L 11 SF 15/15 EK

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 11 SF 15/15 EK
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Feststellung der Überlänge eines Gerichtsverfahrens bei verspäteter Verzögerungsrüge
1. In § 198 Abs. 3 GVG ist nicht geregelt, wann eine Verzögerungsrüge spätestens erhoben werden muss, um wirksam zu sein.
2. Der Wirksamkeit einer Verzögerungsrüge steht es nicht entgegen, wenn sie erst kurz vor der mündlichen Verhandlung des Ausgangsverfahrens erhoben wird.
3. Bei verspäteter Verzögerungsrüge kommt aber die bloße Feststellung der Überlänge des Ausgangsverfahrens in Betracht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Verhalten des
Entschädigungsklägers im Ausgangsverfahren den Eindruck einer Hinauszögerung des Verfahrensabschlusses erweckt.
I. Es wird festgestellt, dass die Dauer des Berufungsverfahrens L 4 R 533/10 vor dem Sächsischen Landessozialgericht im Umfang von 12 Monaten unangemessen war. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu ¾ und der Beklagte zu ¼.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 4.800,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Entschädigung für die Dauer des Berufungsverfahrens L 4 R 533/10 vor dem Sächsischen Landessozialgericht (LSG).

Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Rentenversicherungs- und Beitragspflicht der Klägerin als selbständige Dozentin ab 25.04.2000. Der Verlauf des gegen die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund gerichteten Verfahrens gestaltete sich vor dem Sozialgericht Dresden (SG), Sächsischen LSG und Bundessozialgericht (BSG), wie folgt: 1. Instanz ursprünglich S 32 R 1230/06, zuletzt S 24 R 1230/06 18.08.2006 Klageschrift mit Begründung, 12.09.2006 Unterlagen von der Klägerin nachgereicht, 20.09.2006 Eingang von Klageerwiderung und Verwaltungsakten, 12.10.2006 Stellungnahme der DRV Bund zu den nachgereichten Unterlagen, 13.10.2006 gerichtliche Aufforderung der Klägerin, zum Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit vorzutragen und dieses zu belegen, 18.10.2006 Stellungnahmefrist bis 18.11.2006 von Klägerin beantragt und vom SG gewährt, 08.02.2007 gerichtliche Erinnerung der Klägerin an die Stellungnahme, 21.03.2007 gerichtlicher Hinweis und nochmalige Erinnerung der Klägerin an die Vorlage von Belegen zum Einkommen, ggf. das Einverständnis mit Ermittlungen beim Schulungszentrum und die Befreiung vom Steuergeheimnis, 21.03.2007 Anfrage des SG bei der DRV Bund, 24.04.2007 Antwort der DRV Bund, 27.04.2007 Nachfrage des SG bei der Klägerin nach der Adresse des Schulungszentrums, 30.04.2007 Stellungnahme der Klägerin (unter Mitteilung der Adresse des Schulungszentrums, Einverständnis mit Ermittlungen beim Schulungszentrum, keine Befreiung vom Steuergeheimnis), 04.05.2007 Anforderung von Unterlagen beim Schulungszentrum durch das SG, 24.05.2007 Erwiderung der DRV Bund auf die Stellungnahme der Klägerin, 31.05.2007 Stellungnahme der Klägerin, 25.06.2007 Nachforderung einer Anlage zur Erwiderung der DRV Bund durch die Klägerin, 24.07.2007 Stellungnahme der Klägerin zur Erwiderung der DRV Bund, 25.07.2007 Erinnerung des Schulungszentrums durch das SG, 05.09.2007 Mahnung des Schulungszentrums durch das SG, 05.09.2007 gerichtliche Erinnerung der DRV Bund zur Erwiderung auf die Stellungnahme der Klägerin, 01.10.2007 Erwiderung der DRV Bund, 01.10.2007 Ladungsverfügung für einen Beweistermin am 26.10.2007 mit Zeugen vom Schulungszentrums, 26.10.2007 Beweistermin: Protokollierung von Angaben der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten, Ordnungsgeldbeschluss gegen nicht erschienenen Zeugen, 05.11.2007 gerichtliche Anforderung eines Versicherungsverlaufs der Klägerin bei der DRV Bund sowie einer Stellungnahme zum Ergebnis des Beweistermins, 16.11.2007 Übersendung des Versicherungsverlaufs durch die DRV Bund, 26.11.2007 Hinweis des SG auf Bemühungen um Zustellung des Ordnungsgeldbeschlusses an den Zeugen, 08.04.2008 Sachstandsanfrage der Klägerin zur Vernehmung des Zeugen, 24.04.2008 Mitteilung des SG, dass vor neuem Beweistermin die Reaktion des Zeugen auf die Durchsetzung des erst im 2. Anlauf zustellbaren Ordnungsgeldbeschlusses abgewartet werden solle, 21.07.2008 Vermerk über die Beauftragung des Gerichtsvollziehers zur Beitreibung des Ordnungsgeldes, 19.08.2008 Rückforderung der Verwaltungsakten durch die DRV Bund wegen eines Widerspruchsverfahrens der Klägerin über die Kontenklärung, 17.09.2008 schriftliche Anfrage des SG an den Zeugen unter der im Ordnungsgeldverfahren bekannt gewordenen neuen Anschrift, 12.11.2008 Erinnerung des Zeugen durch das SG, 09.03.2009 Sachstandsanfrage der Klägerin insbesondere hinsichtlich Zeugenvernehmung (weiteres Zuwarten nunmehr unzumutbar), 18.03.2009 