S 33 KR 43/07

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
33
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 33 KR 43/07
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 47‘179,81 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % seit dem 24.10.2005 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 47179,81 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung. Der am xxxxx 1989 geborene und am xxxxx 2006 verstorbene Versicherte B. wurde in der Zeit vom 24. März 2005 bis 20. April 2005 stationär mit einer Hochdosistherapie und autologer Stammzellentransplantation im Universitätsklinikum der Klägerin behandelt.

Der Versicherte litt unter einem so genannten Ewing Sarkom, welches am 29. April 2002 erstmalig diagnostiziert wurde. Es handelt sich um einen von knöchernen Strukturen ausgehenden hochmalignen Tumor. Der Versicherte erhielt im Rahmen der Euro-E.W.I.N.G. Studie eine Polichemotherapie. Durchgeführt wurde auch eine Stammzellseparation für eine etwaige spätere Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender Stammzell-Retransfusion. Am 17. September 2002 wurde eine operative Tumorentfernung durchgeführt. Diese Resektion schloss vier Rippenteilstücke und den linken Lungenoberlappen ein.

Ende 2003 wurde ein Rezidiv in Form von beidseitigen Lungenmetastasen und einer Infiltration des Knochenmarks festgestellt. Es erfolgte eine medikamentöse Rezidivtherapie mit den Präparaten Topotecan und Cyclophosphamid. Im November/ Dezember 2004 und im Februar 2005 kam es zu Operationen an der Lunge, bei der eine Resektion der in der Lunge aufgetretenen Tumore durchgeführt wurde. Anschließend erfolgte die hier im Streit stehende Hochdosistherapie mit anschließender Stammzell-Retransfusion.

Die Klägerin stellte am 18. Mai 2005 die DRG A15B für eine Knochenmarktransplantation/Stammzellentransfusion i.H.v. 37. 329,24 EUR sowie die Zusatzentgelte ZE21.07, ZE34.08 i.H.v.7.231,72 EUR und 2.616,33 EUR in Rechnung. Die Beklagte zahlte zunächst den Gesamtbetrag i.H.v.47.179,81 EUR und beauftragte den MDK-N. mit einer gutachterlichen Stellungnahme. Dieser wiederum wandte sich an das Kompetenz Zentrum Onkologie des MDK-N1. Mit Gutachten vom 13. September 2005 (Prof. Dr. H.) gelangte der MDK zu einer negativen Bewertung der durchgeführten und im Streit stehenden Behandlung. Die Behandlung mit Hochdosis-Therapie und autologe Stammzelltransplantation habe nicht dem medizinischen Standard entsprochen. Die Einschlusskriterien hätten nicht vorgelegen. Voraussetzung sei, dass es unter konventioneller Chemotherapie entweder eine partielle () 50 prozentige Größenabnahme des Tumors) oder sogar eine komplette Remissionen (vollständige Rückbildung des Tumors) gekommen sei. Vorliegend habe die Tumorerkrankung auf die zuvor durchgeführte konventionelle Chemotherapie nicht angesprochen.

Daraufhin rechnete die Beklagte die streitgegenständliche Forderung am 24. Oktober 2005 mit weiteren Forderungen auf.

Die Klägerin hat am 11. Januar 2007 Klage erhoben. Die Therapievoraussetzungen hätten vorgelegen, es sei ein Tumorrückgang von 50% zu verzeichnen gewesen. Zumindest habe ein Rückgang der Vitalität der Lungenmetastasen vorgelegen. Laufende Studien würden den Nutzen der Therapie auch bei einem schlechten Ansprechen auf konventionelle Chemotherapie belegen. Auch sei die Rechtsprechung des BVerfG zu der Kostenübernahme nicht zugelassener Behandlungsmethoden bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung zu berücksichtigen.

Die Klägerin hat ursprünglich Prozesszinsen beansprucht. Sie hat in der mündlichen Verhandlung erstmalig Zinsen i.H.v. 5 Prozent ab dem Tag der Verrechnung der Klageforderung beantragt. Der geltend gemachte Zinsanspruch sei nicht verjährt. Durch die Klageerhebung sei eine Hemmung der Verjährung gemäß § 204 BGB eingetreten. Nach der Rechtsprechung des BSG sei es nicht erforderlich, den Klageanspruch bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung zu spezifizieren und zu individualisieren

Die Klägerin beantragt nunmehr,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 47.179,81 EUR nebst Zinsen hieraus i. H. v. 5 % auf den Tag der Verrechnung der Klageforderung mit anderen Forderungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist im Wesentlichen auf die eingeholten MDK-Gutachten. Auch nach der Rechtsprechung des BVerfG könne eine Kostenübernahme nicht erfolgen. Denn es sei nicht belegt, dass die Therapie mehr nutze als schade. Die von der Klägerin vorgelegten Studien seien allesamt nicht aussagekräftig für eine Behandlung von Patienten mit unzureichendem Ansprechen unter konventioneller Chemotherapie. Bislang sei nicht belegt, dass Hochdosis-Chemotherapie und autologe Stammzellgabe zu einer Verlängerung der Lebenszeit oder einer Verbesserung der Lebensqualität führen würde. Die Behandlung sei auch mit schweren, teilweise auch tödlichen Nebenwirkungen verbunden.

