L 11 SF 17/16 EK

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 9 AS 466/14
Datum
-
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 11 SF 17/16 EK
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Aktivlegitimation des Entschädigungsklägers
1. Zur Wahrung der Klagefrist nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG genügt es, wenn beim Entschädigungsgericht innerhalb der Klagefrist ein formgerechter Prozesskostenhilfeantrag gestellt und unverzüglich nach der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe die Klage erhoben wird.
2. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II führt nicht dazu, dass Beziehern laufender Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Aktivlegitimation für Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfahrensdauer fehlt.
3. Eine Entschädigung für immaterielle Nachteile nach § 198 GVG stellt Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II dar.
4. Von der Berücksichtigung als Einkommen nimmt der nicht analogiefähige § 11a Abs. 2 SGB II immaterielle Entschädigungen nach § 198 GVG nicht aus.
5. Immaterielle Entschädigungen nach § 198 GVG sind keine zweckbestimmten Leistungen im Sinne des § 11a Abs. 3 SGB II.
6. Jedenfalls bis zur rechtskräftigen Zuerkennung einer Entschädigung schließt § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG einen Anspruchsübergang nach § 33 Abs.1 Satz 1 SGB II aus.
7. Bei konventionsrechtskonformer Auslegung tritt § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB II hinter § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG zurück.
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 200,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 10. März 2017 zu zahlen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 200,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Entschädigung für die Dauer des Verfahrens S 9 AS 466/14 vor dem Sozialgericht Leipzig (SG).

Der Kläger bezieht von dem im Ausgangsverfahren beklagten Jobcenter A ... Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Gegenstand des Ausgangsverfahrens war der Bescheid des Jobcenters vom 21.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014, mit dem dem Kläger als monatlicher Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung in der Wohnung -Straße in A ... 282,00 EUR bewilligt wurden. Der Kläger hatte zuvor mit Antrag vom 13.10.2013 die Übernahme der vollen tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung rückwirkend ab dem 01.10.2013 begehrt, nachdem im Rahmen einer vorläufigen Bewilligung mit Bescheid vom 04.09.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.11.2013 für die Zeit vom 01.10.2013 bis 31.03.2014 lediglich Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der früheren Mietkosten von 282,00 EUR in der -Straße in A ... übernommen worden waren. Das Jobcenter hatte die Deckelung der Kosten der Unterkunft und Heizung seit dem Auszug des Klägers aus der -Straße in die zwischenzeitliche Wohnung in der -Straße und den darauffolgenden Umzug in die -Straße aufrechterhalten.

Der Verlauf des Ausgangsrechtsstreits gestaltete sich folgendermaßen:

09.02.2014 Klageschrift mit Begründung, 28.03.2014 Eingang von Klageerwiderung und Verwaltungsakten, 04.04.2014 Übersendung der Klageerwiderung an den Kläger zur Kenntnis und Stellungnahme, 10.04. – 23.05.2014 Eingang von Schriftsätzen des Klägers und des Jobcenters, 14.05.2014 Beantragung von Prozesskostenhilfe (PKH) durch den Kläger, 04.07.2014 Übersendung der letzten Schriftsätze durch das SG an den Kläger zur eventuellen Stellungnahme und an das Jobcenter zur Kenntnis und Stellungnahme, 08.07. – 19.08.2014 Eingang von Schriftsätzen, 27.08.2014 richterliche Verfügung: Schriftsätze an Jobcenter zur Kenntnis und eventuellen Stellungnahme; Wiedervorlage 20.09.2014, 26.11.2015 Verzögerungsrüge des Klägers, 27.11.2015 Ladungsverfügung des SG, 09.12.2015 Terminsverlegungsantrag des sich erstmals anzeigenden Klägervertreters, 09.12.2015 Terminsaufhebung und richterlicher Hinweis an das Jobcenter, 09.12.2015 PKH-Beschluss, 15.12.2015 Akteneinsichtsgesuch des Klägervertreters, 08.01.2016 richterliche Verfügung: Akteneinsicht für 3 Wochen gewährt, 03.02.2016 Rücksendung der Akten durch den Klägervertreter, 16.02.2016 Schriftsatz des Klägervertreters mit tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen, 29.02.2016 richterliche Verfügung: Schriftsatz an Jobcenter zur Kenntnis und Stellungnahme, 29.03.2016 Anerkenntnis des Jobcenters, 07.04.2016 Annahme des Anerkenntnisses durch den Klägervertreter.

