L 13 VS 31/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 42 VS 6/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VS 31/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 54/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Mai 2015 wird zurückgewiesen. Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Versorgungsleistungen.

Die im Jahr 1964 geborene Klägerin war seit November 1997 als Augenärztin bei der Deutschen Bundeswehr tätig. Am 21. Juli 2010 verfügte die Beklagte die Versetzung der Klägerin an das Bundeswehrkrankenhaus in Berlin. Die Klägerin ging zunächst davon aus, sie werde auch im Bundeswehrkrankenhaus augenärztlich tätig sein. Durch ein Gespräch mit einem Kollegen erfuhr sie jedoch zufällig, dass ihre Verwendung in anderer Weise vorgesehen sei; sie solle für die truppenärztliche Versorgung der im Bundeswehrkrankenhaus tätigen Soldatinnen und Soldaten verantwortlich sein, dabei also quasi hausärztliche Tätigkeiten wahrnehmen. Am 7. Oktober 2010 führte die Klägerin hierzu mit dem Dienstvorgesetzten ein Gespräch. Dabei erklärte der Dienstvorgesetzte ihr gegenüber sehr deutlich, sie müsse der Versetzungsverfügung Folge leisten und könne nicht als Augenärztin eingesetzt werden. Im Anschluss an das Gespräch war die Klägerin emotional sehr aufgewühlt. Gegen 15:00 Uhr desselben Tages nahm sie 10 Schlaftabletten ein; als sie gegen 02:00 Uhr nachts noch einmal erwachte, nahm sie weitere 10 Tabletten derselben Art ein. Sie wurde von ihrem Ehemann gefunden und in ein Krankenhaus eingeliefert, das sie nach Behandlung einen Tag später verlassen konnte. Seit diesem Vorfall leidet die Klägerin unter psychischen Beeinträchtigungen.

Am 11. Oktober 2010 leitete die Beklagte von Amts wegen ein Verfahren zur Überprüfung eines möglichen Versorgungsanspruches ein. Mit Bescheid vom 13. August 2012 und Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2012 lehnte die Beklagte die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Versorgungsleistungen mit der Begründung ab, es habe keine Wehrdienstbeschädigung vorgelegen.

Im anschließenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin ihr Ziel weiter verfolgt. Mit Urteil vom 12. Mai 2015 hat das Sozialgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, es liege keine Wehrdienstbeschädigung vor. Die psychische Beeinträchtigung der Klägerin sei nicht auf wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückzuführen, da eine ähnliche Versetzungssituation auch im Zivilleben hätte eintreten können.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie macht geltend, sie habe eine Wehrdienstbeschädigung aufgrund der wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse erlitten. Die Folgen dauerten auch an.

Die Klägerin könnte beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Mai 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2012 zu verpflichten, bei der Klägerin die Gesundheitsstörung "rezidivierende depressive Störung" als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinne der Entstehung anzuerkennen und der Klägerin ab Oktober 2010 einen Ausgleich nach § 85 Soldatenversorgungsgesetz auf der Grundlage eines Grades der Schädigungsfolgen von mindestens 30 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes in medizinischer Hinsicht hat aufgrund richterlicher Beweisanordnung am 9. Oktober 2016 die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M-P ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Darin ist sie zu der Einschätzung gelangt, bei der Klägerin habe sich am 7./8. Oktober 2010 eine akute Belastungsreaktion mit suizidaler Krise ereignet. Hierdurch sei ein mittelschweres depressives Syndrom ausgelöst worden, inzwischen bestehe eine rezidivierende depressive Störung, die bis etwa zum Jahr 2011 mittelschwer und danach leicht gewesen sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie ist jedoch in der Sache nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung von Schädigungsfolgen und auf Gewährung von Versorgung. Nach § 80 Satz 1 und 2 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) iVm § 81 Abs. 1 SVG erfolgt Versorgung bei einer Wehrdienstbeschädigung, d. h., bei einer gesundheitlichen Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch ein während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Zwar hat die Klägerin eine gesundheitliche Schädigung erlitten, nämlich zunächst als Erstschaden eine depressive Episode mit Suizidversuch am 7./8.Oktober 2010 und sodann eine Schädigungsfolge, nämlich eine rezidivierende depressive Störung. Es fehlt jedoch an den weiteren Voraussetzungen der vorgenannten Vorschriften, denn die Klägerin hat die gesundheitliche Schädigung weder durch eine Wehrdienstverrichtung noch durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die den Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse erlitten. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass ein Unfall nicht vorliegt und das die Schädigung auch nicht bei einer Wehrdienstverrichtung erfolgte; dem schließt sich der Senat an. Es fehlt aber auch an einer Schädigung, die durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Gemeint sind hiermit außergewöhnliche, über die durchschnittlichen Belastungen des Zivillebens hinausgehende Belastungen durch den Wehrdienst (Lilienfeld, in: Knickrehm, Soziales Entschädigungsrecht, § 81 SVG Rdnr. 33). Derartige Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Zwar ist anerkannt, dass – aus Patientensicht – die Pflicht zur Teilnahme an der truppenärztlichen Versorgung eine Wehrdiensteigentümlichkeit darstellt, weil insoweit – abweichend vom üblichen Zivilleben – der Anspruch auf freie Arztwahl stark eingeschränkt und eine Verpflichtung zur Wahrnehmung eines bestimmten ärztlichen Angebotes begründet wird.

Vorliegend war dies jedoch nicht aus Patientensicht zu beurteilen, sondern aus ärztlicher Sicht. Hier stellte es für die Klägerin eine große Belastung dar, dass sie sich nach langjähriger augenärztlicher Tätigkeit nicht in der Lage sah, verantwortungsbewusst eine hausärztliche Versorgung für Patientinnen und Patienten zu gewährleisten, obwohl dies von ihr verlangt wurde. Indessen kann der Senat hierin keine grundlegende Abweichung vom sonstigen Zivilleben erkennen. Maßstab ist dabei nicht das allgemeine Zivilleben, sondern der Arztberuf im Zivilleben, der hier zu vergleichen war mit dem Arztberuf unter Wehrdienstverhältnissen. Auch im ärztlichen Zivilberuf kann es zu einer Vielzahl vergleichbarer Gewissenskonflikte kommen, etwa wenn Ärzte eingebunden in eine Struktur von Anweisungen, gegen eigene Überzeugung oder ohne hinreichende Vorbereitung entscheiden sollen. Dies kann etwa festgestellt werden, wenn Fachärztinnen oder Fachärzte zum Notdienst oder auch zu anderen notwendigen ärztlichen Leistungen verpflichtet werden. Zwar besteht im Zivilleben ein mögliches Weigerungsrecht, dies ist allerdings auch unter Wehrdienstverhältnissen nicht ausgeschlossen, so dass auch insoweit keine wesentliche Abweichung von der ärztlichen Situation im Zivilleben eintritt, die auch dort von starken Spannungen, hohen emotionalen Belastungen und Gewissenskonflikten geprägt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved