S 36 EG 5/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
36
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 36 EG 5/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Elterngeld.

Die 1971 geborene Klägerin ist Türkin kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste am 02.12.1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nachdem ihr Asylantrag bestandskräftig abgelehnt worden war, wurde ihr Aufenthalt im Bundesgebiet zunächst geduldet. Am 19.12.2007 wurde ihr eine bis zum 01.07.2008 befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104 a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) mit dem Zusatz "Erwerbstätigkeit gestattet. Während des Aufenthaltes im Bundesgebiet zur Wohnsitznahme in O verpflichtet" erteilt. Am 19.06.2008 erhielt die Klägerin eine bis zum 31.12.2009 befristete Aufenthaltserlaubnis auf der Rechtsgrundlage des § 23 Abs. 1 AufenthG. Seit dem 21.03.2013 ist sie im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.

Am 24.04.2007 beantragte die Klägerin Elterngeld für das am 00.00.2007 geborene Kind C1 G für den 1. bis 12. Lebensmonat in Höhe des Mindestbetrages von 300 Euro monatlich. Sie gab dazu an, auch vor der Geburt des Kindes kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit bezogen zu haben, nach der Geburt des Kindes werde keine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Sie legte dazu eine Aufenthaltsbescheinigung der Stadt O vor, wonach sie sich seit dem 02.12.1995 ununterbrochen im Bundesgebiet aufhalte und ihr eine Duldung nach § 60 a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz erteilt worden sei.

Das Versorgungsamt Düsseldorf lehnte den Antrags der Klägerin durch Bescheid vom 08.05.2007 ab, da der ihr erteilte Aufenthaltstitel keinen Anspruch auf Gewährung von Elterngeld begründe. Dagegen legte die Klägerin am 21.05.2007 Widerspruch ein. Sie führte aus, sie lebe seit Dezember 1995 mit der ganzen Familie in Deutschland, weshalb nicht von einem nur vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik gesprochen werden könne. Drei Kinder seien hier geboren worden. Für das 1997 geborene Kind habe sie kein Erziehungsgeld erhalten, weil der Antrag verspätet gestellt worden sei. Für das Kind C2, geboren am 00.00.2000 seien ihr entsprechende Leistungen hingegen gewährt worden. Ihr Ehemann habe jetzt eine Arbeitsstelle gefunden. In der Duldung sei die Arbeitserlaubnis vermerkt. Er werde bald vom Ausländeramt einen entsprechenden Aufenthaltstitel erhalten. Die Duldung sei bis November 2007 verlängert worden. Zur Zeit übe ihr Ehemann noch keine Erwerbstätigkeit aus. Er habe zwar eine Arbeitsstelle, müsse aber warten, bis er die entsprechende Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalte.

Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 19.10.2007 als unbegründet zurück. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 7 des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - BEEG -) nicht, da sie weder im Besitz einer gültigen Niederlassungserlaubnis noch einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 1 Abs. 7 Nr. 2 und Nr. 3 BEEG sei. Der ihr erteilte Aufenthaltstitel begründe keinen Elterngeldanspruch.

