L 3 SB 3446/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 3645/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 3446/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. August 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung des nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) bei ihr festgestellten Grades der Behinderung (GdB).

Bei der 1964 geborenen Klägerin wurde am 20.01.2009 ein Mamma-Karzinom links im Tumorstadium cT1 N0 G2 festgestellt. Dieses wurde mit einer Segmentresektion der linken Brustdrüse unter Entfernung der Brustwarze am 30.01.2009 und mit anschließender Chemotherapie und Bestrahlung kuriert (Arztbericht der Dr. A., Diakonissenkrankenhaus B., vom 01.02.2009). Mit Bescheid vom 27.02.2009 stellte der Beklagte bei der Klägerin, gestützt auf die versorgungsmedizinische Beurteilung des Dr. C. (Erkrankung der linken Brust in Heilungsbewährung, Einzel-GdB 50) den GdB bei der Klägerin seit 06.02.2009 mit 50 fest.

Die Klägerin stellte am 20.02.2014 einen Änderungsantrag, mit dem sie die Erhöhung des GdB begehrte. Beigefügt war eine Stellungnahme der Frauenärztin Dr. D. vom Februar 2014, in der diese mitteilte, die Tamoxifen-Einnahme solle zum weiteren Rezidivschutz entsprechend der neueren Empfehlungen fortgesetzt werden. Trotz erfreulicherweise bisher rezidivfreiem Verlauf empfehle sie daher die Heilungsbewährung um weitere fünf Jahre zu verlängern. Die Klägerin machte weiterhin psychische und körperliche Belastungen und Erkrankungen infolge der Krebserkrankung geltend. Nach entsprechender Anhörung änderte der Beklagte mit Bescheid vom 06.06.2014 den Bescheid vom 27.02.2009 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab und stellte den GdB ab 09.06.2014 nur noch mit 20 fest. In der dem Bescheid zugrunde liegenden Stellungnahme des versorgungsmedizinischen Dienstes (wurde dabei der Teilverlust der linken Brust mit einem Einzel-GdB von 20, die depressive Verstimmung mit psychovegetativen Störungen mit einem Einzel-GdB von 10 und die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Arthrose beider Kniegelenke gleichfalls mit einem solchen von 10 bewertet. Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte eine Stellungnahme des Dr. E., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, (dortige Diagnose: Angst und depressive Störung gemischt, Somatisierungsstörung, psychosomatische Beschwerden) ein, half hierauf gestützt mit Teilabhilfebescheid vom 24.09.2014 dem Widerspruch der Klägerin insoweit ab, als der GdB nun mit 30 ab 09.06.2014 festgestellt wurde, und wies den Widerspruch im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.2014 zurück. Hinsichtlich der Brustkrebserkrankung sei Heilungsbewährung eingetreten.

Hiergegen hat die Klägerin am 30.10.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und, gestützt auf die auf zehn Jahre verlängerte Einnahme der zur adjuvanten Therapie verordneten Medikamente sowie die Vielzahl der weiteren, durch die Krebserkrankung hervorgerufenen Beschwerden, die Beibehaltung eines Gesamt-GdB von 50 geltend gemacht. Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen befragt. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die schriftlichen Zeugenaussagen des Allgemeinmediziners Dr. F., der Frauenärztin Dr. D., des Dr. G., Facharzt für Orthopädie und Chirotherapie, der Augenärztin Dr. H., des Betriebsarztes Dr. I., des Arztes und Diplom-Psychologen Dr. E. sowie der Diplom-Psychologin K. verwiesen.

Das SG hat weiterhin eine Begutachtung durch den Facharzt für Neurologie und Psychotherapie Dr. L. veranlasst. Dieser hat in seinem Gutachten vom 30.11.2015, gestützt auf eine ambulante Untersuchung der Klägerin am 26.11.2015 eine chronifizierte depressive Symptomatik mit Ängsten und einer erheblichen Selbstwertproblematik festgestellt. Da es sich hierbei um eine stärker behindernde Störung seelischer Art mit erheblicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit handele, sei diese mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Der Beklagte hat sich dieser Bewertung in der versorgungsmedizinischen Stellungnahme des Dr. M. vom Februar 2016, auch im Hinblick auf die Bewertung mit einem Einzel-GdB von 30, angeschlossen. Ein hierauf gestütztes Vergleichsangebot mit einem GdB von 40 hat die Klägerin nicht angenommen.

