L 9 AS 228/17 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 19 AS 392/17 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 228/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Unterhaltsbezogene Aufwendungen sind nur dann nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II vom Einkommen absetzbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Verpflichtung zur Unterhaltszahlung beruhen. Eine solche besteht zumindest gegenüber einem Kind, welches das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht, wenn der Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit zuzüglich dem ergänzenden Arbeitslosengeld II den zivilrechtlichen Selbstbehalt unterschreitet und keine Verletzung der unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheit vorliegt.

2. Jedenfalls in den Fällen, in denen eine gesetzliche Unterhaltspflicht offensichtlich nicht besteht oder der Unterhaltsschuldner sich einseitig zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet hat, sind die Jobcenter und die Gerichte befugt, das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht zu prüfen.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. Juni 2017 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Der 1959 geborene Antragsteller hat die deutsche Staatsangehörigkeit und ist selbständiger Dolmetscher und Übersetzer. Er hat einen 1995 geborenen Sohn, welcher die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit besitzt und in C-Stadt/Türkei bei seiner Mutter wohnt.

Der Antragsteller erhält (im Anschluss an einen Leistungsbezug beim Jobcenter Darmstadt) seit 1. April 2013 Leistungen des Antragsgegners nach dem SGB II. Sein Sohn ist seit dem 8. Oktober 2013 an der Universität Istanbul immatrikuliert. Ausweislich der Urkunde des Jugendamtes Kreis Bergstraße vom 28. Oktober 2013 verpflichtete sich der Antragsteller für den Zeitraum Mai 2013 bis April 2017 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltes in Höhe von 300,00 Euro an seinen Sohn. Der Antragsgegner berücksichtigte daraufhin monatlich 300,00 Euro als einkommensmindernden Absetzungsbetrag.

Mit Bescheid vom 27. März 2017 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller vorläufig Leistungen für April 2017 in Höhe von 787,16 Euro und für Mai bis September 2017 in Höhe von monatlich 487,16 Euro. Die Bewilligung erfolge vorläufig, weil das zu berücksichtigende Einkommen noch nicht feststehe. Dabei ging der Antragsgegner von einem monatlichen Gewinn in Höhe von 531,05 Euro aus, der um den Grundfreibetrag von 100,00 Euro und einen weiteren Freibetrag in Höhe von 86,21 Euro bereinigt wurde, wobei lediglich für April zusätzlich Unterhaltszahlungen von 300,00 Euro als einkommensmindernd anerkannt wurden. Zur Begründung hierzu führte der Antragsgegner in dem Bescheid aus, dass aufgrund der Urkunde des Jugendamtes über die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung die Unterhaltszahlung an den Sohn des Antragstellers bis 30. April 2017 begrenzt sei. Der Bescheid enthält zudem auf Seite 3 folgende Formulierung: "Bitte beachten Sie, dass Betriebsausgaben, die in der Aufstellung ausdrücklich nicht berücksichtigt werden, auch im Rahmen der abschließenden Entscheidung grundsätzlich keine Berücksichtigung finden." In der Liste der Zahlungsempfänger ist unter anderem der Antragsgegner genannt, zu dessen Gunsten monatlich ein Betrag von 39,10 Euro und für September 2017 von zweimal 39,10 Euro aufgeführt wird.

Am 30. März 2017 ließ der Antragsteller eine Erklärung vor dem Notar D. notariell beurkunden, wonach er sich verpflichtete, seinem Sohn monatlich Unterhalt in Höhe von 400,00 Euro ab Mai 2017 für die Dauer von drei Jahren zu zahlen, wobei er ich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwarf.

Mit Schreiben vom 1. April 2017 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 27. März 2017 ein und beantragte die Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen ab Mai 2017 in Höhe von 400,00 Euro monatlich gemäß der beigefügten notariell beurkundeten Erklärung vom 30. März 2017.

Am 25. April 2017 hat der Antragsteller Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Darmstadt eingereicht und sinngemäß beantragt, 1. den Antragsgegner zum Erlass eines berichtigten Bescheides zu verpflichten, 2. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 1. April 2017 festzustellen, 3. die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 27. März 2017 festzustellen sowie 4. den Antragsgegner zur Bescheidung des Widerspruchs zu verpflichten. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass der ihm verbleibende Leistungsbetrag seinen Lebensunterhalt nicht sicherstelle und er seine Selbständigkeit nicht fortführen könne. Ferner sei nicht nachvollziehbar, warum für September 2017 zwei Zahlungen in Höhe von jeweils 39,10 Euro an den Antragsgegner als Zahlungsempfänger aufgeführt wurden. Zudem werde um Verlängerung des Bewilligungszeitraumes auf zwölf Monate gebeten. Es sei bereits nachgewiesen worden, dass sein Sohn noch immer studiere – weitere Unterlagen würden nicht mehr vorgelegt werden. Er sei gesetzlich gegenüber seinem Sohn zur Unterhaltszahlung verpflichtet und mache sich strafbar, wenn er keinen Unterhalt zahle.

