L 4 AS 318/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 61 AS 1920/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 318/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für das Jahr 2015.

Der 1961 geborene alleinstehende Kläger ist seit längerem hilfebedürftig und bezog laufend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten. Der Kläger ist schwerbehindert. Mit Wirkung ab dem 29. Juli 2014 ist bei ihm ein Grad der Behinderung von 80 festgestellt, Merkzeichen sind nicht festgestellt (Bescheid des Versorgungsamts vom 19. Juni 2015).

Mit Bescheid vom 10. Dezember 2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2015 in Höhe von monatlich 839,72 Euro unter Berücksichtigung eines Regelbedarfs von 399,- Euro und Bedarfen für Unterkunft und Heizung von 440,72 Euro. Hiergegen erhob der Kläger am 9. Januar 2015 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, der Regelsatz sei zu niedrig und müsse monatlich 511,- Euro betragen. Außerdem habe der Beklagte ihm bislang die formellen Anträge auf Mehrbedarfe und besondere Bedarfe nicht zugesandt. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2015 zurück. Der festgesetzte Regelbedarf entspreche dem gesetzlich vorgesehenen Betrag, dessen angepasste Höhe sich aus der Bekanntmachung über die Regelbedarfe des jeweiligen Jahres ergebe. Die Regelbedarfe seien unter Heranziehung der Ergebnisse einer bundesweiten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) durch den Gesetzgeber festgelegt worden, die aufgrund der bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter und Dienstleistungen sowie der bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Nettolöhne und gehälter fortgeschrieben würden. Das Landessozialgericht habe für den Bewilligungszeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2014 bereits entschieden, dass dem Kläger keine Mehrbedarfe für kostenaufwändigere Ernährung oder andere Bedarfe zu gewähren seien. Die Höhe der für Unterkunft und Heizung gewährten Bedarfe werde vom Kläger nicht angegriffen.

Am 27. Mai 2015 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben. Er fordere einen monatlichen Regelsatz von mindestens 511,- Euro sowie einen zusätzlichen monatlichen Regelsatz für dauerhafte Transferleistungsbezieher von mindestens 150,- Euro und weitere 150,- monatlich als behinderungsbedingten Nachteilsausgleich. Zur Begründung verweise er auf sein Vorbringen in bereits abgeschlossenen Berufungsverfahren. Außerdem empfehle die Hartz-IV Kommission einen Regelsatz von 511,- Euro monatlich. Der D. Wohlfahrtsverband habe zum 1. Januar 2015 eine Erhöhung des Regelsatzes auf 485,- Euro monatlich gefordert.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte habe die Regelleistungen zutreffend nach § 20 SGB II festgesetzt. Es bestünden keinerlei Zweifel daran, dass die genannte Regelung im Einklang mit höherrangigem Recht stehe. Ein Mehrbedarf für dauerhafte Transferleistungsbezieher sei nicht vorgesehen, gleiches gelte für einen behinderungsbedingten Mehrbedarf neben den im Gesetz vorgesehenen Mehrbedarfen.

Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 17. Juli 2015 zugestellt worden. Am 24. Juli 2015 hat er Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen in der Klagschrift. Weiter beruft er sich auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Mit Änderungsbescheid vom 4. November 2015 hat der Beklagte erneut über die dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2015 zustehenden Leistungen entschieden. Für die Monate Januar bis September 2015 ist die Leistungshöhe nicht geändert worden, für die Monate Oktober und November 2015 sind geringfügig höhere Unterkunftskosten gewährt und insgesamt 840,72 Euro bewilligt worden, für Dezember 2015 sind unter Berücksichtigung eines Guthabens aus einer Wasserkostenabrechnung insgesamt 839,20 Euro bewilligt worden.

