Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 2 AL 64/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 36/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 AL 1/17 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Auch unabhängig durchgeführte und durch ein Stipendium finanzierte Forschungsprojekte eines Privatdozenten stellen eine selbständige Tätigkeit im Sinne des § 28a SGB 3 dar.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 22. März 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Antragspflichtversicherung des Klägers in der Arbeitslosenversicherung ab dem 1. Juni 2014.
Der 1976 geborene Kläger war zuletzt vom 15. Mai 2007 bis 14. Mai 2014 bei der D. Universität A-Stadt abhängig beschäftigt. In dieser Zeit wurde er habilitiert. Für seine weitere Forschungstätigkeit als Privatdozent wurde ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ein Heisenbergstipendium für die Dauer von (zunächst) 36 Monaten bewilligt. Dieses diene dazu, Wissenschaftlern, die bereits die Voraussetzungen für die Berufung auf eine Dauer-Professur erfüllen, zu ermöglichen, sich auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vorzubereiten und in dieser Zeit weiterführende Forschungsthemen zu bearbeiten. Der Kläger erhalte monatlich einen Zuschuss von 4.553,00 EUR (einschließlich eines Zuschlags von 500,00 EUR monatlich für die Versteuerung der Einnahmen als Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit). Für die Publikation der wissenschaftlichen Ergebnisse des Stipendiums erhalte er zusätzlich 2.250,00 EUR. Der Förderungszeitraum beginne am 1. Juni 2014.
Daraufhin nahm der Kläger am 1. Juni 2014 die Arbeit an zwei Forschungsprojekten auf. Diese bestehen insbesondere aus Recherchetätigkeiten zu den Projekten "Frühe Monumente des Mittelelbe-Saale-Gebietes in ihrem kulturellen und landschaftlichen Kontext – Studien zur Baalberger Kultur" und "Der Vulkanausbruch von Santorin in der ägäischen Spätbronzezeit – Methodische Überlegungen zur Datierung von Ereignisgeschichte in der Ur- und Frühgeschichte". Die damit im Zusammenhang stehenden Ausgaben, insbesondere für Reisekosten, trug der Kläger selbst. Seinen Lebensunterhalt bestritt er seitdem in erster Linie aus dem Stipendium. Daneben erzielte er Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Autor wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Die Überschüsse wurden vom Finanzamt Marburg-Biedenkopf als Gewinne aus selbstständiger Tätigkeit zur Einkommensteuer herangezogen.
Im Juni 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses bei selbstständiger Tätigkeit. Er habe die Tätigkeit am 1. Juni 2014 aufgenommen; sie werde voraussichtlich am 31. Mai 2017 enden. Zugleich legte der Kläger der Beklagten nähere Unterlagen zu seinem Stipendium vor. Mit Bescheid vom 25. Juni 2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung ab. Es fehle an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag. Der Kläger habe "ein Forschungsstipendium aufgenommen". Es liege weder eine selbstständige Tätigkeit noch eine Auslandsbeschäftigung vor. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht Widerspruch, der später anwaltlich begründet wurde. Er stellte sich auf den Standpunkt, er habe im Rahmen des Heisenbergstipendiums eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen. Er arbeite weisungsunabhängig und könne frei über die eigene Arbeitskraft, den Arbeitsort und die Arbeitszeit verfügen. Nur er trage auch das unternehmerische Risiko seiner Tätigkeit. Dem entspreche auch die steuerrechtliche Berücksichtigung der Zahlungen aus dem Stipendium der DFG.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2014 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Das Stipendium stelle keine selbstständige Tätigkeit im Sinne der Arbeitslosenversicherung dar. Weder ein Existenzgründungsstipendium noch (erst Recht) ein Forschungsstipendium erfüllten die dafür in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Voraussetzungen. Der Widerspruchsbescheid wurde an die vom Kläger bevollmächtigte Anwaltskanzlei adressiert. Auf dem Entwurf in den Verwaltungsvorgängen wurde vermerkt, er sei am 11. August 2014 abgesandt worden. Später erzeugte die Beklagte aus ihrem Computersystem einen Vermerk, wonach der Widerspruchsbescheid am 12. August 2014 an den Kläger persönlich versandt worden sei.
Am 17. Oktober 2014 hat der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Marburg erhoben. Er hat geltend gemacht, die Beklagte habe seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Juni 2014 nicht innerhalb der Drei-Monats-Frist beschieden. Dem ist die Beklagte unter Hinweis auf ihren Widerspruchsbescheid vom 12. August 2014 entgegengetreten. Dieser sei am 12. August 2014 zur Post gegeben worden. Daraufhin hat der Kläger erklärt, dieser Widerspruchsbescheid sei bislang weder ihm noch seinem Bevollmächtigten zugegangen. Er hat um nachträgliche Bekanntgabe gebeten. Diese ist sodann dadurch bewirkt worden, dass das Gericht dem Klägervertreter Akteneinsicht in die Beklagtenakte gewährt hat (Empfangsbekenntnis vom 30. Oktober 2014). Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 4. November 2014 die ursprüngliche Untätigkeitsklage in eine Anfechtungs- und Feststellungsklage geändert.
Die Beklagte, die der Klageänderung zugestimmt hat, ist der Rechtsauffassung des Klägers weiter entgegen getreten.
Auf die Aufforderung des Sozialgerichts hin hat der Kläger eine Tätigkeitsbeschreibung sowie eine Gewinnermittlung (beispielhaft für das Jahr 2014) vorgelegt.
Nachdem sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hatten, hat das Sozialgericht Marburg mit Urteil vom 22. März 2016 ohne mündliche Verhandlung den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2014 aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger seit dem 1. Juni 2014 versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung ist.
Der Klage sei in vollem Umfang stattzugeben gewesen, da sie zulässig und begründet sei.
Statthafte Klageart für das tatsächliche Begehren des Klägers sei die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (siehe zuletzt BSG, Urteil v. 4. Dezember 2014, B 5 AL 1/14 R – SozR 4–4300 § 28a Nr. 9 = SGb 2016, 47 ff.), der sich die Kammer ausdrücklich anschließe, trete die Versicherungspflicht nach § 28a Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) auf einen Antrag hin kraft Gesetzes ein.
Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage sei auch im Übrigen zulässig. Der in dem Übergang von der Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG zur kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage liegenden Klageänderung habe die Beklagte zugestimmt, so dass gemäß § 99 Abs. 1 SGG von ihrer Zulässigkeit auszugehen sei. In diesem Fall komme es für die Zulässigkeit der Klage im Übrigen auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des geänderten Klageantrags an. Im vorliegenden Fall habe der Schriftsatz des Klägers vom 4. November 2014 die Klagefrist des § 87 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 SGG gewahrt. Danach sei die Klage binnen eines Monats nach der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zu erheben. Der Kläger und sein Bevollmächtigter hätten vorgetragen, den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12. August 2014 zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 16. Oktober 2014 noch nicht erhalten zu haben. Diese Angaben seien glaubhaft. Der Klägervertreter habe kein eigenes Interesse an einer Zugangsvereitelung. Im Hinblick auf den Kläger spreche die Erhebung einer Untätigkeitsklage, die für ihn mit einem Kostenrisiko verbunden sei, dafür, dass ihm der Widerspruchsbescheid der Beklagten tatsächlich nicht bekannt gewesen sei. Ohnehin sei im Zweifel von einer rechtzeitigen Klageerhebung auszugehen, da die beklagte Behörde die objektive Beweislast für den Beginn der Klagefrist trage (siehe Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 87 Rdnr. 4d). Im vorliegenden Fall sei der Widerspruchsbescheid von der Beklagten im August 2014 anscheinend mit einfacher Post versandt worden. Sein Zugang sei daher nicht nachweisbar. Der früheste Zeitpunkt, in dem sich die Bekanntgabe des Bescheids sicher nachweisen lasse, sei der Tag des Empfangsbekenntnisses des Klägervertreters für den Erhalt der zur Einsicht übersandten Beklagtenakte (30. Oktober 2014). Ausgehend von diesem Datum sei die Klagefrist durch den Schriftsatz vom 4. November 2014 gewahrt worden.
Bei dem Kläger bestehe auch das für eine Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG erforderliche Feststellungsinteresse. Die streitige Frage, ob zwischen den Beteiligten ein Versicherungspflichtverhältnis besteht, habe verschiedene Auswirkungen (etwa beitragsrechtlich und leistungsrechtlich), so dass eine abstrakte Klärung des Rechtsverhältnisses für die Beteiligten von großer Bedeutung und damit auch sachgerecht sei. Eine vorrangige Leistungsklage könnte nur Teilaspekte des vorliegenden Rechtsstreits klären.
Die Klage sei auch begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2014 sei aufzuheben, da er rechtswidrig sei und den Kläger in seinen Rechten verletze. Die Beklagte habe den Antrag des Klägers zu Unrecht abgelehnt. Er habe zur Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses zwischen den Beteiligten geführt.
Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren sei § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III. Danach könnten Personen ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründen, die eine selbstständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnähmen und ausübten.
Dies treffe auf den Kläger zu. Er habe am 1. Juni 2014 eine selbstständige Tätigkeit als Archäologe aufgenommen. Er habe diese Tätigkeit seitdem auch mit einem Umfang von mindestens 15 Wochenstunden ausgeübt.
Der Kläger übe als Privatdozent eine selbstständige Forschungstätigkeit aus. Diese bestehe nach seiner Tätigkeitsbeschreibung vom 5. Mai 2015, an der zu zweifeln die Kammer keinen Anlass sehe, in der Bearbeitung zweier Forschungsprojekte. Zur Aufarbeitung des Forschungsstandes zur "Baalberger Kultur" seien in erster Linie Bibliotheksrecherchen und der Besuch von Museen/Sammlungen/Depots vor allem in Sachsen-Anhalt erforderlich gewesen. Hierzu habe der Kläger eine umfangreiche Reisetätigkeit entfalten müssen, um dann vor Ort Objekte vermessen, fotografieren und zeichnen zu können. Bei dem Forschungsprojekt zum Vulkanausbruch von Santorin habe sich der Kläger dagegen überwiegend auf das Literaturstudium in verschiedenen Bibliotheken beschränken können. Der Kläger beabsichtige nach seinen Angaben die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse im Rahmen von Monographien. Gerichtsbekannt sei, dass es hierzu erforderlich sei, auch Zwischenergebnisse schriftlich niederzulegen und einzelne Passagen einer solchen größeren Forschungsarbeit auszuformulieren. Aus der Gewinnermittlung für das Jahr 2014 sei überdies ersichtlich, dass der Kläger bereits einzelne Forschungsergebnisse publiziert habe, da er seinerzeit bereits Einnahmen aus der Autorentätigkeit in Höhe von 1.150,00 EUR habe erzielen können.
Die vorbeschriebene Forschungstätigkeit entfalte der Kläger vollständig nach eigenem Dafürhalten. Er sei sowohl inhaltlich als auch von den äußeren Rahmenbedingungen her völlig frei und weisungsunabhängig. Es handelte sich daher geradezu um ein Musterbeispiel für eine selbstständige Tätigkeit (vgl. § 84 Abs. 1 S. 2 Handelsgesetzbuch: "Selbständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.").
Demgegenüber bestünden keinerlei Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung des Klägers. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) sei Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine solche abhängige Beschäftigung seien eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Zwischen dem Kläger und der D.-Universität A-Stadt bestünden seit dem 15. Mai 2014 keine rechtlichen Beziehungen mehr, die Grundlage für ein Beschäftigungsverhältnis sein könnten. Der Kläger sei auch nicht Beschäftigter der DFG. Diese vergebe ein Heisenberg-Stipendium an den Kläger, ohne von diesem dafür eine (für sich selbst eigennützige) Gegenleistung zu fordern. Sie erteile dem Kläger auch keine Weisungen für seine Forschungstätigkeit. Der Kläger sei auch nicht in die Arbeitsorganisation der DFG eingegliedert. Grundlage für die Vergabe eines Heisenberg-Stipendiums sei gerade die Ausübung eines Forschungsvorhabens mit voller Arbeitskraft. Stipendiaten dürften weder von gastgebenden Forschungsinstitutionen zu Arbeiten verpflichtet werden noch den Stipendienzweck beeinträchtigende Nebentätigkeiten ausüben. Die DFG erwarte lediglich, dass der Stipendiat seine selbstständige Forschungstätigkeit tatsächlich ausübe und die gewonnenen Ergebnisse publiziere. Diese Rahmenbedingungen der Förderung führten nicht zur Begründung eines Weisungsrechts im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV.
