S 5 AS 2359/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 5 AS 2359/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 6/17
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine auf § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) gestützte Versagung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die die Beklagte an die fehlende Vorlage von Unterlagen geknüpft hat.

Der Kläger ist selbstständig erwerbstätig und beantragte über das bei dem Sozialgericht Duisburg unter dem Az S 33 AS 761/16 ER angestrengte Eilverfahren bei der Beklagten am 23.02.2016 die Gewährung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 22.03.2016 forderte die Beklagte den Kläger auf zur Beurteilung eines etwaigen Leistungsanspruchs bis zum 08.04.2016 die folgenden Unterlagen vorzulegen: - Antragsformulare HA, KDU, EK und VM - Merkblätter Mitwirkungspflichten und Unterkunftskosten - Personalausweis und Gesundheitskarte/Versichertennummer - Mietvertrag einschließlich letztem Anpassungschreiben - Heiz- und Betriebskostenabrechnung 2014 - Beitragsnachweis zur freiwilligen/privaten Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung - Gewerbeanmeldung - Gewinnsvorschau für den Zeitraum Februar 2016 bis einschließlich Juli 2016 (Anlage EKS) - Umsatzübersicht aus dem Vorjahr (2015) sowie dazugehörige Summen- und Saldenlisten - Einkommenssteuerbescheide 2014 und 2015 bzw. Nachweis zur Ablegung der Erklärung - gegebenenfalls eingehende Dokumentation weiterer Einkommenswerte - Kontoauszüge aller vorhandenen Konten der letzten sechs Monate (sortiert und lückenlos) - Zulassungsbescheinigung des Pkws sowie Beitragsnachweis der Haftpflichtversicherung - gegebenenfalls eingehende Dokumentation weiterer Vermögenswerte. Das Aufforderungsschreiben vom 20.03.2016 enthielt den folgenden Hinweis: "Haben Sie bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66, 67 SGB I). Dies bedeutet, dass Sie und die mit ihnen in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen keine Leistungen erhalten."

Der Kläger verweigerte die geforderte Mitwirkung. Mit Bescheid vom 22.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2016 versagte die Beklagte dem Kläger das beantragte Arbeitslosengeld II, weil er die mit Aufforderung vom 22.03.2016 bezeichneten Unterlagen trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vorgelegt habe. Im Rahmen der Ermessensausübung sei insbesondere berücksichtigt worden, dass der Kläger einerseits während vergangener Bewilligungsabschnitte Einkommen nicht mitgeteilt habe und andererseits offensichtlich gar nicht gewillt sei, die notwendigen Unterlagen vorzulegen. Anhaltspunkte, die ein Überwiegen der Interessen des Klägers an der Zahlung des Arbeitslosengeldes II gegenüber den Interessen der Allgemeinheit rechtfertigten, lägen nicht vor.

Mit seiner unter dem 02.06.2016 erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen den Versagungsbescheid und begehrt die Gewährung von Leistungen für den Zeitraum Februar 2016 i.H.v. 920,83 EUR/1.534,32 EUR.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2016 zu verpflichten, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Monat Februar 2016 in Höhe von 920,83 EUR alternativ in Höhe von 1.534,32 EUR zu gewähren, und

zu prüfen, ob als die Leistungen zur privaten Krankenvollversicherung der Krankenversicherungsbedarf als Differenz des Notlagentarifes zum Basistarif anzusehen ist und ob eine Befreiung vorliegt, hilfsweise sich ein Anspruch aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ergibt.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Mit Richterbrief vom 01.12.2016 wies die Kammervorsitzende den Kläger auf die Erfolglosigkeit der Klage hin und teilte den Beteiligten mit, dass beabsichtigt sei, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte des Eilverfahrens S 33 AS 761/16 ER sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Über die Klage konnte gemäß § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden hierzu angehört. Die Beklagte hat ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid erklärt. Der Kläger regte an, die Beklagte mittels eines Fragenkatalogs im Erörterungstermin/Gütetermin in der Sache zu befragen. Eine Terminsdurchführung war mangels klärungsbedürftiger Gesichtspunkte entgegen der Anregung des Klägers nicht erforderlich.

Die Klage ist teilweise unzulässig und – soweit sie zulässig ist - unbegründet.

Das auf die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von SGB II-Leistungen mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) verfolgte Begehren auf Gewährung von Leistungen ist unzulässig. Die Leistungsklage ist unstatthaft. Nach § 54 Abs 4 SGG kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsaktes gleichzeitig die Leistung verlangt werden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Die Regelung setzt voraus, dass die Verwaltung über die begehrte Leistung entschieden hat. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn der Leistungsträger die Leistung ohne abschließende Ermittlung bis zur Nachholung der Mitwirkung nach § 66 SGB I versagt. Gegen einen solchen Versagungsbescheid ist grundsätzlich nur die Anfechtungsklage eröffnet (BSG, Urteil vom 01. Juli 2009 – B 4 AS 78/08 R –, SozR 4-1200 § 66 Nr 5, BSGE 104, 26-29, SozR 4-1500 § 54 Nr 14, Rn. 12). Streitgegenstand ist nicht der materielle Anspruch, sondern die Auseinandersetzung über Rechte und Pflichten der Beteiligten im Verwaltungsverfahren.

