L 5 R 2396/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 3552/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2396/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11.05.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1962 geborene Klägerin (GdB 70) hat keinen Beruf erlernt. Sie war zuletzt als Maschinenbedienerin versicherungspflichtig beschäftigt. Ab 28.02.2013 war sie arbeitsunfähig erkrankt und bezog nach Ende der Lohnfortzahlung vom 20.03.2013 bis Oktober 2015 zunächst Krankengeld und sodann Arbeitslosengeld.

Am 17.02.2014 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung; sie sei wegen Depressionen, Epilepsie und eines Bandscheibenvorfalls erwerbsgemindert.

Vom 11.06.2013 bis 02.07.2013 hatte die Klägerin eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der Rehaklinik H., B.-B. (Fachklinik für Innere Medizin und rheumatische Erkrankungen), absolviert (zuvor bereits stationäre Rehabilitationsbehandlung vom 10.12.2009 bis 14.01.2010 in der M.-B.-Klinik, K.; Entlassungsbericht vom 15.01.2010: leichte bis mittelschwere Tätigkeiten 6 Stunden täglich und mehr möglich). Im Entlassungsbericht vom 08.07.2013 sind folgende Diagnosen festgehalten: mikrochirurgische Dekompression am 24.05.2013 bei Spondylolisthesis L5/S1 Grad I-II und Foramenstenose L5/S1, fam. kombinierte Hyperlipidämie, Nikotinkonsum (10 Zigaretten/Tag), Depression sei 5 Jahren, Epilepsie seit 18. Lebensjahr (letzter Anfall November 2012, keine Aura). Die Klägerin könne als Fabrikarbeiterin 6 Stunden täglich und mehr arbeiten und in gleichem Umfang mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) verrichten.

Die Beklagte zog Arztunterlagen bei und befragte ihren beratungsärztlichen Dienst. Unter dem 26.03.2014 führte der Chirurg und Sozialmediziner Dr. Sch. aus, bei der Klägerin lägen eine Minderbelastbarkeit der Rumpfwirbelsäule bei Spondylolisthese und operiertem Bandscheibenvorfall, eine seit Jahren medikamentös eingestellte Epilepsie, ein mit CPAP behandeltes Schlafapnoesyndrom sowie eine depressive Reaktion vor. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) 6 Stunden täglich und mehr verrichten. Unter dem 28.05.2014 schloss sich der Internist, Rheumatologe und Sozialmediziner Dr. L. der Leistungseinschätzung des Dr. Sch. an.

Mit Bescheid vom 28.03.2014 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Den dagegen am 22.04.2014 eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2014 zurück.

Am 31.07.2014 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Sie könne vor allem wegen ihrer orthopädischen und psychiatrischen Erkrankungen nicht mehr erwerbstätig sein.

Die Beklagte trat der Klage unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheids entgegen.

Das SG befragte zunächst behandelnde Ärzte. Der Orthopäde und Unfallchirurg Dr. St. teilte im Bericht vom 11.09.2014 mit, die Klägerin habe sich einmalig am 27.03.2014 vorgestellt. Der Internist Dr. Z. (Hausarzt der Klägerin) gab im Bericht vom 21.09.2014 an, auf Grund der während der Behandlung der Klägerin gewonnenen Erkenntnisse sei die Verrichtung einer körperlich leichten Berufstätigkeit im Umfang von 6 Stunden täglich nicht ausgeschlossen. Der Neurologe F. führte im Bericht vom 06.10.2014 aus, ein Jahr nach der Operation sei von einem stabilen LWS-Befund auszugehen. Nervenschädigungen ließen sich nicht nachweisen, sodass auf Grund der Wirbelsäulenproblematik von Arbeitsfähigkeit für leichte Tätigkeiten über 3 bis 6 Stunden täglich auszugehen sei. Der Allgemein- und Betriebsmediziner Dr. T. (Betriebsarzt des Beschäftigungsbetriebs der Klägerin) gab im Bericht vom 04.11.2014 an, Befunde habe er als Betriebsarzt nicht erhoben. Auf Grund der vorliegenden Unterlagen und der Kenntnis der Arbeitsplatzsituation schließe er die Verrichtung auch leichter Tätigkeiten im Umfang von mehr als 6 Stunden täglich aus.