Ende November 2015 hat der Beklagte den Kläger zur Vorlage der Betriebs- und Heizkostenabrechnung 2014 aufgefordert. Der Kläger hat daraufhin die Betriebskostenabrechnung für 2014 vom 25. April 2015 übersandt, aus der sich ein Guthaben in Höhe von 134,41 Euro ergab, welches am 30. April 2015 auf das Konto des Klägers überwiesen werden sollte. Nach Anhörung des Klägers hat der Beklagte mit Bescheid vom 12. Januar 2016 die Bewilligung von Leistungen für den Monat Mai 2015 teilweise in Höhe von 134,41 Euro aufgehoben. Der Erstattungsbetrag werde ab dem 1. Februar 2016 monatlich in Höhe von 40,40 Euro aufgerechnet. Am 25. Januar 2016 hat der Kläger Widerspruch gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid erhoben und sich insbesondere gegen die Höhe der Aufrechnungsraten gewandt. Als Reaktion auf den Widerspruch hat der Beklagte die Aufrechnung gestoppt und die für Februar 2016 bereits einbehaltenen 40,40 Euro an den Kläger ausgezahlt. Mit Bescheid vom 27. Juli 2016 hat der Beklagte dem Widerspruch abgeholfen und den Bescheid vom 12. Januar 2016 aufgehoben.

Mit Bescheid vom 30. Juni 2016 hat die Deutsche Rentenversicherung N. (DRV N.) dem Kläger ab dem 1. Juni 2014 unbefristet eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt. In dem Bescheid heißt es, die Anspruchsvoraussetzungen hierfür seien ab dem 1. Mai 2014 erfüllt. Seit dem 1. August 2016 erhält der Kläger Leistungen der Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) von der Beigeladenen.

Im August 2016 beantragte der Kläger bei der Beigeladenen die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen der Notwendigkeit einer kostenaufwändigeren Ernährung. Er übersandte ein von seinem behandelnden Arzt, dem Internisten und Nephrologen Dr. K., am 10. Oktober 2016 ausgefülltes Formular, in dem dieser wegen einer Niereninsuffizienz einen Mehrbedarf für eiweißdefinierte Kost für die Zeit ab August 2016 bescheinigte. Daraufhin gewährte die Beigeladene dem Kläger mit Bescheid vom 11. November 2016 für die Zeit ab dem 1. August 2016 einen Mehrbedarf in Höhe von 40,40 Euro monatlich.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2016 an den Senat hat der Kläger sein Begehren um einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung infolge seiner Nierenerkrankung erweitert. Diesen habe er gegenüber dem Beklagten bisher nicht geltend gemacht, weil auf den entsprechenden Formularen des Beklagten eine Niereninsuffizienz nicht aufgeführt gewesen sei. Erst im Rahmen der Antragstellung bei der Beigeladenen habe er daher von der Möglichkeit eines entsprechenden Mehrbedarfs Kenntnis erhalten.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Juli 2015 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 10. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2015 und des Änderungsbescheids vom 4. November 2015 zu verpflichten, ihm für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2015 einen höheren monatlichen Regelbedarf von mindestens 511,- Euro, einen Zuschlag von mindestens 150,- Euro monatlich für dauerhafte Transferleistungsbezieher, einen weiteren Zuschlag in Höhe von 150,- Euro monatlich als behinderungsbedingten Nachteilsausgleich sowie einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung im Hinblick auf die Niereninsuffizienz zu gewähren

und hilfsweise, die Beigeladene zu verpflichten, ihm für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2015 einen höheren monatlichen Regelbedarf von mindestens 511,- Euro, einen Zuschlag von mindestens 150,- Euro monatlich für dauerhafte Transferleistungsbezieher, einen weiteren Zuschlag in Höhe von 150,- Euro monatlich als behinderungsbedingten Nachteilsausgleich sowie einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung im Hinblick auf die Niereninsuffizienz zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und im angefochtenen Gerichtsbescheid. Ergänzend trägt er vor, der Kläger sei infolge der rückwirkenden Gewährung einer Erwerbsminderungsrente schon dem Grunde nach nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II.

Die Beigeladene beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt aus, sie gewähre den Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung aufgrund der Feststellungen des Gesundheitsamtes. Erkenntnisse über eine Bedarfsmitteilung vor dieser Zeit lägen ihr nicht vor. Sie gehe davon aus, dass aufgrund der vom Beklagten vorgenommenen Grundbewilligung auch etwaige Mehrbedarfe von diesem zu entscheiden seien. Die Beigeladene habe keine Kenntnis vom Hilfefall und daher auch nicht von etwaigen Mehrbedarfen gehabt.