Die Beklagte hat bezüglich des Zinsanspruches die Einrede der Verjährung für den weitergehenden Zinsanspruchs geltend gemacht. Es gelte die allgemeine Verjährungsfrist von vier Jahren, diese sei spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2009 eingetreten. Eine Hemmung durch Klageerhebung sei nicht eingetreten, weil die Klägerin ausdrücklich beantragt habe, Zinsen i.H.v. 5 Prozent über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen. Es handele sich damit um eine andere Anspruchsgrundlage und um einen anderen Lebenssachverhalt.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Krankenakte der Klägerin beigezogen. Es hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Der Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendmedizin der Universitätsklinik M. – Pädiatrische Hämatologie und Onkologie – Professor Dr. J. ist in seinem Gutachten vom 12. Dezember 2008 zu dem Ergebnis gelangt, dass die durchgeführte Therapie auf einer nachvollziehbaren und begründeten Einzelfallentscheidung beruht habe. Es habe sich um eine bewusste Entscheidung der behandelnden Ärzte gehandelt, um dem Patienten in einer ansonsten ausweglosen Situation eine letzte, wenn auch kleine Überlebenschance nicht vorzuenthalten. Die vom Gesetzgeber und insbesondere vom BVerfG aufgestellten Kriterien für eine Kostenübernahme lägen vor. Es existiere kein medizinischer Standard in der Behandlung von Patienten mit einem Ewing Sarkom-Rezidiv. In die Beurteilung der Wirksamkeit seien daher auch unkontrollierte Studien und Einzelfallberichte zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall habe es keine anderen ausreichenden und wirtschaftlichen Maßnahmen einer kurativen Therapie gegeben, möglich wäre lediglich ein palliatives Therapieziel gewesen. Der Sachverständige hat auf aktuelle Studien verwiesen, in denen Patienten in einer Rezidivsituation in stabiler oder sogar progedienter Erkrankung mit einer Hochdosis-Chemotherapie behandelt worden seien. Es wird Bezug genommen auf das Sachverständigengutachten von Professor Dr. J. vom 12. Dezember 2008 Bl. 146-172 der Akte.

Der MDK N1 hat in einem weiteren Gutachten vom 26. Mai 2009 durch Prof. Dr. H ... erneut Stellung genommen und sich mit den einzelnen Studien, die im Sachverständigengutachten genannt wurden, intensiv auseinander gesetzt. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass in der Literatur kein Bericht existiere über einen Patienten mit einem rezidiverten, chemotherapiefraktärem Ewing-Sarkom, welcher durch eine Behandlung mit Hochdosistherapie und autologer Stammzelltransplantation wahrscheinlich eine Heilung erreicht hätte. Ein Beleg für ein kuratives Potenzial dieser Behandlung gebe es nicht. Ob es Vorteile im Hinblick auf palliative Behandlungsziele gebe sei unklar.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 23. September 2009 hat sich der Sachverständige Professor Dr. J. mit den Argumenten des MDK auseinandergesetzt und erneut bekräftigt, dass im vorliegenden Fall keine allgemein anerkannte Behandlungsempfehlung gegeben habe.

Der Sachverständige Prof. Dr. J. hat in der mündlichen Verhandlung vom 28. April 2010 sein Sachverständigengutachten und die ergänzende Stellungnahme erläutert. Es wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 28 April 2010.Er hat dargelegt, dass es zwar richtig sei, dass bei einer Tumorerkrankung über der Sichtbarkeitsgrenze die Therapie keinen Sinn gemacht hätte. Jedoch habe ein solcher Fall hier nicht vorgelegen denn die Lungenmetastasen seien chirurgisch entfernt, und hinsichtlich des Knochenmarkbefalls hätten die Untersuchungen keinen sichereren Beweis für das Vorhandensein von Tumorzellen erbracht.

Inhaltlich hat die Beklagte auf eine weitere gutachterliche Stellungnahme des MDK N1 durch Professor Dr. H. vom 14. Mai 2010 hingewiesen. Nach dessen Auffassung habe gerade keine Rückbildung des Tumors unter die Sichtbarkeitsgrenze vorgelegen. Aus den Arztberichten sei ersichtlich dass ein Knochenmarkbefall gegeben sei (Arztbericht vom 13. April 2005).

Die Klägerin hat mehrere Stellungnahmen Ihres Oberarztes Prof. Dr. E. (Oberarzt und Wissenschaftler an der Klinik und Poliklinik für pädiatrische Hämatologie und Onkologie) eingereicht. In der computertomografischen Darstellung des Thorax vom 16. März 2005 sei gerade kein Tumorbefall nachweisbar gewesen. In der Knochenmarkuntersuchung vom 24. Februar 2005 hätten keine Tumorzellverbände, wie normalerweise bei ET-Befall üblich, nachgewiesen werden können (Stellungnahme vom 7. Juli 2010 und vom 14.10.2010). Nach einer weiteren gutachterlichen Stellungnahme durch den MDK unter Berücksichtigung der eingereichten Befundberichte über die histologischen und zytologischen Knochenmarksuntersuchungen vom 16. Dezember 2010, auf die inhaltlich Bezug genommen wird, hat Prof. E. unter dem 13. Februar 2011 erneut Stellung genommen und der Auffassung des MDK widersprochen, wonach eindeutig ein Tumorbefall nachweisbar gewesen sei ...

