Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 327/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2432/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 10.05.2017 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerinnen vom 20.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2016 angeordnet.
Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Antrags- und Beschwerdeverfahren tragen die Antragsgegnerinnen.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen Bescheid über Beiträge, Säumniszuschläge und Mahngebühren.
Die Antragstellerin ist freiwilliges Mitglied der Antragsgegnerin zu 1) und demzufolge bei der Antragsgegnerin zu 2) in der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert (§ 20 Abs 2 SGB XI). Mit mehreren Bescheiden, gegen die keine Rechtsmittel eingelegt wurden, setzten die Antragsgegnerinnen die von der Antragstellerin monatlich zu entrichtenden Beiträge zur Kranken - und Pflegeversicherung fest, zuletzt mit Beitragsbescheid vom 28.12.2015 (Bl 65 Senatsakte) für die Zeit ab 01.01.2016.
Ab 2013 entstanden Beitragsrückstände. Die Antragsgegnerin zu 1) verfügte mit Bescheid vom 27.02.2014 das Ruhen der Leistungsansprüche ab dem 03.03.2014 (vgl Bl 12 Verwaltungsakte). Mit Bescheid vom 27.02.2015 gewährten die Antragsgegnerinnen auf den mit Schreiben vom 05.02.2015 gestellten Antrag der Antragstellerin hin wegen rückständiger Beiträge und Säumniszuschläge für den Zeitraum bis zum 22.01.2015 in Höhe von 2.417,07 EUR die Zahlung von Raten in Höhe von 30 EUR monatlich, beginnend ab dem 15.03.2015. Die Stundung in Form der Ratenzahlung wurde für die Zeit bis zum 14.02.2016 gewährt. Nach diesem Bescheid endet die Stundung, wenn die Rate oder der laufende Beitrag nicht zum Fälligkeitstag eingeht. Die Antragsgegnerin zu 1) beendete das Ruhen der Leistungsansprüche zum 27.02.2015.
Mit Schreiben vom 31.03.2016 (Bl 22 Verwaltungsakte) wiesen die Antragsgegnerinnen die Antragstellerin darauf hin, es sei letztmalig am 11.02.2016 ein Teilbetrag der vereinbarten Rate entrichtet worden. Es werde darum gebeten, den rückständigen monatlichen Ratenbetrag von 24,04 EUR sowie die zum 15.04.2016 fällig werdende weitere Monatsrate von 30 EUR zu überweisen. Sofern ein Zahlungseingang bis dahin nicht festgestellt werden könne, werde die Ratenzahlungsvereinbarung aufgehoben und die Gesamtforderung fällig.
Nachdem ein Zahlungseingang nicht erfolgt war, teilten die Antragsgegnerinnen mit zwei, jeweils mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheiden vom 28.04.2016 (Bl 26 Verwaltungsakte) der Antragstellerin mit, seit dem 15.03.2016 sei kein Zahlungseingang der monatlichen Rate von 30 EUR festgestellt worden. Die Ratenzahlungsvereinbarung hinsichtlich der derzeitigen Beitragsrückstände von 2317,61 EUR werde aufgehoben. Die derzeitigen Rückstände von 2317,61 EUR seien sofort zur Zahlung fällig. Der Leistungsanspruch ruhe erneut ab dem 28.04.2016. Rechtsmittel hiergegen wurden nicht eingelegt. Die Antragstellerin regte in der Folgezeit an, ihr die Beitragsschulden zu erlassen.
Mit Schreiben vom 20.06.2016 (Bl 39 Verwaltungsakte) übersandten die Antragsgegnerinnen eine Forderungsaufstellung über die bis zum 20.06.2016 rückständigen Beiträge, Mahngebühren und Säumniszuschläge mit einem Gesamtbetrag von 2.318,36 EUR. Das Schreiben enthält ferner den Hinweis, dass ein Betrag von 1.670,36 EUR bereits "in Vollstreckung" sei. In diesem Schreiben, das als Zahlungserinnerung überschrieben ist und eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, wird die Antragstellerin aufgefordert, den Gesamtrückstand innerhalb einer Woche zu überweisen. Dem Schreiben war als Anlage eine monatsgenaue Aufstellung der geschuldeten rückständigen Beiträge für den Zeitraum vom 17.03.2014 bis 15.06.2016 über insgesamt 1854,36 EUR, Mahngebühren von 10 EUR und Säumniszuschlägen von insgesamt 454 EUR beigefügt.
Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 22.07.2016 Widerspruch ein. Nachdem die Antragsgegnerinnen mit Schreiben vom 20.07.2016 die Zahlung des festgesetzten Rückstandes angemahnt hatte, legte die Antragstellerin auch gegen diese Schreiben Widerspruch ein. Zur Begründung machte sie geltend, die Stundung sei bis zum 14.02.2016 gewährt worden. Den Antragsgegnerinnen habe klar sein müssen, dass sie nicht über die Geldbeträge verfüge, um die Beitragsschulden zu begleichen. Die Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen für den Fall des Ausbleibens weiterer Ratenzahlungen verstoße gegen alle Grundsätze einer "Sozialbehörde".
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2016 wiesen die Antragsgegnerinnen den Widerspruch als unbegründet zurück. Mit dem Bescheid vom 27.02.2015 sei die Stundung in Form der Ratenzahlungsvereinbarung bis zum 14.02.2016 befristet worden. Mit dem Schreiben vom 31.03.2016 hätten die Antragsgegnerinnen der Antragstellerin die Möglichkeit eröffnet, die Ratenzahlungsvereinbarung weiterzuführen. Die Antragstellerin habe jedoch auf diese Schreiben nicht reagiert. Ein Erlass der Schulden komme nicht in Frage.
Hiergegen hat die Antragstellerin am 19.01.2017 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Zur Begründung macht sie geltend, dem Bescheid fehle es an der erforderlichen Bestimmtheit. Der Bescheid vom 20.06.2016 nebst Anlage lasse nicht erkennen, in welchem Umfang es sich um Beiträge der Krankenkasse und in welchem Umfang um Beiträge der Pflegekasse handele. Nur die Behauptung im Widerspruchsbescheid, dieser sei auch im Namen der Pflegekasse ergangen, belege noch nicht, dass tatsächlich auch Pflegeversicherungsbeiträge geltend gemacht würden. Da die Beitragsforderung nicht näher spezifiziert sei, fordere die Pflegekasse Beiträge, die ihr möglicherweise nicht zustehen könnten. Dem Bescheid fehle es daher der für die Vollstreckung erforderliche Bestimmtheit.
Die Antragsgegnerinnen sind dem Antrag entgegengetreten. Es bestünden keine Umstände, die ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids begründen könnten. Insbesondere fehle es nicht an der hinreichenden Bestimmtheit. Der Antragstellerin sei es unter Hinzuziehung der jeweiligen Beitragsbescheide, in denen die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung jeweils separat festgesetzt worden seien, möglich zu erkennen, welcher in der Mahnpositionsliste genannte säumige Beitrag auf die Kranken- und welcher auf die Pflegeversicherung entfalle. Die Antragstellerin schulde seit mehreren Jahren Beiträge und habe Zahlungszusagen mehrfach nicht eingehalten. Im Falle einer Vollziehung des streitigen Bescheides sei auch nicht von einer unbilligen, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte auszugehen.
Mit Beschluss vom 10.05.2017 hat das SG den Antrag abgelehnt. Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung bestünden keine Anhaltspunkte, die zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides berechtigten. Der angefochtene Bescheid sei hinreichend bestimmt. Er betreffe die Festsetzung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung, Mahngebühren und Säumniszuschläge. Der Widerspruchsbescheid stelle klar, dass der Beitragsbescheid auch im Namen der Antragsgegnerin zu 2) ergangen sei. Nach § 46 Abs 2 S 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) könnten Krankenkassen und Pflegekassen für Mitglieder, die - wie die Antragstellerin - ihre Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge selbst zahlten, die Höhe der Beiträge zur Kranken-und Pflegeversicherung in einem gemeinsamen Beitragsbescheid festsetzen. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin seien die Beiträge zur Krankenversicherung, zur Pflegeversicherung, die Mahngebühren und Säumniszuschläge hinreichend bestimmbar. Dem Beitragsbescheid sei als Anlage eine Aufstellung der geschuldeten rückständigen Beiträge, der Mahngebühr und der Säumniszuschläge beigefügt. Auch wenn keine Aufgliederung in Beiträge zur Kranken-und Beiträge zur Pflegeversicherung erfolgt sei, stehe dies einer hinreichenden Bestimmtheit nicht entgegen. Ausreichend sei, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei sei und der Betroffene bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt werde, sein Verhalten daran auszurichten (unter Hinweis auf BSG 25.06.2015, B 14 AS 28/14 R). Diese Voraussetzungen seien erfüllt, wenn die ausreichende Klarheit nicht nur aus der Auslegung des Verfügungssatzes des Verwaltungsaktes selbst, sondern auch durch den Rückgriff auf die Begründung des Verwaltungsakts sowie auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen gewonnen werden könne, wie das BSG entschieden habe. Aus den vorausgegangenen Beitragsfestsetzungsbescheiden zur Festsetzung der zu entrichtenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung lasse sich die jeweilige monatliche Höhe der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge entnehmen und entsprechend für den Nachzahlungszeitraum bestimmen. Eine das öffentliche Interesse an der Vollziehung überwiegende Härte für die Antragstellerin sei weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich.
