. April 2012) zeigten sich bei der Überprüfung von Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Gedächtnis, Merkfähigkeit und Konzentration sehr gute Ergebnisse. Die affektive Schwingungsfähigkeit war erhalten, der zielgerichtete Antrieb war bei Beachtung der Tagesstrukturierung ausreichend, das formale Denken war geordnet, und Denkbeeinträchtigungen waren nicht nachweisbar. Stimmungsmäßig zeigte sich der Kläger indifferent. Eine Neigung zu depressiven Verstimmungen wird von der Gutachterin als nachvollziehbar beurteilt. Auffällig war lediglich eine Fixierung auf die erlittenen Frakturen. Der relativ blande Untersuchungsbefund deckt sich mit den vom Kläger geschilderten Alltagsaktivitäten: bis zu einer Stunde Gassigehen mit dem Hund, ohne Hilfe regelmäßig Einkaufen, Kochen, Haus pflegen, im Garten arbeiten am Nachmittag (Rasenmähen, Heckenschneiden, Unkrautjäten, Pflanzen), Fernsehen. Der Neurologe und Psychiater Dr. T sieht allenfalls ein leichtes HOPS als gegeben. Bei seiner Untersuchung am 22. November 2013 bot der Kläger das Bild einer einfach strukturierten, wenig flexiblen Persönlichkeit, die wenig spontan und wenig auskunftsbereit (zumindest anfänglich) wirkte, was er eher als Ausdruck der Primärpersönlichkeit ansieht. Die Stimmung war durchgängig moros (missgestimmt), nicht jedoch depressiv. Der Kläger zeigte eine kaum vorhandene emotionale Schwingungs- und Resonanzfähigkeit. In kognitiver Hinsicht waren im Rahmen der Exploration und bei den weiteren Untersuchungen keine gröberen Hirnleistungsschwächen auffällig. Der Neurologe B fand bei seiner Untersuchung des Klägers am 12. Februar 2015 dann deutliche Antriebsstörungen, einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus, eine dysphorisch depressive Grundstimmung, sowie eine verminderte Kritikfähigkeit, Emotionalität und Sozialverhalten. Während der Kläger bei der Untersuchung durch den Orthopäden Dr. R am 24. August 2012 noch über einen ungestörten Schlaf berichtete, gab er nun die gelegentliche Einnahme des Schlafmittels Zopiclon 7,5 mg wegen Einschlafstörungen an und klagte über einen total gestörten Tag-Nacht-Rhythmus sowie darüber, dass er – anders als noch zur Zeit der Begutachtung durch Dr. S - keine Freunde mehr habe. Relevante kognitive Defizite wie auch Aufmerksamkeitsstörungen ließen sich weder bei der Untersuchung durch den Sachverständigen B noch im Rahmen der ausführlichen neuropsychologischen Testung (vgl. Zusatzgutachten des Dipl.–Psych. Dr. H vom 26. Juni 2015) sichern. Insoweit ist es nachvollziehbar, dass der Sachverständige Bdie bei seiner Untersuchung sich zeigende dysphorisch depressive Grundstimmung des Klägers mit ihren Auswirkungen auf sämtliche Alltagshaltungen sowie die subjektiv beklagten Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen letztlich nicht einem Frontalhirnsyndrom (HOPS), sondern einer Fehlanpassung nach dem Unfall vom 11. Oktober 2009 zuordnete. Den vom Kläger beklagten Störungen im Schlaf-Wach-Rhythmus lässt sich zudem, so überzeugend der Sachverständige B in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. November 2015, mit einer entsprechenden Schlafhygiene und Reduktion des - vom Kläger bei den Begutachtungen wiederholt mitgeteilten - erhöhten Alkoholkonsums seit dem Unfall begegnen.

Zudem ist vorliegend zu berücksichtigen, dass der Kläger – so seine wiederholten Angaben bei den Gutachtern und Sachverständigen - wegen seines seelischen Leidens weder in psychiatrischer noch in psychotherapeutische Behandlung ist, noch eine medikamentöse Therapie stattfindet. Ausweislich des Befundberichtes vom 28. April 2013 erfolgt bei dem behandelnden Facharzt für Psychiatrie Dr. K nur die neurologische Führung und medikamentöse Einstellung der Epilepsie.