Am 14.04.2016 hat der Kläger beim Sächsischen Landessozialgericht (LSG) die Bewilligung von PKH für eine Klage auf Entschädigung wegen überlanger Dauer des Verfahrens S 9 AS 466/14 beantragt. Nachdem der Senat dem Kläger PKH bis zu einem Streitwert von 200,00 EUR bewilligt hatte, hat der Kläger am 10.03.2017 Klage eingelegt. Der Kläger hält es für unzumutbar, dass das SG von August 2014 bis November 2015 keinerlei Anstrengungen unternommen habe, das Verfahren fortzuführen, zu beenden oder überhaupt über den PKH-Antrag zu entscheiden. Eine Entschädigung von 200,00 EUR für die Verzögerung, die vonseiten des SG hätte vermieden werden können, sei angemessen.

Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von 200,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.03.2017 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Nach Erhebung der Verzögerungsrüge habe das SG das Verfahren beschleunigt und innerhalb eines halben Jahres einer Erledigung zugeführt. Es sei kein Grund erkennbar, die geltend gemachte überlange Verfahrensdauer durch Geldzahlung zu entschädigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Gerichtsakte und die Akte des Ausgangsverfahrens verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat vollen Erfolg.

1. Die Klage ist zulässig.

a) Die Entschädigungsklage ist nicht wegen Versäumung der Klagefrist nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG unzulässig. Zwar hat der Kläger diese Frist mit der Klageerhebung nicht gewahrt. Er hat jedoch innerhalb der Klagefrist bei Gericht einen entscheidungsreifen PKH-Antrag gestellt und nach der Bewilligung von PKH für eine unverzügliche Klageerhebung gesorgt.

Nach § 198 Abs. 5 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) muss eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer spätestens 6 Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bei dieser Klagefrist handelt es sich um eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung für die Entschädigungsklage (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris RdNr. 16; Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 15; Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 17; Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - juris RdNr. 18; Ott in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG RdNr. 256) und zugleich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist (BSG, Urteil vom 10.07.2014 - B 10 ÜG 8/13 R - juris RdNr. 12; Ott in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG RdNr. 255; Marx in: ders./Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 GVG RdNr. 161).

Die Klagefrist begann hier mit der Erledigung des Ausgangsverfahrens durch angenommenes Anerkenntnis (§ 101 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) am 07.04.2016. Die Entschädigungsklage hat der Kläger erst am 10.03.2017 und damit außerhalb der sechsmonatigen Klagefrist erhoben. Innerhalb der Klagefrist hat der Kläger jedoch am 14.04.2016 bei Gericht PKH für eine Entschädigungsklage wegen überlanger Dauer des Ausgangsverfahrens beantragt, die für den Fall als eingereicht gelten sollte, dass ihm PKH gewährt werde. Dieser PKH-Antrag reicht zur Wahrung der Klagefrist aus, da der Kläger nach der Bewilligung von PKH mit Beschluss vom 08.03.2017 umgehend für die Erhebung der Entschädigungsklage gesorgt hat.

Dies folgt allerdings nicht aus einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG), wie es üblicherweise im sozialgerichtlichen Verfahren bei versäumter Klagefrist nach Bewilligung von PKH der Fall ist (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 67 RdNr. 7b). Denn bei der Frist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG handelt es sich (auch) um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist; und gegen die Versäumung solcher Fristen ist eine Wiedereinsetzung nicht möglich (BSG, Urteil vom 10.07.2014 - B 10 ÜG 8/13 R - juris RdNr. 12; Ott in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG RdNr. 255).

Ebenso wenig ergibt sich die Wahrung der Klagefrist aus den zu § 167 Zivilprozessordnung (ZPO) entwickelten Grundsätzen. Danach kann die fristgemäße Stellung eines PKH-Antrags genügen, wenn mit ihm bei Gericht die Klageschrift eingereicht und die Klage unverzüglich nach der vom Kläger nicht verzögerten (positiven oder negativen) Entscheidung über den PKH-Antrag zugestellt wird (Bundesgerichtshof [BGH], Beschluss vom 30.11.2006 - III ZB 22/06 - juris RdNr. 7 m.w.N.). Diese Grundsätze sind zwar seit dem 15.10.2016 auf Entschädigungsklagen vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anwendbar, weil solche Klagen seither auch dort erst mit ihrer Zustellung rechtshängig werden (§ 94 Satz 2 SGG, angefügt mit Wirkung vom 15.10.2016 durch Gesetz vom 11.10.2016, BGBl. I S. 2222). Dies führt hier jedoch nicht weiter. Denn der Kläger hat am 14.04.2016 nicht eine Klageschrift und einen PKH-Antrag eingereicht – was nach der damaligen Fassung von § 94 SGG sogleich zur Rechtshängigkeit der Klage geführt hätte –, sondern lediglich einem PKH-Antrag einen Klageentwurf beigefügt.