Schließlich handele es sich bei der Forschungstätigkeit des Klägers auch um eine auf Dauer angelegte, in persönlicher Unabhängigkeit berufsmäßig zu Erwerbszwecken ausgeübte Tätigkeit im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil v. 3. Juni 2009 – B 12 AL 1/08 R – Rdnr. 15). Mit dieser Anforderung sollten Tätigkeiten, die nur aus Liebhaberei oder zum Zeitvertreib verrichtet werden, aus dem Anwendungsbereich der Antragspflichtversicherung ausgeschlossen werden. Letzteres treffe auf die Forschungstätigkeit des Klägers aber nicht zu. Er übe diese Tätigkeit zu Erwerbszwecken aus. Einerseits habe der Kläger bereits im Jahr 2014 unmittelbar aus der Forschungstätigkeit stammende Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in nicht unerheblicher Höhe erzielt (1.150,00 EUR). Andererseits seien auch die Einkünfte aus dem Heisenberg-Stipendium als Erträge seiner Forschungstätigkeit anzusehen, so dass er aus dieser seinen Lebens-unterhalt bestreiten könne. Denn die Zahlungen der DFG seien an die Erbringung der Forschungstätigkeit geknüpft. Dies ergebe sich aus den aktenkundigen Verwendungsrichtlinien, die etwa für den Fall einer (auch krankheitsbedingten) Unterbrechung der Tätigkeit eine Einstellung der Zahlungen ermöglichten.
Dem entspreche auch die steuerrechtliche Einordnung der Zahlungen aus dem Heisenberg-Stipendium als Einkünfte aus freiberuflicher (wissenschaftlicher) Tätigkeit (Rundverfügung der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main, 12. August 2014, S 2121 A-13-St 213, FMNR38d310014, zitiert nach juris). Im Bereich des Beitrags- und Versicherungsrechts knüpfe das Sozialrecht häufig an steuerrechtliche Vorgaben an. Auch in diesem Fall halte es die Kammer für sinnvoll, einen Gleichlauf von steuerrechtlicher und sozialrechtlicher Bewertung vorzunehmen. Schließlich stehe der Zuordnung des Stipendiums als Erwerbseinkommen nicht entgegen, dass die Zahlungen von einer Institution erbracht würden, die dafür keine unmittelbare Gegenleistung erlange. Denn im Rahmen des hier zu prüfenden Tatbestandsmerkmals komme es nach dem oben zitierten Obersatz lediglich auf die Zwecksetzung des selbstständig Tätigen an. Nach alledem übe der Kläger auch eine auf die Sicherung seines Lebensunterhalts gerichtete Tätigkeit zu Erwerbszwecken aus.
Verfehlt sei demgegenüber die Herangehensweise der Beklagten, die in den angefochtenen Bescheiden geprüft habe, ob das Stipendium eine selbstständige Tätigkeit darstelle. Dies sei schon sprachlich unkorrekt (ebenso wie die Formulierung im Widerspruchsbescheid, der Kläger habe ein Stipendium "aufgenommen"). Ein Stipendium stelle eine finanzielle Unterstützung für Künstler, Sportler, Schüler, Studenten oder Jungwissenschaftler dar und sei als solche ein wesentliches Element der Begabtenförderung (so die Definition auf www.wikipedia.de). Diese finanzielle Zuwendung, mit der im vorliegenden Fall in gemeinnütziger Weise Forschungszwecke verfolgt würden, stelle naturgemäß gar keine Tätigkeit dar. Mit ihr könne allenfalls eine bestimmte Tätigkeit honoriert werden. So liege der Fall auch hier. Die DFG verlange von ihren Stipendiaten nach dem oben Gesagten die Entfaltung einer selbstständigen Tätigkeit. Das Heisenberg-Stipendium ermögliche es also dem Kläger erst, seinen archäologischen Forschungsarbeiten und damit einer selbstständigen Tätigkeit nachzugehen.
Zu Recht gingen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass (auch) die übrigen Voraussetzungen einer Antragspflichtversicherung nach § 28a SGB III erfüllt seien. Insoweit bestünden auch aus Sicht der Kammer keine Bedenken. Die Kammer sei aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers zu der Überzeugung gelangt, dass dieser innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe (§ 28a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB III). Er habe zudem auch unmittelbar vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen (§ 28a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB III). Die Forschungstätigkeit des Klägers sei weder versicherungspflichtig noch versicherungsfrei (§ 28a Abs. 2 S. 1 zweiter Halbsatz). Der Kläger sei auch zuvor noch nie versicherungspflichtig nach § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III gewesen (vgl. § 28a Abs. 2 S. 2 SGB III). Der Kläger habe den Antrag auf Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses im Juni 2014 und damit innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit gestellt (§ 28a Abs. 3 S. 1 SGB III). Bis zum Tag der Entscheidung durch die Kammer sei weder ein Ruhenstatbestand nach § 28a Abs. 4 SGB III eingetreten noch habe das einmal begründete Versicherungspflichtverhältnis nach § 28a Abs. 5 SGB III geendet.
Das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 22. März 2016 ist der Beklagten am 29. März 2016 zugestellt worden. Am 12. April 2016 hat diese hiergegen beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 8. August 2016 näher begründet. Danach könne den Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts zu der selbständigen Tätigkeit nicht zugestimmt werden. Bei der ausgeübten Tätigkeit sei bereits nicht erkennbar, dass es sich dabei um eine Tätigkeit für unbestimmte Zeit bzw. um eine auf Dauer angelegte Tätigkeit in eigener wirtschaftlicher Verantwortung und in persönlicher Unabhängigkeit handele. Das Forschungsstipendium sei auf drei Jahre befristet und diene einem bestimmten Zweck. Zudem werde die Forschungstätigkeit gerade nicht zu Erwerbszwecken ausgeübt, sondern diene allein der Vorbereitung auf eine wissenschaftliche Leitungsposition. Durch das Stipendium könne sich der Stipendiat hauptberuflich der Forschungstätigkeit widmen, ohne sich um seinen Lebensunterhalt kümmern zu müssen. Allein die Tatsache, dass das Stipendium vorliegend wohl aufgrund der Höhe zu versteuern sei, mache es nicht zu Erwerbseinkommen aus der Forschungstätigkeit. In der Regel sei ein Stipendium nach § 3 Nr. 44 EStG steuerfrei. Schließlich sei nach der Gesetzesbegründung der § 28a SGB III eingeführt worden, um v.a. Existenzgründern die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung zu bieten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 22. März 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Seiner Auffassung nach vermögen die rechtlichen Ausführungen der Beklagten nicht zu überzeugen. Gerade aus der Gesetzesbegründung ergäbe sich die von der Beklagten dargestellte rechtliche Auffassung nicht. Maßgebliches Kriterium sei vielmehr die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in Abgrenzung zur abhängigen Beschäftigung. Auf eine irgendwie geartete Gewinnerzielungsabsicht komme es nicht an, obwohl eine solche vorliegend aber auch nicht in Abrede gestellt werden könne.
Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2017 hat der Bevollmächtigte des Klägers mitgeteilt, dass das Stipendium ab dem 1. Juni 2017 für weitere 24 Monate verlängert worden sei und hierzu die Bewilligungsbestätigung vom 24. April 2017 sowie die Begutachtung der DFG mit entsprechenden Stellungnahmen des Studienkollegiums zur Akte gereicht. Des Weiteren wurden auf Anforderung des Senats die Unterlagen zur Einkommensteuer 2015 und 2016 sowie eine im Rahmen des Stipendiums erfolgte Drittmittelbewilligung vom 4. Februar 2016 vorgelegt (Bl. 111 ff. der Gerichtsakte), beruhend darauf auch Werkverträge mit wissenschaftlichen Hilfskräften zur Durchführung der Forschungsarbeiten hätten abgeschlossen werden können. Auch diese Werkverträge wurden zur Gerichtsakte gereicht (Bl. 126 ff.).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 SGG eingelegt worden.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Marburg (SG) hat der Klage zu Recht und aus zutreffenden Gründen stattgegeben und unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 15. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2014 festgestellt, dass der Kläger seit dem 1. Juni 2014 versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung ist. Der Senat schließt sich nach eigener Überzeugung den Ausführungen des SG an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 153 Abs. 2 SGG).
Auch der Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren, mit dem diese das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit im Sinne des § 28a SGB III weiterhin in Abrede stellt, vermag eine abweichende Entscheidung nicht zu begründen. § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III verlangt nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut, der gerade nicht auf Existenzgründer beschränkt ist, lediglich die Aufnahme und Ausübung einer selbständigen Tätigkeit. Dies erfordert eine Abgrenzung zur abhängigen Beschäftigung (vgl. Scheidt, in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, Sozialgesetzbuch III Arbeitsförderung, Großkommentar, 6. Auflage 2017, § 28a Rn. 21). Die seit 1. Juni 2014 ausgeübte, stipendienfinanzierte Forschungstätigkeit des Klägers ist jedoch keine abhängige Beschäftigung bzw. nichtselbständige Arbeit. Der Kläger war bzw. ist weder gegenüber der Deutschen Forschungsgemeinschaft noch einer anderen Forschungsinstitution gegenüber zur Arbeitsleistung verpflichtet oder auf andere Art weisungsgebunden für diese tätig. Wie sich aus den "Verwendungsrichtlinien Heisenberg-Stipendien mit Informationen für Stipendiatinnen und Stipendiaten und Leitfaden für Abschlussberichte" der DFG sowie dem Bewilligungsschreiben der DFG vom 8. Juli 2013, welche bereits mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 19. Mai 2015 zur Gerichtsakte gereicht wurden, ergibt, soll mit dem Heisenberg-Stipendium herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglicht werden, sich auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vorzubereiten und in dieser Zeit weiterführende Forschungsthemen zu bearbeiten. Dabei sind die Forschungsstipendien zur Durchführung eines Forschungsprojektes eigener Wahl bestimmt. Die wirtschaftliche Abhängigkeit ändert nichts daran, dass durch die Annahme des Forschungsstipendiums gerade kein Beschäftigungsverhältnis entstanden ist (vgl. BAG, Urteil vom 24. Februar 1994 - 6 AZR 505/93 -, juris Rn. 25 ff.).
Auch teilt der Senat die Ausführungen des Sozialgerichts dahingehend, dass es sich bei der Tätigkeit des Klägers auch um eine berufsmäßig zu Erwerbszwecken ausgeübte Tätigkeit im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung handelt. Dabei reicht es aus, dass der Kläger im Rahmen dieser Tätigkeit Leistungen erhält, die es ihm ermöglichen, ganz oder teilweise seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, auch wenn diese Leistungen von Dritten erbracht werden. Wie sich aus den vorgelegten Steuerunterlagen (für die Jahre 2014, 2015 und 2016) ergibt, hat der Kläger daneben vorliegend aber auch unmittelbar aus seiner Forschungstätigkeit stammende Einkünfte (aus Buchautoren- und Vortragstätigkeit) erzielt. Auch lässt die Tatsache, dass die Gewährung des Stipendiums zeitlich befristet ist, nicht – wie jedoch die Beklagte meint – den Schluss zu, dass es sich bei der Forschungstätigkeit des Klägers schon nicht um eine auf Dauer angelegte Tätigkeit handelt.
Auch die Ausführungen der Beklagten zu § 3 Nr. 44 Einkommensteuergesetz (EStG), wonach ein Stipendium in der Regel steuerfrei sei, vermag vorliegend ein anderes Ergebnis nicht zu begründen. Vielmehr ergibt sich auch aus der aktuellen Rundverfügung der Oberfinanzdirektion vom 29. März 2017 (S 2121 A – 13 – St 213, Ziffer 3.1, in juris) ausdrücklich, dass Stipendien nach dem Heisenberg-Programm steuerlich wie folgt zu behandeln sind: a) Das Stipendium ist nicht nach § 3 Nr. 44 EStG steuerfrei, da es einen für die Bestreitung des Lebensunterhalts und die Deckung des Ausbildungsbedarfs erforderlichen Betrag übersteigt (vgl. § 3 Nr. 44 Satz 3 Buchstabe a EStG). b) Die Einnahmen sind den Einkünften aus freiberuflicher (wissenschaftlicher) Tätigkeit zuzurechnen. Demnach ordnet die Finanzverwaltung die Tätigkeit des Klägers der freiberuflichen (wissenschaftlichen) Tätigkeit und somit einem Unterfall der selbständigen Tätigkeit zu (vgl. § 18 Nr. 1 EStG). Danach sind Einkünfte aus selbständiger Arbeit Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Hierzu gehört die selbständig ausgeübte wissenschaftliche Tätigkeit, die auch dann steuerpflichtig ist, wenn sie nur vorübergehend ausgeübt wird (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, Abs. 2 EStG). Eine wissenschaftliche Tätigkeit liegt vor, wenn grundsätzliche Fragen oder konkrete Vorgänge methodisch nach streng sachlichen Gesichtspunkten in ihren Ursachen erforscht und in einen Verständniszusammenhang gebracht werden (vgl. Wacker, in: Schmidt, EStG, 30. Auflage 2011, § 18 Rn. 62). Forschung ist die Suche nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und damit ein Ausschnitt der Wissenschaft (vgl. Heinicke, in Schmidt, a.a.O., § 3 "Stipendien", S. 114 f.). Dass das Forschungsvorhaben des Klägers diesen Anforderungen an ein selbständig durchgeführtes Forschungsvorhaben genügt, ist nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Antragspflichtversicherung des Klägers in der Arbeitslosenversicherung ab dem 1. Juni 2014.