Der Senat hat Befundberichte von Dr. K. und dem Urologen Dr. G. angefordert. Dr. K. hat unter dem 24. März 2017 mitgeteilt, der Kläger habe sich bei ihm erstmals am 12. August 2015 aufgrund erhöhter Nierenretentionswerte und einer Proteinurie vorgestellt. Es sei u.a. eine chronische kompensierte Niereninsuffizienz Stadium 3 diagnostiziert worden. Die Niereninsuffizienz sei aufgrund der Vorbefunde seit mindestens 2014 bekannt gewesen. Aufgrund der Nierenerkrankung bestehe die Empfehlung zu einer eiweißreduzierten Diät. Dr. G. hat mitgeteilt, der Kläger sei bei ihm zwischen Oktober 2012 und Juni 2015 in Behandlung gewesen. 2012 sei eine Nierenzyste links festgestellt worden, hierbei könne man genau genommen jedoch nicht von einer Erkrankung sprechen. Besonderheiten bezüglich der Ernährung müsse der Kläger nicht beachten.

Der Kläger hat auf entsprechendes Befragen durch den Senat mitgeteilt, sein Hausarzt habe im März/April 2015 einen hohen Kreatininwert festgestellt und ihn deshalb an Dr. K. überwiesen. Dort habe er erst am 12. August 2015 einen Termin gehabt. Nach Feststellung der Niereninsuffizienz habe er seine Ernährung dahingehend umgestellt, dass er täglich eine (manchmal auch zwei) Mahlzeit(en) durch einen Eiweißshake ersetze, zudem esse er gesunde Sachen wie Salat, Obst, Gemüse, Vollkorn- und Knäckebrot mit fettarmer Wurstbeilage. Dr. K. habe ihm zu einer eiweißreduzierten Kost geraten. Er sei sich nicht mehr ganz sicher, aber die Eiweißshakes seien ihm wohl auch von Dr. K. empfohlen worden. Eine Dose von dem Pulver, aus dem die Shakes angerührt werden, koste 6,- Euro, er benötige monatlich zwei Dosen. Es handele sich um das Produkt M ... Konkret über dieses Pulver habe er mit Dr. K. nicht gesprochen (Angabe in der mündlichen Verhandlung, insoweit nicht im Protokoll). Ab Ende 2016 habe er an einer Ernährungsberatung im Rahmen einer Adipositas-Therapie im Universitätsklinikum H. teilgenommen. Dort sei es um eine Reduzierung des Übergewichts gegangen, spezielle Ernährungsempfehlungen bezüglich seiner Nierenerkrankung habe er nicht erhalten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Prozessakten dieses Verfahrens und des Parallelverfahrens des Klägers zum Aktenzeichen L 4 AS 53/17 sowie der beigezogene Akten des Beklagten und der Beigeladenen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch nicht begründet.

Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine Anfechtungs- und Leistungsklage, gerichtet auf die Gewährung höherer Leistungen für das Jahr 2015. Die Klage ist aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, soweit ihm damit höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2015 versagt worden sind. Der Kläger hat weder gegen den Beklagten noch gegen die Beigeladene einen Anspruch auf Gewährung höherer Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum als mit den angefochtenen Bescheiden bewilligt wurden.

1. Zunächst besteht kein Anspruch gegen den Beklagten auf Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II. Dem steht schon entgegen, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht erwerbsfähig und damit nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II war, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II. Dies ergibt sich aus dem Bescheid der DRV N. vom 30. Juni 2016, mit dem diese eine entsprechende Feststellung für die Zeit ab dem 1. Mai 2014 getroffen hat. Ansprüche auf Sozialgeld nach dem SGB II scheiden aus, weil der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebte (§ 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II); außerdem gingen insoweit Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII vor.

Über die fehlende Erwerbsfähigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum hilft auch nicht der Umstand hinweg, dass diese erst nachträglich festgestellt wurde und der Beklagte tatsächlich im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum laufende Leistungen nach dem SGB II erbracht hat. Zwar können die Bewilligungen durch den Beklagten nicht aufgehoben werden, denn entsprechend dem Rechtsgedanken des § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II hat der Beklagte solange, wie die Erwerbsunfähigkeit nicht festgestellt war, rechtmäßig geleistet. § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II begründet eine Pflicht des Beklagten, bei Streit über die Erwerbs(un)fähigkeit Leistungen nach dem SGB II zu erbringen. Dabei handelt es sich auch nicht um eine lediglich vorläufige Leistungspflicht, vielmehr werden die Leistungen im Außenverhältnis zu dem Berechtigten endgültig erbracht (vgl. Knapp, jurisPK-SGB II, § 44a, Rn. 70). Dies muss auch in den Fällen gelten, in denen – wie hier – der SGB II-Träger mangels Zweifel an der Erwerbsfähigkeit kein Feststellungsverfahren nach § 44a SGB II einleitet und in der irrigen Annahme seiner eigenen Zuständigkeit Leistungen erbringt. Aus dem Umstand, dass hier die vom Beklagten an den Kläger erbrachten Leistungen diesem endgültig zustehen und nicht wegen der fehlenden Erwerbsfähigkeit von diesem zurückgefordert werden können, folgt allerdings nicht, dass der Beklagte auch nach erfolgter Feststellung der Erwerbsunfähigkeit für die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit zuständig wäre. Vielmehr ist nunmehr die Beigeladene als eigentlich Leistungsverpflichtete auch zuständig für die Erfüllung eines etwaig höheren als des bereits gewährten Anspruchs (vgl. dazu auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22.1.2014 – L 13 AS 190/12, juris Rn. 30).

2. Der Kläger hat aber auch keinen Anspruch gegen die Beigeladene auf Gewährung weiterer Leistungen auf der Grundlage des SGB XII.

a. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass bei Vorliegen eines materiell-rechtlichen Anspruchs eine Verurteilung der Beigeladenen zur Gewährung entsprechender Leistungen nicht etwa deshalb ausgeschlossen wäre, weil diese bislang nicht über die Gewährung von Leistungen an den Kläger für das Jahr 2015 entschieden hat und weil sie erst im Laufe des Berufungsverfahren zum Rechtsstreit beigeladen wurde. Dies ergibt sich aus § 75 Abs. 5 SGG, der ausdrücklich regelt, dass ein beigeladener Leistungsträger verurteilt werden kann. Dabei ist nicht erforderlich, dass die "normalen" Sachentscheidungsvoraussetzungen für eine Klage gegen den Beigeladenen vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 24.5.1984 – 7 RAr 15/82, juris Rn. 20; Fock, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 75 Rn. 22). Eine Verurteilung des Beigeladenen ist lediglich dann nicht bzw. jedenfalls nicht ohne weiteres möglich, wenn dieser den Anspruch durch bindenden Verwaltungsakt abgelehnt hat (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 75 Rn. 18b). Das ist hier aber nicht der Fall.

b. Auch der Umstand, dass der Kläger Leistungen nach dem SGB XII nicht beantragt bzw. die Beigeladene keine Kenntnis von dem Hilfefall hatte, steht einer Leistungspflicht der Beigeladenen nicht entgegen. Insofern wirkt der Antrag des Klägers auf Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auch gegen die Beigeladene. Diese Vorschrift greift auch dann ein, wenn ein Antrag nicht bei einer unzuständigen Stelle, sondern bei einem SGB II-Träger eingeht, der entweder aufgrund der Regelung des § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II zuständig ist oder sich fälschlich für leistungszuständig gehalten hat, aber aufgrund der späteren Erkenntnis, dass der Antragsteller erwerbsunfähig ist, tatsächlich nicht zuständig war (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O Rn. 32 ff.). Dies entspricht dem Sinn und Zweck des § 16 Abs. 2 SGB I, wonach der Einzelne mit seinem Begehren nach Sozialleistungen gerade nicht an Zuständigkeitsabgrenzungen innerhalb der gegliederten Sozialverwaltung scheitern soll (vgl. BSG, Urteil vom 26.8.2008 – B 8/9b SO 18/07 R, Rn. 22). Dies gilt in besonderer Weise für das Verhältnis von Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII. Im Zweifel ist insofern davon auszugehen, dass ein Antrag auf Leistungen nach dem einen Gesetz wegen der gleichen Ausgangslage (Bedürftigkeit und Bedarf) auch als Antrag nach dem anderen Gesetz zu werten ist (BSG, a.a.O.)

Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum leistungsberechtigt für die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß § 41 Abs. 1, Abs. 3 SGB XII. Insbesondere steht fest, dass der Kläger im Jahr 2015 dauerhaft voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) war. Dies ergibt sich aus dem Bescheid der DRV N. vom 30. Juni 2016, mit dem die DRV N. eine entsprechende Feststellung für die Zeit ab dem 1. Mai 2014 getroffen hat. Diese Feststellung ist von keinem Beteiligten angegriffen worden, der Senat sieht auch sonst keinen Grund für Zweifel an ihrer Richtigkeit.

c. Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf Leistungen, die über das ihm bereits Gewährte hinausgehen.

aa. Der Beklagte hat dem Kläger den Regelbedarf entsprechend den gesetzlichen Vorschriften bewilligt. Der in § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II vorgesehene monatliche Regelbedarf für alleinstehende hilfebedürftige Personen wurde gemäß der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Absatz 5 SGB II vom 15. Oktober 2014 (BGBl. I S. 1620) zum 1. Januar 2015 auf monatlich 399,- Euro festgesetzt. Die Höhe entspricht dem für 2015 geltenden Regelbedarf der Stufe 1 der Anlage zu § 28 SGB XII (entsprechend der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2015 vom 14. Oktober 2014, BGBl. I S. 1618).

Zunächst hat der Kläger keinen Anspruch auf eine abweichende höhere Festsetzung des Regelbedarfs gemäß § 42 Nr. 1 i.V.m. § 27a Abs. 4 SGB XII in der bis 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vom 24. März 2011 (a.F.). Danach ist der individuelle Bedarf im Einzelfall abweichend vom Regelsatz festzulegen, wenn ein Bedarf unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Der Kläger hat im hiesigen Verfahren keine besonderen individuellen Bedarfe vorgetragen, sondern sich im Wesentlichen darauf berufen, dass der Regelbedarf allgemein zu niedrig sei. Er hat allerdings auch auf die Begründung seiner Berufungen in bereits abgeschlossenen Verfahren verwiesen. In diesen hatte er sich zwar auch auf allgemeine Ausführungen zur Regelsatzhöhe bezogen, zusätzlich aber individuelle Bedarfe für Bildungs-, Gewerkschafts-, Partei- und Vereinsbeiträge sowie für Hausrat-, Haftpflicht, Sterbe- und Rechtsschutzversicherungen (im Verfahren L 4 AS 275/11) geltend gemacht. Im Verfahren L 4 AS 275/14 hat er zudem Ausführungen zu ernährungsbedingten Mehraufwendungen gemacht. Schließlich beruft er sich auf seine Behinderung. Unabhängig von der Frage, ob eine solche pauschale Bezugnahme auf die Berufungsbegründung in anderen Verfahren überhaupt ausreicht, werden aber auch dadurch keine unabweisbaren individuellen Bedarfe geltend gemacht. Mehrbedarfe in Bezug auf Ernährung sind gesondert geregelt, siehe dazu unten unter cc. Auf seine Behinderung beruft sich der Kläger lediglich pauschal, ohne darzulegen, welche konkreten individuellen Bedarfe sich hieraus ergeben. Die vom Kläger vorgetragenen Beiträge sowie Versicherungen dürften schon keine unabweisbaren Bedarfe darstellen, vor allem aber handelt es sich auch hier nicht um Bedarfe, die in individuellen Besonderheiten der klägerischen Situation begründet wären.

Lassen sich besondere individuelle Bedarfe daher – abgesehen von möglicherweise einem Bedarf hinsichtlich kostenaufwändiger Ernährung, dazu unten unter cc. – nicht feststellen, so steht einer Verpflichtung der Beigeladenen zur Bewilligung eines höheren Regelbedarfs die gesetzliche Regelung des Pauschalbetrags entgegen. An diese Regelung ist der Senat – wie auch die Beigeladene – gebunden. Zur Änderung des gesetzlichen Regelbedarfs kann nur das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber veranlassen. Der Senat ist allerdings nicht davon überzeugt, dass die Bestimmung des Regelbedarfs verfassungswidrig ist, was erforderlich wäre, um sie dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 des Grundgesetzes (GG) zur Entscheidung über die Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht vorzulegen (ständige Rspr. BVerfG, Urteil vom 20.3.1952 – 1 BvL 12, 15, 15, 24, 28/51). Bereits mit gegenüber dem Kläger ergangenem Urteil vom 19. März 2015 (L 4 AS 275/11) hat der Senat ausführlich dargelegt, dass und warum er von der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des Regelbedarfs ausgeht. Hierauf wird Bezug genommen. Der Senat orientiert sich maßgeblich an dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juli 2014 (1 BvL 10/12 u.a.), in dem dieses in Bezug auf den Anspruch auf Leistungen nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende festgestellt hat, dass die Vorschriften über die Festsetzung der Höhe des Regelbedarfs für Alleinstehende sowie deren Fortschreibung mit dem Grundgesetz vereinbar sind. In den der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegenden Ausgangsverfahren war um die Höhe von Leistungen für Bewilligungszeiträume in den Jahren 2011 und 2012 gestritten worden. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Feststellungen ausdrücklich auch auf die Folgeregelungen für 2013 und 2014 bezogen (BVerfG, a.a.O. Rn. 142). Auch für das vorliegend streitgegenständliche Jahr 2015 bestehen aus Sicht des Senats keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen (so auch für den Regelbedarf seit Januar 2016 LSG NRW, Beschluss vom 27.10.2016 – L 9 SO 447/16 B und BayLSG, Beschluss vom 21.7.2016 – L 18 AS 405/16 B). Es gibt insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber oder die zuständigen Behörden eine Neuermittlung der Regelbedarfe anhand der EVS 2013 verschleppt hätte (vgl. dazu auch ausführlich BayLSG a.a.O.). Soweit der Kläger sich auf die Forderungen des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands stützt, vermag dies nicht zu überzeugen. Der D. Wohlfahrtsverband hat zu dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu den Aktenzeichen BvL 10/12 u.a. Stellung genommen und vor allem die vom Gesetzgeber vorgenommenen "Kürzungen" bei den Verbrauchspositionen der EVS kritisiert. Das Bundesverfassungsgericht ist seiner Auffassung jedoch nicht gefolgt.

Der Umstand, dass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Sachverhalte zugrunde lagen, in denen um die Höhe von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gestritten wurde, während es um vorliegenden Fall um Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII geht, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zwar dürfte sich die aus § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) ergebende Bindungswirkung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juli 2014 formal nicht auf die hier streitentscheidenden Vorschriften über die Ermittlung und die Höhe des Regelbedarfs von Leistungsberechtigten nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erstrecken, sodass eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG nicht per se unzulässig wäre. Es sind jedoch keine Gründe erkennbar, die den Rückschluss erlauben würden, dass zwar die Leistungen zur Sicherung des Regelbedarfs nach dem SGB II für den maßgeblichen Zeitraum den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, dass aber andererseits die Ermittlung oder die Höhe des Regelbedarfs für Leistungsempfänger nach dem SGB XII das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzen könnten (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.3.2017 – L 23 SO 363/15).

bb. Die vom Kläger geltend gemachten höheren Bedarfe aufgrund seiner Behinderung bzw. aufgrund des dauerhaften Leistungsbezugs (je 150,- Euro monatlich) finden keine Stütze im Gesetz. Mehrbedarfe sind in den in § 30 SGB XII geregelten Fällen anzuerkennen. Einen Mehrbedarf für dauerhaft im Bezug stehende Menschen kennt das Gesetz nicht. Behinderten Menschen werden nur unter weiteren Voraussetzungen (Merkzeichen G, § 30 Abs. 2 SGB XII oder Bezieher bestimmter Leistungen der Eingliederungshilfe, § 30 Abs. 4 SGB XII), die hier nicht erfüllt sind, Mehrbedarfe gewährt.

Auch aus dem vom Kläger für sein Begehren ins Feld geführte am 13. Dezember 2006 unterzeichnete Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) ergibt sich keine andere Beurteilung. Eine völkerrechtliche Vertragsverletzung der Bundesrepublik Deutschland bezogen auf die in der Konvention niedergelegten Rechte und Ziele ist in der Ausgestaltung der Regelungen im SGB XII nicht begründet. Insbesondere ist der Gesetzgeber aufgrund dieser internationalen Konvention nicht gehalten, den Regelbedarf speziell für Menschen mit Behinderung anzuheben, denn ein bestimmtes – von dem SGB XII und die es ergänzenden Vorschriften für diese Personengruppe abweichendes – Regelungskonzept oder sogar die Gewährung eines konkreten höheren Betrages gibt das Übereinkommen nicht vor (siehe hierzu ausführlich das Urteil des erkennenden Senats vom 27.3.2015 – L 4 AS 275/11).

cc. Der Kläger hat ferner für den streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 5 SGB XII, der für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, in angemessener Höhe anerkannt wird.