Das SG hat weiterhin eine fachorthopädische Begutachtung durch Dr. N. veranlasst. Dieser hat in seinem Gutachten vom 22.04.2016, gestützt auf eine ambulante Untersuchung am 19.04.2016, eine deutliche Fehlstatik der Wirbelsäule mit teilfixiertem Rundrücken bei geringer Bewegungseinschränkung im Bereich der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, eine leichte Daumensattelgelenksarthrose rechts ohne Funktionseinschränkung sowie eine Kniegelenksarthrose links und ein Retropatellarsyndrom beidseits ohne Funktionseinschränkung diagnostiziert und die Wirbelsäulenerkrankung mit einem Einzel-GdB von 20, die übrigen Erkrankungen mit einem solchen unter 10 bewertet. Unter Berücksichtigung sämtlicher Behinderungen auch der anderen Fachgebiete neige er zu einem Gesamt-GdB von 50, der indes grenzwertig hoch sei.

In einer versorgungsmedizinischen Stellungnahme hat Dr. O. für den Beklagten der Bewertung des Wirbelsäulenleidens mit einem Einzel-GdB von 20 zugestimmt, einen höheren Gesamt-GdB als 40 indes abgelehnt. Bei der Bildung des Gesamt-GdB sei zu berücksichtigen, dass der Einzel-GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden nicht voll ausgefüllt sei und zwischen dem Teilverlust der linken Brust mit den angenommenen psychischen Auswirkungen Überschneidungen zum Einzel-GdB von 30 auf psychischem Gebiet bestehen würden. Die Klägerin hat sich in einer Stellungnahme vom Juni 2016 mit dem Gutachten des Dr. N. kritisch auseinandergesetzt.

Mit Urteil vom 09.08.2016 auf Grund der mündlichen Verhandlung vom selben Tag hat das SG die Bescheide der Beklagten vom 06.06.2014 und 24.09.2014, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2014 insoweit aufgehoben, als darin ein GdB von weniger als 40 seit dem 09.06.2014 festgestellt worden ist, und hat im Übrigen die Klage abgewiesen. Aufgrund des Ablaufs der Heilungsbewährung liege eine Veränderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen vor, die den Beklagten zur Neubewertung des GdB berechtigt habe. Die nunmehr noch bestehenden Gesundheitsstörungen seien mit einem GdB von 40 insgesamt zu bewerten. So bestünden ausweislich der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. D. keine Anhaltspunkte für ein Rezidiv der Brustkrebserkrankung. Die psychischen Beschwerden seien der Einschätzung von Dr. L. und Dr. E. folgend als eine stärker behindernde psychische Störung mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Der Teilverlust der Brust als direkte Folge der Krebserkrankung sei mit einem Einzel-GdB von 20 als dem höchstmöglichen Wert zutreffend bewertet. Die Wirbelsäulenbeschwerden seien ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Dies entnehme man dem Gutachten des Dr. N ... Der Gesamt-GdB sei wiederum mit 40 zu bewerten. Soweit Dr. N. ausgeführt habe, er neige zu einem Gesamt-GdB von 50, sei zu beachten, dass es allein die Aufgabe des Gerichts sei, die Gesamtbewertung vorzunehmen.