gerichtlicher Hinweis auf Verzögerung durch Kammerwechsel, Rückforderung der Verwaltungsakten von der DRV Bund, 03.04.2009 Rücklauf der Verwaltungsakten von der DRV Bund, 23.07.2009 Aufforderung des SG an die Klägerin zur Vorlage einer Bescheinigung des zuständigen Finanzamtes über ihr Einkommen aus selbständiger Tätigkeit oder zum Einverständnis mit der Einholung einer solchen Bescheinigung durch das SG, 20.08.2009 Fristverlängerung von Klägerin bis 21.09.2009 beantragt (vom SG am 21.08.2009 gewährt), 17.09.2009 Stellungnahme der Klägerin, 24.09.2009 ausführlicher gerichtlicher Hinweis an Klägerin, erneute Aufforderung zur Befreiung vom Steuergeheimnis, Anhörung zum Gerichtsbescheid, 19.10.2009 Stellungnahme der Klägerin: Befreiung vom Steuergeheimnis erst ab 2004, stattdessen Zeugenvernehmung, 21.10.2009 Anfrage des SG beim Finanzamt für die Jahre 2004 bis 2007, 29.10.2009 Antwort des Finanzamts, 03.11.2009 Anfrage des SG bei der DRV Bund nach Beschränkung des streitigen Zeitraums, 16.11.2009 Antwort der DRV Bund (Zustimmung zur zeitlichen Beschränkung), 19.11.2009 Nachfrage des SG bei der DRV Bund, 15.12.2009 gerichtliche Erinnerung der DRV Bund, 19.01.2010 Übersendung eines neuen Bescheids für die Zeit vom 01.01.2004 bis 30.11.2007 durch die DRV Bund, 21.01.2010 Anfrage des SG bei der Klägerin nach Annahme des im Bescheid liegenden Teilanerkenntnisses, erneute Aufforderung zur Befreiung vom Steuergeheimnis, Anhörung zum Gerichtsbescheid, 03.02.2010 Übersendung des Widerspruchs der Klägerin gegen den neuen Bescheid durch die DRV Bund, 01.03.2010 Stellungnahme der Klägerin (Änderung des neuen Bescheides gefordert, keine weitere Entbindung vom Steuergeheimnis, Rüge der Gehörsverletzung bei Verzicht auf Zeugenvernehmung, Akteneinsichtsgesuch), 04.03.2010 Übersendung der Akten an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin, 25.03.2010 Rücklauf der Akten beim SG, 09.04.2010 Befangenheitsantrag der Klägerin, 13.04.2010 Übersendung der Akten an das LSG zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch, 24.06.2010 Rücklauf der Akten vom LSG mit Beschluss vom 22.06.2010 (Ablehnung unbegründet), 12.07.2010 Gerichtsbescheid (abgesandt am 14.07.2010, zugegangen der DRV Bund am 15.07.2010 und der Klägerin am 19.07.2010), 2. Instanz L 4 R 533/10 16.08.2010 Berufungsschrift mit Begründung, 27.08.2010 Nachfrage der Klägerin zur Einzelrichteranfrage des LSG, 02.09.2010 Beantwortung der Nachfrage durch das LSG, 21.09.2010 Eingang der Berufungserwiderung, 15.10.2010 Erinnerung der Klägerin an Einzelrichteranfrage, 01.12.2010 Beantwortung der Einzelrichteranfrage durch die Klägerin, 26.03.2012 Mitteilung des neuen Berichterstatters und Anfragen an Klägerin und DRV Bund durch das LSG, 11.04.2012 Stellungnahme der DRV Bund, 08.05.2012 Erinnerung der Klägerin durch das LSG, 14.06.2012 Stellungnahme der Klägerin, 10.07.2012 Erwiderung der DRV Bund, 06.08.2012 Gegenäußerung der Klägerin, 22.07.2013 Anforderung von Entbindungserklärungen für die Krankenkassen bei der Klägerin durch das LSG, 28.08.2013 Erinnerung der Klägerin durch das LSG, 11.09.2013 Stellungnahme der Klägerin nebst Entbindungserklärung, 13.09.2013 Anfragen des LSG an DAK und AOK Plus, 27.09.2013 Antwort der DAK, 10.10.2013 Erinnerung der AOK Plus durch das LSG, 08.11.2013 Antwort der AOK Plus, 12.11.2013 Ladung der mündlichen Verhandlung auf den 09.12.2013, 04.12.2013 Stellungnahme der Klägerin zur den Antworten der Krankenkassen, höchstvorsorgliche Verzögerungsrüge, 09.12.2013 mündliche Verhandlung: Erledigungserklärungen für die Zeit nach dem 31.12.2013, Bereitschaft der Klägerin zur Vorlage teilweise geschwärzter Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2000 bis 2003, Fristsetzung für die Vorlage bis 28.02.2014, 03.03.2014 Hinweis des LSG auf Fristablauf, Frage nach Interesse an der Fortführung des Verfahrens, Verweis auf für 08.04.2014 vorgesehenen Verhandlungstermin, 04.03.2014 Mitteilung der Klägerin, Einkommensteuerbescheide lägen nicht mehr vor, 06.03.2014 Anregung der Befreiung vom Steuergeheimnis durch das LSG, 18.03.2014 Stellungnahme der Klägerin, 28.03.2014 Ladung der mündlichen Verhandlung auf den 06.05.2014, 17.04.2014 Anfrage des LSG nach Einverständnis mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, 22.04.2014 Einverständnis der DRV Bund, 23.04.2014 Einverständnis der Klägerin, 28.04.2014 Hinweis des LSG auf Entscheidung ohne mündliche Verhandlung am 06.05.2014, 05.05.2014 Schlussanträge der Klägerin, 06.05.2014 Urteil (vollständig abgesetzt zur Geschäftsstelle am 01.07.2014, zugegangen der Klägerin am 04.07.2014 und der DRV Bund am 07.07.2014), 3. Instanz B 5 RE 28/14 B 23.09.2014 Beschluss (Verwerfung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision)

