S 32 AL 37/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
32
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 32 AL 37/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 75/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 37/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangener Änderungsbescheid wird nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens.

2. Bei einem Widerspruchsverfahren mit mehreren Streitgegenständen ist eine einheitliche Kostenentscheidung zu treffen.

3. Soweit im Bemessungsrahmen krankheitsbedingt nicht genügend Tage mit Arbeitsentgelt festgestellt werden können, ist eine fiktive Einstufung vorzunehmen.

4. Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass das Arbeitslosengeld bei einer langandauernde Arbeitsunfähigkeit nicht nach dem früher erzielten Arbeitsentgelt zu berechnen ist, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Arbeitsunfähigkeit kann insofern tatsächlich dazu führen, dass der zuletzt erzielte Lohn nicht mehr erzielt werden kann.
Die Klage wird abgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten i. H. v. 1,6 % zu erstatten. Weitere außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Arbeitslosengeldanspruches.

Der 1956 geborene Kläger war seit dem 01.10.2009 als Diplom-Ingenieur und Gruppenleiter in B.-Stadt beschäftigt gewesen. Er war seit dem 27.08.2012 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Nach Durchführung einer Kur führte er im Zeitraum vom 19.11.2012 bis 07.12.2012 eine Wiedereingliederungsmaßnahme durch, welche erstmal erfolgreich war. Der Kläger war im Zeitraum vom 08.12.2012 bis 22.04.2013 und somit an 135 Tagen beschäftigt gewesen. Im Zeitraum vom 23.04.2013 bis 09.09.2014 war er wieder arbeitsunfähig erkrankt und bezog bis zur Ausschöpfung des Leistungsanspruches Krankengeld. Er meldete sich am 05.09.2014 persönlich arbeitslos und stellte einen Antrag bei der Beklagten auf Arbeitslosengeld ab dem 10.09.2014.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 06.11.2014 fest, dass der Kläger auf Grund seiner Tätigkeit als Ingenieur in die Qualifikationsgruppe 1 einzuordnen sei, welche eine Ausbildung an einer Hochschule oder Fachhochschule voraussetzte. Da sie bei dem Kläger in den letzten zwei Jahren weniger als 150 Tage Anspruch auf Arbeitsentgelt feststellte, sei bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Mit Bewilligungsbescheid vom 10.11.2014 bewilligte sie ihm Arbeitslosengeld i. H. v. 46,31 EUR täglich für den Zeitraum vom 10.09.2014 bis 09.09.2016 und einer Anspruchsdauer von 720 Tagen. Sie legte dabei den Prozentsatz von 60 % zu Grunde.

Der Kläger legte gegen diesen Bewilligungsbescheid am 28.11.2014 einen Widerspruch zur Niederschrift ein. Er stellte den Sinn und Zweck des § 152 SGB III in Frage. Soweit er im Bemessungszeitraum 14 Tage länger gearbeitet hätte, wäre sein Arbeitslosengeld nach dem erzielten Arbeitsentgelt zu berechnen gewesen und somit höher gewesen. Dies könne nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein. Er begründete seinen Widerspruch zudem damit, dass für September 2014 noch Kindergeld für seine Tochter bezahlt wurde, sodass ein Leistungsentgelt i. H. v. 67 % Berücksichtigung finden müsse. Dazu legte er den Aufhebungsbescheid für Kindergeld vom 15.10.2014 vor, wonach Kindergeld erst ab dem 01.10.2014 aufgehoben wurde.

Die Beklagte wies den Widerspruch hinsichtlich der Bemessung des Arbeitslosengeldes mit Widerspruchsbescheid vom 03.02.2015 zurück. Nach § 150 SGB III umfasse der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasse ein Jahr und ende mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruches. Im Falle des Klägers umfasse der Bemessungsrahmen die Zeit vom 10.09.2013 bis 09.09.2014. Da der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalte, sei er bei dem Kläger nach § 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre und damit auf den Zeitraum vom 10.09.2012 bis 09.09.2014 zu erweitern. Da auch im erweiterten Bemessungszeitraum kein Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Dauer von mindestens 150 Tage festgestellt werden konnte, sei nach § 152 SGB III als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes des Klägers sei ein fiktives Arbeitsentgelt nach der Qualifikationsgruppe 1 zugrunde zu legen, weil sich die Vermittlungsbemühungen für ihn auf Beschäftigungen dieser Qualifikationsgruppe erstrecke. Die Einwände des Klägers könnten keine Berücksichtigung finden, insbesondere könnten die von ihm geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht geteilt werden. Der Gesetzgeber habe einen nur eingeschränkt überprüfbaren Einschätzungsspielraum. Die Höhe des Arbeitslosengeldes sei zutreffend ermittelt worden.

