L 11 KR 3414/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 2189/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3414/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten nach § 31 Abs 6 SGB V setzt eine vertragsärztliche Verordnung voraus. Ein Privatrezept genügt selbst dann nicht, wenn es die Anforderungen an ein Betäubungsmittelrezept erfüllt.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 08.08.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Übernahme der Kosten für eine Versorgung mit Cannabisblüten.

Der Antragsteller beantragte am 10.03.2017 fernmündlich die Übernahme der Kosten für Cannabis. Eine vertragsärztliche Verordnung über die beantragte Leistung liegt bislang nicht vor. Die Antragsgegnerin veranlasste ein sozialmedizinisches Gutachten durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Gleichzeitig übersandte sie dem Antragsteller einen Fragebogen mit der Bitte, diesen von seinem behandelnden Arzt ausfüllen zu lassen. Sie benötige diesen Angaben, damit der MDK das erbetene Gutachten erstatten könne. In seinem Gutachten vom 24.03.2017 gelangte Dr. B. zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 31 Abs 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht vorlägen. Die beim Antragsteller vorliegende symptomatische Spondylolisthesis sei zwar eine schwerwiegende Erkrankung, doch könne diese mit regelmäßiger Physiotherapie und der Durchführung von Übungen in Eigenregie therapiert werden. Zudem bestehe noch die Möglichkeit einer operativen Fixierung der Wirbelkörper sowie eine Behandlung der Schmerzen durch adäquate Schmerztherapie. Bisher sei beim Antragsteller lediglich eine Schmerztherapie erfolgt, wobei hierbei nur niedrigpotente Opioide eingesetzt worden seien. Damit stünden allgemein anerkannte, dem medizinischen Stand entsprechende Leistungen als Alternative zur Verfügung. Dem Gutachten lagen eine Leistungsübersicht der Antragsgegnerin für den Antragsteller über den Zeitraum von 1997 bis 2017 sowie ein vom Hausarzt des Antragstellers Dr. S., Facharzt für Innere Medizin, ausgefüllter Arztfragebogen zugrunde. Auf die Frage, warum eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende alternative Behandlungsoption nicht zur Verfügung steht, hatte Dr. S. angegeben: "Keine ausreichende Schmerzkontrolle bei schwerer orthopädischer Erkrankung". Mit Bescheid vom 28.3.2017 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab.

Hiergegen legte der Antragsteller am 28.4.2017 Widerspruch ein, über den die Antragsgegnerin bislang nicht entschied.