Das SG erhob sodann das Gutachten des Neurologen, Psychotherapeuten und Sozialmediziners Dr. B. (Neurologische Klinik S., B.) vom 27.02.2015. Dr. B. stellte auf Grund der Untersuchung der Klägerin am 20.01.2015 folgende Diagnosen: Dysthymia, Anfallsleiden, V.a. dissoziative Anfälle, Postnukleotomiesyndrom. Psychopathologisch habe sich eine zum depressiven Pol verschobene Stimmung mit verminderter Psychomotorik und reduziertem Antrieb gezeigt. Testpsychologisch (u.a. BDI-Test) hätten sich Hinweise für eine deutliche und klinisch relevante Depressivität mit einer hohen Anzahl belastender Symptome ergeben, wobei aber eine Aggravationstendenz unverkennbar sei. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) 6 Stunden täglich und mehr verrichten. Sie sei auch wegefähig.

Das SG erhob außerdem auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG; im Gutachtensauftrag vom 21.04.2015 versehentlich Gutachterbestellung von Amts wegen) das Gutachten des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. St. vom 10.07.2015 und das Gutachten des Neurologen, Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. M. vom 23.01.2016.

Dr. St. stellte auf Grund der Untersuchung der Klägerin vom 18.06.2015 folgende Diagnosen: wiederkehrende Cervicocephalgie bei Osteochondrose C4-7, Impingementsyndrom beider Schultergelenke, Schultereckgelenksarthrose rechts, Arthralgie rechtes Ellenbogengelenk, initiale Heberden- und Bouchardarthrose rechts, initiale Arthrose rechts radiale Handwurzel, Z.n. Bandscheibenoperation L5/S1 rechts, Wurzelreizsyndrom S 1 rechts bei knöcherner Stenosierung des Neuroforamens L5/S1 rechts, Spondylolisthesis L5/S1 Grad Meyerding 2, initiale Coxarthrose links, initiale mediale und retropatellare Gonarthrose rechts, Knick-Platt-Spreizfußdeformität beidseits, Metatarsalgie rechts, initiale Arthrose des Großzehengrundgelenks rechts. Die Klägerin könne leichte körperliche Arbeit im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Nach jeweils 2 Stunden sollte eine Pause von ca. 20 Minuten möglich sein.

Dr. M. stellte auf Grund der Untersuchung der Klägerin am 15.01.2016 folgende Diagnosen: Dysthymia, rezidivierende schwere depressive Störung, sonstige generalisierte Epilepsie, Angststörung, Anpassungsstörung, posttraumatische Belastungsstörung, dissoziative Krampfanafälle, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Anteilen, lumbale Bandscheibenschädigung mit Radikulopathie, Nervenwurzelkompression, Schlafapnoe-Syndrom. Die Klägerin könne nur noch unter 3 Stunden täglich und das auch nicht regelmäßig erwerbstätig sein.

Die Beklagte legte die beratungsärztliche Stellungnahme der Neurologin, Psychiaterin und Sozialmedizinerin Dr. E. vom 22.02.2016 vor. Die von Dr. M. (als vormals behandelnder Arzt der Klägerin) erhobenen psychopathologischen Befunde spiegelten die Diagnose einer rezidivierend schweren depressiven Störung an Hand von Zusatz- und Kernsymptomen einer depressiven Episode nicht wider. Die gestellte Diagnose sei an Hand der Darstellung im Gutachten sowie der vorliegenden Unterlagen nicht nachvollziehbar, da sich ein undulierender Verlauf einer depressiven Störung nicht abzeichne. Ebenfalls wenig nachvollziehbar sei die Parallelität der Diagnosen Dysthymia, rezidivierend depressive Störung, Anpassungsstörung und posttraumatische Belastungsstörung. Bei doch deutlich eingeschränkter Konsistenzprüfung erscheine die Leistungseinschätzung des Gutachters (unter 3 Stunden täglich) inplausibel. Das Gutachten könne insgesamt nicht überzeugen. Es bleibe bei der bisherigen Leistungseinschätzung.

Dr. M. hielt in einer von der Klägerin veranlassten Stellungnahme vom 17.04.2016 an seiner Auffassung fest.

Mit Urteil vom 11.05.2016 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin könne Erwerbsminderungsrente nicht beanspruchen, weil sie leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne; Erwerbsminderung liege daher nicht vor (vgl. § 43 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI). Das ergebe sich aus den überzeugenden Gutachten des Dr. B. und des Dr. St.; der abweichenden Auffassung (insbesondere) des Dr. M. sei nicht zu folgen.