Am 05.01.2015 hat die Klägerin beim Oberlandesgericht A ... (OLG) Klage auf Entschädigung in Höhe von 4.800,00 EUR wegen überlanger Dauer des Berufungsverfahrens L 4 R 533/10 vor dem Sächsischen LSG erhoben. Das OLG hat den Rechtsstreit an das Sächsische LSG verwiesen. Die Klägerin bringt vor, schon das erstinstanzliche Verfahren vor dem SG habe mit 48 Monaten unangemessen lang gedauert. Damals sei das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) noch nicht in Kraft gewesen. Auch die Dauer des Berufungsverfahrens sei mit wiederum 48 Monaten unangemessen gewesen. Nach den Umständen des Streitfalles, insbesondere nach Schwierigkeit und Bedeutung, sei eine 8jährige Dauer zur Lösung des Rechtsfalles unangemessen.

Die Klägerin beantragt unter Rücknahme der Klage im Übrigen, 1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin Entschädigung i.H.v. 2.400,00 EUR für die überlange Verfahrensdauer des Berufungsverfahrens vor dem Sächsischen Landessozialgericht, Az. L 4 R 533/10 zu zahlen, 2. festzustellen, dass die Verfahrensdauer des Berufungsverfahrens im Umfang von 24 Monaten unangemessen ist.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, der Entschädigungsanspruch sei bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge (03.12.2013) gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGG präkludiert. Ab Rügeerhebung sei das Verfahren zügig betrieben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Senatsakte sowie der beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat teilweise Erfolg.

1. Die Entschädigungsklage beschränkt sich auf das Berufungsverfahren L 4 R 533/10 vor dem Sächsischen LSG. Eine Entschädigungsklage kann nicht nur in zulässiger Weise auf die Tatsacheninstanzen des Ausgangsverfahrens beschränkt werden (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - juris RdNr. 21), sondern auch auf jede einzelne Instanz (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 27.02.2014 - 5 C 1/13 D - juris RdNr. 11 ff.; Urteil vom 11.07.2013 - 5 C 23/12 D - juris RdNr. 61) und sogar auf einzelne Verfahrensabschnitte (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG RdNr. 52, 252). Die Beschränkung der vorliegenden Entschädigungsklage auf die zweite Instanz des Ausgangsverfahrens ergibt sich aus dem klaren Wortlaut des in der Klageschrift enthaltenen Antrags. Danach begehrt die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung einer "Entschädigung i.H.v. 2.400,00 EUR für die überlange Verfahrensdauer des Berufungsverfahrens vor dem Sächsischen Landesozialgericht, Az. L 4 R 533/10" und die Feststellung, "dass die Verfahrensdauer des Berufungsverfahrens im Umfang von 24 Monaten unangemessen ist". Die Beschränkung der Entschädigungsklage auf das Berufungsverfahren unterliegt angesichts des klaren Wortlauts des Antrages keinem Zweifel. Unbeachtlich ist, dass in der Klagebegründung schon die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens für überlang gehalten wird.

2. Das Begehren der Klägerin ist in prozessualer und materiell-rechtlicher Hinsicht an §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) zu messen, obwohl diese Vorschriften erst während des von der Klägern als überlang gerügten Ausgangsverfahrens in Kraft getreten sind. Denn die Vorschriften des ÜGG vom 24.11.2011 (BGBl. I S. 2302) und damit auch die §§ 198 ff. GVG finden aufgrund der Übergangsregelung in Art. 23 Satz 1 ÜGG auch auf Verfahren Anwendung, die bei Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 (vgl. Art. 24 ÜGG) anhängig waren.