Am 18.7.2017 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Ulm (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er seit Jahren unter einem chronischen Schmerzsyndrom bei Spondylolisthesis Meyerding II und Osteochondrose L4/5 und L5/S1 leide. Er sei aufgrund seiner Erkrankung erheblich in der Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Die Bewegungen seien zudem mit heftigen Schmerzen verbunden. Die derzeit eingenommenen Medikamente wirkten nur sehr schlecht und seien mit heftigen Nebenwirkungen verbunden. Weder mit der Schmerztherapie noch mit anderen Therapien sei bisher ein hinreichend zufriedenstellendes Ergebnis erzielt worden. Einzig die begehrten Cannabisblüten würden zu einer Linderung führen, zudem sei er hier nicht durch Nebenwirkungen belastet. Eine Physiotherapie sei aufgrund der Schmerzen nicht möglich, sie habe vielmehr zu einer Verschlimmerung der Schmerzen geführt, weswegen die Therapie abgebrochen worden sei. Eine Operation an der Wirbelsäule sei mit erheblichen Risiken verbunden und könne nicht garantieren, dass damit eine Schmerzfreiheit erreicht werde. Er habe einen Anspruch aus § 31 Abs 6 SGB V. Es liege auch ein Anordnungsgrund vor. Es sei ihm nicht zumutbar die Kosten der Versorgung mit Cannabis selbst zu übernehmen, sein Einkommen reiche hierfür nicht aus. Er müsse dann schwerwiegende Folgen und Schmerzen erdulden.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten und hat zur Begründung ausgeführt, der Antragsteller habe in den letzten Jahren keine physiotherapeutischen Maßnahmen in Anspruch genommen. Auch die medikamentöse Behandlung sei noch nicht ausgeschöpft, so dass eine weitere alternative Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung stehe. Darüber hinaus handele es sich aus ihrer Sicht auch nicht um eine schwerwiegende Krankheit. Auch sei es dem Antragsteller nicht unmöglich, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Es bestehe die Möglichkeit der Vorfinanzierung. Zudem fehle es auch im Hinblick auf die Ausführungen des Antragstellers, dass in gesundheitlicher Hinsicht schwere, nicht zu behebende Gesundheitsschäden drohten, an einer Glaubhaftmachung.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 08.08.2017, dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 11.08.2017, abgelehnt. Der Antrag sei zulässig, aber unbegründet. Erforderlich für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sei zum einen ein Anordnungsgrund, dh ein Sachverhalt, der eine Eilentscheidung notwendig mache, und zum anderen ein Anordnungsanspruch im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines in der Sache bestehenden materiellen Rechts. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen des § 31 Abs 6 SGB V vorliegen. Ob es sich bei der Erkrankung des Antragstellers um eine schwerwiegende Erkrankung handele könne dabei dahinstehen. Der Antragsteller habe nämlich nicht glaubhaft gemacht, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Arztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Antragstellers nicht zur Anwendung kommen könne. Nach der von der Antragsgegnerin vorgelegten Auskunft über die vom Antragsteller bezogenen Leistungen habe dieser seit 01.01.2010 bis 31.07.2017 lediglich fünfmal Schmerzmittel zulasten der Antragsgegnerin verordnet bekommen. Einmal am 08.11.2012, zweimal am 05.12.2012, ein weiteres Mal am 29.09.2016, zuletzt am 29.11.2016. Die Inanspruchnahme einer Physiotherapie in diesem Zeitraum sei hieraus gar nicht ersichtlich. Sowohl die Inanspruchnahme von Physiotherapie mit Übungen in eigener Regie als auch eine Schmerztherapie stelle jedoch nach dem Gutachten des MDK eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung dar. Insofern komme es auf die Frage, ob dem Antragsteller die ebenfalls noch zur Verfügung stehende Möglichkeit einer Operation aufgrund der damit verbundenen Risiken zumutbar sei, nicht an. Dass die zur Verfügung stehenden Leistungen nach begründeter Ansicht des behandelnden Arztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Antragstellers nicht zur Anwendung kommen könnten, sei ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Der Hausarzt des Antragstellers gebe nur an, dass die alternativen Behandlungsoptionen keine ausreichende Schmerzkontrolle bei schwerer orthopädischer Erkrankung böten. Aus dieser Angabe sei insbesondere aber nicht ersichtlich, welche Nebenwirkungen bei den alternativ zur Verfügung stehenden Therapien zu erwarten wären und weswegen aufgrund einer Abwägung unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Antragsteller diese dann nicht zur Anwendung kommen könnten. Allein die Angabe des Antragstellers, dass eine von ihm durchgeführte Physiotherapie zu einer Verschlechterung der Beschwerden geführt habe und daher habe abgebrochen werden müssen, reiche hierfür nicht aus.

Am 31.08.2017 hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt. Er hat darauf hingewiesen, dass er mehrere Arten von Medikamenten (Novalgin, Diclofenac, Tilidin, Arcoxia, Tramadolor) versucht habe, die sein Leiden in dem Maße hätten lindern sollen, dass ein normales Alltagsleben möglich sein sollte, insbesondere dass er seinen Beruf als Schauspieler ausüben könne. Diese Medikamente hätten entweder keine Wirkung auf die Schmerzintensität oder sie seien mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden, so dass eine Weiterführung der Therapie nicht zumutbar gewesen sei. Eine Bewegungstherapie könne er nur durchführen, wenn er keine Schmerzen habe. Da andere Medikamente als Cannabis nicht in Betracht kämen, sei eine Kostenübernahme durch die Antragsgegnerin angezeigt. Bei dem Eigenversuch mit Cannabis, der auf Privatrezept unter ärztlicher Kontrolle durchgeführt werde, habe er eine erhebliche Verbesserung seines Gesundheitszustandes erreichen können. Er könne auch seinen Beruf als Schauspieler ausüben. Der Antragsteller verweist auf die von ihm vorgelegten Atteste des Dr. S. vom 25.08.2017 sowie des PD Dr. C. vom 16.05.2017.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 08.08.2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens und eines sich ggf anschließenden Klageverfahrens die Kosten für eine Versorgung des Antragstellers mit Medizinal-Cannabisblüten in maximaler Tagesdosis von 1 Gramm und einem 4-Wochenbedarf von 28 Gramm gemäß den Dosierungsvorgaben des behandelnden Arztes des Antragstellers zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin hält den Beschluss des SG für zutreffend. Wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen, habe der Antragsteller ausgehend vom Jahr 2012 lediglich fünf Verordnungen zu Lasten der Antragsgegnerin erhalten, drei davon 2012 und zwei im Jahr 2016. Das am 29.11.2016 bezogene Cipro Basics 500 mg sei zudem kein Schmerzmittel, sondern ein Mittel zur Bekämpfung von Atemwegserkrankungen. Das Gleiche gelte für das am 05.12.2012 bezogene Clindamycin. Arzneimittel müssten zudem über einen therapeutisch relevanten Zeitraum hinweg in der vorgeschriebenen Weise genommen werden, damit hinsichtlich der Beurteilung von Nebenwirkungen eine aussagekräftiger Zeitraum vorliege.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