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 47.179,81 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozent seit dem 24. Oktober 2005. Für die durchgeführte stationäre Behandlung kann die DRG-Pauschale A15B (Knochenmarktransplantation/Stammzellentransfusion), das Zusatzentgelt 21.07 (Gabe von Liposomalem Amphotricin B) und 34.08 (Gabe von Apherese-Thrombozyten-Konzentraten) abgerechnet werden. Die abgerechneten Prozeduren sind nicht streitig.

Die durchgeführte Behandlung in Form einer Hochdosistherapie und autologer Stammzellentransplantation war unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG medizinisch indiziert.

1) Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruchs des Krankenhauses ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntG) in Verbindung mit dem Landesvertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V. Maßgebend ist der Fallpauschalenkatalog nach §§ 7 in Verbindung mit § 17b Abs. 1 Satz 10 KHG, der Bindungswirkung für die Vertragsparteien nach §11 KHEntG in Verbindung mit § 18 Abs. 2 KHG entfaltet. Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses korrespondiert grundsätzlich mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung. Voraussetzung ist demnach, dass eine Versorgung im Krankenhaus erforderlich gewesen ist und die durchgeführte Behandlung dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse gemäß den §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 und 28 Abs. 1 SGB-Fünftes Buch (SGB V) entspricht (BSG vom 19.02.2002 – B 1 KR 16/00). Für die Beurteilung der Erforderlichkeit stationärer Krankenhausbehandlung kommt es auf die medizinischen Erfordernisse im Einzelfall und nicht auf eine abstrakte Betrachtung an (vgl. BSG vom 10.04 2008 – B 3 KR 19/05 R, SozR 4-2500 § 39 Nr. 12; BSG vom 7. 11 2006 – B 1 KR 32/04 R, GesR 2007, 276).

a) Bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung wird der Qualitätsmaßstab jedoch durch die vom BVerfG aufgestellten Kriterien modifiziert und verändert. Beim Vorliegen einer notstandsähnlichen Krankheitssituation kann – unabhängig von den Voraussetzungen des § 135 SGB V für den ambulanten Bereich – eine Leistungsverpflichtung der Krankenkasse bestehen (BVerfG vom 6.12.2005 – 1 BvR 347/98). Die bisherige Auslegung durch das BSG zur Annahme eines Systemmangels als Ausnahmekriterium hat sich damit als grundgesetzwidrig erwiesen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es mit Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren, im Falle einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, den Versicherten von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode auszuschließen. Voraussetzung ist dann lediglich, dass die Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht. Ob und aus welchem Grund sich der gemeinsame Bundesausschuss mit der Therapie befasst hat ist in der Fallkonstellation einer lebensbedrohlichen Erkrankung ohne Behandlungsalternative nach der Entscheidung des BVerfG nicht von Bedeutung. Es ist im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung zu ermitteln, ob sich für die vom Arzt nach gewissenhafter fachlicher Einschätzung vorgenommene Behandlung ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz fern liegenden Erfolg der Heilung oder auch nur auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ergeben. Voraussetzung ist demnach, dass

1. eine lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliegt, 2. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, 3. und durch die Behandlung eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Das BSG hat sich in diversen Entscheidungen mit diesen Voraussetzungen auseinandergesetzt und diese teilweise konkretisiert bzw. modifiziert (z.B.: BSG vom 04.04.2006 – B 1 KR 7/05 R und vom 07.11.2006 – B 1 KR 24/06 R). So müsse hinsichtlich der dritten Voraussetzung die Behandlung eine überwiegend positive Wirkungen haben und es müsse feststehen, dass sie mehr nutze als schade. Auch sei dem Bedürfnis des Versicherten, vor riskanten oder ineffektiven Maßnahmen geschützt zu werden, Rechnung zu tragen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab für den voraussichtlichen Nutzen unterliege Abstufungen je nach Schwere und Stadium der Erkrankung und Ausmaß sowie Eintrittswahrscheinlichkeit unerwünschter Nebenwirkungen. Je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation desto geringer sind die Anforderungen, die an die ernsthafte Hinweise auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf zu stellen seien (BSG vom 04.04.2006 – B1 KR 7 /05 R).