Bei dem hier streitigen Bescheid vom 22.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2016 handelt es sich um eine Versagung der Zahlung von Arbeitslosengeld II (Alg II) ab 01.02.2016. Die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass lediglich die isolierte Anfechtung des Versagensbescheides statthaft ist, nicht vor. Für diese Rechtsprechung werden Gründe der Prozessökonomie und des effektiven Rechtsschutzes angeführt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 01. Juli 2009 – B 4 AS 78/08 R –, SozR 4-1200 § 66 Nr 5, BSGE 104, 26-29, SozR 4-1500 § 54 Nr 14, Rn. 14 m.w.N.). Hier sind die Leistungsvoraussetzungen keinesfalls geklärt oder unstreitig. In einer derartigen Situation, in der bereits Vorfragen zwischen den Beteiligten streitig und die Anspruchsvoraussetzungen insgesamt nicht geklärt sind, kann nicht aus Gründen der Prozessökonomie auf die Durchführung eines vorgehenden Verwaltungsverfahrens zur Klärung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen verzichtet werden; es fände auch nicht lediglich die Wiederholung des bereits durchgeführten Verwaltungsverfahrens statt, da auf seiten der Behörde noch Ermittlungsbedarf besteht (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 01. Juli 2009 – B 4 AS 78/08 R –, SozR 4-1200 § 66 Nr 5, BSGE 104, 26-29, SozR 4-1500 § 54 Nr 14, Rn. 14, 16).

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Der Kläger ist nicht iSv § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Der Bescheid vom 22.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2016 ist rechtmäßig. Die Voraussetzungen für eine Versagung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I liegen vor. Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung ist der Erlass des Widerspruchsbescheides am 24.05.2016. Der Kläger hat zu diesem Zeitpunkt seine Mitwirkungspflichten verletzt. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Diese Mitwirkungsobliegenheiten gelten auch im Rahmen des SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 10/08 R, juris RdNr. 13f).

Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger nach § 66 Abs. 1 S. 1 SGB I ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist, § 66 Abs. 3 SGB I.

Der Kläger ist gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 SGB I verpflichtet gewesen, die von der Beklagten mit Schreiben vom 22.03.2016 angeforderten Unterlagen vorzulegen. Ohne diese Unterlagen ist eine Anspruchsermittlung nicht möglich. Dies hat der Kläger bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens mit Erlass des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2016 nicht getan.

Die Vorlagepflicht war auch nicht durch § 65 SGB I begrenzt.

Die Beklagte hat den Kläger in dem Schreiben vom 23.02.2016 ausdrücklich und unmissverständlich über die Rechtsfolgen der fehlenden Mitwirkung informiert und belehrt (§ 66 Abs. 3 SGB I).

Die Aufklärung des Sachverhalts ist durch die Nichtvorlage der angeforderten Nachweise erheblich erschwert i.S.v. § 66 Abs. 1 S. 1 SGB I gewesen, da es sich überwiegend um Angaben aus der Sphäre des Klägers handelt.

Da infolge der fehlenden Mitwirkung des Klägers die Voraussetzungen für die Bewilligung der Leistungen, insbesondere die Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen werden konnte, ist die Ermessensentscheidung der Beklagten, die Leistungen vollständig zu versagen, auch nicht zu beanstanden, stellt sich vielmehr als eine sog. Ermessensreduzierung auf Null - Leistungen zu versagen - dar.

Der Antrag des Klägers, zu prüfen, ob als die Leistungen zur privaten Krankenvollversicherung der Krankenversicherungsbedarf als Differenz des Notlagentarifes zum Basistarif anzusehen ist und ob eine Befreiung vorliegt, hilfsweise sich ein Anspruch aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ergibt, ist unzulässig. Insoweit ist zunächst das Verwaltungsverfahren zur Leistungsprüfung durchzuführen, innerhalb dessen die Voraussetzungen und der Umfang der Krankenversicherungspflicht zu prüfen sein werden. Vor Durchführung des Verwaltungsverfahrens zur Lesitungsprüfung kann denknotwendigerweise auch über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch betreffend das Verwaltungshandeln im Rahmen der Leistungsgewährung nicht entschieden werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Unterliegen des Klägers Rechnung.
Rechtskraft
Aus
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