Gegen das ihr am 06.06.2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.06.2016 Berufung eingelegt. Das SG hätte der Auffassung des Dr. M. folgen müssen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11.05.2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.07.2014 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.02.2014 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme des Psychiaters, Psychotherapeuten und Sozialmediziners Dr. N. vom 12.07.2016 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, es falle auf, dass sich Dr. M. vollumfänglich auf die subjektiven Beschwerdeangaben der Klägerin gestützt habe, ohne die in sozialmedizinischen Gutachten übliche Konsistenzprüfung an Hand der Darstellung der psychosozialen Integration vorzunehmen. Auffällig sei auch, dass die von der Klägerin angegebenen Beschwerden tatsächlich zu einem depressiven Syndrom bei niedrig dosierter Psychopharmakotherapie passen könnten. Eine Konsistenzprüfung dieser Angaben durch Medikamentenspiegel sei nicht durchgeführt worden. Als Gutachtensergebnis sei eine schwankende Verlaufsform der Depressivität (keine Chronifizierung) benannt worden (rezidivierende depressive Störung), so dass Hinweise auf Phasen der Arbeitsunfähigkeit bestünden, jedoch nicht auf eine Erwerbsminderung. Hinsichtlich der angegebenen Schmerzstörung finde keine durchgreifende Schmerztherapie oder anderweitige (therapeutische) Anstrengung statt. Es bleibe bei der bisherigen Leistungseinschätzung.

Die Klägerin hat die Atteste ihres Hausarztes Dr. Z. vom 23.12.2016 (weiterhin regelmäßige etwa monatliche Behandlung mit dauerhafter Medikamentengabe, chronische, sich eher verschlechternde Depression) und vom 04.01.2017 (stationäre Behandlung erforderlich) vorgelegt. Die Beklagte hat dazu die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. N. vom 08.02.2017 vorgelegt (im - fachfremden - Hausarztattest vom 23.12.2016 weder Angabe verabreichter Medikamente mit Dosierung noch nachvollziehbarer psychopathologischer Befund benannt).

Vom 30.01.2017 bis 14.03.2017 ist die Klägerin in der F.-H.-Klinik (Zentrum für anthroposophische Psychiatrie), B., stationär behandelt worden; sie hat sich freiwillig in die stationäre Behandlung begeben. Im Entlassungsbericht vom 09.05.2017 sind folgende Diagnosen festgehalten: rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, Dysthymia, posttraumatische Belastungsstörung, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, benigne essentielle Hypertonie ohne Angabe einer hypertensiven Krise, Epilepsie, nicht näher bezeichnet. Eine Psychotherapie finde nicht statt; es bestehe eine nervenfachärztliche Anbindung an Dr. M ... Im Laufe des Aufenthalts habe man eine leichte Besserung und eine gewisse Stabilität erarbeiten können. Zur Fortführung des Prozesses sei eine muttersprachliche Psychotherapie unabdingbar. Vor diesem Hintergrund erscheine die Berentung auch unter therapeutischen Gesichtspunkten sinnvoll. Man habe die Klägerin in stabilisiertem Zustand in die weitere ambulante Betreuung entlassen. Arbeitsfähigkeit habe bei Entlassung nicht bestanden.

Die Beklagte hat die abschließende beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. N. vom 30.05.2017 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, im Entlassungsbericht der F.-H.-Klinik werde (erneut) ohne entsprechende Nachvollziehbarkeit eine rezidivierende depressive Störung, eine Dysthymia und eine posttraumatische Belastungsstörung zur gleichen Zeit festgestellt. Für die diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung fänden sich Symptome weder in den anamnestischen Angaben noch im mitgeteilten psychopathologischen Befund. Worauf diese Diagnose beruhe erschließe sich nicht. Hierfür seien auch keine therapeutischen Maßnahmen eingeleitet worden, was aus psychiatrischer Sicht nicht nachvollziehbar sei. Außerdem werde gleichzeitig eine Dysthymia und eine schwere depressive Episode im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung geschildert. Insoweit sei die Dosis des Antidepressivums Venlafaxin von 375 mg/Tag auf 225 mg/Tag vermindert worden. Es sei kaum davon auszugehen, dass bei postulierter schwerer Depressivität eine Dosisreduktion vorgenommen werde, erst recht nicht, wenn eine Verschlechterung des Gesundheitszustands erklärt werde. Im Gegenteil wäre hier eine Intensivierung der Psychopharmakotherapie, vielleicht auch in Form einer Kombinationsbehandlung, als Hinweis für eine entsprechende Krankheitsschwere zu werten. In der Klinik habe eine Psychotherapie nicht stattgefunden; es seien unspezifische Beschäftigungsangebote und die Teilnahme der Klägerin an einer psychoedukativen Gruppe (Krankheitsaufklärung) benannt worden. Insgesamt bestehe daher nicht der Eindruck eines behandlungsbedürftigen Krankheitsbilds. Zudem habe man eine leichte Besserung und gewisse Stabilität erreichen können, weshalb offensichtlich eine schwankende Verlaufsform der Depressivität vorliege, die zu Arbeitsunfähigkeitszeiten führen könne. Die Entlassung der Klägerin in stabilisiertem psychischen Zustand in die weitere ambulante Behandlung begründe nicht den Eindruck eines überdauernden psychischen Krankheitsbilds. Insgesamt gebe der Entlassungsbericht Auskunft über eine episodische Verschlechterung einer schwankenden Verlaufsform der Depressivität, die sich auch ohne spezifische Therapiemaßnahmen im Verlauf des vergleichsweise kurzen stationären Aufenthalts gebessert habe. Es bleibe bei der bisherigen Leistungseinschätzung.