Gegen den ihrem früheren Bevollmächtigten am 10.05.2017 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Beschluss des SG hat die Antragstellerin am 12.06.2017 Beschwerde beim SG eingelegt, welche dem Landessozialgericht am 23.06.2017 vorgelegt worden ist. Zur Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Der maßgebliche Grund für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sei dessen fehlende inhaltliche Bestimmtheit. An der Aufrechterhaltung und Vollstreckung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte könne kein öffentliches Interesse bestehen. Die Art und Weise der Vollstreckung, wie sie die Antragsgegnerinnen durchführen würden, sei ebenfalls nicht akzeptabel. Die Antragstellerin werde durch die Behörden regelrecht drangsaliert. Es gehe lediglich um Beiträge aus der Vergangenheit; die laufenden Beiträge würden bezahlt.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 10.05.2017 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2016 anzuordnen.
Die Antragsgegnerinnen beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie nehmen auf die Ausführungen des SG Bezug. Die in der Anlage zum Bescheid vom 20.06.2016 aufgeführten Beträge würden sich ohne weiteres aus den vorangegangenen Beitragsbescheiden ergeben, in denen die jeweiligen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge genannt seien. Die Antragsgegnerinnen haben auf Aufforderung des Senats Beitragsbescheide vom 24.04.2014, 25.10.2014, 15.01.2015 und 28.12.2015 vorgelegt sowie Nachweise über Beitragsbescheide vom 21.12.2012, 05.03.2013 und 08.04.2013 mitgeteilt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist nach § 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere nicht nach § 172 Abs 3 Nr 1 SGG ausgeschlossen, da angesichts des Beschwerdewerts auch in der Hauptsache die Berufung zulässig wäre. Die Beschwerde ist zudem form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG).
Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach § 86a Abs 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch gemäß § 86a Abs 2 Nr 1 SGG bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten.
Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage aufgrund von § 86b Abs 1 Nr 2 SGG anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber auch im Einzelfall zugunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsachverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (st Rspr des Senats; vgl Beschlüsse vom 06.05.2010, L 11 R 1806/10 ER-B, und 11.05.2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, veröffentlicht in juris). Dabei sind auch stets die Maßstäbe des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen. Demgemäß hat eine Aussetzung der Vollziehung zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Wirkung der gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs tritt rückwirkend ab Erlass des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides ein und endet in den Fällen, in denen Klage erhoben wird, erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung (Beschlüsse des Senats vom 03.08.2012, L 11 KR 2566/12 ER-B, juris; 11.05.2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, juris; LSG Baden-Württemberg 20.03.2006, L 8 AS 369/06 ER-B, juris).
Nach dem gegenwärtigen Stand ist es für den Senat überwiegend wahrscheinlich, dass die Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 20.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2016 Erfolg haben wird. Der Bescheid der Beklagten vom 20.06.2016 ist auch in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 13.12.2016 gefunden hat, inhaltlich nicht hinreichend bestimmt iSv § 31 Abs 1 SGB X und daher rechtswidrig.
Haben eine Krankenkasse und eine Pflegekasse - wie hier die Antragsgegnerinnen - die monatlich von einer Versicherten (Antragstellerin) zu entrichtenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung durch Verwaltungsakt festgesetzt, müssen sie ihr weiteres Vorgehen daran orientieren. Eine erneute Beitragsfestsetzung kommt nur unter den Voraussetzungen der §§ 44 ff SGB X in Betracht. Diesen Weg haben die Antragsgegnerinnen hier nicht beschritten und auch nicht beschreiten wollen. Für eine auf die Rückstände bezogene (weitere) Festsetzung von Beiträgen, die bereits bestandskräftig festgesetzt wurden, fehlt es an einer Rechtsgrundlage.
