S 18 AS 193/17 ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Magdeburg (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 18 AS 193/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 167/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig ein Darlehen in Höhe von 2047,- Euro zur Tilgung der Schulden bei dem Vermieter ... zwecks Sicherung der Unterkunft der Antragsteller zu 1) und 2) in der ...-Str. 32, ..., zu gewähren.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes von dem Antragsgegner die Gewährung eines Darlehens zur Begleichung ihrer Schulden in Höhe von 2.047,- Euro bei dem Vermieter ihrer Wohnung Walther-Rathenau-Str. 32, 38820 Halberstadt.

Die am 24.11.1984 geborene Antragstellerin zu 1) und ihr am 04.06.2008 geborener Sohn, der Antragsteller zu 2), stellten am 29.12.2016 einen Antrag auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Im Zeitraum vom 4.8.2016 bis zum 6.12.2016 befand sich die Antragstellerin zu 1) in einer stationären Rehabilitation in der Barbarossa-Klinik, Kelbra, aufgrund Betäubungsmittelmissbrauchs und bezog Übergangsgeld von der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland.

Am 10.7.2015 schloss die Antragstellerin zu 1) mit Herrn ..., ...str. 49, ..., einen Mietvertrag über eine 3-Raum-Wohnung mit 60 m² in der ...-Str. 32, 2. Obergeschoss rechts, ..., die sie zusammen mit dem Antragsteller zu 2) ab dem 1.9.2015 bezog. Im Mietvertrag wurde vereinbart, dass die Antragstellerin zu 1) monatlich eine Grundmiete in Höhe von 279 EUR, Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 60 EUR, Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von 60 EUR sowie eine Miete für die Einbauküche mit Geschirrspüler in Höhe von 40 EUR, insgesamt eine Gesamtmiete von 439 Euro, trägt.

Der Antragsteller zu 2) bezieht Kindergeld in Höhe von 192 EUR sowie vom Landkreis Harz einen monatlichen Unterhaltsvorschuss in Höhe von 201 EUR. Einkommen bezieht die Antragstellerin zu 1) derzeit nicht. Ein Antrag auf Gewährung von Krankengeld ist bislang nicht beschieden. Ein noch bestehender ALG I Restanspruch ruht aufgrund einer derzeit bestehenden Arbeitsunfähigkeit der Antragstellerin zu 1) aufgrund einer Fraktur des Armes.

Mit Bescheid vom 18.1.2017 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern für den Dezember 2016 monatliche Grundsicherungsleistungen in Höhe von 659,52 EUR. Im Laufe des einstweiligen Verfahrens bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern sodann mit Bescheid vom 2.2.2017 für die Monate Januar 2017 bis einschließlich Mai 2017 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 795,08 EUR vorläufig.

Am 2.1.2017, bei dem Antragsgegner am 5.1.2017 abgegeben, stellte die Antragstellerin zu 1) bei dem Antragsgegner einen Antrag auf darlehensweise Übernahme der bestehenden Mietschulden in Höhe von 2047 EUR. Sie teilte mit, dass ihr anderenfalls die Kündigung drohe und sie mit ihrem Kind auf der Straße sitze. Ihrem Antrag war ein "Übergabeprotokoll/Auszug nach fristloser Kündigung am 2.1.2017" vom 2.1.2017 beigefügt, nach welchem die Antragstellerin zu 1) die 3-Raum-Wohnung in der ...-Straße 32, 2. OG rechts in ... an den Vermieter ... zurückgab. Ferner hat das von dem Vermieter und der Antragstellerin zu 1) unterschriebene Protokoll folgenden Passus: "Heute übergibt die Mieterin ..., die Wohnung mit sämtlichen Schlüsseln, an den Vermieter ... Die Mieterin erhält einen Schlüssel zurück, um bis zum 22.1.2017 Ihre restlichen Sachen aus der Wohnung zu räumen. Alles was sich am 23.1.2017 noch in der Wohnung befindet, darf der Vermieter auf Kosten der Mieter entsorgen. Die Miete ist bis zum 23.1.2017 weiterzuzahlen." Im Darlehensantrag beigefügt war außerdem eine Mahnung des Vermieters vom 18.11.2016, wonach Mietrückstände und Mahngebühren vom September 2015 bis November 2016 in Höhe von insgesamt 2047 EUR aufgelaufen sind.