3. Die Klage ist zulässig. Insbesondere sind sowohl die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG als auch die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG gewahrt. Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG kann eine Entschädigungsklage frühestens 6 Monate nach der Verzögerungsrüge erhoben werden. Diese Wartefrist hat die Klägerin eingehalten. Denn ihre Verzögerungsrüge ist am 04.12.2013 beim Ausgangsgericht eingegangen und Entschädigungsklage hat sie am 05.01.2015 erhoben. Die Klageerhebung erfolgte auch innerhalb der Klagefrist. Nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG muss die Entschädigungsklage spätestens 6 Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Ausgangsverfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Die Klagefrist begann hier mit dem rechtskräftigen Abschluss des Ausgangsverfahrens infolge des Beschlusses des BSG vom 23.09.2014, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des LSG verworfen wurde, und war folglich durch die am 05.01.2015 erhobene Entschädigungsklage gewahrt.

4. Die Klage ist nur zum Teil begründet.

Anspruchsgrundlage für den eingeklagten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens ist § 202 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 198 GVG. Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG). Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Entschädigung wird für materielle und immaterielle Schäden geleistet. Die Geltendmachung immaterieller Schäden erleichtert das Gesetz, indem es einerseits bei unangemessener Verfahrensdauer einen immateriellen Schaden vermutet (§ 198 Abs. 2 Satz 1 GVG) und andererseits dessen Höhe in der Regel bei 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung ansetzt (§ 198 Abs. 2 Sätze 3 und 4 GVG). Entschädigung enthält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 GVG).

Zwar war das Berufungsverfahren L 4 R 533/10 von unangemessener Dauer im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG, wobei eine Überlänge von 12 Monaten vorliegt – und nicht von 48 Monaten, wie die Klägerin ursprünglich meinte, oder 24 Monaten, wie sie zuletzt noch vertrat (dazu a). Doch kommt wegen der verspäteten Erhebung der Verzögerungsrüge lediglich eine Feststellung der Überlänge des Ausgangsverfahrens und keine Entschädigung für dieses in Betracht (dazu b).

a) Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfolgt die Prüfung der (Un-) Angemessenheit der Verfahrensdauer im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG in drei Schritten (Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 23 ff.; Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 23 ff.; Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris RdNr. 33 ff.): (1) Ausgangspunkt und erster Schritt bildet die Feststellung der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierten Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Kleinste im Geltungsbereich des ÜGG relevante Zeiteinheit ist hierbei der Kalendermonat. (2) In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien zu messen. Dabei ist zu beachten, dass die Verfahrensführung des Ausgangsgerichts vom Entschädigungsgericht nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen ist. (3) Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Dabei billigt das BSG den Ausgangsgerichten eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu 12 Monaten je Instanz zu, die für sich genommen noch nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führt.

(zu 1) Die relevante Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens betrug 48 Monate. Zwar begann das Ausgangsverfahren mit der Klageerhebung am 18.08.2006 und endete mit der Zustellung des Beschlusses des BSG vom 23.09.2014, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des LSG vom 06.05.2014 verworfen wurde. Doch ist aufgrund der ausdrücklichen Beschränkung der Entschädigungsklage auf das Berufungsverfahren L 4 R 533/10 (siehe oben unter 1.) lediglich der Zeitraum von der Erhebung der Berufung am 16.08.2010 bis zur Zustellung des Berufungsurteils am 04.07.2014 relevant.

(zu 2) Bei der Messung des Ablaufs des Ausgangsverfahrens an den Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ist zunächst festzustellen, dass es einen allenfalls durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Im Ausgangsverfahren stellten sich keine schwierigen rechtlichen Fragen. Es wies aber in tatsächlicher Hinsicht eine gewisse Komplexität auf, weil sich die Klägerin außerstande sah, Verträge über die streitige Dozententätigkeit und Nachweise über das daraus erzielte Einkommen vorzulegen. Gerichtliche Anfragen bei dem Schulungszentrum, für das die Klägerin als Dozentin tätig war, blieben ebenso ergebnislos wie der Versuch, einen Zeugen aus diesem Schulungszentrum zu vernehmen. Eine Entbindung vom Steuergeheimnis erteilte die Klägerin dem Gericht nur für einen Teil des Streitzeitraums. Im Ergebnis der gerichtlichen Anfrage beim zuständigen Finanzamt forderte die DRV Bund für die Zeit ab 01.01.2004 keine Pflichtbeiträge für die Dozententätigkeit mehr. Aufgrund der Formulierung des betreffenden Bescheides vom 15.01.2010 verweigerte sich die Klägerin jedoch zunächst einer Teilerledigterklärung. Erst in der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2013 konnte eine Beschränkung des Streitzeitraums (auf die Jahre 2000 bis 2003) erreicht werden, für den sich die Klägerin zudem bereit erklärte, Einkommensteuerbescheide vorzulegen, über die sie aber – wie sie später mitteilte – doch nicht mehr verfügte.