Dagegen richtet sich die am 05.11.2007 erhobene Klage, mit der die Klägerin die Gewährung von Elterngeld – jetzt beschränkt auf den Zeitraum nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG – begehrt. Sie hat vorgetragen, dieser Aufenthaltstitel sei vergleichbar mit der früheren Aufenthaltsbefugnis, die sich nach 8 Jahren zu einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis verfestigt habe. Der Ausschluss von Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG von der Gewährung von Elterngeld verstoße gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Der entsprechende Aufenthaltstitel sei ihr am 19.12.2007 erteilt worden. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestehe dann ein Anspruch auf Elterngeld. Auch wenn das Gericht Familien, die im Besitz einer Duldung seien, keinen Anspruch auf Elterngeld zuspreche, so habe sie aber doch ab dem genannten Datum einen entsprechenden Anspruch. Dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 04.12.2012 (Az. 1 BvL 4/12), mit dem die Vorlage des Bundessozialgerichts zur Prüfung von § 1 Abs. 7 d BEEG in Verbindung mit § 104 a AufenthG als unzulässig zurückgewiesen worden sei, sei zu entnehmen, dass eine Verfassungswidrigkeit der Norm vorliegen könne, wenn Ausländer mit positiver Prognose für einen dauerhaften Aufenthalt vom Bezug des Elterngeldes ausgeschlossen werden.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 08.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2007 zu verurteilen, der Klägerin Elterngeld für das Kind C1 G für die Zeit vom 10.01. bis 09.03.2008 in Höhe von je 300 Euro monatlich zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Die Klägerin habe den Besitz eines anspruchsbegründenden Aufenthaltstitels nicht nachgewiesen. Zunächst habe sie eine Duldung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG gehabt, seit dem 19.12.2007 dann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG. Dieser Aufenthaltstitel begründe nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 d BEEG aber keinen Anspruch auf Elterngeld. Die Klägerin sei auch nicht berechtigt erwerbstätig, sondern erhalte laufend Hilfe zum Lebensunterhalt. Der Gesetzgeber setze bei Ausländern als Voraussetzung zur Gewährung von Elterngeld aber einen gesicherten Aufenthaltsstatus voraus. Die ausländerbehördliche Entscheidung über das Aufenthaltsrecht habe Tatbestandswirkung für den Anspruch auf Elterngeld. Im möglichen Bezugszeitraum sei die Klägerin nur im Besitz einer Duldung bzw. einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG gewesen. Damit erfülle sie die Voraussetzungen nicht. Die Vorschrift sei eindeutig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Streitakten, der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Ausländerakte des Rhein-Kreises-Neuss Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden. Sie ist jedoch nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Zu Recht hat der Beklagte die Gewährung von Elterngeld abgelehnt.

Gegenstand des Streitverfahrens ist nur noch die Gewährung von Elterngeld für den 11. Bis 12. Lebensmonats des Kindes (10.01. bis 09.03.2008), denn der Klageantrag ist im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16.11.2015 entsprechend beschränkt worden. Für die Zeit von der Geburt des Kindes bis einschließlich zum 10. Lebensmonat bestand bereits kein Anspruch der Klägerin, weil sie in diesem Zeitraum aufenthaltsrechtlich nur im Sinne von § 60 a AufenthG geduldet war. Aber auch nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG bestand kein Leistungsanspruch.

Die Erteilung dieses Aufenthaltstitels hätte bereits nicht zum Bezug von Elterngeld ab Zeitpunkt der Ausstellung, d.h. 19.12.2007 berechtigt, sondern allenfalls ab Beginn des folgenden Lebensmonats des Kindes, d.h. hier ab dem 10.01.2008. Ein Leistungsanspruch auf Elterngeld entsteht nach dem im Elterngeld geltenden Lebensmonatsprinzip (§ 4 Abs. 2 BEEG in der Fassung vom 05.12.2006 – alte Fassung – a.F) nämlich nach Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen erst mit dem Beginn des nächsten Lebensmonats des Kindes (vgl. Bundessozialgericht – BSG -, Teilurteil vom 30.09.2010, Az. B 10 EG 9/09 R). Aber auch für den 11. Und 12. Lebensmonat ist die Ablehnung der Leistungsgewährung zu Recht erfolgt, denn die Klägerin erfüllte auch in diesem Zeitraum nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 7 BEEG in der Fassung vom 19.08.2007 (a.F.). Nach dieser Vorschrift ist ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt, 2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde a) nach § 16 oder § 17 des Aufenthaltsgesetzes erteilt, b) nach § 18 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden, c) nach § 23 Abs. 1 des AufenthG wegen eines Krieges in ihrem Heimatland oder nach den §§ 23 a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 des AufenthG erteilt, d) nach § 104 a des AufenthG erteilt oder 3. eine in Nr. 2 Buchstabe c) genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und a) sich seit mindestens 3 Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.