Unter Heranziehung des Rechtsgedankens von § 204 Abs. 1 Nr. 14 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann indessen ein PKH-Antrag nach Treu und Glauben die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG wahren, wenn die Klage unmittelbar bzw. alsbald nach der Bewilligung von PKH erhoben worden ist (Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.09.2015 - 13 D 117/14 - juris RdNr. 42 ff.; BSG, Urteil vom 10.07.2014 - B 10 ÜG 8/13 R - juris RdNr. 12). Voraussetzung dafür ist, dass der PKH-Antrag die nach § 253 ZPO erforderlichen Angaben enthält, um die Verjährung des einzuklagenden Anspruchs hemmen zu können. Insbesondere muss der Klageentwurf übermittelt werden und der PKH-Antrag vollständig sein (§ 117 ZPO). Dies bedeutet, dass vor allem die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Gericht eingereicht worden sein muss (Lakkis in: jurisPK-BGB, 7. Aufl., § 204 BGB, RdNr. 92). Diese Voraussetzungen sind mit dem am 14.04.2016 gestellten PKH-Antrag erfüllt. Diesem waren insbesondere eine Klagebegründung und eine mit Kontoauszügen belegte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt.

b) Der Kläger hat auch die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG eingehalten. Nach dieser Vorschrift kann eine Entschädigungsklage frühestens 6 Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Verzögerungsrüge ist vorliegend am 26.11.2015 beim Ausgangsgericht eingelegt worden. Bezogen auf die am 10.03.2017 erhobene Klage ist die Wartefrist gewahrt. Wenn aber – wie hier – für die Einhaltung der Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG auf den PKH-Antrag abzustellen ist, kann für die Wahrung der Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG nichts anderes gelten. Der PKH-Antrag ist hier am 14.04.2016 bei Gericht gestellt worden und damit vor Ablauf der sechsmonatigen Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG. Dies ist aber unschädlich. Zwar ist die Nichteinhaltung der Wartefrist grundsätzlich nicht heilbar, d.h. eine vor Ablauf der Wartefrist erhobene Entschädigungsklage wird nicht nach Ablauf der Frist zulässig (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 18 ff.). Die Nichteinhaltung der Wartefrist ist aber dann unbeachtlich, wenn das Ausgangsverfahren bereits vor Fristablauf beendet wurde (BGH, Urteil vom 21.05.2014 - III ZR 355/13 - juris RdNr. 17; Urteil vom 17.07.2014 - III ZR 228/13 - juris RdNr. 18 f.; Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 26.02.2015 - 5 C 5/14 D - juris RdNr. 18 ff.). Dies ist hier der Fall. Denn das Ausgangsverfahren war bereits am 07.04.2016 durch Annahme eines Anerkenntnisses erledigt worden.

2. Die Klage ist begründet.

a) Der Kläger ist aktivlegitimiert. Dem steht trotz seines laufenden Bezugs von Arbeitslosengeld II die Bestimmung des § 33 SGB II nicht entgegen. Denn Ansprüche nach § 198 GVG gehen jedenfalls während eines Entschädigungsklageverfahrens nicht gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf den Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende über (andere Ansicht LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22.09.2016 - L 15 SF 21/15 EK AS - juris RdNr. 18 ff.).

Von dem gesetzlichen Forderungsübergang nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden grundsätzlich alle Ansprüche gegen Dritte, die nicht Leistungsträger sind, erfasst (Münder in: LPK-SGB II, 5. Aufl., § 33 RdNr. 15; Grote-Seifert in: jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 33 RdNr. 37; Fügemann in: Hauck/Noftz, SGB II, § 33 RdNr. 90; Link in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 33 RdNr. 30). Soweit hiervon für höchstpersönliche Ansprüche eine Ausnahme gemacht wird (Grote-Seifert in: jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 33 RdNr. 40), ist dies für den Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG ohne Belang, da dieser nicht höchstpersönlicher Natur, sondern vererblich und nach seiner gerichtlichen Zuerkennung auch sonst übertragbar ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22.09.2016 - L 15 SF 21/15 EK AS - juris RdNr. 1; Ott in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG RdNr. 267).

Im Grundsatz können Entschädigungsansprüche nach § 198 GVG die Voraussetzung des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen, dass bei deren rechtzeitiger Leistung unterhaltssichernde Leistungen nach dem SGB II (ganz oder teilweise) nicht erbracht worden wären. Die von § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II vorausgesetzte Kausalität zwischen unterbliebener Anspruchserfüllung durch den Dritten und Leistungsgewährung durch den Grundsicherungsträger hängt davon ab, ob der Anspruch gegen den Dritten bei rechtzeitiger Erfüllung vom Leistungsberechtigten als Einkommen oder Vermögen im Sinne der §§ 11, 12 SGB II zur Deckung seines Bedarfs einzusetzen wäre (BSG, Urteil vom 14.03.2012 - B 14 AS 98/11 R - juris RdNr. 20; Grote-Seifert in: jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 33 RdNr. 49; Fügemann in: Hauck/Noftz, SGB II, § 33 RdNr. 106).