b) Die sich aus dem Grundgesetz ergebenden Anforderungen für die Leistungsgewährung bei einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung beschränken sich nicht auf den ambulanten Bereich, sondern gelten als Beurteilungsmaßstab für den gesamten Leistungsbereich der gesetzlichen Krankversicherung. Das gilt auch für die Vergütung von stationären Krankenhausleistungen, denn diese korrespondieren mit dem Behandlungsanspruch des Versicherten, dem auch bei nicht gesicherten medizinischen Erkenntnissen in einer notstandsähnlichen Situation Behandlungen nicht vorenthalten werden dürfen. Dabei ist es unerheblich, ob im ambulanten Bereich Einschränkungen gemäß § 135 SGB V entgegenstehen, weil der gemeinsame Bundesausschuss keine oder eine entgegenstehende Empfehlung abgegeben hat, oder für den stationären Bereich ein zu enger Qualitätsmaßstab dazu führt, dass eine Vergütung versagt wird. Denn damit wird im Ergebnis der Leistungsanspruch des Versicherten unzulässig eingeschränkt. Sofern die Krankenhäuser für ihre Leistungen nicht mehr vergütet werden ist davon auszugehen, dass entsprechende Behandlungen nicht mehr durchgeführt und damit dem Versicherten vorenthalten werden.

c) Aus der Regelung des § 137c SGB V, wonach für den Bereich der stationären Behandlung kein Anerkennungsvorbehalt durch den gemeinsamen Bundesausschuss besteht, ergibt sich nichts Abweichendes. Nach der Rechtsprechung des BSG handelt es sich nicht um eine generelle Erlaubnis für neuartige Verfahren und die Qualitätsanforderungen des § 2 Absatz 1 Satz 3 SGB V werden nicht außer Kraft gesetzt (BSG vom 28.07.2008 - B 1 KR 5/08 R). Deshalb ergibt sich der Beurteilungsmaßstab für die Indikation der Behandlung im ambulanten Bereich im Falle einer lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankung unmittelbar aus den vom BVerfG aufgestellten Kriterien, die wiederum auf der gebotenen Auslegung von Art. 2 Abs. 1 GG beruhen.

d) Der vom BVerfG aufgestellte Beurteilungsmaßstab gilt nicht nur für nicht zugelassene bzw. nicht erprobte Behandlungsmethoden, sondern ist bei einer unmittelbar lebensbedrohlichen und regelmäßig zum Tod führenden Erkrankung, auch dann anzuwenden, wenn (wie hier) eine etablierte Methode abweichend vom medizinischen Standard oder der vorherrschenden Meinung (oder den Vorgaben einer Studie) angewandt wird. Denn der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG wird in beiden Fallgestaltungen gleichermaßen berührt.

2) Bei Berücksichtigung der vom BVerfG aufgestellten Kriterien und der durchgeführten Beweisaufnahme ist von einer Leistungsverpflichtung der Krankenkasse auszugehen. Im Einzelnen ergeben sich folgende Feststellungen:

a) Bei der Erkrankung des Versicherten handelt es sich zweifellos um eine schwerwiegende, unmittelbar lebensbedrohliche und regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung in einem fortgeschrittenen Stadium. Der Versicherte litt unter einem Rezidiv des 2002 diagnostizierten Ewing Sarkoms. Bei dem Ewing Sarkom handelt es sich um ein meist von knöchernen Strukturen ausgehendes hochmalignes Sarkom mit ungünstiger Prognose. Nach der Tumorresektion im Bereich der Brustwand und anschließender Chemotherapie traten beidseitig Lungenmetastasen und eine Infiltration des Knochenmarks auf (2003). Der Sachverständige Prof. Dr. J. hat in seinem Sachverständigengutachten vom 12. Dezember 2008 dargelegt, dass die Prognose von Patienten mit fortgeschrittenen Ewing Sarkom sehr ungünstig sei. Die Heilungsrate betrage bei Metastasen, die Knochen oder Knochenmark betreffen, 20-25 %. Bei kombinierter primärer Metastasierung sei die Prognose deutlich schlechter. Damit ist von einer unmittelbar lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung auszugehen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird vom Gutachter des MDK Prof. Dr. H. in seinem Gutachten nicht infrage gestellt und ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

b) Auch die weitere Voraussetzung, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stand, liegt vor.

Die von der Beklagten und vom MDK angeführte palliative Chemotherapie stellt keine taugliche Behandlungsalternative im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG dar. Der Maßstab für die Bestimmung der Behandlungsmöglichkeiten kann nur das mit der Therapie verfolgte Behandlungsziel sein. Sofern ein kurativer Behandlungsansatz verfolgt wird, kann der Patient nicht auf rein palliative Behandlungsmöglichkeiten verwiesen werden, bei denen keine Heilung der Erkrankung oder zumindest eine deutliche Verbesserung des Gesundheitszustandes zu erwarten ist. Andernfalls würde die Möglichkeit, den betreffenden Patienten mit Chemotherapie zu behandeln, die sich fast in jedem Fall ergeben dürfte, ausreichen, um die in Rede stehende Behandlungsmethode auszuschließen. Die sich aus dem Grundgesetz ergebenden Vorgaben stehen einer solchen Auslegung jedoch entgegen. Daher sind nur vergleichbare Behandlungsmethoden, die ein ähnliches Therapieziel verfolgen, als Maßstab heranzuziehen. Eine Behandlungsalternative mit einer herkömmlichen, allgemein anerkannten Therapie gab es jedoch nicht.

Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang dargelegt, dass die Behandlung grundsätzlich unter kurativer Intention durchgeführt worden sei mit einem Ansatz der Lebensverlängerung durch Maximierung der Therapieintensität. Die Behandlung sollte durchgeführt werden, um dem Patienten in einer ansonsten ausweglosen Situation eine letzte, wenn auch kleine Überlebenschancen nicht vorzuenthalten. Die Therapieoptionen hätten nur in einer rein palliativen Behandlung bestanden. Entweder wäre eine deutliche Abschwächung der Therapie-Intensität in Form einer Erhaltungstherapie mit dem Ziel, die Erkrankung vorübergehend einzudämmen und etwaige Symptome abzumildern durchgeführt worden. Oder es wäre eine Chemotherapie, die für Patienten mit progedienter Erkrankung empfohlen werde, mit den Wirkstoffen Temozolomid und Irinotecan in Betracht gekommen. Auch dieser Therapieansatz sei nicht als kurativ anzusehen (Sachverständigengutachten vom 12. Dezember 2008).

Die Einwendungen der Beklagten bzw. des MDK verfangen nicht. Denn die angeführte palliativ ausgerichtete Chemotherapie hat eine andere Zielrichtung und kommt als Alternative gemäß den vom BVerfG aufgestellten Kriterien nicht in Betracht. Soweit der Gutachter des MDK N1 – Kompetenzzentrum Onkologie Prof. Dr. H. darauf abgestellt hat, dass eine kurative Wirkung der durchgeführten Behandlung nicht belegt sei, betrifft dies die dritte Tatbestandsvoraussetzung, nämlich die Frage ob eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung bestand.

c) Die Kammer geht nach der durchgeführten Beweisaufnahme auch davon aus, dass durch die Behandlung mit einer Hochdosistherapie und autologer Stammzellentransplantation eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestand. Die vom Sachverständigen Prof. Dr. J. vorgenommene Einschätzung nach Auswertung der ihm zur Verfügung stehenden Daten und Studien ist überzeugend und ausreichend. Ein Wirksamkeitsbeleg wie vom MDK gefordert ist gerade nicht erforderlich. Da es sich unstreitig um eine sehr schwerwiegende und unmittelbar lebensbedrohliche Erkrankung in einem fortgeschrittenen Stadium handelte, sind auch nach der Rechtsprechung des BSG eher geringe Anforderungen an das Vorliegen ernsthafter Hinweise auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf zu stellen (BSG vom 04.04.2006 – B 1 KR 7/05 R). In der notstandsähnlichen Situation einer schwerwiegenden Erkrankung ohne schulmedizinische Behandlungsalternative sind deshalb gerade nicht wie häufig von den Krankenkassen und vom MDK dargestellt qualitativ hochwertige Studien zu fordern. Für die Annahme einer nicht ganz fern liegenden positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf können – je nach Schwere der Erkrankung – auch einfache und kleinere Studien oder anderweitig gewonnene Erkenntnisse herangezogen und verwertet werden sowie zu einer positiven Einschätzung führen. Das BVerfG geht sogar davon aus, dass in Zweifelsfällen die Einschätzung der behandelnden Ärzte ausreichend sein kann. Soweit das BSG eine Konkretisierung vorgenommen hat ist streng darauf zu achten, dass die ursprünglichen Vorgaben durch das BVerfG weiterhin Beachtung finden. In diesem Sinne muss auch die Voraussetzung, dass mehr für als gegen eine Behandlung sprechen dürfe und dass sie mehr nützt als schadet ausgelegt werden. Dem hat das BSG Rechnung getragen, indem der Beurteilungsmaßstab nicht statisch gilt, sondern in Abhängigkeit der Schwere der Erkrankung zu erfolgen hat. Je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation desto geringer sind die Anforderungen an die ernsthafte Hinweise auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (BSGE vom 04.04.2006 – B 1 KR 7 /05 R). Das hat der MDK im vorliegenden Fall nicht ausreichend berücksichtigt. Der hier ausgetragene Gutachterstreit ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass von unterschiedlich hohen Anforderungen bzw. Voraussetzungen für die medizinische Indikation ausgegangen worden ist. Der gerichtlich bestellte Sachverständige und der Gutachter des MDK haben einen unterschiedlichen Beurteilungsmaßstab angesetzt mit der Folge, dass sie zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangt sind. Trotz der sehr intensiv geführten medizinischen Auseinandersetzung entscheidet sich der Rechtsstreit an der rechtlichen Fragestellung, welche Anforderungen für die Indikation bei einer unmittelbar lebensbedrohlichen Krankheit zu stellen sind. Auf eine Vielzahl der diskutierten Einzelfragen kommt es deshalb nicht an.