Der 1976 geborene Kläger war zuletzt vom 15. Mai 2007 bis 14. Mai 2014 bei der D. Universität A-Stadt abhängig beschäftigt. In dieser Zeit wurde er habilitiert. Für seine weitere Forschungstätigkeit als Privatdozent wurde ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ein Heisenbergstipendium für die Dauer von (zunächst) 36 Monaten bewilligt. Dieses diene dazu, Wissenschaftlern, die bereits die Voraussetzungen für die Berufung auf eine Dauer-Professur erfüllen, zu ermöglichen, sich auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vorzubereiten und in dieser Zeit weiterführende Forschungsthemen zu bearbeiten. Der Kläger erhalte monatlich einen Zuschuss von 4.553,00 EUR (einschließlich eines Zuschlags von 500,00 EUR monatlich für die Versteuerung der Einnahmen als Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit). Für die Publikation der wissenschaftlichen Ergebnisse des Stipendiums erhalte er zusätzlich 2.250,00 EUR. Der Förderungszeitraum beginne am 1. Juni 2014.
Daraufhin nahm der Kläger am 1. Juni 2014 die Arbeit an zwei Forschungsprojekten auf. Diese bestehen insbesondere aus Recherchetätigkeiten zu den Projekten "Frühe Monumente des Mittelelbe-Saale-Gebietes in ihrem kulturellen und landschaftlichen Kontext – Studien zur Baalberger Kultur" und "Der Vulkanausbruch von Santorin in der ägäischen Spätbronzezeit – Methodische Überlegungen zur Datierung von Ereignisgeschichte in der Ur- und Frühgeschichte". Die damit im Zusammenhang stehenden Ausgaben, insbesondere für Reisekosten, trug der Kläger selbst. Seinen Lebensunterhalt bestritt er seitdem in erster Linie aus dem Stipendium. Daneben erzielte er Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Autor wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Die Überschüsse wurden vom Finanzamt Marburg-Biedenkopf als Gewinne aus selbstständiger Tätigkeit zur Einkommensteuer herangezogen.
Im Juni 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses bei selbstständiger Tätigkeit. Er habe die Tätigkeit am 1. Juni 2014 aufgenommen; sie werde voraussichtlich am 31. Mai 2017 enden. Zugleich legte der Kläger der Beklagten nähere Unterlagen zu seinem Stipendium vor. Mit Bescheid vom 25. Juni 2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung ab. Es fehle an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag. Der Kläger habe "ein Forschungsstipendium aufgenommen". Es liege weder eine selbstständige Tätigkeit noch eine Auslandsbeschäftigung vor. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht Widerspruch, der später anwaltlich begründet wurde. Er stellte sich auf den Standpunkt, er habe im Rahmen des Heisenbergstipendiums eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen. Er arbeite weisungsunabhängig und könne frei über die eigene Arbeitskraft, den Arbeitsort und die Arbeitszeit verfügen. Nur er trage auch das unternehmerische Risiko seiner Tätigkeit. Dem entspreche auch die steuerrechtliche Berücksichtigung der Zahlungen aus dem Stipendium der DFG.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2014 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Das Stipendium stelle keine selbstständige Tätigkeit im Sinne der Arbeitslosenversicherung dar. Weder ein Existenzgründungsstipendium noch (erst Recht) ein Forschungsstipendium erfüllten die dafür in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Voraussetzungen. Der Widerspruchsbescheid wurde an die vom Kläger bevollmächtigte Anwaltskanzlei adressiert. Auf dem Entwurf in den Verwaltungsvorgängen wurde vermerkt, er sei am 11. August 2014 abgesandt worden. Später erzeugte die Beklagte aus ihrem Computersystem einen Vermerk, wonach der Widerspruchsbescheid am 12. August 2014 an den Kläger persönlich versandt worden sei.
Am 17. Oktober 2014 hat der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Marburg erhoben. Er hat geltend gemacht, die Beklagte habe seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Juni 2014 nicht innerhalb der Drei-Monats-Frist beschieden. Dem ist die Beklagte unter Hinweis auf ihren Widerspruchsbescheid vom 12. August 2014 entgegengetreten. Dieser sei am 12. August 2014 zur Post gegeben worden. Daraufhin hat der Kläger erklärt, dieser Widerspruchsbescheid sei bislang weder ihm noch seinem Bevollmächtigten zugegangen. Er hat um nachträgliche Bekanntgabe gebeten. Diese ist sodann dadurch bewirkt worden, dass das Gericht dem Klägervertreter Akteneinsicht in die Beklagtenakte gewährt hat (Empfangsbekenntnis vom 30. Oktober 2014). Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 4. November 2014 die ursprüngliche Untätigkeitsklage in eine Anfechtungs- und Feststellungsklage geändert.
Die Beklagte, die der Klageänderung zugestimmt hat, ist der Rechtsauffassung des Klägers weiter entgegen getreten.
Auf die Aufforderung des Sozialgerichts hin hat der Kläger eine Tätigkeitsbeschreibung sowie eine Gewinnermittlung (beispielhaft für das Jahr 2014) vorgelegt.
Nachdem sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hatten, hat das Sozialgericht Marburg mit Urteil vom 22. März 2016 ohne mündliche Verhandlung den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2014 aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger seit dem 1. Juni 2014 versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung ist.
Der Klage sei in vollem Umfang stattzugeben gewesen, da sie zulässig und begründet sei.
Statthafte Klageart für das tatsächliche Begehren des Klägers sei die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (siehe zuletzt BSG, Urteil v. 4. Dezember 2014, B 5 AL 1/14 R – SozR 4–4300 § 28a Nr. 9 = SGb 2016, 47 ff.), der sich die Kammer ausdrücklich anschließe, trete die Versicherungspflicht nach § 28a Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) auf einen Antrag hin kraft Gesetzes ein.
Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage sei auch im Übrigen zulässig. Der in dem Übergang von der Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG zur kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage liegenden Klageänderung habe die Beklagte zugestimmt, so dass gemäß § 99 Abs. 1 SGG von ihrer Zulässigkeit auszugehen sei. In diesem Fall komme es für die Zulässigkeit der Klage im Übrigen auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des geänderten Klageantrags an. Im vorliegenden Fall habe der Schriftsatz des Klägers vom 4. November 2014 die Klagefrist des § 87 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 SGG gewahrt. Danach sei die Klage binnen eines Monats nach der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zu erheben. Der Kläger und sein Bevollmächtigter hätten vorgetragen, den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12. August 2014 zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 16. Oktober 2014 noch nicht erhalten zu haben. Diese Angaben seien glaubhaft. Der Klägervertreter habe kein eigenes Interesse an einer Zugangsvereitelung. Im Hinblick auf den Kläger spreche die Erhebung einer Untätigkeitsklage, die für ihn mit einem Kostenrisiko verbunden sei, dafür, dass ihm der Widerspruchsbescheid der Beklagten tatsächlich nicht bekannt gewesen sei. Ohnehin sei im Zweifel von einer rechtzeitigen Klageerhebung auszugehen, da die beklagte Behörde die objektive Beweislast für den Beginn der Klagefrist trage (siehe Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 87 Rdnr. 4d). Im vorliegenden Fall sei der Widerspruchsbescheid von der Beklagten im August 2014 anscheinend mit einfacher Post versandt worden. Sein Zugang sei daher nicht nachweisbar. Der früheste Zeitpunkt, in dem sich die Bekanntgabe des Bescheids sicher nachweisen lasse, sei der Tag des Empfangsbekenntnisses des Klägervertreters für den Erhalt der zur Einsicht übersandten Beklagtenakte (30. Oktober 2014). Ausgehend von diesem Datum sei die Klagefrist durch den Schriftsatz vom 4. November 2014 gewahrt worden.
Bei dem Kläger bestehe auch das für eine Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG erforderliche Feststellungsinteresse. Die streitige Frage, ob zwischen den Beteiligten ein Versicherungspflichtverhältnis besteht, habe verschiedene Auswirkungen (etwa beitragsrechtlich und leistungsrechtlich), so dass eine abstrakte Klärung des Rechtsverhältnisses für die Beteiligten von großer Bedeutung und damit auch sachgerecht sei. Eine vorrangige Leistungsklage könnte nur Teilaspekte des vorliegenden Rechtsstreits klären.
Die Klage sei auch begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2014 sei aufzuheben, da er rechtswidrig sei und den Kläger in seinen Rechten verletze. Die Beklagte habe den Antrag des Klägers zu Unrecht abgelehnt. Er habe zur Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses zwischen den Beteiligten geführt.
Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren sei § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III. Danach könnten Personen ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründen, die eine selbstständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnähmen und ausübten.
Dies treffe auf den Kläger zu. Er habe am 1. Juni 2014 eine selbstständige Tätigkeit als Archäologe aufgenommen. Er habe diese Tätigkeit seitdem auch mit einem Umfang von mindestens 15 Wochenstunden ausgeübt.
Der Kläger übe als Privatdozent eine selbstständige Forschungstätigkeit aus. Diese bestehe nach seiner Tätigkeitsbeschreibung vom 5. Mai 2015, an der zu zweifeln die Kammer keinen Anlass sehe, in der Bearbeitung zweier Forschungsprojekte. Zur Aufarbeitung des Forschungsstandes zur "Baalberger Kultur" seien in erster Linie Bibliotheksrecherchen und der Besuch von Museen/Sammlungen/Depots vor allem in Sachsen-Anhalt erforderlich gewesen. Hierzu habe der Kläger eine umfangreiche Reisetätigkeit entfalten müssen, um dann vor Ort Objekte vermessen, fotografieren und zeichnen zu können. Bei dem Forschungsprojekt zum Vulkanausbruch von Santorin habe sich der Kläger dagegen überwiegend auf das Literaturstudium in verschiedenen Bibliotheken beschränken können. Der Kläger beabsichtige nach seinen Angaben die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse im Rahmen von Monographien. Gerichtsbekannt sei, dass es hierzu erforderlich sei, auch Zwischenergebnisse schriftlich niederzulegen und einzelne Passagen einer solchen größeren Forschungsarbeit auszuformulieren. Aus der Gewinnermittlung für das Jahr 2014 sei überdies ersichtlich, dass der Kläger bereits einzelne Forschungsergebnisse publiziert habe, da er seinerzeit bereits Einnahmen aus der Autorentätigkeit in Höhe von 1.150,00 EUR habe erzielen können.
Die vorbeschriebene Forschungstätigkeit entfalte der Kläger vollständig nach eigenem Dafürhalten. Er sei sowohl inhaltlich als auch von den äußeren Rahmenbedingungen her völlig frei und weisungsunabhängig. Es handelte sich daher geradezu um ein Musterbeispiel für eine selbstständige Tätigkeit (vgl. § 84 Abs. 1 S. 2 Handelsgesetzbuch: "Selbständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.").
Demgegenüber bestünden keinerlei Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung des Klägers. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) sei Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine solche abhängige Beschäftigung seien eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Zwischen dem Kläger und der D.-Universität A-Stadt bestünden seit dem 15. Mai 2014 keine rechtlichen Beziehungen mehr, die Grundlage für ein Beschäftigungsverhältnis sein könnten. Der Kläger sei auch nicht Beschäftigter der DFG. Diese vergebe ein Heisenberg-Stipendium an den Kläger, ohne von diesem dafür eine (für sich selbst eigennützige) Gegenleistung zu fordern. Sie erteile dem Kläger auch keine Weisungen für seine Forschungstätigkeit. Der Kläger sei auch nicht in die Arbeitsorganisation der DFG eingegliedert. Grundlage für die Vergabe eines Heisenberg-Stipendiums sei gerade die Ausübung eines Forschungsvorhabens mit voller Arbeitskraft. Stipendiaten dürften weder von gastgebenden Forschungsinstitutionen zu Arbeiten verpflichtet werden noch den Stipendienzweck beeinträchtigende Nebentätigkeiten ausüben. Die DFG erwarte lediglich, dass der Stipendiat seine selbstständige Forschungstätigkeit tatsächlich ausübe und die gewonnenen Ergebnisse publiziere. Diese Rahmenbedingungen der Förderung führten nicht zur Begründung eines Weisungsrechts im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV.