Als Einkommen zu berücksichtigen sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Als Vermögen zu berücksichtigen sind nach § 12 Abs. 1 SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände. In Abgrenzung zum Vermögen ist Einkommen alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte (BSG, Urteil vom 10.08.2016 - B 14 AS 51/15 R - juris RdNr. 15; Urteil vom 24.04.2015 - B 4 AS 22/14 R - juris RdNr. 15; Urteil vom 22.08.2013 - B 14 AS 78/12 R - juris RdNr. 27; Urteil vom 25.01.2012 - B 14 AS 101/11 R - juris RdNr. 19; Urteil vom 30.07.2008 - B 14 AS 26/07 R - juris RdNr. 23). Abzustellen ist dabei auf den tatsächlichen Zufluss, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgebend bestimmt (BSG, Urteil vom 29.04.2015 - B 14 AS 10/14 R - juris RdNr. 29; Urteil vom 21.06.2011 - B 4 AS 21/10 R - juris RdNr. 23; Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 29/07 R - juris RdNr. 18). Daher kommt es bei (Geld-) Forderungen nicht auf deren (rechtliches) Schicksal, d.h. ihre Entstehung und ihren Bestand, sondern allein auf ihre (tatsächliche) Erfüllung an (vgl. BSG, Urteil vom 24.04.2015 - B 4 AS 32/14 R - juris RdNr. 14; Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 185/10 R - juris RdNr. 11; Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 70/07 R - juris RdNr. 27). Dies gilt auch für Schadensersatzforderungen. Allerdings ist bei ihnen in wertender Betrachtung vom tatsächlichen Zufluss abzuweichen und die Schadensersatzleistung nicht als Einkommen zu qualifizieren, wenn sie lediglich eine frühere Vermögenslage wiederherstellt, etwa lediglich als Ersatz für den Verlust eines Vermögensgegenstandes oder eine Wertminderung dient (BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 14/98 - juris RdNr. 16; Mecke in: Eicher, SGB II, § 12 RdNr. 22; Schmidt in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 82 RdNr. 63). Für die Entschädigung nach § 198 GVG bedeutet dies: Soweit diese zum Ausgleich immaterieller Nachteile gezahlt wird (vgl. § 198 Abs. 2 GVG), ist sie Einkommen im Sinne des § 11 SGB II, da der Betroffene den Geldbetrag zu seinem Vermögen erstmals wertmäßig hinzuerhält. Soweit die Entschädigung dem Ausgleich materieller Nachteile dient, wird sie in der Regel nicht dem Einkommen zuzuordnen sein, weil sie lediglich Vermögensabflüsse wieder ausgleicht (Stotz, NZS 2015, 410, 412). Bei der vom Kläger im vorliegenden Fall ausschließlich begehrten Entschädigung für immaterielle Nachteile handelt es sich folglich um Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Als Einkommen zu berücksichtigen sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II allerdings nicht alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Vielmehr sind von der Berücksichtigung die in § 11a SGB II und – über § 13 Abs. 1 Nr. 1 SGB II – die in § 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung genannten Einnahmen ausgenommen. Die Entschädigung nach § 198 GVG unterfällt keinem dieser Ausnahmetatbestände, insbesondere nicht denjenigen in § 11a Abs. 2 oder Abs. 3 SGB II. Zwar nimmt § 11a Abs. 2 SGB II Entschädigungen, die wegen eines Nichtvermögensschadens geleistet werden, von der Einkommensberücksichtigung aus. Insoweit käme eine Anwendung von § 11a Abs. 2 SGB II auf Entschädigungen nach § 198 GVG, die für immaterielle Nachteile gezahlt werden, in Betracht. § 11a Abs. 2 SGB II privilegiert allerdings nicht alle Entschädigungen für Nichtvermögensschäden, sondern nur solche, die nach § 253 Abs. 2 BGB geleistet werden. Hierunter fällt die Entschädigung nach § 198 GVG nicht, da ihr keine Verletzung eines der in § 253 Abs. 2 BGB aufgeführten Rechtsgüter (Körper, Gesundheit, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung) zugrunde liegt. Zwar wird § 11a Abs. 2 SGB II mit Blick auf die Regelungsgeschichte erweiternd ausgelegt und auch auf Schmerzensgeld wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie auf Entschädigungen nach § 15 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz angewandt (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 164/11 R - juris RdNr. 15 ff.; Söhngen in: jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 11a RdNr. 24). Doch ändert dies nichts daran, dass es sich bei § 11a Abs. 2 SGB II um eine nicht analogiefähige Sondervorschrift handelt (BSG, Urteil vom 05.09.2007 - B 11b AS 15/06 R - juris RdNr. 30). Eine Privilegierung von Entschädigungen nach § 198 GVG für immaterielle Nachteile über § 11a Abs. 2 SGB II ließe sich indessen nur über eine analoge Anwendung dieser Vorschrift erreichen (Stotz, NZS 2015, 410, 413 f.).