Mit Schreiben vom 23.1.2017 teilt der Vermieter der Antragstellerin zu 1) mit, dass er bereit wäre, das von ihm fristlos gekündigt Mietverhältnis wieder aufleben zu lassen, wenn der außenstehende Betrag schnellst möglich beglichen werde.

Weder ist bisher die Räumung der Wohnung erfolgt, noch ist eine Räumungsklage erhoben wurden.

Mit Bescheid vom 9.1.2017 lehnte die Antragsgegnerin die darlehensweise Übernahme der aufgelaufenen Mietschulden mit der Begründung ab, dass die monatlichen Kosten der Unterkunft der Antragsteller die bei ihr angemessenen Kosten im Sinne von § 22 Abs. 1 SGB II übersteige. Bei der derzeit bewohnten Wohnung handele es sich nicht um eine schützenswerte Unterkunft. Es sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft durch Übernahme der Mietschulden längerfristig gesichert werden könne. Die Voraussetzungen für die Übernahme der Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II seien nicht erfüllt.

Die Antragstellerin zu 1) legte mit Schreiben vom 17.1.2017 dagegen Widerspruch ein. Ihr und ihrem Sohn drohe zum 23.01.2017 die Obdachlosigkeit und sie könne mit den Mietschulden keine andere Wohnung anmieten. Bei einer persönlichen Vorsprache bei dem Antragsgegner am 18.1.2017 führte die Antragstellerin zu 1) ferner aus, dass die Mietrückstände im Zusammenhang mit ihrem Betäubungsmittelmissbrauch entstanden seien. Der Vermieter lasse sich auch auf keine Ratenzahlung ein. Der Widerspruch ist bislang nicht beschieden.

Am 24.01.2017 haben die Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit welchem sie ursprünglich neben der darlehensweise Übernahme der Mietschulden die vorläufige Gewährung von monatlichen Grundsicherungsleistungen in Höhe von 795,08 EUR begehrten. Nach Erlass des Bescheides vom 02.02.2017 erklärten die Antragsteller den Antrag hinsichtlich der Gewährung von monatlichen Grundsicherungsleistungen für erledigt.

Die Antragsteller teilten mit, dass sie sich seit dem 24.1.2017 besuchsweise bei der Schwester bzw. der Mutter der Antragstellerin zu 1) aufhielten, ohne jedoch ihren wirklichen Lebensmittelpunkt in der Wohnung in der Walther-Rathenau-Straße 32 aufgegeben zu haben. Es fänden sich weiterhin die persönlichen Dinge und Gegenstände der Antragsteller in der Wohnung. Aufgrund der bestehenden Mietschulden gestalte sich die Wohnraumsuche schwierig. Außerdem wollen die Antragsteller in der bisherigen Wohnung verbleiben. Die Antragstellerin zu 1) habe bei der ... Wohnungsgesellschaft mbH nach Wohnraum angefragt, jedoch die Mitteilung erhalten, dass grundsätzlich eine Vermieterbescheinigung benötigt werde, die keinerlei Mietschulden aufweise. Gleiches gelte für die Wohnungsbaugenossenschaft ... eG (WGH). Die von der Antragsgegnerin im Rahmen des einstweiligen Verfahrens vorgelegten Wohnungsangebote kämen gleichfalls nicht in Betracht, da bei Anmietung ein Kündigungsausschluss für 24 Monate vereinbart werden müsse oder eine positive SCHUFA-Auskunft oder Vorvermieterbescheinigung vorgelegt werden müsse, was die Antragstellerin zu 1) nicht habe. Des Weiteren sei eine der vorgeschlagenen Wohnungen renovierungsbedürftig.

Die Antragsgegnerin könne sich auch nicht auf die von ihr zu Grunde gelegte Richtlinie vom 01.08.2016 berufen, da diese nicht auf einem schlüssigen Konzept beruhe. Vielmehr seien die Werte des Wohngeldgesetzes gem. § 12 WoGG nebst 10% Sicherheitszuschlag heranzuziehen.

