L 19 R 388/17

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 R 816/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 388/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Beiträge werden gem. § 210 Abs. 1a SGB VI auch an Versicherte erstattet, die versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind, wenn sie die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt haben.
2. Die Anrechnung von Rentenleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf eine Alterspension aus dem Beamtenverhältnis ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.05.2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger gegen die Beklagte Anspruch auf Rückerstattung geleisteter Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 210 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) hat.

Der 1981 in Polen geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 22.04.2016 die Erstattung von Beiträgen an Versicherte, die versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind und die die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt haben, nach einer Wartefrist von 24 Kalendermonaten. Nach dem Verfahrenskontospiegel Versicherung/Beitrag vom 26.04.2016 war der Kläger vom 01.09.1997 bis 28.02.2003 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Am 03.03.2003 begann er eine Beamtenlaufbahn. Seit 2008 ist er Beamter auf Lebenszeit.

Die Beklagte lehnte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 26.04.2016 eine Beitragserstattung ab, weil der Kläger die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren mit Beitrags- und Ersatzzeiten erfüllt habe.

Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 13.05.2016 Widerspruch ein, der mit Schriftsatz vom 14.07.2016 dahingehend begründet wurde, dass dem Antrag auf Beitragserstattung zwar die Erfüllung der Wartezeit im Sinne des § 50 Abs. 1 SGB VI entgegenstehe, der Kläger somit einen gesetzlichen Anspruch auf Regelaltersrente habe. Der Kläger sei jedoch darüber hinaus pensionsberechtigt. Im Falle des Bezuges des Höchstruhegehaltes würde der gesetzliche Rentenanspruch zu 100 % angerechnet werden. Hieraus ergebe sich eine unmittelbare Schlechterstellung allein deshalb, weil der Kläger sechs Monate "zu viel" in die Rentenversicherung bezahlt habe. Hierdurch werde der Kläger unverhältnismäßig benachteiligt. Er berufe sich auf eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Der Kläger verkenne dabei nicht den Art. 85 des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes (BayBeamtVG). Gerade deshalb seien dem Kläger bereits bezahlte Rentenversicherungsbeiträge auszubezahlen. Ohne eine entsprechende - gegebenenfalls 100 %ige - Anrechnung der Rentenzahlungen würde der Kläger ein finanzielles Mehr erhalten. Entweder in Form eines Rentenbezuges oder - wie vorliegend beantragt - in Form der vorzeitigen Auszahlung.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2016 als unbegründet zurück. § 210 SGB VI sei eine eindeutige Regelung und nicht auslegungsfähig. Der Kläger habe 66 Kalendermonate an Beitragszeiten zurückgelegt und damit die allgemeine Wartezeit erfüllt. Raum für wirtschaftliche Erwägungen bleibe daneben nicht. Außerdem könne weder zwingend davon ausgegangen werden, dass der Kläger immer Beamter bleibe, noch dass sich die Vorschriften nicht mehr ändern mit der Folge, dass eventuell keine Anrechnung mehr auf die Pensionsansprüche erfolgen könnte. Darüber hinaus beruhe der von ihm geltend gemachte Nachteil nicht auf dem Rentenrecht, sondern auf Bestimmungen des Beamtenrechts. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG könne nicht gesehen werden.

Zur Begründung der hiergegen am 22.08.2016 zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen Klage hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers vorgetragen, dass der Kläger insgesamt 66 Kalendermonate Beitragszeiten habe. Er sei nunmehr Beamter auf Lebenszeit und daher pensionsberechtigt. Bei Bezug des Höchstruhegehaltes würde der gesetzliche Rentenanspruch zu 100 % angerechnet werden. Hieraus ergebe sich eine unmittelbare Schlechterstellung, da der Kläger bezüglich sämtlicher seiner eingezahlten 66 Beitragsmonate verlustig ginge. Hierdurch werde der Kläger unverhältnismäßig benachteiligt. Hätte der Kläger sechs Monate weniger in die Rentenversicherung einbezahlt, wäre ihm der Gesamtbetrag von 60 Monaten ausbezahlt worden. Ein sachlicher Grund, weshalb dem Kläger dieser Anspruch nicht zustehe, sei nicht ersichtlich. Durch die Regelung des § 210 Abs. 1 SGB VI gingen dem Kläger die hälftig gezahlten Beiträge ersatzlos verloren. Gleichzeitig werde durch die Regelung des BayBeamtVG (Art. 85) dem Kläger die Möglichkeit genommen, "die erworbenen Anwartschaftsrechte aus der Rentenversicherung bei Beziehung des Höchstruhegehaltes zu erwerben". Der Kläger erhalte daher, obschon er einen nicht unerheblichen Beitrag in die deutsche Rentenversicherung einbezahlt habe und hieraus ein unverfallbarer Anwartschaftsanspruch entstanden sei, keinerlei adäquate Gegenleistung. Insofern werde auch erneut ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gerügt.

Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 08.03.2017 hat das SG sodann die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17.05.2017 als unbegründet abgewiesen. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen für eine Beitragserstattung nach § 210 SGB VI nicht, da er die allgemeine Wartezeit erfüllt habe. Der Gesetzeswortlaut sei eindeutig. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG liege nicht vor. Dadurch, dass nur solche Beamte Anspruch auf Beitragserstattung hätten, die die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt hätten, würden nicht gleiche Sachverhalte willkürlich ungleich behandelt. Es sei zu bedenken, dass der Kläger durch die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit - im Unterschied zu den Erstattungsberechtigten - bereits eine Anwartschaft für die Regelaltersrente nach dem SGB VI erworben habe, so dass schon deswegen keine wesentlich gleichen Sachverhalte vorlägen. Im Übrigen beruhe die Anrechnung des Rentenanspruchs auf den zukünftigen Pensionsanspruch nicht auf der hier maßgeblichen sozialrechtlichen Vorschrift des § 210 SGB VI, sondern allein auf einer beamtenrechtlichen Regelung, nämlich Art. 85 Abs. 2 BayBeamtVG, welche hier nicht streitgegenständlich sei.

Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 20.06.2017 am 21.06.2017 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 23.08.2017 dahingehend begründet, dass das SG in seinen Entscheidungsgründen die grundsätzliche Problematik verkenne, dass der Kläger, obschon er gegenüber der Beklagten ein Mehr geleistet habe, schlechter gestellt werde, als wenn er eben diese sechs Monate weniger gearbeitet hätte. Unstrittig hätte der Kläger einen Anspruch auf Auszahlung seiner gesamten Rentenversicherungsbeiträge, wäre die rentenversicherungspflichtige Beschäftigung bereits am 31.08.2002 beendet gewesen. Unter der Voraussetzung des Bezuges des Höchstruhegehaltes werde der gesetzliche Rentenanspruch zu 100 % angerechnet. Es sei mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, dass ein rentenversicherungspflichtiger Arbeitnehmer, der im Verhältnis zur Beklagten ein Mehr an Rentenversicherungsbeiträgen leiste, hierdurch im Zeitpunkt des Renten- bzw. Pensionsbezuges schlechter gestellt werde, als rentenversicherungspflichtige Beschäftigte, die sechs Monate weniger rentenversicherungspflichtig gearbeitet hätten. Dass diese Problematik erst später zum Tragen komme, sei Rechtsstreitigkeiten bezüglich Rentenbeiträgen immanent. Auch die Regelung des Art. 85 Abs. 2 BayBeamtVG könne zu keiner anderen Beurteilung führen. Es sei zwar richtig, dass die Anrechnungsregelung sich diesem Artikel entnehmen lasse. Zum einen stehe dem Kläger jedoch eine gerichtliche Überprüfung dieser Norm zum aktuellen Zeitpunkt mangels Bescheides nicht offen. Zum anderen sei die grundsätzliche Problematik in dem Zusammenspiel des § 210 Abs. 1a SGB VI mit Art. 85 Abs. 2 BayBeamtVG zu sehen. Weshalb daher die streitgegenständliche Norm nicht vom Kläger einzeln angegriffen werden könne, sei nicht ersichtlich. Einem Bürger, der gegenüber der Beklagten ein Mehr geleistet habe, am Ende ein Weniger zukommen zu lassen, sei nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Das Bundesarbeitsgericht habe in seiner Entscheidung vom 29.06.2017 festgehalten, dass Beschäftigungszeiten aus einem Beamtenverhältnis nicht in die Beschäftigungszeit gemäß § 34 TV-L einbezogen werden könnten. Dieser Argumentation folgend müsse man dann auch eine Differenzierung zwischen den rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten und dem Beamtenverhältnis einhalten. Der Kläger werde eben gerade wegen seiner Pensionsansprüche schlechter gestellt. Eine durchgängige Entkoppelung dieser beiden nebeneinander bestehenden Ansprüche müsse vor diesem Hintergrund erfolgen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.05.2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.08.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger aufgrund seines Antrags vom 22.04.2016 die von ihm entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.05.2017 zurückzuweisen.