Mit Beschluss vom 7. Juni 2017 hat das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei bereits zweifelhaft, ob die notarielle Unterhaltsurkunde vom 30. März 2017 eine notariell beurkundete Unterhaltsvereinbarung i. S. d. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II sei, weil der Sohn des Antragstellers nicht an der Erklärung beteiligt gewesen sei. Zudem sei eine gesetzliche Unterhaltspflicht nicht glaubhaft gemacht worden. Es könne in diesem Zusammenhang offen bleiben, ob deutsches oder türkisches Recht anwendbar sei, weil bereits keine Leistungsfähigkeit des Antragstellers vorliege. Es fehle auch an einem Anordnungsgrund, weil der Antragsteller dadurch seine Existenz sichern könne, dass er von den Zahlungen an seinen Sohn absehe. Zudem seien die SGB II – Leistungen nicht pfändbar. Auch hinsichtlich des Begehrens auf Verlängerung des Bewilligungszeitraums fehlten die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Hinsichtlich beider Aufrechnungen im September 2017 schließlich fehle eine gegenwärtige Notlage.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2017 hat der Antragsgegner dem Widerspruch vom 1. April 2017 insoweit stattgegeben, als im September 2017 eine zweite Aufrechnung vorgenommen wurde. Im Übrigen hat er den Widerspruch zurückgewiesen. Über die hiergegen erhobene Klage (vom 28. Juni 2016, S 19 AS 601/17) hat das Sozialgericht Darmstadt noch nicht entschieden.

Am 19. Juni 2017 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 7. Juni 2017 beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Zur Begründung führt er aus, es bestehe sehr wohl Eilbedürftigkeit. Denn auch Unterhaltsleistungen an Angehörige gehörten zum notwendigen Lebensunterhalt. Zudem sei seine Existenz seit Mai 2017 gefährdet. Der angegriffene Bescheid sei auch – wie alle vorherigen Bescheide des Antragsgegners – rechtswidrig, weil er eine Passage enthalte, wonach Betriebsausgaben, die in der nachfolgenden Aufstellung ausdrücklich nicht berücksichtigt würden, auch im Rahmen der abschließenden Entscheidung grundsätzlich keine Berücksichtigung fänden. Jeder selbständige Leistungsbezieher müsse schon aufgrund dieses Satzes dem Bescheid widersprechen, weil andernfalls Betriebsausgaben, die im Bewilligungszeitraum weiterhin anfielen, später nicht mehr geltend gemacht werden könnten. Die Bescheide seien daher für nichtig zu erklären, weil sie rechtswidrig ergangen seien. Eine Notwendigkeit, dass sein Sohn bei der Beurkundung der Unterhaltsregelung anwesend sei, könne nicht bestehen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Beurkundung durch das Jugendamt von dem Antragsgegner akzeptiert werde, nicht aber die Beurkundung durch einen Notar. Es liege auch nicht in seiner Sphäre, dass das Jugendamt aufgrund der Volljährigkeit des Sohnes nicht mehr zuständig sei. Der Antragsgegner habe zudem eine Aufrechnung vorgenommen, die er bis heute nicht habe erklären können. Eine Aufrechnung für einen Zuschuss zum Kauf eines Fahrzeuges im Juli 2014 habe höchstens bis Juli 2017 vorgenommen werden dürfen. Auch eine vorherige Anhörung habe hinsichtlich der Aufrechnung nicht stattgefunden. Ein Widerspruch gegen eine Aufrechnung habe außerdem aufschiebende Wirkung. Schließlich sei die Höhe des Mietzinses falsch berücksichtigt worden.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. Juni 2017 aufzuheben, den Antragsgegner zum Erlass eines berichtigten Bescheides zu verpflichten, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 1. April 2017 festzustellen, die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 27. März 2017 festzustellen sowie den Antragsgegner zur Bescheidung des Widerspruchs zu verpflichten.

Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für richtig. Der Vortrag des Antragstellers, wonach seine mit der Erzielung des Einkommens verbundenen Ausgaben nicht vollständig berücksichtigt worden seien, sei erstmals im Beschwerdeverfahren erfolgt und zudem nicht nachvollziehbar, weil der Antragsgegner von den geltend gemachten Betriebsausgaben (für sechs Monate) von 1.366,36 Euro einen Betrag von 1.336,36 Euro berücksichtigt habe. Bis zum heutigen Tage weigere der Antragsteller sich, Nachweise über die tatsächliche Einkommens- und Vermögenssituation seines Sohnes und eine aktuelle Immatrikulationsbescheinigung für diesen vorzulegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Akte des Antragsgegners (Band IX. und X.) Bezug genommen, die der Entscheidung zugrunde gelegen haben.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vollumfänglich abgelehnt. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist teilweise unzulässig, im Übrigen zwar zulässig, aber unbegründet.

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seine erstinstanzlich formulierten Anträge vollumfänglich weiter. Dies ergibt sich aus seinem Schriftsatz vom 15. Juni 2017, worin er die Auffassung vertritt, sämtliche vier erstinstanzlich formulierten Anträge seien begründet.

a) Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist bereits teilweise unzulässig.

(1) Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 27. März 2017 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ist unzulässig. Denn der Antragsteller begehrt weitergehende Leistungen nach dem SGB II, sodass nicht der Feststellungsantrag, sondern nur der Antrag auf Verpflichtung zu weitergehenden Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) statthaft ist. In der Hauptsache wäre eine Feststellungklage (§ 55 SGG) wegen ihrer Subsidiarität gegenüber der statthaften Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG) unzulässig.

Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren erstmals auch die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides beantragt, versteht der Senat dies nicht als eine Antragserweiterung, sondern als Wiederholung und Bekräftigung des Antrages auf Feststellung der Rechtswidrigkeit. Denn der Antragsteller verwendet die Begriffe Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit gleichbedeutend, indem er als Begründung für die Nichtigkeit deren Rechtswidrigkeit anführt (Seite 4 des Schriftsatzes vom 19. Juli 2017). Die Frage, ob eine Antragserweiterung (entsprechend §§ 153 Abs. 1, 99 SGG) im Beschwerdeverfahren überhaupt zulässig und das LSG zur Entscheidung hierüber zuständig ist (ablehnend z. B. Thüringer LSG, Beschluss vom 22. Februar 2012 - L 4 AS 1825/11 B -, juris, Rn. 8), kann daher offen bleiben.

(2) Unzulässig ist auch der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches vom 1. April 2017 gegen den Bescheid vom 27. März 2017. Zwar kann auch im Wege der einstweiligen Anordnung die Feststellung erfolgen, dass ein Widerspruch aufschiebende Wirkung hat, wenn die Behörde die aufschiebende Wirkung missachtet (sog. faktischer Vollzug). Der Bescheid vom 27. März 2017 enthält aber keine belastende Regelung, die einer aufschiebenden Wirkung zugänglich wäre. Insbesondere regelt er keine Aufrechnung nach § 43 SGB II, die nach § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II durch Verwaltungsakt erfolgt, sondern übernimmt nur redaktionell eine anderweitig geregelte Aufrechnung. Auch die vom Antragsteller angegriffene Formulierung über die Berücksichtigung von Betriebsausgaben ist kein Verwaltungsakt, sondern die bloße Ankündigung, wie voraussichtlich in einem endgültigen Bescheid Betriebskosten berücksichtigt werden.

(3) Unzulässig ist auch der Bescheidungsantrag. Unabhängig davon, ob im Wege der einstweiligen Anordnung überhaupt die Bescheidung eines Widerspruchs zulässigerweise geltend gemacht werden kann, wurde der Widerspruch inzwischen beschieden, sodass es für diesen Antrag zumindest an einer Antragsbefugnis fehlt.

b) Zulässig ist allein der Antrag auf Verpflichtung zum Erlass eines neuen Bescheides, allerdings nur im Wege einer Auslegung dahingehend, dass der Antragsteller die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zu höheren Leistungen nach dem SGB II im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt.

Der so verstandene Antrag ist aber unbegründet. Denn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen insoweit nicht vor.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch in der Hauptsache hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung ZPO ).

(1) Es liegt bereits kein Anordnungsanspruch vor.

(a) Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Bewilligung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach §§ 19 ff. i. V. m. §§ 7 ff. SGB II.