Die Antragsteller beantragen, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig ein Darlehen in Höhe von 2047,- Euro zur Tilgung der Schulden bei dem Vermieter ... zwecks Sicherung der Unterkunft der Antragsteller zu 1) und 2) in der Walther-Rathenau-Str. 32, 38820 Halberstadt, zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung hat die Antragsgegnerin ausgeführt, dass die Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht haben. Eine darlehensweise Schuldenübernahme käme nicht in Betracht, da drohende Wohnungslosigkeit nicht vorliege, sofern eine angemessene neue Wohnung gefunden werden könne. Die Wohnung in der Walther-Rathenau-Str. 32 sei unangemessen und übersteige die Werte in der zum 1.8.2016 in Kraft getretenen Richtlinie. Es lägen auch keine Nachweise vor, dass sich die Antragstellerin tatsächlich um neuen Wohnraum bemüht habe. Es sei fraglich, ob die Antragssteller tatsächlich die Wohnung weiterhin bewohnten. Diesbezügliche Hausbesuchsversuche am 6.2.2017, 7.2.2017, 8.2.2017 und 16.2.2017 zu verschiedenen Uhrzeiten seien vergeblich gewesen, da niemand in der Wohnung angetroffen worden sei.

Auf Nachfragen der Kammer teilten die Antragsteller mit, dass sich der Vermieter nicht auf eine Mietpreisreduzierung eingelassen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen, die Gegenstand des Verfahrens sind.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, das heißt des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, das heißt die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein.

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht. Soweit mit einer einstweiligen Anordnung zugleich eine Vorwegnahme der Entscheidungen der Hauptsache verbunden ist, sind erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes zu stellen, weil der einstweilige Rechtsschutz trotz des berechtigten Interesses des Rechtsuchenden an unaufschiebbaren gerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer Verlagerung in das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes führen darf.

Die Antragsteller haben Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Die Entscheidung nach Satz 1 steht im pflichtgemäßen Ermessen des SGB II-Leistungsträgers. Ein so genanntes gebundenes Ermessen liegt vor, wenn die Voraussetzungen des Satzes 2 der Vorschrift erfüllt sind. Dann verbleibt dem Leistungsträger im Regelfall kein Ermessensspielraum mehr. Satz 2 der Norm bestimmt, das Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.

Eine Ermessensreduzierung auf die darlehensweise Übernahme von Mietschulden besteht folglich nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II. Die Schuldenübernahme der bestehenden Mietschulden der Antragsteller kommt nur in Betracht, sofern diese objektiv geeignet ist, die derzeit bewohnte Wohnung als Unterkunft langfristig und dauerhaft zu sichern, die Antragsteller die zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft haben und zudem Wohnungslosigkeit droht.

Allerdings sind auch sonstige Umstände, wie die Höhe der Rückstände, ihre Ursachen, der konkrete von der Wohnungslosigkeit betroffene Personenkreis oder das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten zu berücksichtigen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17.02.2016, L 4 AS 345/15 B ER).

Nach summarischer Prüfung kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass die Antragsteller die erforderliche Ermessensreduzierung glaubhaft gemacht haben. Dabei geht die Kammer nicht davon aus, dass die Antragsteller die Wohnung tatsächlich nicht mehr bewohnen. Zwar tragen sie vor, dass sie sich seit dem 24.01.2017 durchgehend bei der Mutter bzw. bei der Schwester der Antragstellerin zu 1) aufhalten, nach summarischer Prüfung dürfte es sich dabei jedoch noch um besuchsweise Aufenthalte handeln. Dies umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin zu 1) aufgrund einer Fraktur des Armes bis 17.02.2017 krankgeschrieben war und erst kürzlich aus der stationären Rehabilitation aufgrund Betäubungsmittelmissbrauchs entlassen wurde. Es erscheint der Kammer daher nachvollziehbar, dass die Antragstellerin zu 1) mit ihrem minderjährigen Sohn die Nähe der Familie sucht.

Den Antragsstellern droht auch der Verlust der derzeit bewohnten Wohnung. Für diese hat der Vermieter bereits die fristlose Kündigung ausgesprochen; es ist sogar bereits ein Übergabeprotokoll gefertigt und ein Teil der Schlüssel zurückgegeben wurden. Allein eine Räumungsklage ist seitens des Vermieters (noch) nicht erhoben wurden. Diese steht jedoch jederzeit im Raum, da der Vermieter deutlich machte, dass er nur bereit sei, das Mietverhältnis wieder aufleben zu lassen, wenn der Mietrückstand schnellstmöglich beglichen wird.