Entschädigungen nach § 198 GVG sind auch nicht nach § 11a Abs. 3 SGB II von der Einkommensberücksichtigung ausgenommen. Denn Entschädigungsleistungen nach § 198 GVG werden nicht – wie von § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II verlangt – "zu einem ausdrücklich genannten Zweck" erbracht, der sich zudem von demjenigen der Grundsicherungsleistungen unterscheidet. Zweckbestimmt ist eine Leistung, wenn ihr eine bestimmte erkennbar zugebilligte Zweckrichtung zu eigen ist, die im Falle der Anrechnung vereitelt würde (vgl. BSG, Urteil vom 11.01.1990 - 7 RAr 128/88 - juris RdNr. 25). "Ausdrücklich genannt" ist eine Zweckbestimmung, wenn sie sich eindeutig aus dem Gesetz herleiten lässt, wobei nicht allein auf den Gesetzestext abzustellen ist, sondern auch die Gesetzesmaterialien heranzuziehen sind (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 17/09 R - juris RdNr. 24). Für eine Zweckbestimmung genügt allerdings nicht, dass eine Leistung "kausal für etwas" geschuldet wird; vielmehr muss sie "final zu etwas" erbracht werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 16/98 - juris RdNr. 11). Dies ist indessen bei der Entschädigung nach § 198 GVG nicht der Fall. Diese wird zwar kausal für etwas, nämlich als Kompensation für materielle und immaterielle Nachteile infolge überlanger Verfahrensdauer, geleistet. Eine bestimmte Zweckrichtung lässt sich aber aus dem Gesetz nicht eindeutig herleiten, vielmehr steht dem Empfänger der Entschädigung deren Verwendung völlig frei (Stotz, NZS 2015, 410, 414 – dies übersieht Söhngen in: jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 11a RdNr. 38). Dies gilt auch und gerade, soweit die Entschädigung nach § 198 GVG für immaterielle Nachteile erbracht wird. Nicht ohne Grund hat das BSG denn auch immaterielle Entschädigungen für ersichtlich nicht zweckbestimmt gehalten (BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 164/11 R - juris RdNr. 15).