Ausweislich der vorliegenden Unterlagen leidet der Kläger an einer – erstmals im August 2015 diagnostizierten – Niereninsuffizienz, aufgrund derer die Beigeladene im seit August 2016 einen ernährungsbedingten Mehrbedarf in Höhe von 10 % des Regelbedarfs gewährt. Dies entspricht der Fachanweisung der Beigeladenen zu § 30 SGB XII und § 42 Nr. 2 i.V.m. § 30 SGB XII (Stand 1.5.2016), nach der in bestimmten Regelfällen bei entsprechendem ärztlichem Attest und durch entsprechende Diagnosen belegter Erkrankung ein besonderer Ernährungsbedarf anzuerkennen ist. Hierzu gehört die Niereninsuffizienz bei eiweißdefinierter Kost. Die Fachanweisung der Beigeladenen entspricht insoweit den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (4., neu erarbeitete Auflage 2014).

Dennoch kann dem Kläger rückwirkend ab diesem Zeitpunkt ein ernährungsbedingter Mehrbedarf nicht zugesprochen werden. Dem steht zwar nicht bereits entgegen, dass der Kläger den Mehrbedarf nicht zeitnah nach Diagnose der Erkrankung, sondern erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemacht hat. Denn Widerspruch und Klage sind im Sinne des Meistbegünstigungsgrundsatzes so auszulegen, dass der Kläger bereits von Anfang an unter jedem denkbaren Gesichtspunkt höhere Leistungen begehrt hat. Dennoch kommt eine rückwirkende Gewährung nicht in Betracht. Denn es ist nicht erkennbar, dass dem Kläger in 2015 tatsächlich Mehrkosten entstanden sind, was nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 13.7.2016 – L 4 AS 132/14) aber für die nachträgliche Anerkennung eines Anspruchs auf höhere Leistungen erforderlich wäre. Der Kläger hat vorgetragen, er habe – aufgrund einer entsprechenden Empfehlung seines Arztes Dr. K. – zum einen eine Mahlzeit am Tag durch einen Eiweißshake ersetzt, zum anderen sich generell "gesünder" ernährt, d.h. mehr Obst, Gemüse, Vollkorn- und Knäckebrot mit fettarmen Beilagen gegessen. Für die Eiweißshakes hatte der Kläger nach seinen eigenen Angaben Aufwendungen von 12,- Euro im Monat. Dem stehen jedoch Ersparnisse durch das Ersetzen einer sonstigen Mahlzeit täglich entgegen, sodass Mehrkosten nicht erkennbar sind. Für eine "gesunde" Ernährung entsprechend den Angaben des Klägers entstehen ebenfalls keine Mehrkosten, da diese den allgemeinen Ernährungsempfehlungen entspricht und ihre Kosten aus dem Regelbedarf gedeckt werden können.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist zwar weder die tatsächliche Einhaltung einer besonderen Ernährung noch der Nachweis tatsächlicher Mehraufwendungen Voraussetzung für einen Anspruch auf den Mehrbedarf (so zum SGB II: Urteil vom 20.2.2014 – B 14 AS 65/12 R, Rn. 23 f.; kritisch dazu Stotz, jurisPR-SozR 20/2014 Nr. 2 und der Beschluss des Senats vom 13.7.2016 – L 4 AS 132/14). Erforderlich ist danach allerdings, dass der Betroffene im jeweiligen Zeitraum Kenntnis des Zusammenhangs zwischen den gesundheitlichen Einschränkungen und einer bestimmten Ernährungsempfehlung hatte (BSG, a.a.O., Rn. 25 ff., insbesondere Rn. 29). Hieran fehlte es beim Kläger. Seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge war er sich nicht mehr ganz sicher, welche Ernährungsempfehlungen ihm speziell wegen der Nierenerkrankung gegeben worden waren. Über die konkret von ihm konsumierten Eiweißshakes der Marke M. hatte er mit seinem Arzt nicht gesprochen. Bei der von ihm in Anspruch genommenen Ernährungsberatung im U. ging es um das Übergewicht; die Nierenerkrankung – die allein Auslöser eines Mehrbedarfs sein kann, da Übergewicht als solches einen Mehraufwand für Ernährung nicht begründen kann – wurde hingegen nicht thematisiert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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