Gegen das der Klägerin am 12.08.2016 zugestellte Urteil hat diese am 13.09.2016 Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung vorgetragen, bei ihr greife das Institut der Heilungsbewährung nicht, da beim Mamma-Karzinom erstmalige Rezidive auch nach Ablauf der Heilungsbewährung häufiger auftreten würden, als bei anderen Tumorfällen. Auf Grund dessen sei beim Mamma-Karzinom eine Nachsorgephase von mindestens 10 Jahren zu berücksichtigen. Das SG habe lediglich den Beklagten, nicht aber ihr die Möglichkeit zur Stellungnahme zum Gutachten des Dr. N. eingeräumt. Es sei für sie nicht nachvollziehbar, weshalb der Beklagte den für die Rückenbeschwerden angenommenen Einzel-GdB von 20 als nicht voll ausgefüllt ansehe. Damit sei ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden. Sie beantrage im Übrigen, den Sachverständigen Dr. N. ergänzend anzuhören, da der Beklagte und auch das SG in der Beurteilung der Wirbelsäulenbeschwerden und in der Bildung des Gesamt-GdB von Dr. N. abweichen würden. Es bestehe diesbezüglich eine Klärungs- und Erläuterungsbedürftigkeit seitens der Klägerin, weshalb ihr Recht auf ein faires Verfahren die ergänzende Anhörung gebiete. Das SG sei der Interpretation und Auslegung des Beklagten gefolgt, was ein Verstoß gegen des Prinzip der Waffengleichheit darstelle. Es sei nicht auszuschließen, dass es der Klägerin durch eine Befragung des Sachverständigen Dr. N. gelingen könne, die Auslegung durch das SG in Frage zu stellen. Weiterhin hat die Klägerin Befundberichte des Dr. P. vom 11.02.2016 und vom 08.06.2016, des Prof. Dr. Dr. Q., Klinikum Q., vom 24.08.2016 sowie einen pathologisch-anatomischen Befund des Dr. R. vom 23.08.2016 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. August 2016 abzuändern und die Bescheide vom 6. Juni 2014 und 24. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2014 aufzuheben.

hilfsweise

den Sachverständigen Dr. N. nochmals zu seinen Erwägungen zur Bildung des Gesamt-GdB anzuhören.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung sowie auf die im Berufungsverfahren vorgelegte versorgungsmedizinische Stellungnahme des Dr. M. vom November 2016.

Der Berichterstatter hat in der nichtöffentlichen Sitzung vom 24.01.2017 die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtige, nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Berufung durch Beschluss zu entscheiden. Den Beteiligten ist Gelegenheit eingeräumt worden, sich hierzu äußern.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beim Beklagten für die Klägerin geführten Verwaltungsakten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind, verwiesen.

II.

Die formgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig.

Zwar ist die Berufung beim LSG erst am 13.09.2016 und damit außerhalb der bis zum 12.09.2016 reichenden Monatsfrist für die Einlegung der Berufung nach § 151 Abs. 1 SGG eingegangen. Gemäß § 67 Abs. 1 SGG ist indes auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Eine unverschuldete Fristverletzung, die die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigt, liegt unter anderem dann vor, wenn ein Schriftstück ordnungsgemäß adressiert und den postalischen Bestimmungen entsprechend richtig frankiert so rechtzeitig zur Post gegeben wurde, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgerecht erreicht hätte. Dabei darf der Absender darauf vertrauen, dass die Post die normalen Postlaufzeiten einhält (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 67 Rn. 6 f., auch zum Nachfolgenden), d.h., ohne konkrete Anhaltspunkte darf darauf vertraut werden, dass an Werktagen aufgegebene Inlandssendungen im gesamten Bundesgebiet am ersten Tag nach der Einlieferung ausgeliefert werden. Die Klägerin hat die Berufung ausweislich ihres Vortrags wie auch des auf dem Briefkuvert befindlichen Poststempels am Samstag, den 10.09.2016 auf den Weg gebracht und durfte daher von einer Zustellung am nächsten Werktag, Montag, den 12.09.2016 und damit innerhalb der Monatsfrist, ausgehen. Der Klägerin war daher auch ohne ausdrücklichen Antrag (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Der Senat konnte die Berufung aber nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sind auch in Ansehung des Vorbringens der Klägerin nicht gegeben. Es bedurfte entgegen der klägerischen Auffassung keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung, insbesondere keiner Anhörung des Sachverständigen Dr. N. (hierzu später). Auch liegt in der Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entgegen der Auffassung der Klägerin keine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs. Dabei ist in die Ermessensentscheidung des Senats unter anderem der Gesichtspunkt eingeflossen, dass die Beteiligten bereits an der mündlichen Verhandlung vor dem SG teilgenommen haben und der Senat andererseits nicht über neue Tatsachen oder Rechtsfragen von erheblichem Gewicht zu entscheiden hatte. Auch gebot die Fürsorge- und Hinweispflicht des Senats es nicht, die Rechtssache neuerlich mündlich zu verhandeln, zumal bereits ein Erörterungstermin vor dem Berichterstatter stattgefunden hat. Denn die Klägerin hat sich in ihren sehr umfangreichen, mit medizinischen Ausführungen und einschlägiger Rechtsprechung versehenen Schriftsätzen als ausreichend rechtskundig erwiesen, um den weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht komplizierten Problemen des Sachverhalts Rechnung zu tragen.