Kommt bei Entschädigungsansprüchen nach § 198 GVG ein Übergang auf den Grundsicherungsträger gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II durchaus in Betracht, schließt jedoch § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG den Anspruchsübergang bis zur der rechtskräftigen Zuerkennung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer aus und kann folglich einem Bezieher laufender Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht die Aktivlegitimation für eine Entschädigungsklage fehlen. Der Ausschluss der Übertragbarkeit des Entschädigungsanspruchs durch § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG soll einen der Rechtspflege abträglichen Handel mit dem Anspruch und zugleich einen Zugriff Dritter auf den Anspruch verhindern (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 36). Seinem Normzweck nach schließt § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG nicht allein den Zugriff Dritter im Wege der Pfändung aus (vgl. § 851 Abs. 1 Zivilprozessordnung), sondern auch den Zugriff über eine Legalzession, wie sie § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II anordnet. Dem steht § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB II nicht entgegen. Durch diese Bestimmung werden zwar eigentlich sämtliche privat- oder öffentlich-rechtliche Übertragungs-, Verpfändungs- und Pfändungsverbote verdrängt (Link in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 33 RdNr. 44). Bei europarechtskonformer Auslegung muss aber § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB II hinter § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG zurücktreten. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) garantiert nicht allein in Art. 6 Abs. 1 EMRK das Recht auf ein faires und zügiges Verfahren, sondern verstärkt dieses durch das in Art. 13 EMRK verbürgte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte [EGMR], Urteil vom 26.10.2000 - 30210/96 - RdNr. 146 ff.). Innerstaatliche Rechtsbehelfe gegen überlange Verfahrensdauer sind dann im Sinne von Art. 13 EMRK als wirksam anzusehen, wenn sie geeignet sind, entweder (präventiv) eine schnellere Entscheidung durch die mit dem Fall befassten Gerichte zu erwirken oder (kompensatorisch) der Prozesspartei eine angemessene Wiedergutmachung für bereits eingetretene Verzögerungen zukommen zu lassen (EGMR, Urteil vom 15.01.2015 - 62198/11 - juris RdNr. 137; Urteil vom 08.06.2000 - 75529/01 - RdNr. 99). Der EGMR hat betont, dass zwar einem präventiv wirkenden Rechtsbehelf vor rein kompensatorischen Vorschriften der Vorzug zu geben sei, dass aber auch eine Kombination beider Ansätze wirkungsvoll sein könne (Urteil vom 08.06.2000 - 75529/01 - RdNr. 100). In den §§ 198 GVG hat sich der deutsche Gesetzgeber für eine Kombination aus präventiven und kompensatorischen Regelungselementen entschieden (kompensatorischer Entschädigungsanspruch und präventive Verzögerungsrüge), bei der allerdings mangels eines echten präventiven Rechtsbehelfs der Schwerpunkt auf der Kompensation liegt. Im Grundsatz ist dies mit Art. 13 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar (vgl. EGMR, Urteil vom 29.05.2012 - 53126/07 - juris RdNr. 40). Führte aber § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB II dazu, dass Beziehern von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende regelhaft die Aktivlegitimation für Entschädigungsklagen fehlte, wäre ein gesamter Personenkreis von effektivem Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren ausgeschlossen; denn ihnen bliebe nur die für sich allein nicht ausreichende Verzögerungsrüge. Daher tritt § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB II bei konventionsrechtskonformer Auslegung hinter § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG zurück. Ob Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 EMRK eine darüber hinausgehende Privilegierung von Entschädigungen nach § 198 GVG in der Grundsicherung für Arbeitsuchende gebieten, ist hier nicht entscheidungserheblich und kann daher offenbleiben.

b) Dem Kläger steht wegen überlanger Dauer des Ausgangsverfahrens S 9 AS 466/14 eine Entschädigung in Höhe von 200,00 EUR zu.

Anspruchsgrundlage für den eingeklagten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens ist § 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 198 GVG. Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG). Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Entschädigung wird für materielle und immaterielle Schäden geleistet. Die Geltendmachung immaterieller Schäden erleichtert das Gesetz, indem es einerseits bei unangemessener Verfahrensdauer einen immateriellen Schaden vermutet (§ 198 Abs. 2 Satz 1 GVG) und andererseits dessen Höhe in der Regel bei 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung ansetzt (§ 198 Abs. 2 Sätze 3 und 4 GVG). Entschädigung enthält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 GVG).

Der Kläger hat die erforderliche Verzögerungsrüge am 26.11.2015 erhoben. In dem an diesem Tag beim Ausgangsgericht eingegangen Schriftsatz vom 23.11.2015 hat der Kläger erklärt, dass "hiermit die unangemessene Dauer des Verfahrens gemäß § 198 SGG gerügt" werde; seit August 2014 stünden die Ermittlungen des SG offensichtlich still; darum bestehe Anlass zur Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werde. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieses Schriftsatzes kann kein Zweifel daran bestehen, dass damit eine Verzögerungsrüge erhoben wurde; das fehlerhafte Paragraphenzitat (§ 198 SGG statt § 198 GVG) ist unschädlich.

Das Ausgangsverfahren war von unangemessener Dauer im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG. Insgesamt liegt eine entschädigungspflichtige Überlänge von 2 Monaten vor.

Die Prüfung der (Un-)Angemessenheit der Verfahrensdauer im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG erfolgt nach der Rechtsprechung des BSG erfolgt in drei Schritten (Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 23 ff.; Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 23 ff.; Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris RdNr. 33 ff.):

(1) Ausgangspunkt und erster Schritt bildet die Feststellung der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierten Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Kleinste relevante Zeiteinheit ist hierbei der Kalendermonat. (2) In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien zu messen. Dabei ist zu beachten, dass die Verfahrensführung des Ausgangsgerichts vom Entschädigungsgericht nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen ist. (3) Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Dabei billigt das BSG den Ausgangsgerichten eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu 12 Monaten je Instanz zu, die für sich genommen noch nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führt.

(zu 1) Die relevante Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens S 9 AS 466/14 betrug 27 Monate. Denn das Verfahren begann mit der Klageerhebung am 09.02.2014 und endete mit der Annahme des Anerkenntnisses am 07.04.2016.