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er die Berufung, was vorliegend beabsichtigt sei, gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen kann, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Klägerin hat geltend gemacht, man möge bei der F.-H.-Klinik von Amts wegen eine Leistungseinschätzung einholen; die Klinik sei nicht bereit gewesen, ihr auf Wunsch ein entsprechendes Attest auszustellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des SG und des Senats Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung der Klägerin gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört.

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Sie hat darauf keinen Anspruch.

Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 1 Satz 2 bzw. § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit (länger als 6 Monate - vgl. KassKomm/Gürtner, SGB VI § 43 Rdnr. 25 unter Hinweis auf § 101 Abs. 1 SGB VI) außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI); volle Erwerbsminderung liegt vor, wenn das Leistungsvermögen krankheits- oder behinderungsbedingt auf unter 3 Stunden täglich abgesunken ist (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Davon ausgehend kann die Klägerin Erwerbsminderungsrente nicht beanspruchen. Die Würdigung der vorliegenden Arztberichte und Gutachten ergibt, dass sie leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das geht aus den Gutachten der Dres. B. und St., gestützt durch Berichte über Rehabilitationsbehandlungen der Klägerin und (teilweise) auch durch Berichte behandelnder Ärzte, und den beratungsärztlichen Stellungnahmen der Dres. E. und N. überzeugend hervor. Der abweichenden Auffassung (insbesondere) des Dr. M. kann sich der Senat demgegenüber nicht anschließen.

Die Klägerin stützt ihr Rentenbegehren im Kern auf Erkrankungen des psychiatrischen Fachgebiets. Eine sozialmedizinisch (rentenrechtlich) beachtliche Depressionserkrankung, die rentenberechtigende (zeitliche) Leistungseinschränkungen zur Folge hätte, ist jedoch nicht festgestellt.

Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 27.02.2015 eine Dysthymia diagnostiziert und schlüssig ein täglich sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten angenommen. Eine dauerhafte schwere Depressionserkrankung mit Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit (im rentenversicherungsrechtlichen Sinn) und nicht nur auf die Arbeitsfähigkeit (im krankenversicherungsrechtlichen Sinn, § 44 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, SGB V) hat er demgegenüber nicht gefunden. Die auf eine klinisch (deswegen aber noch nicht unbesehen auch rentenrechtlich) beachtliche Depressivität hinweisenden Ergebnisse testpsychologischer (psychometrischer) Selbstbeurteilungsverfahren, wie des BDI-Tests, geben letztendlich nur subjektive Beschwerdemitteilungen wieder und sind deswegen in erster Linie für therapeutische Zwecke und nicht für sozialmedizinische Begutachtungen konzipiert und validiert. Ohne Verankerung in entsprechenden psychopathologischen Befunden und ohne eingehende Konsistenzprüfung, zumal bei von Dr. B. konstatierter unverkennbarer Aggravationstendenz der Klägerin, kommt ihnen in der Rentenbegutachtung wenig Aussagekraft zu. Dr. B. hat das zutreffend berücksichtigt. Seine sozialmedizinische Leistungseinschätzung deckt sich mit der, wenn auch längere Zeit zurückliegenden, Leistungseinschätzung der Ärzte der M.-B.-Klinik im Entlassungsbericht vom 15.01.2010, der im Verwaltungsverfahren getroffenen Leistungseinschätzung der Dres. Sch. und L. (Stellungnahmen vom 26.03.2014 und vom 28.05.2014) und der Leistungseinschätzung in den während des Gerichtsverfahrens vorgelegten Stellungnahmen des beratungsärztlichen Dienstes der Beklagten.

