L 1 KR 421/17 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 1643/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 421/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 4. September 2017 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. Februar 2017 wird angeordnet, soweit die Antragsgegnerin in diesem Bescheid Säumniszuschläge in Höhe von 3.433,- EUR festgesetzt hat. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Streitwert wird auf 1.716,50 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 4. September 2017 hat Erfolg. Zu Unrecht hat das Sozialgericht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des gegen den Betriebsprüfungsbescheid der Antragsgegnerin vom 24. Februar 2017 erhobenen Widerspruchs anzuordnen, soweit die in diesem Bescheid von der Antragstellerin festgesetzten Säumniszuschläge betroffen sind.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. Februar 2017 hat nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung. Säumniszuschläge, die nach § 24 Abs.1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) erhoben werden, zählen zu den öffentlichen Abgaben im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG (LSG Berlin-Brandenburg v. 19. März 2009 – L 1 KR 45/09 R), so dass der Widerspruch nicht schon von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung hat. Der auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung gerichtete Hauptantrag kann deswegen keinen Erfolg haben.

Anzuordnen ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs im Sinne des hilfsweise verfolgten Antrags in den Fällen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG jedenfalls dann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen (Vgl. etwa Beschluss des LSG Schleswig-Holstein v. 25. Juni 2012 – L 5 KR 81/12 B ER – juris Rn 14). Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der Vorschrift des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG. Im Übrigen gibt der Gesetzgeber in § 86b Abs. 1 SGG nicht ausdrücklich vor, nach welchen Maßstäben über die Aussetzung einer sofortigen Vollziehung zu entscheiden ist. Hat der Gesetzgeber aber – wie es § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG voraussetzt – an anderer Stelle bereits grundsätzlich die sofortige Vollziehbarkeit einer Verwaltungsentscheidung angeordnet, nimmt er damit in Kauf, dass eine angefochtene Entscheidung wirksam bleibt, obwohl über ihre Rechtmäßigkeit noch nicht abschließend entschieden worden ist. Von diesem Grundsatz ermöglicht § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG eine Ausnahme. Zumindest in den Fällen einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit ist die Vollziehbarkeit auszusetzen, weil dann kein öffentliches Interesse an einer Vollziehung erkennbar ist. Unterbleiben muss die Aussetzung dagegen, wenn der eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich aussichtslos ist. Hier gibt es keine Veranlassung, von dem vom Gesetzgeber für richtig gehaltenen Grundsatz abzuweichen. In den übrigen Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht klar erkennbar ist, kommt es auf eine Interessenabwägung an (BT-Drs 11/3480, S. 54). Je geringer die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs sind, desto mehr muss für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, damit trotz bloßer Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Maßnahme entgegen der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers die aufschiebende Wirkung angeordnet werden kann (vgl. zum ganzen Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 86b Rn 12e ff mit weit. Nachw.).

Bei Beachtung dieser Maßstäbe muss der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. Februar 2017 hier Erfolg haben, soweit die festgesetzten Säumniszuschläge betroffen sind. Nach § 24 Abs. 2 SGB IV sind Säumniszuschläge nämlich nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner geltend macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Das setzt mindestens die Feststellung von bedingtem Vorsatz voraus (BSG v. 9. November 2011 – B 12 R 18/09 R - juris Rn 33). Dem mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheid sind aber keine Feststellungen zu entnehmen, welche die Annahme eines bedingten Vorsatzes tragen. Dort wird lediglich darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin auch identisch tätige Arbeitnehmer mit identischem Tätigkeitsfeld beschäftigt habe und gleichwohl eine unterschiedliche beitragsrechtliche Beurteilung vorgenommen habe. Damit ist aber noch nichts dazu gesagt, woraus sich das Wissen der Antragstellerin davon ergeben sollte, dass es nur auf die Umstände der Beschäftigung und nicht auf die unterschiedliche Ausgestaltung der vertraglichen Vereinbarungen ankam. Solange aber die in einem Beitragsbescheid enthaltene Annahme von bedingtem Vorsatz nicht auf alle naheliegenden Einwände eingeht und entkräftet, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der gegen den Bescheid eingelegte Widerspruch auch hinsichtlich der Festsetzung von Säumniszuschlägen mit überwiegender Aussicht ohne Erfolg bleiben wird.

Nach alledem war der Beschluss des Sozialgerichts auf die Beschwerde der Antragstellerin hin aufzuheben und hinsichtlich der Säumniszuschläge die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 63, 52 Gerichtskostengesetz.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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