L 18 AS 826/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 179 AS 29506/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 826/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 356/17 B
Datum
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2017 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Meldeaufforderung des Beklagten.

Der 1976 geborene Kläger stand im Jahr 2014 im Leistungsbezug des Beklagten nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Mit Schreiben vom 26. März 2014, mit dem der Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Sanktion wegen dessen Nichterscheinens zu einem Meldetermin anhörte, lud er diesen zugleich zu einem Termin am 10. April 2014 ein ("Folgeeinladung"), um die "aktuelle berufliche Situation" zu besprechen. Auf den Inhalt des Schreibens wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen. Auch zu diesem Termin erschien der Kläger nicht.

Die am 17. Dezember 2014 erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage hat das Sozialgericht (SG) Berlin als unzulässig abgewiesen, da ein Rechtsschutzbedürfnis hierfür nicht ersichtlich sei. Eine Sanktion sei vorliegend nicht erfolgt. Im Übrigen hätte der Kläger gegen eine etwaige Sanktionsentscheidung gerichtlichen Rechtsschutz suchen können (Gerichtsbescheid vom 23. Februar 2017).

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Auf seine Schriftsätze vom 26. Mai 2017 und 24. Juli 2017 wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2017 aufzuheben und festzustellen, dass die Meldeaufforderung des Beklagten vom 26. März 2014 rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II.

Die Berufung ist nicht statthaft und war deshalb nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu verwerfen (§ 158 Sätze 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl Senatsbeschluss vom 25. Juli 2017). Einer Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung stand nicht entgegen, dass sich die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid richtet (vgl BSG, Beschluss vom 8. November 2005 – B 1 KR 76/05 B = SozR 4-1500 § 158 Nr 2). Denn der Kläger hat noch die durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention verbürgte Möglichkeit, beim SG einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG zu stellen (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage § 158 Rn 6 mwN; BSG, Beschluss vom 12. Juli 2012 – B 14 AS 31/12 B = SozR 4-1500 § 105 Nr 3). Angesichts der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung des SG gilt insoweit auch nicht die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil eine Belehrung iSv § 66 Abs. 2 Satz 1 Halbs 2 Alt. 2 SGG, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei, auch dann vorliegt, wenn die Belehrung anstelle des statthaften Rechtsbehelfs (hier Nichtzulassungsbeschwerde) einen anderen fristgebundenen Rechtsbehelf (hier Berufung) nennt (vgl BSG, Uteil vom 14. Dezember 2006 – B 4 RA 19/06 R = SozR 4-3250 § 14 Nr 3).

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt, aber nicht statthaft. Sie ist daher bereits unzulässig.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,- EUR (Nr. 1) oder bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000,- EUR (Nr. 2) nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2). Die vorliegende Klage betrifft einen auf eine Dienstleistung gerichteten Verwaltungsakt. Die Klage, die Gegenstand der Berufung ist, betrifft die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Folgeeinladung vom 26. März 2014. Mit dem Bescheid hatte der Beklagte den Kläger zu einem Gespräch am 10. April 2014 eingeladen. Rechtlich handelte es sich damit um eine Meldeaufforderung nach § 59 SGB II. Die Meldeaufforderung stellt einen Verwaltungsakt dar (vgl BSG, Urteil vom 29. April 2015 - B 14 AS 19/14 R – juris - mwN, Beschluss vom 19. Dezember 2011 - B 14 AS 146/11 B – juris). Es handelte sich bei der Meldeaufforderung vom 26. März 2014 um einen Verwaltungsakt, der auf Beratung, Information und Unterstützung des Klägers durch den Beklagten bei seiner Eingliederung in Arbeit und damit auf eine Dienstleistung gerichtet war.

Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt jedoch nicht 750,- EUR. Bei einem Feststellungsantrag – wie hier - muss das Gericht den Wert ermitteln (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl § 144 Rn. 15b mwN; BSG v. 05.08.2015 - B 4 AS 17/15 B - juris). Der Wert wird vom Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt (§ 202 S. 1 SGG iVm § 3 Zivilprozessordnung - ZPO). Dabei ist maßgeblich die sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebende Bedeutung der Sache zu berücksichtigen, dh in der Regel dessen wirtschaftliches Interesse an der erstrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen (vgl BSG aaO).