Von daher ist die gutachterliche Einschätzung, dass das Erkrankungsbild auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet - mangels stärkerer Ausprägung – noch keine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Klägers bedingt, überzeugend. Nachvollziehbar werden aus dem Erkrankungsbild qualitative Einschränkungen dahingehend hergeleitet, dass dem Kläger wegen des Anfallsleidens (inkl. leichter Gleichgewichtsstörung) eine Kraftfahrertätigkeit, Arbeiten an laufenden Maschinen sowie auf Leitern und Gerüsten, und wegen der psychischen Alteration Arbeiten unter erhöhtem Zeitdruck und erhöhter Stressbelastung sowie in Nachtschicht nicht mehr zugemutet werden können.

Die beim Kläger bestehenden Einschränkungen am Bewegungsapparat (deutliche Bewegungseinschränkung am linken oberen und unteren Sprunggelenk nach operativ behandelter Fraktur, geringgradiges Streckdefizit am linken Kniegelenk nach operativ behandelter proximaler Tibiafraktur und Kompartmentsyndrom, mäßiggradige Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes nach operativ behandelter distaler Radiusfraktur) führen auch unter Berücksichtigung der vom Kläger bei der Begutachtung geschilderten belastungsabhängigen Schmerzsymptomatik nur zu qualitativen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit.

Diese Beurteilung ist im Hinblick auf die bei der Untersuchung durch den Orthopäden Dr. R und die Chirurgin Dr. H erhobenen Befunde nachvollvollziehbar. So beschreibt Dr. Rein bei Betreten des Untersuchungszimmers unauffälliges Gangbild, eine altersentsprechende Beweglichkeit der Wirbelsäule, eine freie Beweglichkeit des Schultergürtels, der Ellenbogen, des linken Handgelenkes, der Hüften, der Kniegelenke – bis auf ein geringes Streckdefizit am linken Kniegelenk – und der rechten Sprunggelenke, eine unauffällige – seitengleiche – Beschwielung der Hände wie auch einen seitengleichen kräftigen Händedruck, zudem einen Beckentiefstand links von 1 cm. Die Beweglichkeit des rechten Handgelenkes zeigte sich in allen Ebenen eingeschränkt, ebenso die Beweglichkeit des linken oberen und unteren Sprunggelenkes. Die Muskeleigenreflexe waren seitengleich gut auslösbar. Der von Dr. R im August 2012 erhobene Befund entspricht weitgehend dem im ersten Rentengutachten von Dr. V vom 10. Juni 2011 dargestellten Befund. Bei der dortigen Untersuchung am 31. Mai 2011 wirkte das Gangbild zwar noch insgesamt unrund und nicht durchgehend flüssig. Jedoch ergab sich auch hier eine im Wesentlichen freie Beweglichkeit der Wirbelsäule, der Schultern bzw. oberen Extremitäten, Hüftgelenken, Kniegelenken – bis auf eine leichte Streckhemmung im linken Kniegelenk bei stabiler Bandführung – und der rechten Sprunggelenke. Als Ursache des auch von Dr. R beschriebenen Beckentiefstandes links wird hier eine Beinlängendifferenz zu Ungunsten der linken Seite von ca. -1,5 cm angesehen. Trotz der deutlichen Funktionseinschränkung der linken Sprunggelenke mit eingeschränkter Fußhebung und –senkung konnte eine wesentliche bzw. seitenasymmetrische Muskelmantelverschmächtigung an den unteren Extremitäten nicht festgestellt werden. Der Faustschluss war dem Kläger beidseits vollständig und kraftvoll möglich. Nur die Funktion des rechten Handgelenkes war im Seitenvergleich deutlich eingeschränkt. Zudem bestand noch eine geringe Einschränkung für die Umwendbewegung des rechten Unterarmes. Auch bei der Untersuchung durch Dr. H im Juli 2014 zeigten sich keine pathologischen Reflexe und eine weitgehend freie Beweglichkeit von Wirbelsäule und Gelenken. Lediglich das rechte Handgelenk war in beiden Bewegungsebenen eingeschränkt. Die grobe Kraftentfaltung der rechten Hand war gegenüber links herabgesetzt. Die Feingriffe konnten jedoch beidseits ausgeführt werden, auch war der Faustschluss beidseits komplett. Am linken Kniegelenk zeigte sich nur ein geringes Streckdefizit. Beim linken oberen Sprunggelenk war die Fußhebung aufgehoben, die Senkung eingeschränkt. Die Beweglichkeit des unteren Sprunggelenkes links war gegenüber rechts um die Hälfte eingeschränkt. Das Gangbild zeigte sich links betont bis hinkend, bei fehlender Fußhebung und vermindertem Abrollvorgang. Vom Kläger wurden Missempfindungen bzw. Gefühlsstörungen im linken Fuß und Unterschenkel, zunehmend beim Gehen, beschrieben. Allen Gutachten ist zu entnehmen, dass der Kläger trotz der von ihm geschilderten - belastungsabhängigen – Schmerzsymptomatik nach seinen Angaben weder physiotherapeutische noch schmerztherapeutische Maßnahmen in Anspruch nimmt. Ebenso wenig hat er bei Fragen nach der aktuellen Medikation die Einnahme von Schmerzmitteln angegeben.