In Betracht kommt das Versenden einer Mahnung. Dafür spricht im vorliegenden Fall, dass das Schreiben vom 20.06.2016 mit dem Begriff "Zahlungserinnerung" überschrieben ist. Eine Mahnung ist jedoch keine Regelung und darf deshalb nicht als Verwaltungsakt ergehen. Da das Schreiben jedoch eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, ist es als Formal-Verwaltungsakt zu qualifizieren und wäre daher – sollte es eine bloße Zahlungserinnerung sein - schon aus diesem Grund rechtswidrig.
Bei dem Schreiben bzw Bescheid vom 20.06.2016 könnte es sich der Sache nach ferner um einen sog Leistungsbescheid handeln. Ein solcher Bescheid ist Voraussetzung für die Durchführung der Zwangsvollstreckung sowohl nach der Zivilprozessordnung (ZPO) als auch nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes (VwVG). Einer Krankenkasse stehen gemäß § 66 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zwei Vollstreckungsmöglichkeiten zur Verfügung. Sie kann die Vollstreckung gemäß § 66 SGB X nach den jeweils einschlägigen Verwaltungsvollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder oder nach § 66 Abs 4 Satz 1 SGB X in entsprechender Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung vornehmen. Als Vollstreckungstitel kommt bei einer Vollstreckung in entsprechender Anwendung der Zivilprozessordnung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nur der Verwaltungsakt (Leistungsbescheid) selbst in Betracht (BGH 25.02.2016, V ZB 25/15, MDR 2016, 751). Auch für die Verwaltungsvollstreckung bedarf es als Voraussetzung der Vollstreckung eines Leistungsbescheides (§ 3 Abs 2 Buchst a) VwVG). Das VwVG ist hier anwendbar, da es sich bei den Antragsgegnerinnen um bundesunmittelbare Körperschaften handelt. Eine als Forderungsbescheid bezeichnete, aber mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Aufstellung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge, mit der der Adressat zur Zahlung des Saldos aufgefordert wird, stellt einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X dar (BGH aaO; Urteil des Senats vom 24.01.2017, L 11 KR 701/16). Nicht geregelt wird darin, wie hoch der monatliche Beitrag ist, den die Antragstellerin an die Antragsgegnerinnen zu entrichten hat (Urteil des Senats vom 24.01.2017, L 11 KR 701/16).
Der Bescheid vom 20.06.2016 enthält zwar eine Forderungsaufstellung, ist aber nicht als Forderungsbescheid, sondern als Zahlungserinnerung gekennzeichnet. Ferner fehlt dem Schreiben der Hinweis, dass dieser Bescheid zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt wird (Vollstreckungsklausel), was für eine Vollstreckung nach der ZPO Voraussetzung wäre (BGH 25.02.2016, V ZB 25/15, MDR 2016, 549). Überdies enthält der Bescheid den Hinweis, dass Beiträge in Höhe von 1.670,36 EUR "bereits in Vollstreckung" sind. Für die Vollstreckung rückständiger Beiträge darf jedoch nur ein Leistungsbescheid erteilt werden, nicht aber mehrere. Würde ein solcher Bescheid bestandskräftig, bestünde für die Antragstellerin die Gefahr einer mehrfachen Vollstreckung desselben Betrages. Denn die Zivilgerichte dürfen nicht mehr prüfen, ob der (bestandskräftig gewordene) Leistungsbescheid inhaltlich zutreffend ist (BGH aaO) und für die Einleitung der Verwaltungsvollstreckung bedarf es keiner Bestandskraft des Leistungsbescheides, wie sich aus § 3 Abs 2 Buchts c) VwVG ergibt (Troidl in Engelhardt/App/Schlattmann, VwG § 3 Rn 3). Da somit völlig unklar bleibt, was der angefochtene Bescheid letztlich regelt, ist er derart unbestimmt, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist. Hinzu kommt, dass die denkbaren Regelungen (Zahlungserinnerung, Leistungsbescheid, Festsetzung von Rückständen) aus unterschiedlichen Gründen nicht in dieser Form bzw auf diese Weise getroffen werden dürfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung in § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Antrags- und Beschwerdeverfahren tragen die Antragsgegnerinnen.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen Bescheid über Beiträge, Säumniszuschläge und Mahngebühren.