Die Bedeutung des Ausgangsverfahrens war eher unterdurchschnittlich. Die für die Beurteilung der Verfahrensdauer relevante Bedeutung des Verfahrens ergibt sich aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zur Bedeutung der Sache im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG trägt dabei im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine weiteren geschützten Interessen auswirkt (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 - juris RdNr. 29). Mit dem im Ausgangsverfahren angefochtenen Bescheid hatte die DRV Bund zwar von der Klägerin für die Zeit vom 01.12.2000 bis 31.08.2005 Pflichtbeiträge in Höhe von 14.891,72 EUR angefordert; infolge des bereits im erstinstanzlichen Verfahren ergangenen Bescheides vom 15.01.2010 reduzierte sich diese Forderung jedoch auf 6.974,72 EUR. Allein die Höhe dieser Forderung verleiht dem Ausgangsverfahren keine besondere Bedeutung. Die DRV Bund hat die Beiträge während des Ausgangsverfahrens nicht beigetrieben. Vielmehr werden die Beiträge erst seit Abschluss des Ausgangsverfahrens von der Klägerin ratenweise abgezahlt. Folglich hatte die Klägerin in wirtschaftlicher Hinsicht mit dem Ausgangsverfahren ihr Ziel vorläufig bereits erreicht, obwohl Anfechtungsklagen gegen Bescheide über Versicherungs- und Beitragspflichten nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung haben. Auf ein gleichwohl bestehendes besonderes Interesse an der raschen endgültigen Klärung ihrer Versicherungs- und Beitragspflicht hätte die Klägerin in dem Ausgangsverfahren hinweisen müssen (vgl. § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG), was indessen nicht erfolgt ist.

Das prozessuale Verhalten eines Verfahrensbeteiligten, das nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer mit zu berücksichtigen ist, hat zumindest insoweit zur Verzögerung beigetragen, als sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung des LSG vom 09.12.2013 bereit erklärt hat, ihre Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2000 bis 2003 unter Schwärzung der ihren Ehemann betreffenden Angaben vorzulegen, und sich hierfür eine Frist bis Ende Februar 2014 ausbedungen hat. Nach Ablauf dieser Frist hat die Klägerin am 04.03.2014 mitgeteilt, keine Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2000 bis 2003 vorlegen zu können, da die Aufbewahrungsfrist, die dafür 10 Jahre betrage, abgelaufen sei. Wenn die Klägerin Einkommensteuerbescheide nur für 10 Jahre aufbewahrt, hätte sie hierauf schon in der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2013 hinweisen können, die allein vertagt wurde, um ihr doch noch den Nachweis geringerer Einkünfte aus der selbständigen Dozententätigkeit zu ermöglichen.

§ 198 GVG nennt als Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit mit Blick auf die Prozessakteure das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter nur beispielhaft. Darüber hinaus hängt eine Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit wesentlich davon ab, ob dem Staat zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben. Maßgeblich sind Verzögerungen, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 41). Im vorliegenden Ausgangsverfahren ist eine gerichtliche Inaktivität von 24 Monaten festzustellen, nämlich von Januar 2011 bis Februar 2012 und von September 2012 bis Juni 2013. Denn nach der Klageerwiderung durch die DRV Bund im September 2009 durfte das LSG auf die Beantwortung der Einzelrichteranfrage durch die Klägerin warten, nachdem diese mit der Nachfrage zur Senatsbesetzung vom 27.08.2010, die das LSG am 02.09.2010 beantwortet hatte, den Eindruck erweckt hatte, die Anfrage zu beantworten. Nach einer Erinnerung durch das LSG vom 15.10.2010 beantwortete die Klägerin die Einzelrichteranfrage schließlich am 02.12.2010. Ab Januar 2011 folgte dann eine – lediglich von Wiedervorlagen gekennzeichnete – Phase gerichtlicher Inaktivität, die am 26.03.2012 mit Anfragen des neuen Berichterstatters an die Klägerin und die DRV Bund endete. Auf diese gerichtlichen Anfragen antwortete die DRV Bund am 11.04.2012 und die Klägerin – nach gerichtlicher Erinnerung im Mai 2012 – am 14.06.2012. Nach Stellungnahmen beider Seiten hierzu am 10.07.2012 und 06.08.2012 geriet das Ausgangsverfahren ab September 2012 erneut ins Stocken. Die erneute Phase gerichtlicher Inaktivität fand am 22.07.2013 ein Ende, als das LSG von der Klägerin eine Schweigepflichtentbindungserklärung für Krankenkassen (DAK und AOK Plus) anforderte, deren Mitglied sie gewesen war. Die Klägerin gab nach gerichtlicher Erinnerung diese Erklärung am 11.09.2013 ab. Die dadurch ermöglichten gerichtlichen Anfragen beantwortete die DAK am 27.09.2013 und die AOK Plus – nach Erinnerung – am 08.11.2013. Am 11.11.2013 wurden die Übersendung dieser Antworten an die Beteiligten des Ausgangsverfahrens verfügt und am 12.11.2013 der Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 09.12.2013 bestimmt. Zu diesen Antworten nahm die Klägerin am 04.12.2013 Stellung und erhob höchstvorsorglich Verzögerungsrüge. In der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2013 konnte eine Begrenzung des Streitzeitraums auf die Jahre 2000 bis 2003 erreicht werden, für den sich aber durch die Bereitschaft der Klägerin, die Einkommensteuerbescheide für diese Jahre – wenn auch hinsichtlich ihres Ehemannes geschwärzt – vorzulegen, Möglichkeiten zu weiterer Sachverhaltsaufklärung eröffneten. Als die Klägerin nach Ablauf der für die Vorlage ausbedungenen Frist am 04.03.2014 erklärte, über die Einkommensteuerbescheide nicht mehr zu verfügen, regte das LSG am 06.03.2014 nochmals eine Entbindung vom Steuergeheimnis auch für restlichen Streitzeitraum an, die die Klägerin am 18.03.2014 erneut ablehnte. Daraufhin wurde zunächst am 28.03.2014 der Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 06.05.2014 bestimmt und sodann bei den Beteiligten des Ausgangsverfahrens am 17.04.2014 angefragt, ob sie auch mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung am 06.05.2014 einverstanden wären. Dem stimmten die DRV am 22.04.2014 und die Klägerin am 23.04.2014 zu – letztere unter dem Vorbehalt von Schlussanträgen, die sie am 05.05.2014 schriftsätzlich einreichte. Mit Urteil vom 06.05.2014 wies das LSG die Berufung der Klägerin zurück. Das am 01.07.2014 vollständig abgesetzte Urteil wurde der Klägerin am 04.07.2014 zugestellt.