(zu 2) Bei der Messung des Ablaufs des Ausgangsverfahrens an den Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ist zunächst festzustellen, dass es einen leicht überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Im Streit stand, ob und inwieweit § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II eine dauerhafte Deckelung der Kosten der Unterkunft im Grundsatz und über mehrere Umzüge hinweg zulässt. Diese Frage war zum Zeitpunkt der Klageerhebung (09.02.2014) höchstrichterlich nicht geklärt und in der Kommentarliteratur umstritten. Nach dem Urteil des BSG vom 29.04.2015 (B 14 AS 6/14 R - juris), wonach eine Leistungsdeckelung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II schon dann ausscheidet, wenn eine kommunale Angemessenheitsgrenze für die Unterkunftskosten nicht besteht, erkannte das Jobcenter die Kosten der Unterkunft und Heizung in voller Höhe an. Weitergehende Überlegungen des SG zur Angemessenheit der Wohnungskosten des Klägers und der Rechtmäßigkeit der Deckelung der Wohnungskosten über einen längeren Zeitraum und einen weiteren Umzug hinaus waren daher entbehrlich. Da auch die Prüfung eines "schlüssigen Konzepts" im Sinne der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - juris RdNr. 18 ff.) nicht im Raum stand und die Bescheidlage keine besondere Komplexität aufwies, kann mit Blick auf die höchstrichterlich nicht geklärten Rechtsfragen, sich zunächst gestellt hatten, allenfalls von einer leicht überdurchschnittlichen Schwierigkeit des Ausgangsverfahrens ausgegangen werden.

Die Bedeutung des Ausgangsverfahrens war ebenfalls überdurchschnittlich. Die für die Beurteilung der Verfahrensdauer relevante Bedeutung des Verfahrens ergibt sich aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zur Bedeutung der Sache im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG trägt dabei im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine weiteren geschützten Interessen auswirkt (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 - juris RdNr. 29). Aus diesem Grunde wird existenzsichernden Leistungen regelmäßig überdurchschnittliche Bedeutung für ihren Empfänger beigemessen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 39). Im vorliegenden Fall standen existenzsichernde Leistungen im Streit. Der Kläger begehrte statt der ihm nur anteilig bewilligten Kosten der Unterkunft und Heizung für die Wohnung Lößniger Str. 47 in Höhe von 282,00 EUR rückwirkend ab dem 01.10.2013 die Übernahme der vollen tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung, die er in der Klageschrift mit 307,50 EUR angab und in einem Schriftsatz vom 10.04.2014 auf 360,00 EUR berichtigte. Aus der für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II wirtschaftlich bedeutsamen Höhe des Begehrens für den Streitzeitraum (01.10.2013 bis 31.03.2014) von insgesamt 468,00 EUR (6 x 78,00 EUR) ergibt sich zusammen mit der vom Kläger beabsichtigten Signalwirkung für weitere Bewilligungszeiträume eine überdurchschnittliche Bedeutung des Ausgangsverfahrens.

Eine Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit hängt weiter wesentlich davon ab, ob dem Staat zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben. Maßgeblich sind Verzögerungen, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 41). Im vorliegenden Ausgangsverfahren ist eine gerichtliche Inaktivität von 14 Monaten festzustellen, nämlich in den Monaten Juni 2014 und vom Oktober 2014 bis Oktober 2015. Das SG hat den Schriftsatz des Jobcenters vom 21.05.2014 erst am 04.07.2014 an den Kläger zur eventuellen Stellungnahme übersandt. Auch der Schriftsatz des Klägers vom 13.05.2014 ist erst am 04.07.2014 zur Stellungnahme an das Jobcenter bis 06.08.2014 weitergeleitet worden. Inaktivität bestand somit im Juni 2014. Am 27.08.2014 verfügte der zuständige Richter einen Schriftsatz des Klägers an das Jobcenter zur Kenntnis und eventuellen Stellungnahme und eine Wiedervorlage zum 20.09.2014. Im September 2014 durfte das SG noch auf eine Stellungnahme des Jobcenters warten, da diesem mit richterlicher Verfügung vom 11.07.2014 eine Stellungnahmefrist bis 10.09.2014 gesetzt worden war. Eine weitere Bearbeitung ist jedoch erst nach Eingang der Verzögerungsrüge am 26.11.2015 durch Verfügung vom 27.11.2015 erfolgt. Die Zeit vom Oktober 2014 bis Oktober 2015 ist somit eine Phase gerichtlicher Inaktivität, welche erst nach Erhebung der Verzögerungsrüge durch Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung, Bewilligung von PKH und Übersendung Schriftsätzen der Beteiligen endete, die schließlich zum Anerkenntnis und seiner Annahme am 07.04.2016 führten. Zwar wird die Verfahrensführung des Ausgangsgerichts nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft (BGH, Urteil 12.02.2015 - III ZR 151/14 - juris RdNr. 26; Urteil vom 13.03.2014 - III ZR 91/13 - juris RdNr. 34; BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris RdNr. 43 und 45). Das faktische Ruhen des Ausgangsverfahrens im Juni 2014 und vom Oktober 2014 bis Oktober 2015 stellt aber keine vertretbare Verfahrensgestaltung dar. Trotz mittlerweile ergangener, einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 24.09.2015 - B 14 AS 6/14 R - juris) wurde das Ausgangsverfahren durch das SG nicht weiter betrieben.