aa) Der Sachverständige Prof. Dr. J. hat für die Kammer überzeugend ausgeführt, dass aus Sicht der behandelnden Ärzte die Situation bestand, dass es Hinweise auf ein Profitieren der Hochdosistherapie mit Stammzelltransplantation in dem Sinne gab, dass von einer gewissen Heilungschance ausgegangen werden konnte (Euro-Ewing-99-Protokoll), ohne dass überwiegende Heilungschancen bestanden hätten (s. Sitzungsniederschrift vom 28. April 2010). Die Entscheidung für die Therapie ist vom Sachverständigen als vertretbar erachtet worden. Er hat in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 12. Dezember 2008 und in der ergänzenden Stellungnahme vom 4. September 2009 für die Kammer nachvollziehbar dargelegt, dass kein medizinischer Standard zu der Frage existiert, wie Patienten mit einem Ewing- Sarkom- Rezidiv zu behandeln sind. Es gebe keine abgeschlossenen kontrollierten Studien zu Patienten in der Rezidivsituation, aus denen sich ein Therapiestandard ableiten lasse. In einer solchen Situation sei es legitim, auch unkontrollierte Studien und Einzelfallberichte bei der Entscheidung mit zu berücksichtigen.

Die von dem Gutachter des MDK Prof. Dr. H. vorgebrachten Argumente widersprechen dieser Wertung nicht, denn er geht von einem anderen Beurteilungsmaßstab aus, indem er wiederholt argumentiert, dass eine Überlegenheit der Therapie nicht belegt sei und nicht bewiesen werden könne. Das ist wie bereits herausgearbeitet jedoch nicht erforderlich. Der Sachverständige Prof. Dr. J. hat in seinem schriftlichen Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme nicht die Behauptung aufgestellt, dass die Wirksamkeit der durchgeführten Therapie belegt sei oder zumindest überwiegende Heilungschancen bestanden hätte. Insofern kann an dieser Stelle auf eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Studien weitgehend verzichtet werden. Wie sich aus der ergänzenden Stellungnahme vom 24. September 2009 ergibt hat die Auseinandersetzung mit den zitierten Studien nicht dazu gedient, die Überlegenheit der Therapie zu dokumentieren. Der Sachverständige ist jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Studien nicht mit hinreichender Evidenz begründen können, die in Rede stehende Therapie Patienten mit stabiler oder progedienter Erkrankung vorzuenthalten. Grund hierfür ist, dass diese Studien nicht die hier aufgetretene Rezidivsituation behandeln. Das wird im Übrigen auch von Prof. Dr. H. bestätigt. Die Einschätzung des Sachverständigen, dass es daher keinen Therapiestandard geben kann ist vor diesem Hintergrund plausibel. In einer solchen Situation ist es legitim – so wie es auch im vorliegenden Fall geschehen ist – eine Einzelfallentscheidung unter Abwägung der für und gegen den kurativen Therapieansatz sprechenden Umstände zu treffen.

bb) Die vom Sachverständigen postulierte gewisse Heilungschance reicht im vorliegenden Fall im Sinne einer nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf Heilung bei einer unmittelbar lebensbedrohlichen Erkrankung mit sehr schlechter Prognose aus. Der Sachverständige hat in seinem Sachverständigengutachten vom 12. Dezember 2008 (Bl. 15) dargelegt, dass es zunächst nach zwei Blöcken der konventionellen Rezidivchemotherapie nicht zu einem durchgreifenden Ansprechen des Tumors gekommen sei. Es sei jedoch eine stabile Erkrankung (SD) eingetreten. Das habe zunächst auch für die Melphalan- Monotherapie gegolten. Nach den ersten zwei Blöcken sei eine anhaltend stabile Erkrankung zu verzeichnen gewesen und erst nach längeren Therapiepausen und leichtem Absenken der Dosis aufgrund einer starken Hämatoxizität unter dem Chemotherapeutikum sei es zu einer Progredienz der Erkrankung gekommen. Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständige die Entscheidung der behandelnden Ärzte, die Dosis nochmals zu intensivieren, ohne auf die ausgeprägte Hämatoxizität Rücksicht nehmen zu müssen als nahe liegend bezeichnet. Der Rückschluss ist für die Kammer nachvollziehbar und berücksichtigt den individuellen Krankheitsverlauf des Versicherten. Es wird deutlich, dass gerade keine Situation gegeben war, bei der der Patient auf die durchgeführte Chemotherapie nicht angesprochen hätte und eine Hochdosischemotherapie nicht mehr sinnvoll gewesen wäre. Vielmehr ergibt sich ein differenziertes Bild, bei dem ein anfänglicher Therapieerfolg in Form einer stabilen Erkrankung zu verzeichnen war. Erst nachdem die Dosis aufgrund toxischer Reaktionen abgesenkt werden musste, kam es zu einem Fortschreiten der Erkrankung. Dass hier eine höher dosierte Therapie erfolgreich sein könnte, ist wegen des anfänglichen erfolgreichen Verlaufs keineswegs fern liegend. Die Einschätzung der behandelnden Ärzte ist nach Auffassung des BVerfG ein für die Prüfung geeignetes Kriterium. In der Entscheidung vom 6. Dezember 2012 heißt es, dass eine weitere Bedeutung der fachlichen Einschätzung der Wirksamkeit der Methode im konkreten Einzelfall durch die Ärzte des Erkrankten zukommt, die die Symptome seiner Krankheit behandeln (BVerfG a.a.O.). Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass das Therapiekonzept sowohl in der Abteilung als auch mit der Studienleitung in M. sowie den pädiatrisch-onkologischen Kollegen aus Düsseldorf und nicht zuletzt mit dem Patienten und seiner Familie besprochen und diskutiert worden sei. Hieran zeigt sich auch, dass die Entscheidung für die durchgeführte Hochdosistherapie mit autologer Stammzellentransfusion nicht leichtfertig erfolgt ist und eine Reihe von hoch qualifizierten Fachärzten in renommierten Kliniken beteiligt worden sind.