Die Antragstellerin ist freiwilliges Mitglied der Antragsgegnerin zu 1) und demzufolge bei der Antragsgegnerin zu 2) in der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert (§ 20 Abs 2 SGB XI). Mit mehreren Bescheiden, gegen die keine Rechtsmittel eingelegt wurden, setzten die Antragsgegnerinnen die von der Antragstellerin monatlich zu entrichtenden Beiträge zur Kranken - und Pflegeversicherung fest, zuletzt mit Beitragsbescheid vom 28.12.2015 (Bl 65 Senatsakte) für die Zeit ab 01.01.2016.
Ab 2013 entstanden Beitragsrückstände. Die Antragsgegnerin zu 1) verfügte mit Bescheid vom 27.02.2014 das Ruhen der Leistungsansprüche ab dem 03.03.2014 (vgl Bl 12 Verwaltungsakte). Mit Bescheid vom 27.02.2015 gewährten die Antragsgegnerinnen auf den mit Schreiben vom 05.02.2015 gestellten Antrag der Antragstellerin hin wegen rückständiger Beiträge und Säumniszuschläge für den Zeitraum bis zum 22.01.2015 in Höhe von 2.417,07 EUR die Zahlung von Raten in Höhe von 30 EUR monatlich, beginnend ab dem 15.03.2015. Die Stundung in Form der Ratenzahlung wurde für die Zeit bis zum 14.02.2016 gewährt. Nach diesem Bescheid endet die Stundung, wenn die Rate oder der laufende Beitrag nicht zum Fälligkeitstag eingeht. Die Antragsgegnerin zu 1) beendete das Ruhen der Leistungsansprüche zum 27.02.2015.
Mit Schreiben vom 31.03.2016 (Bl 22 Verwaltungsakte) wiesen die Antragsgegnerinnen die Antragstellerin darauf hin, es sei letztmalig am 11.02.2016 ein Teilbetrag der vereinbarten Rate entrichtet worden. Es werde darum gebeten, den rückständigen monatlichen Ratenbetrag von 24,04 EUR sowie die zum 15.04.2016 fällig werdende weitere Monatsrate von 30 EUR zu überweisen. Sofern ein Zahlungseingang bis dahin nicht festgestellt werden könne, werde die Ratenzahlungsvereinbarung aufgehoben und die Gesamtforderung fällig.
Nachdem ein Zahlungseingang nicht erfolgt war, teilten die Antragsgegnerinnen mit zwei, jeweils mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheiden vom 28.04.2016 (Bl 26 Verwaltungsakte) der Antragstellerin mit, seit dem 15.03.2016 sei kein Zahlungseingang der monatlichen Rate von 30 EUR festgestellt worden. Die Ratenzahlungsvereinbarung hinsichtlich der derzeitigen Beitragsrückstände von 2317,61 EUR werde aufgehoben. Die derzeitigen Rückstände von 2317,61 EUR seien sofort zur Zahlung fällig. Der Leistungsanspruch ruhe erneut ab dem 28.04.2016. Rechtsmittel hiergegen wurden nicht eingelegt. Die Antragstellerin regte in der Folgezeit an, ihr die Beitragsschulden zu erlassen.
Mit Schreiben vom 20.06.2016 (Bl 39 Verwaltungsakte) übersandten die Antragsgegnerinnen eine Forderungsaufstellung über die bis zum 20.06.2016 rückständigen Beiträge, Mahngebühren und Säumniszuschläge mit einem Gesamtbetrag von 2.318,36 EUR. Das Schreiben enthält ferner den Hinweis, dass ein Betrag von 1.670,36 EUR bereits "in Vollstreckung" sei. In diesem Schreiben, das als Zahlungserinnerung überschrieben ist und eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, wird die Antragstellerin aufgefordert, den Gesamtrückstand innerhalb einer Woche zu überweisen. Dem Schreiben war als Anlage eine monatsgenaue Aufstellung der geschuldeten rückständigen Beiträge für den Zeitraum vom 17.03.2014 bis 15.06.2016 über insgesamt 1854,36 EUR, Mahngebühren von 10 EUR und Säumniszuschlägen von insgesamt 454 EUR beigefügt.
Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 22.07.2016 Widerspruch ein. Nachdem die Antragsgegnerinnen mit Schreiben vom 20.07.2016 die Zahlung des festgesetzten Rückstandes angemahnt hatte, legte die Antragstellerin auch gegen diese Schreiben Widerspruch ein. Zur Begründung machte sie geltend, die Stundung sei bis zum 14.02.2016 gewährt worden. Den Antragsgegnerinnen habe klar sein müssen, dass sie nicht über die Geldbeträge verfüge, um die Beitragsschulden zu begleichen. Die Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen für den Fall des Ausbleibens weiterer Ratenzahlungen verstoße gegen alle Grundsätze einer "Sozialbehörde".
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2016 wiesen die Antragsgegnerinnen den Widerspruch als unbegründet zurück. Mit dem Bescheid vom 27.02.2015 sei die Stundung in Form der Ratenzahlungsvereinbarung bis zum 14.02.2016 befristet worden. Mit dem Schreiben vom 31.03.2016 hätten die Antragsgegnerinnen der Antragstellerin die Möglichkeit eröffnet, die Ratenzahlungsvereinbarung weiterzuführen. Die Antragstellerin habe jedoch auf diese Schreiben nicht reagiert. Ein Erlass der Schulden komme nicht in Frage.
Hiergegen hat die Antragstellerin am 19.01.2017 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Zur Begründung macht sie geltend, dem Bescheid fehle es an der erforderlichen Bestimmtheit. Der Bescheid vom 20.06.2016 nebst Anlage lasse nicht erkennen, in welchem Umfang es sich um Beiträge der Krankenkasse und in welchem Umfang um Beiträge der Pflegekasse handele. Nur die Behauptung im Widerspruchsbescheid, dieser sei auch im Namen der Pflegekasse ergangen, belege noch nicht, dass tatsächlich auch Pflegeversicherungsbeiträge geltend gemacht würden. Da die Beitragsforderung nicht näher spezifiziert sei, fordere die Pflegekasse Beiträge, die ihr möglicherweise nicht zustehen könnten. Dem Bescheid fehle es daher der für die Vollstreckung erforderliche Bestimmtheit.
Die Antragsgegnerinnen sind dem Antrag entgegengetreten. Es bestünden keine Umstände, die ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids begründen könnten. Insbesondere fehle es nicht an der hinreichenden Bestimmtheit. Der Antragstellerin sei es unter Hinzuziehung der jeweiligen Beitragsbescheide, in denen die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung jeweils separat festgesetzt worden seien, möglich zu erkennen, welcher in der Mahnpositionsliste genannte säumige Beitrag auf die Kranken- und welcher auf die Pflegeversicherung entfalle. Die Antragstellerin schulde seit mehreren Jahren Beiträge und habe Zahlungszusagen mehrfach nicht eingehalten. Im Falle einer Vollziehung des streitigen Bescheides sei auch nicht von einer unbilligen, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte auszugehen.
Mit Beschluss vom 10.05.2017 hat das SG den Antrag abgelehnt. Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung bestünden keine Anhaltspunkte, die zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides berechtigten. Der angefochtene Bescheid sei hinreichend bestimmt. Er betreffe die Festsetzung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung, Mahngebühren und Säumniszuschläge. Der Widerspruchsbescheid stelle klar, dass der Beitragsbescheid auch im Namen der Antragsgegnerin zu 2) ergangen sei. Nach § 46 Abs 2 S 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) könnten Krankenkassen und Pflegekassen für Mitglieder, die - wie die Antragstellerin - ihre Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge selbst zahlten, die Höhe der Beiträge zur Kranken-und Pflegeversicherung in einem gemeinsamen Beitragsbescheid festsetzen. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin seien die Beiträge zur Krankenversicherung, zur Pflegeversicherung, die Mahngebühren und Säumniszuschläge hinreichend bestimmbar. Dem Beitragsbescheid sei als Anlage eine Aufstellung der geschuldeten rückständigen Beiträge, der Mahngebühr und der Säumniszuschläge beigefügt. Auch wenn keine Aufgliederung in Beiträge zur Kranken-und Beiträge zur Pflegeversicherung erfolgt sei, stehe dies einer hinreichenden Bestimmtheit nicht entgegen. Ausreichend sei, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei sei und der Betroffene bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt werde, sein Verhalten daran auszurichten (unter Hinweis auf BSG 25.06.2015, B 14 AS 28/14 R). Diese Voraussetzungen seien erfüllt, wenn die ausreichende Klarheit nicht nur aus der Auslegung des Verfügungssatzes des Verwaltungsaktes selbst, sondern auch durch den Rückgriff auf die Begründung des Verwaltungsakts sowie auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen gewonnen werden könne, wie das BSG entschieden habe. Aus den vorausgegangenen Beitragsfestsetzungsbescheiden zur Festsetzung der zu entrichtenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung lasse sich die jeweilige monatliche Höhe der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge entnehmen und entsprechend für den Nachzahlungszeitraum bestimmen. Eine das öffentliche Interesse an der Vollziehung überwiegende Härte für die Antragstellerin sei weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich.