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte nach § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).

Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 17.05.2017 die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Beklagte hat zu Recht mit streitgegenständlichem Bescheid vom 26.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.08.2016 einen Anspruch des Klägers auf Beitragsrückerstattung nach § 210 SGB VI abgelehnt.

Gemäß § 210 Abs. 1 SGB VI werden Beiträge auf Antrag erstattet: 1. Versicherten, die nicht versicherungspflichtig sind und nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung haben, 2. Versicherten, die die Regelaltersgrenze erreicht und die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt haben, 3 ...

Gemäß § 210 Abs. 1a SGB VI werden Beiträge auf Antrag auch Versicherten erstattet, die versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind, wenn sie die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt haben.

Der Kläger befindet sich in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit; er ist deswegen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI versicherungsfrei in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Anspruch auf Beitragserstattung nach § 210 Abs 1a SGB VI scheitert aber an der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit im Sinne des § 50 Abs. 1 SGB VI. Der Kläger hat unstreitig 66 Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt und hat damit die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (= 60 Monate) erfüllt.

Das SG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei § 210 SGB VI um eine eindeutige Regelung handelt, die weder zu Gunsten noch zu Ungunsten eines Versicherten ausgelegt werden kann und bei der auch wirtschaftliche Erwägungen eines Versicherten keine Rolle spielen können. Weiter hat das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die Problematik der Anrechnung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf eine Alterspension aus dem Beamtenverhältnis nicht aus dem SGB VI ergibt, sondern aus der hier einschlägigen Regelung des Art 85 Abs 2 BayBeamtVG. Dass eine solche Anrechnung sowohl beamtenrechtlich als auch verfassungsrechtlich zulässig ist, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zuletzt in seinem Beschluss vom 23.05.2017 (Az. 2 BvL 10/11, 2 BvL 28/14) nochmals bestätigt. Das BVerfG hat in diesem Beschluss unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des BVerfG - BVerfGE 55, 207, 239; 76, 256, 298, 357 - und Summer (Beiträge zum Beamtenrecht, 2007, Alimentationsprinzip gestern und heute, Seite 1, 6) ausdrücklich ausgeführt, dass der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums durch Anrechnungs- und Ruhensvorschriften das Ziel verfolgen dürfe, eine Doppel- oder Überversorgung eines Beamten zu vermeiden, und den Versorgungsberechtigten gegebenenfalls auch in einem bestimmten Rahmen auf Einkünfte aus einer anderen öffentlichen Kasse zu verweisen, sofern diese ebenfalls zur Existenzsicherung des Versorgungsberechtigten und seiner Familie zu dienen bestimmt seien (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 82, veröffentlicht bei juris). Der Senat schließt sich dieser Ansicht des BVerfG uneingeschränkt an.

Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG rügt, geht diese Argumentation grundlegend fehl. Jeder Beamte, der auf Lebenszeit verbeamtet ist und vor Eintritt in sein Beamtenverhältnis eine Versicherungspflicht von 66 Kalendermonaten - wie der Kläger - zurückgelegt hat, hat keinen Anspruch auf Beitragsrückerstattung. Wenn weniger als 60 Monate an Beitragszeiten vorliegen, würde jeder, der sich in einer vergleichbaren Situation befindet, auf entsprechenden Antrag hin seine Beiträge erstattet bekommen. Insoweit liegen bereits kein vergleichbarer Sachverhalt und deshalb auch keine Ungleichbehandlung vor. Darauf hatte sowohl die Beklagte als auch das SG bereits zutreffend hingewiesen. Der Kläger hat mit seinen 66 Beitragsmonaten auch unverfallbare und eigentumsrechtlich nach Art 14 Abs 1 GG geschützte Anwartschaften auf Gewährung einer Altersrente erworben, so dass er mit Erreichen der Regelaltersgrenze auch eine Rentenleistung von der Beklagten verlangen kann und diese auch erhalten wird. Dies ist bei Personen mit weniger als 60 Kalendermonaten grundsätzlich nicht der Fall. Ob und inwieweit eine Anrechnung auf die Versorgungsbezüge als Beamter erfolgt, regelt das Bayerische Beamtenversorgungsgesetz, das hier nicht zu überprüfen ist.

Von der Verhängung von Verschuldenskosten wurde abgesehen.

Nach alledem war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 u. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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