Er erfüllt die Grundvoraussetzungen, um Arbeitslosengeld II zu erhalten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) hinsichtlich Alter, Erwerbsfähigkeit und des gewöhnlichen Aufenthaltes, wobei auch kein Ausschlusstatbestand vorliegt. Eine weitergehende Hilfebedürftigkeit nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. §§ 9, 11 SGB II als in der vom Antragsgegner festgestellten Höhe besteht indes nicht. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).

Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass sein Bedarf fehlerhaft festgestellt worden ist. Sein Vortrag, wonach die Miete nicht in zutreffender Höhe berücksichtigt worden sei, ist unsubstantiiert und nicht nachvollziehbar. Der Senat kann daher dahinstehen lassen, ob die Festsetzung der Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 SGB II) im Bescheid vom 27. März 2017 vom Antragsteller mit dem Widerspruch nicht angegriffen wurde und damit bestandskräftig geworden ist.

Es ist auch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsgegner diesem Bedarf ein unzutreffend berechnetes zu berücksichtigendes Einkommen (§ 11 SGB II) des Antragstellers gegenübergestellt hat. Nicht nachvollziehbar ist insoweit der pauschale Vortrag des Antragstellers, wonach der Antragsgegner die Betriebsausgaben falsch berechnet habe. Denn es wurden im Wesentlichen die Angaben des Antragstellers übernommen.

Der Antragsteller hat auch für den streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf einkommensmindernde Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen an seinen Sohn.

Nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II sind Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen. Mit dieser Regelung soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die entsprechenden Mittel des Unterhaltsverpflichteten angesichts ihrer jederzeitigen Pfändbarkeit (vgl. § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) nicht als bereite Mittel und damit nicht als Einkommen zur Verfügung stehen (vgl. BT-Drucks. 16/1410, S. 20 f. zu Art. 1 Nr. 9a). Die Regelung durchbricht den Grundsatz, dass der Hilfebedürftige nach dem SGB II sein Einkommen auch dann zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage für sich verwenden muss, wenn er sich dadurch außerstande setzt, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen (in diesem Sinne BSG, Urteil vom 19. September 2008 - B 14/7b AS 10/07 - juris, Rn. 25). Dieser Abzug der titulierten und gezahlten Unterhaltsbeiträge erfolgt unabhängig von ihrer konkreten Pfändbarkeit (BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 78/10 R -, juris, Rn. 20).

Absetzbar nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II sind unterhaltsbezogene Aufwendungen aber nur, wenn sie tatsächlich erbracht worden sind, auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruhen und die Unterhaltspflicht tituliert ist (BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 - B 14 AS 22/16 R -, juris, Rn. 18).

Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller die geltend gemachten Aufwendungen für den streitgegenständlichen Zeitraum (Mai bis September 2017) an seinen Sohn vollständig erbracht hat, wobei bislang lediglich Zahlungen für Juni und Juli 2017 nachgewiesen wurden.

Ebenso kann offenbleiben, ob seine notariell beurkundete Erklärung vom 30. März 2017 eine notariell beurkundete Unterhaltsvereinbarung i. S. d. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II ist. Bei dieser Erklärung handelt es sich nicht um eine Vereinbarung, sondern um ein einseitig verpflichtendes Schuldversprechen des Unterhaltsschuldners, was allerdings nicht zwingend ausschließt, hierin einen Unterhaltstitel i. S. d. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II zu sehen, da auch Jugendamtsurkunden nach §§ 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 60 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) als Unterhaltstitel in diesem Sinne anerkannt sind (siehe BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 78/10 R -, juris, Rn. 14).

Jedenfalls hat der Antragsteller bereits keinen Sachverhalt glaubhaft gemacht, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit seine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn begründen könnte. Titulierte Unterhaltszahlungen indes, die nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruhen, sind nicht als Absetzbeträge vom Einkommen zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 78/10 R -, juris, Rn. 15). Der Umstand, dass die Verwaltung im Rahmen des § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II jedenfalls im Regelfall von der eigenständigen Ermittlung gesetzlicher Unterhaltsansprüche entlastet werden soll, schließt eine Prüfung, ob die Aufwendungen der "Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten" dienen, nicht aus (BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 - B 14 AS 22/16 R -, juris, Rn. 20; noch offen gelassen von BSG, Urteil vom 9. November 2010 – B 4 AS 78/10 R -, juris, Rn. 19; abweichend noch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 23. März 2012 - L 6 AS 32/12 B ER -, juris, Rn. 3; LSG für das Land NRW, Beschluss vom 20. August 2012 - L 12 AS 918/12 B -, juris, Rn. 10). Zumindest in den Fällen, in denen eine gesetzliche Unterhaltspflicht offensichtlich nicht besteht oder in denen der dem Grunde nach Unterhaltsverpflichtete sich einseitig zu Zahlungen verpflichtet, sind die SGB II - Träger und die Gerichte befugt, die Frage der gesetzlichen Unterhaltspflicht zu überprüfen.