Schließlich handele es sich bei der Forschungstätigkeit des Klägers auch um eine auf Dauer angelegte, in persönlicher Unabhängigkeit berufsmäßig zu Erwerbszwecken ausgeübte Tätigkeit im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil v. 3. Juni 2009 – B 12 AL 1/08 R – Rdnr. 15). Mit dieser Anforderung sollten Tätigkeiten, die nur aus Liebhaberei oder zum Zeitvertreib verrichtet werden, aus dem Anwendungsbereich der Antragspflichtversicherung ausgeschlossen werden. Letzteres treffe auf die Forschungstätigkeit des Klägers aber nicht zu. Er übe diese Tätigkeit zu Erwerbszwecken aus. Einerseits habe der Kläger bereits im Jahr 2014 unmittelbar aus der Forschungstätigkeit stammende Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in nicht unerheblicher Höhe erzielt (1.150,00 EUR). Andererseits seien auch die Einkünfte aus dem Heisenberg-Stipendium als Erträge seiner Forschungstätigkeit anzusehen, so dass er aus dieser seinen Lebens-unterhalt bestreiten könne. Denn die Zahlungen der DFG seien an die Erbringung der Forschungstätigkeit geknüpft. Dies ergebe sich aus den aktenkundigen Verwendungsrichtlinien, die etwa für den Fall einer (auch krankheitsbedingten) Unterbrechung der Tätigkeit eine Einstellung der Zahlungen ermöglichten.
Dem entspreche auch die steuerrechtliche Einordnung der Zahlungen aus dem Heisenberg-Stipendium als Einkünfte aus freiberuflicher (wissenschaftlicher) Tätigkeit (Rundverfügung der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main, 12. August 2014, S 2121 A-13-St 213, FMNR38d310014, zitiert nach juris). Im Bereich des Beitrags- und Versicherungsrechts knüpfe das Sozialrecht häufig an steuerrechtliche Vorgaben an. Auch in diesem Fall halte es die Kammer für sinnvoll, einen Gleichlauf von steuerrechtlicher und sozialrechtlicher Bewertung vorzunehmen. Schließlich stehe der Zuordnung des Stipendiums als Erwerbseinkommen nicht entgegen, dass die Zahlungen von einer Institution erbracht würden, die dafür keine unmittelbare Gegenleistung erlange. Denn im Rahmen des hier zu prüfenden Tatbestandsmerkmals komme es nach dem oben zitierten Obersatz lediglich auf die Zwecksetzung des selbstständig Tätigen an. Nach alledem übe der Kläger auch eine auf die Sicherung seines Lebensunterhalts gerichtete Tätigkeit zu Erwerbszwecken aus.
Verfehlt sei demgegenüber die Herangehensweise der Beklagten, die in den angefochtenen Bescheiden geprüft habe, ob das Stipendium eine selbstständige Tätigkeit darstelle. Dies sei schon sprachlich unkorrekt (ebenso wie die Formulierung im Widerspruchsbescheid, der Kläger habe ein Stipendium "aufgenommen"). Ein Stipendium stelle eine finanzielle Unterstützung für Künstler, Sportler, Schüler, Studenten oder Jungwissenschaftler dar und sei als solche ein wesentliches Element der Begabtenförderung (so die Definition auf www.wikipedia.de). Diese finanzielle Zuwendung, mit der im vorliegenden Fall in gemeinnütziger Weise Forschungszwecke verfolgt würden, stelle naturgemäß gar keine Tätigkeit dar. Mit ihr könne allenfalls eine bestimmte Tätigkeit honoriert werden. So liege der Fall auch hier. Die DFG verlange von ihren Stipendiaten nach dem oben Gesagten die Entfaltung einer selbstständigen Tätigkeit. Das Heisenberg-Stipendium ermögliche es also dem Kläger erst, seinen archäologischen Forschungsarbeiten und damit einer selbstständigen Tätigkeit nachzugehen.
Zu Recht gingen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass (auch) die übrigen Voraussetzungen einer Antragspflichtversicherung nach § 28a SGB III erfüllt seien. Insoweit bestünden auch aus Sicht der Kammer keine Bedenken. Die Kammer sei aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers zu der Überzeugung gelangt, dass dieser innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe (§ 28a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB III). Er habe zudem auch unmittelbar vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen (§ 28a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB III). Die Forschungstätigkeit des Klägers sei weder versicherungspflichtig noch versicherungsfrei (§ 28a Abs. 2 S. 1 zweiter Halbsatz). Der Kläger sei auch zuvor noch nie versicherungspflichtig nach § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III gewesen (vgl. § 28a Abs. 2 S. 2 SGB III). Der Kläger habe den Antrag auf Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses im Juni 2014 und damit innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit gestellt (§ 28a Abs. 3 S. 1 SGB III). Bis zum Tag der Entscheidung durch die Kammer sei weder ein Ruhenstatbestand nach § 28a Abs. 4 SGB III eingetreten noch habe das einmal begründete Versicherungspflichtverhältnis nach § 28a Abs. 5 SGB III geendet.
Das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 22. März 2016 ist der Beklagten am 29. März 2016 zugestellt worden. Am 12. April 2016 hat diese hiergegen beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 8. August 2016 näher begründet. Danach könne den Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts zu der selbständigen Tätigkeit nicht zugestimmt werden. Bei der ausgeübten Tätigkeit sei bereits nicht erkennbar, dass es sich dabei um eine Tätigkeit für unbestimmte Zeit bzw. um eine auf Dauer angelegte Tätigkeit in eigener wirtschaftlicher Verantwortung und in persönlicher Unabhängigkeit handele. Das Forschungsstipendium sei auf drei Jahre befristet und diene einem bestimmten Zweck. Zudem werde die Forschungstätigkeit gerade nicht zu Erwerbszwecken ausgeübt, sondern diene allein der Vorbereitung auf eine wissenschaftliche Leitungsposition. Durch das Stipendium könne sich der Stipendiat hauptberuflich der Forschungstätigkeit widmen, ohne sich um seinen Lebensunterhalt kümmern zu müssen. Allein die Tatsache, dass das Stipendium vorliegend wohl aufgrund der Höhe zu versteuern sei, mache es nicht zu Erwerbseinkommen aus der Forschungstätigkeit. In der Regel sei ein Stipendium nach § 3 Nr. 44 EStG steuerfrei. Schließlich sei nach der Gesetzesbegründung der § 28a SGB III eingeführt worden, um v.a. Existenzgründern die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung zu bieten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 22. März 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Seiner Auffassung nach vermögen die rechtlichen Ausführungen der Beklagten nicht zu überzeugen. Gerade aus der Gesetzesbegründung ergäbe sich die von der Beklagten dargestellte rechtliche Auffassung nicht. Maßgebliches Kriterium sei vielmehr die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in Abgrenzung zur abhängigen Beschäftigung. Auf eine irgendwie geartete Gewinnerzielungsabsicht komme es nicht an, obwohl eine solche vorliegend aber auch nicht in Abrede gestellt werden könne.
Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2017 hat der Bevollmächtigte des Klägers mitgeteilt, dass das Stipendium ab dem 1. Juni 2017 für weitere 24 Monate verlängert worden sei und hierzu die Bewilligungsbestätigung vom 24. April 2017 sowie die Begutachtung der DFG mit entsprechenden Stellungnahmen des Studienkollegiums zur Akte gereicht. Des Weiteren wurden auf Anforderung des Senats die Unterlagen zur Einkommensteuer 2015 und 2016 sowie eine im Rahmen des Stipendiums erfolgte Drittmittelbewilligung vom 4. Februar 2016 vorgelegt (Bl. 111 ff. der Gerichtsakte), beruhend darauf auch Werkverträge mit wissenschaftlichen Hilfskräften zur Durchführung der Forschungsarbeiten hätten abgeschlossen werden können. Auch diese Werkverträge wurden zur Gerichtsakte gereicht (Bl. 126 ff.).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 SGG eingelegt worden.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Marburg (SG) hat der Klage zu Recht und aus zutreffenden Gründen stattgegeben und unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 15. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2014 festgestellt, dass der Kläger seit dem 1. Juni 2014 versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung ist. Der Senat schließt sich nach eigener Überzeugung den Ausführungen des SG an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 153 Abs. 2 SGG).
Auch der Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren, mit dem diese das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit im Sinne des § 28a SGB III weiterhin in Abrede stellt, vermag eine abweichende Entscheidung nicht zu begründen. § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III verlangt nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut, der gerade nicht auf Existenzgründer beschränkt ist, lediglich die Aufnahme und Ausübung einer selbständigen Tätigkeit. Dies erfordert eine Abgrenzung zur abhängigen Beschäftigung (vgl. Scheidt, in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, Sozialgesetzbuch III Arbeitsförderung, Großkommentar, 6. Auflage 2017, § 28a Rn. 21). Die seit 1. Juni 2014 ausgeübte, stipendienfinanzierte Forschungstätigkeit des Klägers ist jedoch keine abhängige Beschäftigung bzw. nichtselbständige Arbeit. Der Kläger war bzw. ist weder gegenüber der Deutschen Forschungsgemeinschaft noch einer anderen Forschungsinstitution gegenüber zur Arbeitsleistung verpflichtet oder auf andere Art weisungsgebunden für diese tätig. Wie sich aus den "Verwendungsrichtlinien Heisenberg-Stipendien mit Informationen für Stipendiatinnen und Stipendiaten und Leitfaden für Abschlussberichte" der DFG sowie dem Bewilligungsschreiben der DFG vom 8. Juli 2013, welche bereits mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 19. Mai 2015 zur Gerichtsakte gereicht wurden, ergibt, soll mit dem Heisenberg-Stipendium herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglicht werden, sich auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vorzubereiten und in dieser Zeit weiterführende Forschungsthemen zu bearbeiten. Dabei sind die Forschungsstipendien zur Durchführung eines Forschungsprojektes eigener Wahl bestimmt. Die wirtschaftliche Abhängigkeit ändert nichts daran, dass durch die Annahme des Forschungsstipendiums gerade kein Beschäftigungsverhältnis entstanden ist (vgl. BAG, Urteil vom 24. Februar 1994 - 6 AZR 505/93 -, juris Rn. 25 ff.).
Auch teilt der Senat die Ausführungen des Sozialgerichts dahingehend, dass es sich bei der Tätigkeit des Klägers auch um eine berufsmäßig zu Erwerbszwecken ausgeübte Tätigkeit im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung handelt. Dabei reicht es aus, dass der Kläger im Rahmen dieser Tätigkeit Leistungen erhält, die es ihm ermöglichen, ganz oder teilweise seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, auch wenn diese Leistungen von Dritten erbracht werden. Wie sich aus den vorgelegten Steuerunterlagen (für die Jahre 2014, 2015 und 2016) ergibt, hat der Kläger daneben vorliegend aber auch unmittelbar aus seiner Forschungstätigkeit stammende Einkünfte (aus Buchautoren- und Vortragstätigkeit) erzielt. Auch lässt die Tatsache, dass die Gewährung des Stipendiums zeitlich befristet ist, nicht – wie jedoch die Beklagte meint – den Schluss zu, dass es sich bei der Forschungstätigkeit des Klägers schon nicht um eine auf Dauer angelegte Tätigkeit handelt.
Auch die Ausführungen der Beklagten zu § 3 Nr. 44 Einkommensteuergesetz (EStG), wonach ein Stipendium in der Regel steuerfrei sei, vermag vorliegend ein anderes Ergebnis nicht zu begründen. Vielmehr ergibt sich auch aus der aktuellen Rundverfügung der Oberfinanzdirektion vom 29. März 2017 (S 2121 A – 13 – St 213, Ziffer 3.1, in juris) ausdrücklich, dass Stipendien nach dem Heisenberg-Programm steuerlich wie folgt zu behandeln sind: a) Das Stipendium ist nicht nach § 3 Nr. 44 EStG steuerfrei, da es einen für die Bestreitung des Lebensunterhalts und die Deckung des Ausbildungsbedarfs erforderlichen Betrag übersteigt (vgl. § 3 Nr. 44 Satz 3 Buchstabe a EStG). b) Die Einnahmen sind den Einkünften aus freiberuflicher (wissenschaftlicher) Tätigkeit zuzurechnen. Demnach ordnet die Finanzverwaltung die Tätigkeit des Klägers der freiberuflichen (wissenschaftlichen) Tätigkeit und somit einem Unterfall der selbständigen Tätigkeit zu (vgl. § 18 Nr. 1 EStG). Danach sind Einkünfte aus selbständiger Arbeit Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Hierzu gehört die selbständig ausgeübte wissenschaftliche Tätigkeit, die auch dann steuerpflichtig ist, wenn sie nur vorübergehend ausgeübt wird (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, Abs. 2 EStG). Eine wissenschaftliche Tätigkeit liegt vor, wenn grundsätzliche Fragen oder konkrete Vorgänge methodisch nach streng sachlichen Gesichtspunkten in ihren Ursachen erforscht und in einen Verständniszusammenhang gebracht werden (vgl. Wacker, in: Schmidt, EStG, 30. Auflage 2011, § 18 Rn. 62). Forschung ist die Suche nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und damit ein Ausschnitt der Wissenschaft (vgl. Heinicke, in Schmidt, a.a.O., § 3 "Stipendien", S. 114 f.). Dass das Forschungsvorhaben des Klägers diesen Anforderungen an ein selbständig durchgeführtes Forschungsvorhaben genügt, ist nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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