(zu 3) Die Gesamtabwägung ergibt eine Überlänge des Ausgangsverfahrens von 2 Monaten.

Zwar ist – wie ausgeführt – eine gerichtliche Inaktivität von 14 Monaten feststellbar. Wird hiervon aber die dem SG zuzubilligende Vorbereitungs- und Bedenkzeit abgezogen, ist eine Unangemessenheit der Verfahrensdauer nur von 2 Monaten festzustellen. Denn grundsätzlich ist jeder Instanz des Ausgangsverfahrens eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit zuzubilligen, die nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden muss (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 27 und 45 ff.; Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 33). Diese Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann am Anfang, in der Mitte oder am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt 12 Monate nicht übersteigende Abschnitte, unterteilt sein (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 46). Die Zeitspanne von 12 Monaten ist zwar regelmäßig zu akzeptieren; nach den besonderen Umständen des Einzelfalls kann aber ausnahmsweise eine kürzere oder gar keine Vorbereitungs- und Bedenkzeit anzusetzen sein (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 50). Dies gilt insbesondere bei überdurchschnittlich langer Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens; denn je länger das Verfahren insgesamt dauert, umso mehr verdichtet sich die Pflicht des Ausgangsgerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - juris RdNr. 32). Anlass, die Zeitspanne von 12 Monaten zu reduzieren, besteht vorliegend trotz der Tatsache, dass Grundsicherungsleistungen im Streit standen, nicht. Denn das Ausgangsverfahren war weder von überdurchschnittlicher Gesamtdauer noch einer bevorzugten Erledigung zuzuführen. Gegenstand des Rechtsstreites war nicht die Bewilligung existenzsichernder Leistungen überhaupt, sondern nur deren Höhe in einem bei Klageerhebung praktisch abgelaufenen Zeitraum.

Ausgehend hiervon hat der Kläger einen Entschädigungsanspruch für 2 Kalendermonate, mithin in Höhe von 200,00 EUR.

Dem Kläger ist gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG für jeden Monat der unangemessenen Verfahrensdauer für die von ihm erlittenen immateriellen Nachteile eine Entschädigung in Geld von 100,00 EUR monatlich zuzusprechen, da weder eine Abweichung von dieser gesetzlichen Pauschale geboten ist (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) noch die Nachteile auf andere Weise wieder gutgemacht werden können (§ 198 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 GVG).

Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG, insbesondere durch (bloße) gerichtliche Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer, ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung des Nichtvermögensschadens auf andere Weise nach § 198 Abs. 4 GVG scheidet hier aus. Nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG kann das Entschädigungsgericht die bloße Feststellung der Überlänge des Ausgangsverfahrens aussprechen, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des § 198 Abs. 3 GVG nicht erfüllt sind; davon umfasst sind vor allem die Fälle, in denen eine Entschädigung nicht beansprucht werden kann, weil die Verzögerungsrüge zu früh oder gar nicht erhoben wurde (BT-Drucks. 17/3802, S. 22). Sind dagegen alle Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch erfüllt, kommt eine Kompensation des Nichtvermögensschadens durch die bloße Feststellung der Überlänge nur ausnahmsweise in Betracht, etwa wenn das Ausgangsverfahren für den Entschädigungskläger keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 36; Urteil vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris RdNr. 43 ff.). So verhält es sich hier indessen nicht.

Ebenso wenig liegt ein Ausnahmefall vor, für den § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG die Möglichkeit eröffnet, von der Pauschale des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG (1.200,00 EUR je Jahr bzw. 100,00 EUR je Monat der Verzögerung) nach oben oder nach unten abzuweichen (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 36; Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 53). Mehr als ausnahmsweise Korrekturen in atypischen Sonderfällen lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen; das zu beurteilende Ausgangsverfahren muss sich folglich durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von vergleichbaren Fällen abheben (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 36 ff.). Dies ist hier nicht der Fall.

c) Der zuerkannte Entschädigungsbetrag ist ab Eintritt der Rechtshängigkeit in entsprechender Anwendung der § 288 Abs. 1, § 291 Satz 1 BGB mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen (vgl. BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 54).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

4. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.

5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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