In der Sache hat das SG zutreffend die rechtlichen Voraussetzungen für die Feststellung des GdB sowie für die Herabsetzung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X dargelegt und hat gleichfalls zutreffend die seelischen Gesundheitsstörungen der Klägerin mit einem Einzel-GdB von 30, die Gesundheitsstörungen infolge des Teilverlustes der Brust und die Wirbelsäulenbeschwerden mit einem solchen von jeweils 20 und hiervon ausgehend den Gesamt-GdB mit 40 bewertet und die Klage zu Recht abgewiesen, soweit darin die Beibehaltung eines höheren GdB als 40 begehrt worden ist. Der Senat schließt sich den Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung in vollem Umfang an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die dortigen Ausführungen. Das Berufungsvorbringen der Klägerin rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Gemäß den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), Teil B Nr. 14.1 (S. 86) beträgt die Heilungsbewährung nach Entfernung eines malignen Brustdrüsentumors fünf Jahre. Eine längere Heilungsbewährung ist nicht vorgesehen, auch nicht für den Fall einer über fünf Jahre hinaus dauernden Nachsorgephase, wie hier bei der Klägerin mit Termoxifen. Darüber hinaus hat Prof. Dr. Dr. Q. im Arztbrief vom 24.08.2016 mitgeteilt, dass auf eine weitere Fortführung der Termoxifen-Therapie ohnedies verzichtet werde. Die Heilungsbewährung ist damit im Februar 2014 abgelaufen. Ein Rezidiv ist auch weiterhin nicht mehr aufgetreten. Im Hinblick auf einen auffälligen PAP-Abstrich hat sich ausweislich des pathologisch-anatomischen Befundberichts des Dr. R. kein Anhalt für Malignität ergeben, weshalb diesbezüglich keine weiteren operativen Konsequenzen, sondern zunächst nur eine engmaschige Nachsorge indiziert ist (Prof. Dr. Dr. Q.). Auch die von der Klägerin vorgelegten, das orthopädisch-chirurgische Gebiet betreffenden, Arztberichte vermögen keinen höheren Einzel-GdB zu rechtfertigen, sondern haben vielmehr die Beurteilung durch Dr. N. bestätigt. So hat Dr. P. ausweislich seines Arztbriefes vom 12.04.2016 bei Muskelverspannungen eine frei bewegliche Halswirbelsäule, Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule ohne neurologische Defizite festgestellt. Dies belegt neuerlich, dass die Beurteilung des Dr. N., der die Wirbelsäulenschäden mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet wissen will, jedenfalls nicht zu niedrig angesetzt ist. Denn für die Bewertung mit einem Einzel-GdB von wenigstens 30 wären gemäß den VG, Teil B Nr. 18.9 (S. 107) schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder doch wenigstens mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten erforderlich, die hier nicht vorliegen. In einem weiteren Arztbrief vom 11.02.2016 hat Dr. P. die Beurteilung der leichten Daumensattelgelenksarthrose rechts durch Dr. N. bestätigt. Auch Dr. P. hat röntgenologisch lediglich eine initiale Daumensattelgelenksarthrose bei freier Beweglichkeit festgestellt, weshalb die Beurteilung des Dr. N., wonach ein Einzel-GdB von wenigstens 10 nicht erreicht wird, nach wie vor Gültigkeit behält. Die von der Klägerin beklagte Osteopenie rechtfertigt keinen Einzel-GdB. Gemäß den VG, Teil B Nr. 18.1 (S. 103) ist der GdB bei ausgeprägten osteopenischen Krankheiten (z.B. Osteoporose, Osteopenie bei hormonellen Störungen) vor allem von der Funktionsbeeinträchtigung und den Schmerzen abhängig. Eine ausschließlich messtechnisch nachgewiesene Minderung des Knochenmineralgehalts rechtfertigt dagegen noch nicht die Annahme eines GdB. Anhaltspunkte für Funktionsbeeinträchtigungen oder gar Schmerzen auf Grund der Osteopenie liegen indes nicht vor. Vielmehr hat Dr. P. in seinem Arztbrief vom 08.06.2016 lediglich von einer nachgewiesenen Osteopenie ohne erhöhtes Frakturrisiko berichtet.