Aufgrund des im Hinblick auf die Schwere der Erkrankung abgesenkten Maßstabes für die Beurteilung der Erfolgsaussichten, ist es neben der herausgearbeiteten Plausibilität der Behandlung ausreichend, wenn der Sachverständige darlegt, dass die behandelnden Ärzte Zwischenergebnisse aus Studien oder Publikationen oder auch Einzelfälle in ihre Entscheidung haben mit einfließen lassen. Gerade der beschriebene ärztliche Erfahrungsaustausch auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene dürfte solche Erkenntnisquellen ohne weiteres erschließen. Es wäre geradezu fahrlässig, wenn in einer Situation wie der vorliegenden, bei der es keinen Therapiestandard gibt, ein solcher Erfahrungsaustausch nicht stattfinden oder derartige Erkenntnisse nicht in die Entscheidung mit einfließen würden. Das gilt auch für die Rückschlüsse aus der laufenden Euro-Ewing-Studie 99, selbst wenn sich die vorliegende Fallgestaltung von der Studie unterscheidet. So erscheint es möglich, dass Erkenntnisse aus der Erstlinienherapie des Ewing-Sarkoms auf den Rezidivfall übertragen werden können. Die Argumentation des MDK-Gutachters, wonach die Studien nicht die Fallgestaltung behandeln, bei der der Knochenmarkbefall des Tumors trotz Chemotherapie fortschreitet, greift zu kurz. Denn der individuelle Krankheitsverlauf wird nicht in ausreichendem Umfang berücksichtigt. So hat der Sachverständige Prof. Dr. J. herausgearbeitet, dass es erst zu einem Fortschreiten des Tumors gekommen ist als die Dosis wegen der Hämatoxizität abgesenkt werden musste. Das bedeutet, dass bei einer hohen Dosierung eine positive Wirkung vorhanden gewesen ist, was wiederum dafür spricht, dass die laufende Studie in die Beurteilung mit einfließen kann.

Nach der Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 (a.a.O.) sind gerade auch solche Daten bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten der Behandlungen mit zu berücksichtigen. In der Entscheidung wird hierzu ausgeführt:

"Die im Streitfall vom Versicherten angerufenen Sozialgerichte haben in solchen Fällen, gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe, zu prüfen, ob es für die vom Arzt nach gewissenhafter fachlicher Einschätzung vorgenommene oder von ihm beabsichtigte Behandlung ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder auch nur auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall gibt (vgl. auch Schulin, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1: Krankenversicherungsrecht, 1994, § 6 Rn. 22). Solche Hinweise auf einen individuellen Wirkungszusammenhang können sich aus dem Gesundheitszustand des Versicherten im Vergleich mit dem Zustand anderer, in gleicher Weise erkrankten, aber nicht mit der in Frage stehenden Methode behandelter Personen ergeben sowie auch mit dem solcher Personen, die bereits auf diese Weise behandelt wurden oder behandelt werden. Insbesondere bei einer länger andauernden Behandlung können derartige Erfahrungen Folgerungen für die Wirksamkeit der Behandlung erlauben. Weitere Bedeutung kommt der fachlichen Einschätzung der Wirksamkeit der Methode im konkreten Einzelfall durch die Ärzte des Erkrankten zu, die die Symptome seiner Krankheit behandeln. Hinweise auf die Eignung der im Streit befindlichen Behandlung können sich auch aus der wissenschaftlichen Diskussion ergeben."

cc) Der Sachverständige hat für die Kammer überzeugend dargelegt, dass die weiteren Voraussetzungen für die durchgeführte Therapie vorgelegen haben und keine Kontraindikationen bestanden. Der Allgemeinzustand des Patienten sei gut gewesen und die Tumorerkrankung durch die bis dahin durchgeführte Behandlung unter der Sichtbarkeitsgrenze. Er hat in der mündlichen Verhandlung vom 24. April 2010 dargelegt, dass die Lungenmetastasen entfernt und hinsichtlich des Knochenmarkverfalls eine monekulare Untersuchung vorgenommen worden sei, die gerade keinen sicheren Beweis für das Vorhandensein erbracht hätte. In seinem schriftlichen Gutachten vom 12. Dezember 2008 hat er in diesem Zusammenhang auf die Computertomographie des Brustkorbes vom 16. März 2005 verwiesen, die keine neue aufgetretene Raumforderungen gezeigt habe. Weiter hat er auf die Knochenmarkaspiration vom 24. Februar 2005 verwiesen, wonach "1 bis 3 % einzelne Tumorzellen, keine Zellverbände" wobei die gleichzeitig durchgeführte molekulargenetische Untersuchung des Knochenmarks keine Translokation mehr habe nachweisen können (Bl. 8). Auch in der ergänzenden Stellungnahme vom 24. September 2009 (unter Punkt 2.) hat der Sachverständige auf diese Befunde Bezug genommen und weiter ausgeführt, dass die zusätzlich durchgeführte molekulargenetische Untersuchung der Aspirate, die eine höhere Sensitivität haben dürfte als die Lichtmikroskopie, keine Tumorzellen habe nachweisen können. Er ist deshalb zu der Bewertung gelangt, dass zu diesem Zeitpunkt theoretisch eine komplette Remission der Erkrankung vorgelegen habe, am ehesten bedingt durch die Kombination der Modalitäten Chemotherapie und Thoraxchirurgie.