Der Senat entscheidet durch Beschluss (§ 176 SGG). Eine mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich gehalten (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 3 SGG). Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) und auch ansonsten nach § 172 SGG statthafte Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag zu Recht abgelehnt. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten.

Nach § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend begehrt der Antragsteller die Versorgung mit Cannabisblüten als Arzneimittel. Damit richtet sich die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes auf den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG. Ein solcher Antrag ist auch schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Abs 3 SGG), wenn – wie hier – gegen eine ablehnende Entscheidung der Krankenkasse Widerspruch eingelegt worden ist (Meßling in: Hennig, SGG, § 86b Rn 41). Die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache (hier: des Widerspruchsverfahrens) sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 der Zivilprozessordnung).

Bei der Prüfung des Anordnungsanspruches begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl BVerfG [Kammer], 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Je schwerer jedoch die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art 19 Abs 4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Die Gerichte sind, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, in solchen Fällen gemäß Art 19 Abs 4 Satz 1 GG gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (BVerfG [Kammer] 25.02.2009, 1 BvR 120/09, NZS 2009, 674: Elektrorollstuhl; vgl auch BVerfG [Kammer], 29.07.2003, 2 BvR 311/03, BVerfGK 1, 292, 296; 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, 1236 f; BVerfG [Kammer], 02.05.2005, aaO, mwN).

Die unter Beachtung dieser Grundsätze erfolgte Prüfung ergibt, dass dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch nicht zusteht.

Nach § 31 Abs 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn 1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung a. nicht zur Verfügung steht oder b. im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, 2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.

Ein Anordnungsanspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten nach § 31 Abs 6 SGB V besteht schon deshalb nicht, weil es an einer vertragsärztlichen Verordnung fehlt. Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung bedarf zu seiner Realisierung der Konkretisierung im Einzelfall, die eine vertragsärztliche Verordnung gemäß § 73 Abs 2 Nr 7 SGB V auf dem entsprechenden Formblatt erfordert (BSG 16.12.1993, 4 RK 5/92, BSGE 73, 271 = SozR 3-2500 § 13 Nr 4). Bei der hier streitigen Versorgung mit Cannabisarzneimitteln, die seit 10.03.2017 (§ 31 Abs 6 SGB V idF vom 06.03.2017, BGBl I 403) zum Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung gehört, muss die Verordnung zudem auf einem Betäubungsmittelrezept erfolgen (§ 11 Abs 5 Satz 1 Arzneimittel-Richtlinie [AM-RL] iVm § 13 Abs 2 Satz 1 Betäubungsmittelgesetz [BtmG] und § 8 Abs 1 Satz 1 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung [BtMVV] vom 20.01.1998, idF von Art 43 Gesetz vom 29.03.2017, BGBl I, S 626), welches die in § 9 BtMVV vorgeschriebenen Angaben enthält. Ein Privatrezept bzw privatärztliches Betäubungsmittelrezept genügt hierfür nicht, weil damit allein nur das Vorliegen der Voraussetzungen des Betäubungsmittelrechts bestätigt werden, nicht aber die Voraussetzungen gemäß § 31 Abs 6 SGB V.