(zu 3) Die Gesamtabwägung ergibt eine Überlänge des Ausgangsverfahrens von 12 Monaten. Zwar ist – wie soeben ausgeführt – eine gerichtliche Inaktivität von 24 Monaten feststellbar. Wird hiervon aber die dem SG zuzubilligende Vorbereitungs- und Bedenkzeit abgezogen, ist eine Unangemessenheit der Verfahrensdauer nur von 12 Monaten festzustellen. Grundsätzlich ist jeder Instanz des Ausgangsverfahrens eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit zuzubilligen, die nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden muss (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 27 und 45 ff.; Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 33). Diese Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann am Anfang, in der Mitte oder am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt 12 Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 46). Die Zeitspanne von 12 Monaten ist zwar regelmäßig zu akzeptieren; nach den besonderen Umständen des Einzelfalls kann aber ausnahmsweise eine kürzere oder gar keine Vorbereitungs- und Bedenkzeit anzusetzen sein (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 50). Dies gilt insbesondere bei überdurchschnittlich langer Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens; denn je länger das Verfahren insgesamt dauert, umso mehr verdichtet sich die Pflicht des Ausgangsgerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - juris RdNr. 32). Anlass, die Zeitspanne von 12 Monaten zu reduzieren, besteht vorliegend trotz der Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens nicht, das bei Beginn der mit der vorliegenden Entschädigungsklage als überlang gerügten zweiten Instanz bereits 4 Jahre andauerte. Denn das Ausgangsverfahren war – wie bereits ausgeführt – nicht einer bevorzugten Erledigung zuzuführen, weil die Klägerin durch dieses infolge der Nichtbeitreibung der Beiträge durch die DRV Bund in wirtschaftlicher Hinsicht ihr Ziel vorläufig bereits erreicht hatte.

b) Die erforderliche Verzögerungsrüge ist zwar noch wirksam erhoben. Wegen des späten Zeitpunkts ihrer Erhebung scheidet aber eine Entschädigung aus und genügt eine Wiedergutmachung auf andere Weise.

Aus der Regelung in § 198 Abs. 3 GVG ergibt sich, dass die Verzögerungsrüge materielle Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs ist und dass in jeder Instanz eine Verzögerungsrüge zu erheben ist, weshalb die in einer Instanz nicht ordnungsgemäß erhobene Verzögerungsrüge zu einer materiell-rechtlichen Präklusion des Entschädigungsanspruchs für diese Instanz führt (Sächsisches LSG, Urteil vom 12.07.2016 - L 11 SF 50/15 EK - juris RdNr. 19). Für Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG abgeschlossen oder bereits anhängig waren, gelten allerdings nach der Übergangsbestimmung des Art. 23 ÜGG Besonderheiten: Danach ist unter Umständen eine Verzögerungsrüge entbehrlich (Art. 23 Satz 4 ÜGG) oder ihre verspätete Erhebung führt zu einer weitergehenden materiell-rechtlichen Präklusion (Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGG).