Die von den Antragstellern zu zahlende Bruttokaltmiete von 379 EUR (Kaltmiete von 279 EUR, Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 60 EUR, und Miete Einbauküche mit Geschirrspüler in Höhe von 40 EUR) übersteigt zwar die Angemessenheitsgrenze der Antragsgegnerin (319,20 EUR), allerdings bestehen bei der Kammer erhebliche Zweifel, ob das zugrunde liegende Konzept den Anforderungen des BSG hinsichtlich der Schlüssigkeit genügt.

Während die Wohnungsgröße der Antragsteller mit 60m² angemessen im Sinne der landesrechtlichen Durchführungsvorschriften zu § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom 13.09.2001 in Verbindung mit den Wohnraumförderungsbestimmungen des Landes Sachsen-Anhalt (RdErl. des MRS vom 23.2.1993) und den dazu erlassenen Richtlinien aus dem Jahr 1993 und 1995 für einen Zwei-Personen-Haushalt ist (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteilt vom 3.3.2011, Az. L 5 AS 181/07), ist der von der Antragsgegnerin ermittelte maximale Mietzins nach summarischer Prüfung nicht zu halten. Die Mietobergrenze muss auf Grundlage eines schlüssigen Konzepts ermittelt werden. Dies erfordert ein planmäßiges Vorgehen im Sinne einer systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen im maßgeblichen Vergleichsraum.

Das BSG hat hierzu in seinem Urteil vom 22.09.2009 hinsichtlich der Stadt Wilhelmshaven zum Az. B 4 AS 18/09 R zu schlüssigen Konzept näher ausgeführt:

Das schlüssige Konzept soll die hinreichende Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben werden (vgl BSG, Urteil vom 18.6.2008 - B 14/7b AS 44/06 R = FEVS 60, 145, 149; vgl auch BSG, Urteil vom 19.3.2008 - B 11b AS 41/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 7 RdNr 23). Dabei muss der Grundsicherungsträger nicht zwingend auf einen einfachen oder qualifizierten Mietspiegel iS der §§ 558c und 558d BGB abstellen (vgl Urteil des 7b. Senats vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R, BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3; BSG, Urteil vom 18.6.2008 - B 14/7b AS 44/06 R = juris RdNr 7). Entscheidend ist vielmehr, dass den Feststellungen des Grundsicherungsträgers ein Konzept zu Grunde liegt, dieses im Interesse der Überprüfbarkeit des Ergebnisses schlüssig und damit die Begrenzung der tatsächlichen Unterkunftskosten auf ein "angemessenes Maß" hinreichend nachvollziehbar ist.

Ein Konzept ist ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall.

Schlüssig ist das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllt:

Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung) es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, zB welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße,

Angaben über den Beobachtungszeitraum,
Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, zB Mietspiegel),
Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
Validität der Datenerhebung,
Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
Angaben über die gezogenen Schlüsse (zB Spannoberwert oder Kappungsgrenze).

Bislang hat der Gesetz- und Verordnungsgeber davon abgesehen, der Verwaltung normative Vorgaben darüber zu machen, wie sie die Angemessenheitsgrenze ermittelt. Die Verwaltung ist daher bis auf Weiteres nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt. Sie selbst kann auf Grund ihrer Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten am besten einschätzen, welche Vorgehensweise sich für eine Erhebung der grundsicherungsrechtlich erheblichen Daten am besten eignen könnte. So kann es je nach Lage der Dinge etwa ausreichend sein, die erforderlichen Daten bei den örtlichen Wohnungsbaugenossenschaften zu erheben, wenn die für Hilfeempfänger in Betracht kommenden Wohnungen zum größten Teil im Eigentum dieser Genossenschaften steht. Hingegen sind derartige Auskünfte allein nicht ausreichend, wenn die Genossenschaften über keinen ins Gewicht fallenden Anteil am Wohnungsbestand des Vergleichsraumes verfügen und eine Mietpreisabfrage keine valide Datengrundlage für die Angemessenheitsgrenze ergeben kann.