Der abweichenden Auffassung des Dr. M., der im auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG erhobenen Gutachten vom 23.01.2016 ein auf unter 3 Stunden täglich abgesunkenes Leistungsvermögen angenommen hat, ist das SG zu Recht nicht gefolgt. Dieses Gutachten weist erhebliche Mängel auf und es enthält keine schlüssige und nachvollziehbare sozialmedizinische (rentenrechtliche) Leistungseinschätzung. Dr. M. hat psychopathologische Befunde, die die Annahme einer sozialmedizinisch (rentenrechtlich) beachtlichen Depressionserkrankung stützen könnten, (ebenfalls) nicht erhoben. Darauf hat Dr. E. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 22.02.2016 zutreffend hingewiesen und betont, dass sich die Diagnose des Dr. M. in den einschlägigen Kern- und Zusatzsymptomen der (schweren) depressiven Episode nicht widerspiegelt. Der Gutachter hat sich, wie Dr. N. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 12.07.2016 zu Recht beanstandet hat, vollumfänglich auf subjektive Beschwerdeangaben der Klägerin gestützt und das Vorliegen einer rezidivierenden schweren depressiven Störung damit letztendlich nur thesenartig postuliert, nicht aber, was für eine überzeugende sozialmedizinische Leistungseinschätzung unabdingbar ist, aus Befunden nachvollziehbar begründet. Subjektive Beschwerdeangaben und, wie bereits dargelegt worden ist, auch die Selbsteinschätzung von Versicherten in psychometrischen Selbstbeurteilungsverfahren können ohne eine dem sozialmedizinischen Standard entsprechende Konsistenzprüfung (ggf. auch durch Erhebung eines Medikamentenspiegels hinsichtlich angegebener Pharmakotherapien) und ohne Verankerung in entsprechenden Befunden eine überzeugende sozialmedizinische (rentenrechtliche) Leistungseinschätzung nicht tragen; das Fehlen einer ausreichenden Konsistenzprüfung im Gutachten des Dr. M. haben die Dres. E. und N. in den beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 22.02.2016 und 12.07.2016 zutreffend moniert. Auch die Diagnose einer, im Übrigen nicht behandelten, posttraumatischen Belastungsstörung ist in entsprechenden Befunden nicht verankert. Hierfür sind, so Dr. N. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.05.2017 zum Entlassungsbericht der F.-H.-Klinik, keine Symptome mitgeteilt; das gilt auch für das Gutachten des Dr. M., der diese Diagnose erstmals postuliert hat. Die Dres. E. und N. haben schließlich die unverbundene Nebeneinanderstellung (namentlich) der Diagnosen einer rentenrechtlich grundsätzlich nicht beachtlichen (bloßen) Dysthymia und einer rentenrechtlich unter weiteren Voraussetzungen (dazu sogleich) möglicherweise beachtlichen rezidivierenden (schweren) depressiven Störung im Gutachten des Dr. M. und ebenso im Entlassungsbericht der F.-H.-Klinik als wenig nachvollziehbar bezeichnet (beratungsärztliche Stellungnahme vom 22.02.2016 bzw. vom 30.05.2017).