Diese Voraussetzungen wurden von der Klägerin während des hier streitigen Zeitraums nicht erfüllt. Ab dem 19.12.2007 war sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG, die nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 d gerade nicht zur Anspruchsberechtigung führt. Es handelte sich um eine "auf Probe" erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, weil die Klägerin keiner Erwerbstätigkeit nachging und Leistungen der Sozialhilfe bezog. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 16/5065 Seite 234) zur Erweiterung des § 1 Abs. 7 Nr. 2 b BEEG um den Buchstaben d weist auf den Zusammenhang mit der gesetzlichen Altfallregelung des § 104 a AufenthG hin. Die auf Probe erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG ist, wie die anderen in Abs. 7 Nr. 2 genannten Aufenthaltstitel, ein Aufenthaltstitel, der nicht zu einem Daueraufenthalt führt. Die Aufenthaltserlaubnis wurde längstens bis zum 31.12.2009 erteilt. Eine Verlängerung dieses Aufenthaltstitels erfolgte nicht. Während des Besitzes dieses Aufenthaltstitels war die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 i.V.m. § 26 Abs. 4 AufenthG ausgeschlossen. Unabdingbare Leistungsvoraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 7 BEEG aber ein verfestigtes Aufenthaltsrecht. Die sog. "Altfallregelung" des § 104 a AufenthG selbst stellte den rechtlich durch entsprechende Aufenthaltstitel gesicherten dauerhaften Aufenthalt nur in Aussicht, knüpfte den Eintritt dieser Perspektive aber an ganz konkrete weitere Bedingungen. In zeitlicher Hinsicht wurden die begünstigten Ausländer durch die Befristung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bis längstens 31.12.2009 unter "Druck gesetzt", für den Eintritt dieser Voraussetzungen (insbesondere eigene Unterhaltssicherung) zu sorgen; mit einer weiteren Verlängerung dieses Aufenthaltstitels konnten sie nicht rechnen. Andererseits waren Ausländer zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt und hatten mit der nach § 104 a Abs. 5 Satz 1 AufenthG bis zum 31.12.2009 zu erteilenden Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" für einen mindestens zweijährigen Zeitraum Planungssicherheit zum Einstieg in die Erwerbstätigkeit. Sie konnten einen zum Elterngeldbezug berechtigenden Aufenthaltstitel erlangen, sobald sie in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt selbständig durch Erwerbstätigkeit zu sichern. Andererseits musste ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift erhielt, damit rechnen, dass er am 01.01.2010 zur Ausreise verpflichtet war, wenn es ihm nicht gelang, bis dahin durch eigene Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Obwohl die Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG ihrem Zweck nach den Weg in ein dauerhaften Aufenthalt ebnen sollte, ist angesichts dieser klaren gesetzlichen, insbesondere zeitlich überschaubaren (Befristung bis 31.12.2009) Perspektive bei Ausschluss einer Verlängerungsmöglichkeit unter unveränderten Voraussetzungen und des sogar möglichen Rückfalls in eine Duldung ausgeschlossen, im Zeitraum des Besitzes dieses Aufenthaltstitels von einer hinreichenden Bleibeprognose auszugehen (Bundessozialgericht, Urteil vom 10.07.2014, Az. B 10 EG 1/13 R). Der Aufenthaltsstatus nach § 104 a AufenthG ließ im Einklang mit seiner rechtlichen Zielsetzung typischerweise keinen Daueraufenthalt auf der Grundlage dieses Aufenthaltstitels erwarten (BSG, a.a.O.).

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vorschrift bestehen nicht, insbesondere liegt kein Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) vor. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Vielmehr kommt ihm im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit für die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise ein Gestaltungsspielraum zu, der allerdings um so enger begrenzt ist, um so stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechtes einerseits und des Zugangs zu steuerfinanzierten Familienausgleichsleistungen durfte der Gesetzgeber die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG als ausreichendes Indiz werten, dass es an einer dauerhaften Bleibeperspektive des Ausländers jedenfalls so lange fehlt, als es ihm nicht gelingt, eine ihm rechtlich mögliche Erwerbstätigkeit auszuüben. Angesichts des verfolgten legitimen Ziels, eine Zuwanderung in die Sozialsysteme zu verhindern, war die Verknüpfung der Bleibeperspektive mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit ersichtlich geeignet und verhältnismäßig (BSG, a.a.0.).

Dass der Klägerin am 19.06.2008 eine befristete Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage von § 23 Abs. 1 AufenthG und im Jahre 2013 eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden ist, ist unerheblich. Abzustellen ist darauf, welche Aufenthaltstitel die Klägerin in dem Zeitraum innehatte, für den Leistungen begehrt werden. Insoweit kommt der Entscheidung der Ausländerbehörde Tatbestandswirkung zu.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Das Gericht hat keine Veranlassung gesehen, die Berufung zuzulassen. Eine grundsätzliche Bedeutung kann der Streitsache nach Erlass des Urteils des BSG vom 10.07.2014 (B 10 EG 1/13 R) nicht mehr beigemessen werden. Das Urteil weicht auch nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichtes, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.
Rechtskraft
Aus
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