Der Antragsteller hat weder Unterlagen oder Erklärungen, die eine Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Sohnes ermöglichen, noch eine aktuelle Studienbescheinigung seines Sohnes vorgelegt. Bereits deshalb können eventuelle Unterhaltsansprüche nicht zuverlässig überprüft werden.

Jedenfalls ist aber bereits deshalb nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer gesetzlichen Unterhaltspflicht des Antragstellers auszugehen, weil er nicht leistungsfähig ist, unabhängig davon, ob vorliegend deutsches (aa) oder türkisches (bb) Recht anwendbar ist.

(aa) Eine gesetzliche Unterhaltspflicht nach §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist bereits aufgrund der fehlenden Leistungsfähigkeit des Antragstellers nicht anzunehmen.

Leistungsfähigkeit ist die Voraussetzung jeder Unterhaltspflicht (vgl. § 1603 Abs. 1 BGB). Jede Unterhaltsverpflichtung findet ihre materiell-rechtliche Grenze an der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten, d. h. dort, wo ihm nicht mehr die Mittel zur Sicherung der eigenen Existenz und damit für seinen eigenen Bedarf verbleiben (Brudermüller, in: Palandt (Begr.), BGB, 76. Aufl. 2017, § 1603 Rn. 2). Dem Unterhaltsverpflichteten sollen grundsätzlich die Mittel verbleiben, die er zur angemessenen Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden allgemeinen Bedarfs benötigt (BGH, Urteil vom 8. Juni 2005 - XII ZR 75/04 -, juris, Rn. 20). Daher endet seine finanzielle Leistungsfähigkeit jedenfalls dort, wo er nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern (BVerfG(K), Beschluss vom 20. August 2001 - 1 BvR 1509/97 -, juris, Rn. 8 ff.).

Dieser Selbstbehalt hat – entsprechend der in § 1603 Abs. 1 und 2 BGB getroffenen Unterscheidung nach der unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit minderjähriger und volljähriger Kinder und sonstiger Unterhaltsberechtigter – je nach Unterhaltsrechtsverhältnis eine unterschiedliche Höhe (Brudermüller, in: Palandt (Begr.), BGB, 76. Aufl. 2017, § 1603 Rn. 14). Der angemessene Selbstbehalt gegenüber Unterhaltsansprüchen volljähriger Kinder (§ 1603 Abs. 1 BGB) darf daher nicht mit dem notwendigen Selbstbehalt gegenüber Unterhaltsansprüchen minderjähriger und diesen nach § 1603 Abs. 2 BGB gleichgestellten Kindern gleichgesetzt werden (BGH, Urteil vom 15. März 2006 - XII ZR 30/14 -, juris, Rn. 18). So beträgt etwa der Selbstbehalt nach der Düsseldorfer Tabelle gegenüber volljährigen Kindern 1.300,00 Euro monatlich, ggf. zuzüglich maßvoller Zuschläge. Dieser Selbstbehalt kann zum einen herabgesetzt werden, z. B. bei Arbeitsunfähigkeit. Es können zum anderen auch fiktive Einkünfte zur Erfüllung der Unterhaltspflicht zugerechnet werden, wenn sie für den Verpflichteten objektiv und ihm zurechenbar zu erzielen sind (BVerfG(K), Beschluss vom 27. August 2014 - 1 BvR 192/12 -, juris, Rn. 17). Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, können nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden (st. Rspr. des BGH, z. B. Beschluss vom 19. Juni 2013 - XII ZB 39/11 -, juris, Rn. 17). Der Bezug von Erwerbseinkommen neben einer bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistung schließt es nicht aus, dass Erwerbseinkommen für den Unterhalt zur Verfügung steht; vielmehr kann der Unterhaltspflichtige auch dann unterhaltsrechtlich leistungsfähig sein, wenn er seinen unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt aus Sozialleistungen bestreiten und ein den Selbstbehalt übersteigendes Nebeneinkommen für den Unterhalt einsetzen kann (BGH, Beschluss vom 19. Juni 2013 - XII ZB 39/11 -, juris, Rn. 22). Die Titulierung des Unterhalts und eine erfolgte Absetzung nach § 11b Abs. 1 Nr. 7 SGB II führen umgekehrt - zur Vermeidung von Zirkelschlüssen - nicht zu einer Erhöhung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit (BGH, Beschluss vom 19. Juni 2013 - XII ZB 39/11 -, juris, Rn. 27 f.).

Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsteller gegenüber seinem Sohn gesetzlich unterhaltsverpflichtet ist. Denn der maßgebliche Selbstbehalt wird nicht erreicht. Der Antragsteller ist nicht gesteigert unterhaltspflichtig nach § 1609 Abs. 1 Nr. 1, 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB, da der Sohn das 21. Lebensjahr vollendet hat (§ 1609 Abs. 1 Nr. 4 BGB). Er erzielt im Durchschnitt einen monatlichen Gewinn von 531,05 Euro und damit weniger als die Hälfte seines Selbstbehaltes. Selbst mit den Leistungen nach dem SGB II (487,16 Euro) wird der unterhaltsrechtliche Selbstbehalt deutlich unterschritten. Anhaltspunkte dafür, dass ihm wegen Verstoßes gegen seine Erwerbsobliegenheiten unterhaltsrechtlich fiktive Einkünfte zuzurechnen wären, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Dieses Ergebnis ist auch von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Zwar hat der Gesetzgeber in Anbetracht des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG) sicherzustellen, dass nur solche Mittel als Einkommen bedarfsdeckend berücksichtigt werden, die dem Leistungsberechtigten zur Lebensunterhaltssicherung tatsächlich zu Verfügung stehen (BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 - B 14 AS 22/16 R -, juris, Rn. 23). Andererseits schützt die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG gerade vor der Auferlegung von Unterhaltsleistungen, die dazu führen, dass der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern (BVerfG(K), Beschluss vom 20. August 2001 - 1 BvR 1509/97 -, juris, Rn. 8 ff.). Dementsprechend substituieren die Existenzsicherungssysteme nach dem SGB II und SGB XII grundsätzlich keine Unterhaltsverpflichtungen durch Leistungen an Verpflichtete, sondern fehlende Unterhaltszahlungen durch Leistungen an den Unterhaltsberechtigten (BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 - B 14 AS 22/16 R -, juris, Rn. 25).

(bb) Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht für den Fall, dass statt deutschem das türkische Unterhaltsrecht anwendbar sein sollte, weil der Sohn des Antragstellers seinen gewöhnlichen Aufenthalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Türkei hat (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. Januar 2014 - 17 WF 229/13 -, juris, Rn. 9 ff.; zum Beitritt der Türkei zum Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 zum 1. Februar 2017 siehe Boehm, JAmt 2017, 8). Denn auch danach ist die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten von maßgeblicher Bedeutung für den Unterhaltsanspruch. Die Höhe des nach § 327 Abs. 1 türkisches Zivilgesetzbuch (tZGB) von den Eltern geschuldeten Unterhaltes richtet sich gemäß § 330 Abs. 1 tZGB nach dem Bedarf des Kindes, den elterlichen Lebensbedingungen und eben auch der Leistungsfähigkeit der Eltern (siehe dazu Elden, NZFam 2014, 825; Savas, FPR 2013, 101, 102). Es ist aber auch insoweit nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass der Antragsteller leistungsfähig im Sinne des türkischen Unterhaltsrechts wäre.

(b) Der Antragsteller hat auch angesichts seines schwankenden Einkommens aus selbständiger Tätigkeit und der daraus folgenden Notwendigkeit der vorläufigen Bewilligung von Leistungen keinen Anspruch auf Verlängerung des Bewilligungszeitraums auf zwölf Monate, § 41 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II.

(2) Auf die Frage, ob hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der Unterhaltsleistungen ein Anordnungsgrund besteht, kommt es nicht mehr an.

Selbst wenn die Einbehaltung von monatlich 39,10 Euro (als Umsetzung einer Aufrechnung) zu Unrecht erfolgt sein sollte, würde diesbezüglich jedenfalls kein Anordnungsgrund vorliegen. Denn aufgrund des Erwerbseinkommens des Antragstellers werden monatlich 186,21 Euro unberücksichtigt gelassen, die er einstweilen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einsetzen kann.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

3. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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