Gegen den ihrem früheren Bevollmächtigten am 10.05.2017 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Beschluss des SG hat die Antragstellerin am 12.06.2017 Beschwerde beim SG eingelegt, welche dem Landessozialgericht am 23.06.2017 vorgelegt worden ist. Zur Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Der maßgebliche Grund für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sei dessen fehlende inhaltliche Bestimmtheit. An der Aufrechterhaltung und Vollstreckung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte könne kein öffentliches Interesse bestehen. Die Art und Weise der Vollstreckung, wie sie die Antragsgegnerinnen durchführen würden, sei ebenfalls nicht akzeptabel. Die Antragstellerin werde durch die Behörden regelrecht drangsaliert. Es gehe lediglich um Beiträge aus der Vergangenheit; die laufenden Beiträge würden bezahlt.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 10.05.2017 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2016 anzuordnen.
Die Antragsgegnerinnen beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie nehmen auf die Ausführungen des SG Bezug. Die in der Anlage zum Bescheid vom 20.06.2016 aufgeführten Beträge würden sich ohne weiteres aus den vorangegangenen Beitragsbescheiden ergeben, in denen die jeweiligen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge genannt seien. Die Antragsgegnerinnen haben auf Aufforderung des Senats Beitragsbescheide vom 24.04.2014, 25.10.2014, 15.01.2015 und 28.12.2015 vorgelegt sowie Nachweise über Beitragsbescheide vom 21.12.2012, 05.03.2013 und 08.04.2013 mitgeteilt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist nach § 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere nicht nach § 172 Abs 3 Nr 1 SGG ausgeschlossen, da angesichts des Beschwerdewerts auch in der Hauptsache die Berufung zulässig wäre. Die Beschwerde ist zudem form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG).
Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach § 86a Abs 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch gemäß § 86a Abs 2 Nr 1 SGG bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten.
Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage aufgrund von § 86b Abs 1 Nr 2 SGG anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber auch im Einzelfall zugunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsachverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (st Rspr des Senats; vgl Beschlüsse vom 06.05.2010, L 11 R 1806/10 ER-B, und 11.05.2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, veröffentlicht in juris). Dabei sind auch stets die Maßstäbe des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen. Demgemäß hat eine Aussetzung der Vollziehung zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Wirkung der gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs tritt rückwirkend ab Erlass des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides ein und endet in den Fällen, in denen Klage erhoben wird, erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung (Beschlüsse des Senats vom 03.08.2012, L 11 KR 2566/12 ER-B, juris; 11.05.2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, juris; LSG Baden-Württemberg 20.03.2006, L 8 AS 369/06 ER-B, juris).
Nach dem gegenwärtigen Stand ist es für den Senat überwiegend wahrscheinlich, dass die Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 20.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2016 Erfolg haben wird. Der Bescheid der Beklagten vom 20.06.2016 ist auch in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 13.12.2016 gefunden hat, inhaltlich nicht hinreichend bestimmt iSv § 31 Abs 1 SGB X und daher rechtswidrig.
Haben eine Krankenkasse und eine Pflegekasse - wie hier die Antragsgegnerinnen - die monatlich von einer Versicherten (Antragstellerin) zu entrichtenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung durch Verwaltungsakt festgesetzt, müssen sie ihr weiteres Vorgehen daran orientieren. Eine erneute Beitragsfestsetzung kommt nur unter den Voraussetzungen der §§ 44 ff SGB X in Betracht. Diesen Weg haben die Antragsgegnerinnen hier nicht beschritten und auch nicht beschreiten wollen. Für eine auf die Rückstände bezogene (weitere) Festsetzung von Beiträgen, die bereits bestandskräftig festgesetzt wurden, fehlt es an einer Rechtsgrundlage.