Depressionserkrankungen, rentenrechtliche Beachtlichkeit vorausgesetzt, führen nicht unbesehen zur Berentung. Sie sind vielmehr behandelbar und auch zu behandeln, bevor Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI angenommen werden kann (vgl. auch Senatsurteil vom 27.04.2016, - L 5 R 459/15 -, in juris). Wie aus den Leitlinien der Beklagten für die sozialmedizinische Begutachtung (Stand August 2012, Leitlinien) hervorgeht, bedingt eine einzelne mittelgradige oder schwere depressive Episode in den meisten Fällen vorübergehende Arbeitsunfähigkeit und erfordert eine Krankenbehandlung, stellt jedoch in Anbetracht der üblicherweise vollständigen Remission keine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit dar. Eine ungünstige Prognose bezüglich der Erwerbsfähigkeit kommt danach (erst) in Betracht, wenn mehrere der folgenden Faktoren zusammentreffen: Eine mittelschwer bis schwer ausgeprägte depressive Symptomatik, ein qualifizierter Verlauf mit unvollständigen Remissionen, erfolglos ambulante und stationäre, leitliniengerecht durchgeführte Behandlungsversuche, einschließlich medikamentöser Phasenprophylaxe (z.B. Lithium, Carbamazepin, Valproat), eine ungünstige Krankheitsbewältigung, mangelnde soziale Unterstützung, psychische Komorbidität, lange Arbeitsunfähigkeitszeiten und erfolglose Rehabilitationsbehandlung (Leitlinien S. 101 f.). Eine Fallgestaltung dieser Art ist bei der Klägerin nicht festgestellt. Es findet vielmehr eine leitliniengerechte multimodale (psychiatrische, psychotherapeutische, psychopharmakologische) Depressionsbehandlung ersichtlich nicht statt. Das gilt auch in Ansehung des, so Dr. N. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.05.2017, vergleichsweise kurzen (freiwilligen) stationären Aufenthalts der Klägerin in der F.-H.-Klinik. Dort ist eine psychotherapeutische Behandlung (ebenfalls) nicht durchgeführt und es ist außerdem darauf hingewiesen worden, dass eine ambulante Psychotherapie nicht stattfindet. Zudem hat man hat die Dosis eines applizierten Antidepressivums (Venlafaxin) herabsetzen können (von 375 mg/Tag auf 225 mg/Tag). Das spricht, wie Dr. N. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.05.2017 ebenfalls überzeugend dargelegt hat, gegen das Vorliegen schwerer Depressivität und letztendlich gegen das Vorliegen eines chronifizierten behandlungsbedürftigen (psychiatrischen) Krankheitsbildes. Möglicherweise besteht bei der Klägerin, was mit der Diagnose einer Dysthymie vereinbar wäre, ein rezidivierendes, schwankend verlaufendes Depressivitätsbild; hierfür spricht die von der F.-H.-Klinik berichtete Besserung und Stabilisierung für die ambulante Weiterbehandlung. Bei einem Krankheitsbild dieser Art kommt freilich nur zeitlich vorübergehende Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn, nicht jedoch die Feststellung dauerhafter Erwerbsminderung im rentenversicherungsrechtlichen Sinn in Betracht. Dr. N. hat das in den beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 12.07.2016 und vom 30.05.2017 ebenfalls zutreffend dargelegt. Nichts anderes gilt für eine (mit Erkrankungen des psychiatrischen Fachgebiets zusammenhängende) Schmerzerkrankung, nachdem, wie Dr. N. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 12.07.2016 ausgeführt hat, eine leitliniengerechte Schmerzbehandlung ebenso wenig stattfindet wie eine leitliniengerechte Depressionsbehandlung.

In der Summe kann der Senat eine auf Erkrankungen des psychiatrischen Fachgebiets beruhende rentenberechtigende (zeitliche) Leistungseinschränkung i.S.d. § 43 SGB VI nicht feststellen. Die Rentengewährung zu therapeutischen Zwecken, was man in der F.-H.-Klinik offenbar für sinnvoll hält, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Auch Erkrankungen anderer Fachgebiete können einen Rentenanspruch nicht begründen. Das gilt namentlich für Erkrankungen des orthopädischen Fachgebiets, wie Dr. St. im auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG erhobenen Gutachten vom 10.07.2015 in Einklang mit dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik H. vom 08.07.2013 (dort Rehabilitationsbehandlung nach Wirbelsäulenoperation am 24.05.2013) überzeugend festgestellt hat. Stichhaltige Einwendungen hiergegen sind nicht erhoben worden. Der Neurologe F. hat hinsichtlich des Wirbelsäulenleidens ebenfalls ein täglich sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten befürwortet (Bericht vom 06.10.2014), was auch Dr. Z. in seinem Bericht vom 21.09.2014 angenommen hat; hierauf kommt es ausschlaggebend aber nicht mehr an. Der Bericht des Betriebsarztes Dr. T. vom 04.11.2014 enthält eine ärztliche Meinungsäußerung, jedoch keine aus Befunden nachvollziehbar begründete sozialmedizinische Leistungseinschätzungen; Befunde hat Dr. T., der Allgemeinarzt und weder Psychiater noch Orthopäde ist, auch nicht erhoben.

Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB IV) kommt für die 1962 geborene Klägerin (von vornherein) nicht in Betracht (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Bei dieser Sachlage drängen sich dem Senat angesichts der vorliegenden Gutachten und Arztberichte weitere Ermittlungen, insbesondere weitere Begutachtungen oder die von der Klägerin angeregte Befragung der F.-H.-Klinik zum rentenrechtlichen Leistungsvermögen nicht auf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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