Für das hier streitige zweitinstanzliche Ausgangsverfahren bedurfte es einer Verzögerungsrüge, da diese Instanz am 03.12.2011 noch nicht abgeschlossen war und damit nicht unter die Ausnahmeregelung in Art. 23 Satz 4 ÜGG fiel. Für diese Instanz griff auch nicht Art. 23 Satz 2 ÜGG, wonach in anhängigen Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 schon verzögert waren, die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss; wobei "unverzüglich" spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des ÜGG bedeutet (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 25 ff.; Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 20.08.2014 - X K 9/13 - juris RdNr. 23; Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 17.07.2014 - III ZR 228/13 - juris RdNr. 22; Urteil vom 10.04.2014 - III ZR 335/13 - juris RdNr. 25). Wird in einem solchen Fall die Verzögerungsrüge nicht rechtzeitig erhoben, sind sowohl eine Entschädigung als auch eine Wiedergutmachung auf andere Weise für Zeiten bis zum tatsächlichen Rügezeitpunkt ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris RdNr. 23 ff.; Urteil vom 15.12.2015 - B 10 ÜG 1/15 R - juris RdNr. 17; ebenso BGH, Urteil vom 10.04.2014 - III ZR 335/13 - juris RdNr. 27 ff.; Urteil vom 17.07.2014 - III ZR 228/13 - juris RdNr. 14; BFH, Urteil vom 20.08.2014 - X K 9/13 - juris RdNr. 20). Art. 23 Satz 2 ÜGG gilt allerdings nicht für alle bei Inkrafttreten des ÜGG anhängige Verfahren (insoweit missverständlich BSG, Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris Leitsatz 1; Urteil vom 15.12.2015 - B 10 ÜG 1/15 R - juris Leitsatz 1), sondern nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nur für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG schon verzögert waren. Bei der Frage nach einer rügepflichtigen Verzögerung im Sinne von Art. 23 Satz 2 ÜGG kann nicht die Entwicklung und Dauer des gesamten Verfahrens betrachtet werden; Gegenstand der Betrachtung kann vielmehr allein der bis zum Inkrafttreten des ÜGG vergangene Zeitraum in der betreffenden Instanz sein, wobei die Prüfungskriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG entsprechend herangezogen werden können (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.07.2016 - I-18 EK 1/15 - juris RdNr. 38). Unter Beachtung dieser Maßgaben war das zweitinstanzliche Ausgangsverfahren bei Inkrafttreten des ÜGG (03.12.2011) noch nicht (rügepflichtig) verzögert. Zwar war die Berufung bereits am 16.08.2010 eingelegt und das Ausgangsverfahren zunächst – wie bereits ausgeführt – nur bis Dezember 2010 betrieben worden. Die anschließende gerichtliche Inaktivität von Januar 2011 bis Februar 2012 führt aber nicht dazu, dass bereits am 03.12.2011 eine rügepflichtige Verzögerung eingetreten war. Denn zu den entsprechend heranzuziehenden Prüfungskriterien gehört auch die vom BSG dem Ausgangsgericht zugebilligten Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu 12 Monaten. Wird diese von den knapp über 11 Monaten gerichtlicher Inaktivität ab Januar 2011 bis zum 03.11.2011 abgezogen, lässt sich in dem nach Art. 23 Satz 2 ÜGG maßgeblichen Zeitpunkt noch keine unangemessene Dauer des zweitinstanzlichen Ausgangsverfahrens und damit auch keine rügepflichtige Verzögerung feststellen.