Der Kläger will mit seiner Fortsetzungsfeststellungsklage sicherstellen, dass zukünftig keine ähnlich gelagerten Meldeaufforderungen des Beklagten mehr ergehen und er damit nicht der Gefahr einer Minderung seines Arbeitslosengeld (Alg) II-Anspruches nach § 32 SGB II ausgesetzt ist, falls er ihnen nicht Folge leistet. Das wirtschaftliche Interesse des Klägers besteht im vorliegenden Rechtsstreit somit darin, zukünftig von den möglichen wirtschaftlichen Folgen des Nichterscheinens auf eine Meldeaufforderung des Beklagten hin verschont zu bleiben. Aus diesem Grund ist zur Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstands an die Höhe der nach § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB II für den Fall, dass ein Leistungsberechtigter trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden, nicht nachkommt, drohenden Minderung anzuknüpfen (vgl auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. Dezember 2016 – L 18 AS 669/16 – juris). Für diese Betrachtungsweise spricht auch, dass die Möglichkeit, eine Meldeaufforderung gerichtlich überprüfen zu lassen, nicht in weitreichenderem Umfang bestehen kann als die Möglichkeit zur Überprüfung der aus dem Nichtbefolgen der Meldeaufforderung folgenden Minderung nach § 32 SGB II. Für den Fall, dass der Kläger der hier streitgegenständlichen Meldeaufforderung nicht nachkommen würde, drohte ihm gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 iVm § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II eine dreimonatige Minderung des Arbeitslosengelds II um (nochmals) 10 vH des für ihn nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs (vgl auch die Hinweise des Beklagten in der Meldeaufforderung vom 26. März 2014). Dieser betrug seinerzeit 391,- EUR. Somit drohte dem Kläger eine (weitere) Minderung seines Alg II iHv insgesamt 117,30 EUR ungeachtet dessen, dass der Beklagte dann eine entsprechende Minderung nicht verlautbart hatte. Damit übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstands nicht 750,- EUR.

Da die Klage auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft, hätte die Berufung der Zulassung durch das SG bedurft. Das SG hat die Berufung indes nicht zugelassen, sondern dem Gerichtsbescheid eine – unzutreffende - Rechtsmittelbelehrung über die Möglichkeit der Anfechtung des Gerichtsbescheids mit Berufung beigefügt. Darin ist keine Zulassung der Berufung zu sehen (st Rspr des BSG, vgl zB BSG, Urteil vom 23. Juli 1998 - B 1 KR 24/96 R - juris). Der Kläger hätte insoweit grundsätzlich noch die Möglichkeit, gegen den Gerichtsbescheid Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen (oder – vgl die obigen Ausführungen - mündliche Verhandlung zu beantragen), auch wenn für den Senat ein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich ist.

Nach alledem ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Berufung des Klägers auch unbegründet ist. Die Klage iSv § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG auf Feststellung, dass die – durch Zeitablauf iSv § 39 Abs. 2 Alt. 4 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) erledigte (vgl BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 - B 4 AS 45/15 R – juris - zur Erledigung eines Eingliederungsverwaltungsakts) - Meldeaufforderung des Beklagten vom 24. März 2014 rechtswidrig war, ist bereits unzulässig, weil dem Kläger das berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung fehlt.

Ein Fortsetzungsfeststellungsantrag ist nur zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. Hierfür ist kein rechtliches Interesse erforderlich. Es genügt ein durch die Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigtes Interesse, das rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein kann. Das Interesse kann sich unter dem Gesichtspunkt einer Wiederholungsgefahr, einer Präjudizialität (hierzu zählt auch ein Schadensinteresse) oder eines Rehabilitationsinteresses ergeben. Zwar sind hinsichtlich der Geltendmachung eines solchen Feststellungsinteresses keine großen Anforderungen an die Substantiierungspflicht zu stellen. Allerdings hat der Rechtsuchende zumindest darzulegen, welche der genannten Umstände sein Feststellungsinteresse begründen (vgl BSG, Urteil vom 28. August 2007 - B 7/7a AL 16/06 R = SozR 4-1500 § 131 Nr. 3).

Ein Feststellungsinteresse des Klägers ist nicht unter dem Gesichtspunkt einer Präjudizialität zu begründen. Eine etwaige Rechtswidrigkeit der Meldeaufforderung wäre im Rahmen der Anfechtung eines hierauf etwaig ergangenen Minderungsbescheids ("Sanktionsbescheids") zu prüfen gewesen (siehe zur Inzidentprüfung der Rechtmäßigkeit einer Meldeaufforderung im Rahmen der Anfechtung eines deswegen ergangenen Minderungsbescheids BSG, Urteil vom 29. April 2015 - B 14 AS 19/14 R -), der indes nicht ergangen ist. Ein Feststellungsinteresse des Klägers ergibt sich auch nicht aus einem möglichen Rehabilitationsinteresse. Es liegt weder ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vor - der Kläger ist zum Meldetermin am 10. April 2014 schon gar nicht erschienen -, noch steht eine klärungsbedürftige verfassungsrechtliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung im Raum. Schließlich ist auch eine Wiederholungsgefahr aus den vom SG aufgezeigten Erwägungen nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (vgl § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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