Ein schlüssiges Konzept kann sowohl auf Wohnungen aus dem Gesamtwohnungsbestand (einfacher, mittlerer, gehobener Standard) als auch auf Wohnungen nur einfachen Standards abstellen. Legt der Grundsicherungsträger seiner Datenerhebung nur die Wohnungen so genannten einfachen Standards zu Grunde, muss er nachvollziehbar offen legen, nach welchen Gesichtspunkten er dabei die Auswahl getroffen hat. In diesem Fall ist als Angemessenheitsgrenze der Spannenoberwert, dh der obere Wert der ermittelten Mietpreisspanne zu Grunde zu legen.

Für die Datenerhebung kommen nicht nur die Daten von tatsächlich am Markt angebotenen Wohnungen in Betracht, sondern auch von bereits vermieteten (Urteil des Senats vom 19.2 ...2009 - B 4 AS 30/08 R = juris RdNr 24). Im Gegensatz zur Erstellung von Mietspiegeln oder Mietdatenbanken, deren wesentliches Anliegen das dauerhafte Funktionieren des Marktes frei finanzierter Mietwohnungen ist (Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Hinweise zur Erstellung von Mietspiegeln, Stand Juli 2002, S 3), ist im Rahmen der KdU grundsätzlich sämtlicher Wohnraum zu berücksichtigen, der auch tatsächlich zu diesem Zweck vermietet wird; so etwa auch Wohnraum, bei dem die Miethöhe durch Gesetz oder im Zusammenhang mit einer Förderzusage festgelegt worden ist. Nicht zu berücksichtigen ist hingegen Wohnraum, dessen Miete keinen zuverlässigen Aufschluss über die örtlichen Gegebenheiten bringen kann; so etwa Wohnraum in Wohnheimen oder Herbergen und Gefälligkeitsmietverhältnisse (zB Vereinbarung von besonders niedrigen Mieten zwischen Verwandten). Auszunehmen ist auch Wohnraum, der in der Regel nicht länger als ein halbes Jahr und damit nach Auffassung des Senats nur vorübergehend vermietet werden soll (zB Ferienwohnungen, Wohnungen für Montagearbeiter).

Die erhobenen Daten müssen vergleichbar sein, das heißt, ihnen muss derselbe Mietbegriff zu Grunde liegen. Typischerweise ist dies entweder die Netto- oder die Bruttokaltmiete. Wird die Nettokaltmiete als Grundlage gewählt, sind die kalten Nebenkosten (Betriebskosten) von der Bruttokaltmiete abzuziehen. Ist die Bruttokaltmiete Vergleichsbasis, müssen auch Daten zu den vom Mieter gesondert zu zahlenden Betriebskosten erhoben werden. Wird Wohnraum etwa (teil-)möbliert vermietet und lässt sich das für die Nutzung der Möbel zu entrichtende Entgelt bestimmen, ist dieser Betrag, ansonsten ein nach dem räumlichen Vergleichsmaßstab hierfür üblicherweise zu zahlender Betrag herauszurechnen.

Entschließt sich der Grundsicherungsträger zur Erstellung eines grundsicherungsrelevanten Mietspiegels, wird dies aus finanziellen Gründen regelmäßig nur auf der Basis einer Stichprobe erfolgen können. Hier bietet es sich an, sich hinsichtlich Stichprobenumfang und Auswertung etc an den für Mietspiegel geltenden Standard anzulehnen (vgl dazu Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Hinweise zur Erstellung von Mietspiegeln, Stand Juli 2002, S 38 f ): Die Stichprobe kann, muss aber nicht proportional vorgenommen werden. Proportional bedeutet in diesem Zusammenhang, dass in einer solchen Stichprobe alle wesentlichen Teilmengen der Grundgesamtheit in ähnlichen Proportionen auch enthalten sind (Börstinghaus/Clar, Mietspiegel, 1997, RdNr 650).