In Betracht kommt das Versenden einer Mahnung. Dafür spricht im vorliegenden Fall, dass das Schreiben vom 20.06.2016 mit dem Begriff "Zahlungserinnerung" überschrieben ist. Eine Mahnung ist jedoch keine Regelung und darf deshalb nicht als Verwaltungsakt ergehen. Da das Schreiben jedoch eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, ist es als Formal-Verwaltungsakt zu qualifizieren und wäre daher – sollte es eine bloße Zahlungserinnerung sein - schon aus diesem Grund rechtswidrig.
Bei dem Schreiben bzw Bescheid vom 20.06.2016 könnte es sich der Sache nach ferner um einen sog Leistungsbescheid handeln. Ein solcher Bescheid ist Voraussetzung für die Durchführung der Zwangsvollstreckung sowohl nach der Zivilprozessordnung (ZPO) als auch nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes (VwVG). Einer Krankenkasse stehen gemäß § 66 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zwei Vollstreckungsmöglichkeiten zur Verfügung. Sie kann die Vollstreckung gemäß § 66 SGB X nach den jeweils einschlägigen Verwaltungsvollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder oder nach § 66 Abs 4 Satz 1 SGB X in entsprechender Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung vornehmen. Als Vollstreckungstitel kommt bei einer Vollstreckung in entsprechender Anwendung der Zivilprozessordnung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nur der Verwaltungsakt (Leistungsbescheid) selbst in Betracht (BGH 25.02.2016, V ZB 25/15, MDR 2016, 751). Auch für die Verwaltungsvollstreckung bedarf es als Voraussetzung der Vollstreckung eines Leistungsbescheides (§ 3 Abs 2 Buchst a) VwVG). Das VwVG ist hier anwendbar, da es sich bei den Antragsgegnerinnen um bundesunmittelbare Körperschaften handelt. Eine als Forderungsbescheid bezeichnete, aber mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Aufstellung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge, mit der der Adressat zur Zahlung des Saldos aufgefordert wird, stellt einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X dar (BGH aaO; Urteil des Senats vom 24.01.2017, L 11 KR 701/16). Nicht geregelt wird darin, wie hoch der monatliche Beitrag ist, den die Antragstellerin an die Antragsgegnerinnen zu entrichten hat (Urteil des Senats vom 24.01.2017, L 11 KR 701/16).
Der Bescheid vom 20.06.2016 enthält zwar eine Forderungsaufstellung, ist aber nicht als Forderungsbescheid, sondern als Zahlungserinnerung gekennzeichnet. Ferner fehlt dem Schreiben der Hinweis, dass dieser Bescheid zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt wird (Vollstreckungsklausel), was für eine Vollstreckung nach der ZPO Voraussetzung wäre (BGH 25.02.2016, V ZB 25/15, MDR 2016, 549). Überdies enthält der Bescheid den Hinweis, dass Beiträge in Höhe von 1.670,36 EUR "bereits in Vollstreckung" sind. Für die Vollstreckung rückständiger Beiträge darf jedoch nur ein Leistungsbescheid erteilt werden, nicht aber mehrere. Würde ein solcher Bescheid bestandskräftig, bestünde für die Antragstellerin die Gefahr einer mehrfachen Vollstreckung desselben Betrages. Denn die Zivilgerichte dürfen nicht mehr prüfen, ob der (bestandskräftig gewordene) Leistungsbescheid inhaltlich zutreffend ist (BGH aaO) und für die Einleitung der Verwaltungsvollstreckung bedarf es keiner Bestandskraft des Leistungsbescheides, wie sich aus § 3 Abs 2 Buchts c) VwVG ergibt (Troidl in Engelhardt/App/Schlattmann, VwG § 3 Rn 3). Da somit völlig unklar bleibt, was der angefochtene Bescheid letztlich regelt, ist er derart unbestimmt, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist. Hinzu kommt, dass die denkbaren Regelungen (Zahlungserinnerung, Leistungsbescheid, Festsetzung von Rückständen) aus unterschiedlichen Gründen nicht in dieser Form bzw auf diese Weise getroffen werden dürfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung in § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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