Soweit die Klägerin die unterbliebene Berücksichtigung der Kniegelenksarthrose links und der Einschränkung der Zehenbeweglichkeit rechts geltend macht, sind diese Gesundheitsstörungen in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. N. mit einem Einzel-GdB von höchstens 10 zu bewerten. So hat Dr. N. im Bereich der Kniegelenke keinen Reizzustand festgestellt und eine freie Gelenksbeweglichkeit erhoben. Mangels einer Bewegungseinschränkung im Kniegelenk kommt insoweit von vorneherein kein Einzel-GdB zum Tragen (vgl. VG, Teil B Nr. 18.14, S. 117). Zwar verweist Dr. N. darauf, dass im Rahmen einer Kniegelenksspiegelung bereits im April 2010 drittgradige Knorpelschäden im innerseitigen Kniegelenkskompartiment festgestellt worden sind. Indessen rechtfertigen auch ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke ohne Bewegungseinschränkung nur bei anhaltenden Reizerscheinungen die Zuerkennung eines Einzel-GdB von wenigstens 10 (vgl. VG, Teil B Nr. 18.14, S. 117). An solchen anhaltenden Reizerscheinungen fehlt es vorliegend indes. Auch im Hinblick auf die Einschränkung der Zehenbeweglichkeit kommt kein höherer GdB in Betracht. Nachdem selbst die Versteifung aller Zehen eines Fußes in günstiger Stellung lediglich einen Einzel-GdB von 10 rechtfertigt (VG, Teil B Nr. 18.14, S. 118), vermag die von Dr. N. angetroffene hälftige Bewegungseinschränkung im Großzehengrundgelenk rechts sowie die Beugeeinschränkung im Mittelgelenk des zweiten Zeh rechts gleichfalls keinen Einzel-GdB zu rechtfertigen.

Unter Berücksichtigung des Vorstehenden hat das SG den Gesamt-GdB mit 40 im Ergebnis zutreffend ermittelt. Ausgehend von den Gesundheitsstörungen auf seelischem Gebiet als der Funktionsbeeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB, nämlich 30, rechtfertigt der weitere Einzel-GdB von 20 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule einen Gesamt-GdB von 40. Die weitere Funktionsbeeinträchtigung in Gestalt des Teilverlustes der linken Brust mit einem Einzel-GdB von 20 führt dagegen gemäß den VG, Teil A Nr. 3d) cc) und ee) (S. 22 f.) nicht zu einer weiteren wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Behinderung. Zutreffend verweist Dr. O. darauf, dass der Teilverlust der linken Brust zu weiten Teilen psychische Auswirkungen hat und damit erhebliche Überschneidungen zum Einzel-GdB von 30 auf seelischem Gebiet bestehen. So führt Dr. L. in seinem Gutachten die seelischen Begleiterscheinungen auch in ihrem Ausmaß auf die von der Klägerin als extrem kränkend erlebte Brustoperation mit anschließender Bestrahlung und Chemotherapie zurück. Da weitere Einzel-GdB nicht gegeben sind bzw. - soweit man in Übereinstimmung mit dem Beklagten und Dr. N. die Kniegelenksarthrose links und die Einschränkung der Zehenbeweglichkeit zusammen mit einem Einzel-GdB von 10 bewerten will - lediglich ein den Gesamt-GdB gemäß den VG, Teil A Nr. 3d) ee) (S. 22) nicht erhöhender Einzel-GdB von 10 tritt, sind die bei der Klägerin nach Ablauf der Heilungsbewährung vorliegenden Gesundheitsstörungen in Übereinstimmung mit der angefochtenen Entscheidung mit einem Gesamt-GdB von 40 zu bewerten. Soweit die Klägerin mit ihrer Anfechtungsklage darüber hinaus die Aufhebung der Bescheide vom 06.06.2014 und 24.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2014 auch insoweit begehrt, als damit der Gesamt-GdB von 50 auf 40 herabgesetzt worden ist, hat die Klage keinen Erfolg.