In Fällen, in denen – wie hier – ein bei Inkrafttreten des ÜGG anhängiges Verfahren noch nicht verzögert war, greift für die Verzögerungsrüge nicht die Sonderregelung in Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGG, sondern gilt die allgemeine Regelung in § 198 Abs. 3 GVG (Schmidt, NVwZ 2015, 1710, 1711; in Ergebnis ebenso BVerwG, Urteil vom 29.02.2016 - 5 C 31/15 D - juris RdNr. 30). In § 198 Abs. 3 GVG ist – anders als in Art. 23 ÜGG – ausdrücklich nur geregelt, wann die Verzögerungsrüge frühestens erhoben werden darf, nicht jedoch, wann sie spätestens erhoben werden muss; gegen einen Endtermin sprechen auch die Gesetzesmaterialien (BGH, Urteil vom 10.04.2014 - III ZR 335/13 - juris RdNr. 31; BSG, Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris RdNr. 24). Der gleichwohl vom BFH vertretenen Auffassung, dass durch eine verspätet erhobene Verzögerungsrüge der Anspruch auf Entschädigung der durch die überlange Verfahrensdauer erlittenen Nachteile auf einen Zeitraum begrenzt werde, der im Regelfall 6 Monate vor Erhebung der Rüge umfasse (BFH, Urteil vom 06.04.2016 - X K 1/15 - juris RdNr. 40 ff.), vermag der Senat weiterhin nicht zu folgen (Sächsisches LSG, Urteil vom 12.07.2016 - L 11 SF 50/15 EK - juris RdNr. 42 f.). Die Verzögerungsrüge ist von der Klägerin zwar sehr spät – nämlich erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung im zweitinstanzlichen Ausgangsverfahren –, aber dennoch wirksam erhoben.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass die verspätete Erhebung der Verzögerungsrüge keinerlei Einfluss auf den Entschädigungsanspruch hat. Denn für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG, insbesondere durch (bloße) gerichtliche Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer, ausreichend ist. Nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG kann das Entschädigungsgericht die bloße Feststellung der Überlänge des Ausgangsverfahrens aussprechen, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des § 198 Abs. 3 GVG nicht erfüllt sind; davon umfasst sind vor allem die Fälle, in denen eine Entschädigung nicht beansprucht werden kann, weil die Verzögerungsrüge zu früh oder gar nicht erhoben wurde (BT-Drucks. 17/3802, S. 22). Gleiches kann aber auch bei verspäteter Erhebung der Verzögerungsrüge gelten. Denn die Koppelung des Entschädigungsanspruchs an eine Rügeobliegenheit verfolgt eine doppelte Intention: Zum einen soll die Verzögerungsrüge dem Richter des Ausgangsverfahrens als Vorwarnung dienen und präventiv wirkend die Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung eröffnen. Zum anderen soll die Obliegenheit zur Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren ein bloßes "dulde und liquidiere" durch die Verfahrensbeteiligten ausschließen (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 RdNr. 174). Wenn ein Beteiligter die Verzögerungsrüge verspätet erhebt, also gegen die Obliegenheit einer rechtzeitigen Rüge verstößt, und dies bei Würdigung der Gesamtumstände ein "dulde und liquidiere" darstellt, soll dies vom Entschädigungsgericht statt durch eine Gewährung der Entschädigung erst ab dem Rügezeitpunkt anderweitig berücksichtigt werden können (BT-Drucks. 17/3802, S. 21). Eine solche Verspätung kann in die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 1 GVG einfließen und sich auch bei der Frage auswirken, ob Wiedergutmachung auf andere Weise durch Feststellung der Überlänge gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreicht (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 RdNr. 195).

Vorliegend stellt sich das Verhalten der Klägerin bei Würdigung der Gesamtumstände als "dulde und liquidiere" dar. Denn obwohl das zweitinstanzliche Verfahren von zwei längeren Phasen gerichtlicher Inaktivität (von Januar 2011 bis Februar 2012 und von September 2012 bis Juni 2013) geprägt war, hat die Klägerin die Verzögerungsrüge erst am 04.12.2013 erhoben – und damit wenige Tage vor der mündliche Verhandlung vom 09.12.2013, deren Termin ihrem Prozessbevollmächtigten am 16.11.2013 zeitgleich mit dem Ergebnis der letzten gerichtlichen Ermittlungen bekanntgegeben worden war (zur Verspätung der Verzögerungsrüge in einem solchen Fall vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.08.2014 - L 11 SF 210/14 EK SO - juris RdNr. 39). Dies mag für sich allein noch nicht reichen. Hinzu kommt aber im vorliegenden Fall, dass das Verhalten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2013 den Eindruck einer bewussten Hinauszögerung der Beendigung des Ausgangsverfahrens erweckt. Denn in dieser mündlichen Verhandlung hat sie sich bereit erklärt, ihre Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2000 bis 2003 unter Schwärzung der ihren Ehemann betreffenden Angaben vorzulegen, und sich hierfür eine Frist bis Ende Februar 2014 ausbedungen, was folgerichtig zu einer Vertagung durch das LSG geführt hat. Am 04.03.2014 hat sie dann aber mitgeteilt, keine Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2000 bis 2003 vorlegen zu können, da die Aufbewahrungsfrist, die dafür 10 Jahre betrage, abgelaufen sei. Wenn die Klägerin Einkommensteuerbescheide nur für 10 Jahre aufbewahrt und hiervon nicht einmal bei dem Bescheid für 2003 eine Ausnahme zu machen gedachte, hätte sie hierauf schon in der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2013 hinweisen müssen, die vom LSG allein vertagt wurde, um ihr doch noch den Nachweis geringerer Einkünfte aus der selbständigen Dozententätigkeit zu ermöglichen. Dafür, dass der Klägerin an einer zügigen Verfahrenserledigung wenig gelegen war, spricht zudem, dass sie erst in der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2013 zu einer Teilerledigterklärung für die Zeit ab 2004 zu bewegen war, obwohl die DRV Bund bereits mit Bescheid vom 15.01.2010 ihre Beitragsforderungen um diese Zeit (und damit von 14.891,72 EUR auf 6.974,72 EUR) reduziert hatte.

Vor diesem Hintergrund ist eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ausreichend (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung und § 201 Abs. 4 GVG. Nach § 201 Abs. 4 GVG entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen, wenn – wie hier – ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe besteht, aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt wird. Dabei hält der Senat es für billig, dass sich die Kostenquote an dem Erfolg des (ursprünglichen) Feststellungsbegehrens (hier 12 Monate statt 48 Monate) orientiert.

6. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.

7. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3, § 40 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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