Die Kammer folgt der Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. J. und der Klägerin, dass sich aus diesen Befunden keine Kontraindikation für die durchgeführte Behandlung ergibt. Zunächst ist festzustellen, dass der Sachverständige nicht erst in der mündlichen Verhandlung auf diese Frage eingegangen ist, sondern bereits in seinem schriftlichen Gutachten die vorliegenden Befunde ausgewertet hat. Er hat lediglich in der mündlichen Verhandlung auf eine wiederholte Darstellung der in seinen schriftlichen Gutachten behandelten Befunde verzichtet. Eine mangelnde Auseinandersetzung mit dem Befund kann ihm daher gerade nicht vorgeworfen werden, er ist jedoch in der Bewertung der Befunde zu einer anderen Einschätzung gelangt als Gutachter des MDK Prof. Dr. H ...

Maßgeblich dürfte sein, dass kein gesicherter Befund erhoben worden ist. Die molekulargenetische Untersuchung vom 24 Februar 2005 hatte ein negatives Ergebnis, obwohl die vorangegangenen Untersuchungen hier positiv ausgefallen sind. Soweit Prof. Dr. H. darauf verweist, dass entsprechende Genfusionstranskripte nicht bei 100 % aller Patienten mit Ewing-Sarkom nachgewiesen werden können, scheint dies beim Versicherten nicht so gewesen zu sein, denn andernfalls hätte auch zuvor kein positives Testergebnis festgestellt werden können. Der Mikroskopiebefund hat keine Tumorzellverbände, sondern lediglich 1 bis 3 % einzelne Tumorzellen beschrieben. Die Erläuterungen der Klägerin durch Prof. Dr. E. vom 7. Oktober 2010 und 14. Oktober 2010, dass bei einer morphologischen Knochenmarksbefundung im Bereich von unter 5 % der ausgewählten Einzelzellen nicht sicher zwischen Tumorzellen und unreifen, blastären Vorstufen der normalen Blutzellen unterschieden werden könne, sind für die Kammer nachvollziehbar. Der Sachverständige Prof. Dr. J. hat diese Befunde wie sich aus seinen schriftlichen Gutachten ergibt ausgewertet und hieraus keine Kontraindikation abgeleitet.

dd) Der Sachverständige hat zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass die vorgenommene Abwägung der behandelnden Ärzte hinsichtlich der Nebenwirkungen nicht zu beanstanden sei. Er hat sich dabei auf aktuelle Daten bezogen, wonach die Sterblichkeitsrate bei Stammzellentransfusion nach vergleichbaren Hochdosis-Chemotherapien bei Patienten mit Neuroblastomen seitdem 1980 er Jahren signifikant abgenommen habe. Letztendlich ist jede mögliche Behandlung oder Nichtbehandlung bei einer unmittelbar lebensbedrohlichen Erkrankung mit erheblichen Risiken behaftet. Den behandelnden Ärzten obliegt es hierüber umfassend aufzuklären, um den Patienten in die Lage zu versetzen, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Garantien, dass es in der einen oder anderen Richtung zu einer Verbesserung des Gesundheitszustandes kommt kann ohnehin niemand geben. Es ist in einer solchen Situation nicht Sache der Solidargemeinschaft solche Entscheidungen unter dem Deckmantel des Schutzes vor unerwünschten Nebenwirkungen vorzugeben. Das kann nur für Fallgestaltungen gelten, bei denen keine notstandsähnliche Situation vorliegt.

3) Der Zinsanspruch wegen Zahlungsverzug folgt aus der vertraglichen Regelung und ist nicht verjährt, weil die Klage den Lauf der Verjährungsfrist gehemmt hat. Da es gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG nicht als Klageänderung anzusehen ist, wenn der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird, tritt die Hemmung auch ein, wenn zunächst nur bezüglich der Hauptforderung Klage erhoben wird (vgl. BSG v. 06.02.03 – B 7 Al 72/01 R). Denn der Streitgegenstand wird hierdurch nicht verändert. Das muss auch gelten, wenn der Zinsanspruch nur erweitert bzw. die Anspruchsgrundlage ausgetauscht wird. Der Anspruch besteht ab dem Tag der Verrechnung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Höhe des festgesetzten Streitwerts beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 52 (Abs.1, 2 oder 3) GKG.
Rechtskraft
Aus
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