Nach summarischer Prüfung kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass das Konzept der Antragsgegnerin nicht schlüssig ist, da die Berücksichtigung des gesamten Landkreises Harz als ein Vergleichsraum rechtswidrig ist. Bei der Bestimmung des Vergleichsraumes bestimmt sich das Konzept der Antragsgegnerin weder an den Wohnorten, noch an räumliche Nähe, Infrastruktur oder verkehrstechnischer Verbundenheit. Im Landkreis Harz befinden sich jedoch mehrere größere Städte (Halberstadt, Quedlinburg, Blankenburg). Die Zusammenfassung der Städte Halberstadt (ca. 40.400 Einwohner) und Quedlinburg (ca. 24.700 Einwohner), die nicht aneinander angrenzen und vormals eigene Kreise bildeten, dürften nach Ansicht der Kammer und summarischer Prüfung den Anforderungen des BSG nicht genügen, sondern die Städte jeweils einen eigenen Vergleichsraum bilden. Die Antragsgegnerin fasst demgegenüber anhand einer Clusteranalyse die Städte zusammen, die sich anhand eines aufgestellten Indikatorenkataloges betreffend Bevölkerungsdichte, Bevölkerungsentwicklung, Siedlungsstruktur, Pro-Kopf-Einkommen, Bodenpreis, Transferleistungsempfänger und Tourismus, am ähnlichsten sind, ohne zu berücksichtigen, ob die zusammengefassten Kommunen einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- oder Wohnbereich bilden.

Eine Vergleichsraumbildung kann im einstweiligen Verfahren nicht nachgeholt werden. Daher ist zur Prüfung der Angemessenheit der Unterkunftskosten auf die Werte der Wohngeldtabelle nach § 12 WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlages abzustellen (vgl. BSG v. 16.6.2015, Az. B 4 AS 44/14 R und B 4 AS 45/14 R).

Nach § 12 Abs. 1 WoGG sind in der Mietenstufe II, in die Halberstadt eingestuft ist, für 2 Personen 425 Euro für Grundmiete und kalte Betriebskosten zu berücksichtigen. Bereits ohne 10% Sicherheitszuschlag ist die Bruttokaltmiete der Antragsteller in Höhe von 379 Euro (Grundmiete in Höhe von 279 EUR, Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 60 EUR sowie eine Miete für die Einbauküche mit Geschirrspüler in Höhe von 40 EUR) nicht überschritten.

Ferner sind die Heizkosten in tatsächlicher Höhe von 60 Euro angemessen, was auch von der Antragsgegnerin nicht bestritten wird.

Die Wohnung ist daher nach summarischer Prüfung kostenangemessen.

Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugeben, dass nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, dass es den Antragstellern nicht möglich ist, eine angemessene Ersatzwohnung zu finden. Nach einer Internetrecherche der Vorsitzenden am 21.2.2017 finden sich durchaus Mietwohnungen für einen Zweipersonenhaushalt mit maximal 60m² Wohnfläche zu den von der Antragsgegnerin vorgegebenen Angemessenheitskriterien in Halberstadt. Es ist auch anerkannt, dass von dem Hilfebedürftigen jedenfalls dann zu fordern ist, eine an sich kostenangemessene Wohnung zu verlassen und nach einem Umzug (der sich dann als notwendig iSd § 22 Abs. 4 S. 2 SGB II darstellt) eine neue Wohnung zu beziehen, wenn durch sein unwirtschaftliches Verhalten (z.B. die zweckwidrige Verwendung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährten Mittel) eine Schuldenlage entstanden ist (vgl. BSG Urteil vom 17.06.2010, Az. B 14 AS 58/09 R und sich anschließend SG Berlin, Beschluss vom 21.12.2015, S 96 AS 23231/15 ER). So liegt der Fall hier allerdings nicht: die Antragsteller haben erstmals einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II im Dezember 2016 gestellt und Leistungen bezogen. Die Mietrückstände sind jedoch bereits seit 2015 bis November 2016 aufgelaufen und (auch) auf die Erkrankung der Antragstellerin zu 1) hinsichtlich des Betäubungsmittelmissbrauchs zurückzuführen.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin zu 1) die Wohnung mit ihrem 8jährigen, die Grundschule besuchenden Sohn, den Antragsteller zu 2) bewohnt. Die Mitbetroffenheit des minderjährigen schutzbedürftigen Kindes ist dabei besonderes Gewicht beizumessen, zumal sich der Wechsel der Unterkunft zudem auf den Schulweg oder sogar den Wechsel der Schule auswirken kann.

Die Antragstellerin zu 1) zeigt auch, dass sie gewillt ist, nicht weitere Mietkosten anlaufen zu lassen, da die Miete derzeit mit ihrem Einverständnis direkt an den Vermieter ausgezahlt wird.

Nach alledem war dem Antrag stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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