Nachvollziehbar haben der Orthopäde Dr. R und die Chirurgin Dr. H aus den von ihnen erhobenen und in den Akten dokumentierten Befunden abgeleitet, dass der Kläger keine schweren oder mittelschweren körperlichen Tätigkeiten, keine Tätigkeiten überwiegend im Gehen oder Stehen, keine Überkopfarbeiten sowie keine Tätigkeiten mit besonderer Beanspruchung des rechten Armes und mit häufigem Bücken, Knien und Hocken mehr verrichten kann. Dagegen besteht eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen bzw. im Wechsel der Körperhaltung.

Wenn nun nach alldem das Restleistungsvermögen des Klägers leichte Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen etc.)die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, und sich solche abstrakten Handlungsfelder im Fall des Klägers hinreichend beschreiben lassen und deshalb ernste Zweifel an seiner tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen nicht aufkommen, stellt sich hier auch nicht die Frage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 09. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R -, zitiert nach juris Rn. 26). Erst wenn es auf eine "schwere spezifische Leistungsbehinderung" oder "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" ankommt und eine solche vorläge, wäre dem Kläger mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zu benennen gewesen, um seinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auszuschließen. Erst hierbei wären dann nicht nur das körperliche, geistige und kognitive Leistungsvermögen einerseits und das berufliche Anforderungsprofil andererseits miteinander zu vergleichen und in Deckung zu bringen gewesen, sondern es hätte auch individuell geprüft werden müssen, ob der Kläger die notwendigen fachlichen Qualifikationen und überfachlichen Schlüsselkompetenzen besäße oder zumindest innerhalb von drei Monaten erlernen könnte (BSG, a.a.O., Rn. 27).

Ferner reichen auch im Fall des Klägers die üblichen Pausen aus. Schließlich fehlt es ihm auch nicht an der erforderlichen Wegefähigkeit. In der Regel ist auch derjenige erwerbsgemindert, welcher selbst unter Verwendung von Hilfsmitteln, zum Beispiel von Gehstützen, nicht in der Lage ist, täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als fünfhundert Metern mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991, - 13/5 RJ 73/90 -, zitiert nach juris Rn. 19). An einer Wegefähigkeit dieses Umfangs bestehen hier nach der übereinstimmenden Einschätzung sämtlicher medizinischer Sachverständiger keine vernünftigen Zweifel. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung bzw. eine Unfähigkeit, Treppen zu bewältigen, wurde von keinem Gutachter beim Kläger festgestellt.

Soweit der Kläger auf eine seit dem Unfall bestehende, von seiner Krankenkasse festgestellte durchgehende Arbeits- und Berufsunfähigkeit seit dem Unfall verweist, verkennt er den Beurteilungsmaßstab für eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung. Arbeits- und Berufsunfähigkeit knüpfen an die letzte Berufstätigkeit – hier als Kurierfahrer – an, die verminderte Erwerbsfähigkeit dagegen an den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Bei dieser Sachlage sah der Senat sich nicht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen gedrängt. Zwar kann man anhand der Gutachten nach 2013 eine Tendenz zur Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers, der keine adäquate ambulante Behandlung durchführt, erkennen, jedoch fehlt es vorliegend – wie oben dargestellt - auch für einen späteren Versicherungsfall an den besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist mangels Zulassungsgrunds gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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