Zwar ist es in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass der Vertragsarzt in Fällen unklarer Verordnungen - insbesondere bei einem medizinisch umstrittenen Arzneimitteleinsatz bzw in Fällen eines Off-Label-Use - der Krankenkasse als Kostenträger eine Vorab-Prüfung ermöglichen muss, ob sie die Verordnungskosten übernimmt, wenn er sich nicht dem Risiko eines Regresses aussetzen will. Diese "Vorab-Prüfung" kann zum einen vom Arzt selbst veranlasst werden, zum anderen durch den Versicherten, der nach § 13 Abs 3 SGB V Kostenerstattung begehrt: Ein gängiger Weg ist es, dem Versicherten ein Privatrezept auszustellen und es diesem zu überlassen, sich bei seiner Krankenkasse um Kostenerstattung zu bemühen. Der Vertragsarzt kann aber auch zunächst selbst bei der Krankenkasse deren Auffassung als Kostenträger einholen und (erst) im Ablehnungsfall dem Patienten ein Privatrezept ausstellen (BSG 20.03.2013, B 6 KA 27/12 R, BSGE 113, 123 mwN). Diese Grundsätze, denen sich der Senat anschließt, gelten jedoch nicht, wenn das Gesetz - wie in § 31 Abs 6 SGB V - ausnahmsweise die Genehmigung einer Arzneimittelverordnung vorsieht. In diesem Fall handelt es sich nicht um eine Vorab-Prüfung, sondern um eine endgültige Prüfung der vertragsärztlichen Verordnung. Das Risiko eines Arzneiregresses stellt sich hier nicht, weil der Versicherte die Leistung bei einer Versagung der Genehmigung nicht als Sachleistung erhalten kann. Es besteht deshalb auch kein Grund für die Ausstellung eines Privatrezeptes. Auch der Umstand, dass das Betäubungsmittelrezept innerhalb von 7 Tagen nach seiner Ausfertigung bei der Apotheke vorgelegt werden muss (§ 12 Abs 1 Nr 1 Buchst. c) BtMVV) rechtfertigt es nicht, vom Erfordernis einer vertragsärztlichen Verordnung abzusehen. Wird die Erst-Verordnung von der Krankenkasse genehmigt, bedürfen weitere Verordnungen keiner Genehmigungen mehr.

Mangels Vorliegens einer vertragsärztlichen Verordnung bedarf es deshalb im vorliegenden Fall keiner Entscheidung über den Umfang des der Antragsgegnerin zustehenden Prüfrechts. Die Regelung in § 31 Abs 6 Satz 2 SGB V, wonach Genehmigungsanträge von der Krankenkasse nur in begründeten Ausnahmefällen abgelehnt werden darf, soll der Bedeutung der Therapiehoheit des verordnenden Vertragsarztes Rechnung tragen (BT-Drs 18/10902 S 20). Dies könnte dafür sprechen, dass die Krankenkasse nicht mehr prüfen darf, ob die in § 31 Abs 6 Satz 1 SGB V genannten Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch erfüllt sind, sondern ihre Prüfung darauf beschränken muss, ob ein Ausnahmefall vorliegt. Liegt lediglich ein Privatrezept vor, ist nicht erkennbar und auch nicht dokumentiert, dass der verordnende Arzt sich persönlich vom Vorliegen der in § 31 Abs 6 Satz 1 SGB V enthaltenen Voraussetzungen überzeugt hat. Zumindest in diesem Fall erstreckt sich das Prüfrecht der Krankenkasse auf alle in § 31 Abs 6 SGB V geregelten Voraussetzungen.

Der Senat teilt die Zweifel des SG am Vorliegen der in §31 Abs 6 Satz 1 Nr 1 SGB V genannten Voraussetzungen; insoweit wird Bezug genommen auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung (§ 142 Abs 2 Satz 3 SGG).

Darüber hinaus hat der Senat Zweifel am Nachweis einer schwerwiegenden Erkrankung, wie sie von § 31 Abs 6 Satz 1 SGB V gefordert wird. Der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung wird in § 31 SGB V nicht definiert. Nach der Gesetzesbegründung soll der Anspruch auf Versorgung mit Cannabisarzneimitteln nur in "eng begrenzten Ausnahmefällen" gegeben sein (BT-Drs 18/8965 S 14 und 23). Da die Versorgung mit Cannabis als Ersatz für eine nicht zur Verfügung stehende oder im Einzelfall nicht zumutbare allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung konzipiert ist, hält es der Senat für sachgerecht, den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung so wie in § 35c Abs 2 Satz 1 SGB V zu verstehen. Auch bei dieser Bestimmung geht es um die Verwendung von Arzneimitteln als Alternative zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten, ohne dass bereits ausreichendes wissenschaftliches Erkenntnismaterial in Bezug auf den Nachweis einer Wirksamkeit zur Verfügung steht (vgl Flint in: Hauck/Noftz, § 35c SGB V, Rn 40). Es muss sich daher um eine Erkrankung handeln, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt (BSG 26.09.2006, B 1 KR/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 5). Inwieweit das beim Antragsteller diagnostizierte chronische Schmerzsyndrom bei Spondylolyse mit Spondylolisthesis L5/S1 Meyerding II diese Voraussetzung erfüllt, bedarf noch weiterer Aufklärung. Die bisher nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin erfolgte Schmerzmedikation - drei Schmerzmittelverordnungen innerhalb von fünf Jahren - begründet bereits Zweifel am Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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