Soweit die Klägerin weiterhin geltend macht, ihr sei im erstinstanzlichen Verfahren nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden, geht dieser Vorwurf von vornherein fehl. Denn die Klägerin hatte zum einen in der mündlichen Verhandlung vor dem SG, zum anderen aber auch auf Grund der Übersendung des Gutachtens des Dr. N. sowie der Stellungnahme des Beklagten ausreichend Gelegenheit, sich zu äußern, und hat hiervon im Übrigen auch mit dem umfangreichen Schriftsatz vom 20.06.2016 Gebrauch gemacht.

Den Antrag der Klägerin auf ergänzende Befragung des Dr. N. lehnt der Senat ab. Die Klägerin begehrt sinngemäß die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen zur aus ihrer Sicht abweichenden Beurteilung des für die Wirbelsäulenbeschwerden anzuerkennenden Einzel-GdB und des insgesamt zu bildenden Gesamt-GdB durch den Beklagten und das SG. Bezogen auf die Wirbelsäulenbeschwerden und den hierfür zuzuerkennenden Einzel-GdB, wie auch bezogen auf die Beurteilung der übrigen vom Sachverständigen festgestellten orthopädischen Gesundheitsstörungen liegt aber eine - einzig relevante - abweichende Beurteilung durch den Senat (wie auch wohl durch das SG) schon nicht vor; vielmehr folgt der Senat der Beurteilung des Dr. N. insoweit in vollem Umfang. Im Hinblick auf die Bildung des Gesamt-GdB verkennt die Klägerin die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nur bei der Feststellung der einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen als ersten Schritt ausschließlich ärztliches Fachwissen heranziehen müssen. Bei der Bemessung des Gesamt-GdB (wie übrigens auch bei derjenigen der Einzel-GdB) kommt es indessen nach § 69 SGB IX maßgeblich auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft an (BSG, ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss vom 09.12.2010, B 9 SB 35/10 B, juris, auch zum Nachfolgenden). Bei diesem zweiten und dritten Verfahrensschritt hat das Tatsachengericht über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen, die in die VG einbezogen worden sind. Rechtlicher Ausgangspunkt für die Beurteilung ist dabei stets § 69 Abs. 1, 3 und 4 SGB IX, wobei die VG diese gesetzlichen Vorgaben umsetzen (und wobei auch medizinische Sachkunde zum Tragen kommt). Die Bewertung des GdB ist damit nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) Sache des Gerichts, nicht des Sachverständigen. Dieser hat (nur) die Grundlagen für die Schätzung zu ermitteln und einen Vorschlag zur Bewertung zu machen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 128 Rn. 3g). Damit stellt der Antrag der Klägerin, dem Sachverständigen Dr. N. Gelegenheit zu geben, seine Erwägungen zur Bildung des Gesamt-GdB nochmals dazulegen, keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag dar; insoweit hätte es vielmehr weiteren Vortrags bedurft, weshalb Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden haben soll (BSG, Beschluss vom 20.11.2012, B 9 SB 36/12 B, juris, auch zum Nachfolgenden). Da die Bemessung des Gesamt-GdB nicht ausschließlich auf der Beurteilung medizinischer Befunde beruht, hätte ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag die Darlegung etwaiger Lücken in den medizinischen Feststellungen enthalten müssen.

Anlass für eine ergänzende Befragung des Sachverständigen von Amts wegen sieht der Senat auch in Würdigung des danach lediglich als Beweisanregung anzusehenden Antrags der Klägerin aus den vorstehenden Gründen nicht.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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