Sie hob mit Bescheid vom 04.02.2015 die Bewilligungsentscheidung von Arbeitslosengeld ab dem 01.02.2015 wegen der Aufnahme einer Beschäftigung auf. Die Beklagte berücksichtigte mit Änderungsbescheid vom 11.02.2015 für 10.09.2014 bis 30.09.2014 einen höheren Leistungsbetrag von 51,72 EUR. Grund für diese Änderung war die Berücksichtigung der Tochter des Klägers und die daraus folgende Erhöhung des Leistungsbetrags von 60 % auf 67 %. Zugleich erließ sie einen Abhilfebescheid vom 11.02.2015, wonach sie den Bescheid vom 28.11.2014 aufhebt und ihn durch den Änderungsbescheid vom 11.02.2015 ersetzt. Zudem verfügte sie, dass die dem Kläger entstandenen Kosten auf Antrag erstatten wird, soweit sie notwendig waren und nachgewiesen sind.

Der Kläger hat am 11.02.2015 mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom gleichen Tag Klage gegen den Widerspruchsbescheid erhoben. Er wiederholt seine Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren und teilt mit, dass er ein konkretes Normenkontrollverfahren nach Art. 100 GG anstrebe. Er hält zudem den Sachverhalt eines langjährigen, ungekündigten Arbeitsverhältnisses nach der Aussteuerung aus dem Krankengeldbezug nicht mit dem von dem Bundessozialgericht entschiedenen Sachverhalt, welcher Mutterschutz und Kündigung zum Gegenstand hatte, vergleichbar. Es sei durchaus ein Verstoß gegen Art. 3 GG gegeben. Bei ihm lägen keine Gründe für eine Vereinfachung der Bearbeitung vor.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 06.11.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.02.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2015 Arbeitslosengeld nach seinem Arbeitsentgelt zu bemessen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und verweist auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.05.2008, Az.: B 11a/7a AL 64/06.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht bei dem örtlich zuständigen Gericht gemäß §§ 57 Abs. 1, 78, 87 Abs. 2 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden. Sie ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft.

II. Der Klageantrag muss nach § 123 SGG ausgelegt werden. Danach entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne dabei jedoch an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Soweit der Antrag nicht deutlich ist, hat das Gericht auf sachdienliche und klare Anträge hinzuwirken. Erforderlichenfalls muss der Antrag ausgelegt werden, wobei von dem auszugehen ist, was der Kläger mit der Klage erreichen möchte (Keller in Meyer-Ladewig, § 123 Rn. 3). Dabei ist nicht der Wortlaut der Erklärung maßgebend, sondern der wirkliche Wille (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Auflage 2016, VII. Kapitel, Rn. 63). Das mit der Klage verfolgte Ziel muss aus dem gesamten Vorbringen des Klägers ermitteln werden (Krasney/Udsching, aaO).

Eine Auslegung des Klageantrags ergibt, dass der Kläger einerseits den Bewilligungsbescheid vom 10.11.2014 anfechten wollte und er andererseits auch der Bemessungsbescheid vom 06.11.2014 anfechten wollte. Der Bemessungsbescheid vom 06.11.2014 und der Bewilligungsbescheid vom 10.11.2014 bilden insoweit eine untrennbare rechtliche Einheit.

III. Gegenstand des Verfahrens ist der Bemessungsbescheid vom 06.11.2014 in Verbindung mit dem Bewilligungsbescheid vom 10.11.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.02.2015 sowie des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2015. Der Änderungsbescheid vom 11.02.2015 wird dabei nach Ansicht des erkennenden Gerichts nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens. Insofern kann die Widerspruchsbehörde einen nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangenen Änderungsbescheid nicht mehr in ihre Entscheidung einbeziehen (Becker in Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, 1. Auflage 2014, § 86 Rn. 10). Dafür spricht auch die Gesetzesbegründung, wonach ein neuer Verwaltungsakt in das Klageverfahren nur dann einbezogen werden soll, wenn er nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt oder abgeändert wird. Gleichzeitig soll sich die neue Regelung auf den Zeitraum zwischen Erlass des Widerspruchsbescheides und Klageerhebung erstrecken (BT-Drs. 16/7716, S. 19). Nach Ansicht des Gerichts handelt es sich auch um ein einheitliches Widerspruchsverfahren gegen den Bewilligungsbescheid vom 10.11.2014, auch wenn der Kläger diesen Bescheid mit zwei Argumentationssträngen angegriffen hat. Insofern hat die Beklagte ein solches Widerspruchsverfahren auch einheitlich zu behandeln und keine künstliche Aufspaltung vorzunehmen.

IV. Sie ist jedoch unbegründet. Der Bewilligungsbescheid vom 06.11.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.02.2015 sowie des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2015 ist rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Ihm steht kein Anspruch gegen die Beklagte auf höheres Arbeitslosengeld zu.

Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist §§ 136 - 138 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Die Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld richten sich dabei nach §§ 149 - 153 SGB III.

1. Nach § 137 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit persönlich arbeitslos gemeldet hat und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Arbeitslosigkeit liegt nach § 138 Abs. 1 SGB III vor, wer beschäftigungslos ist, sich bemüht seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und den Vermittlungsverfügungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht. Der Kläger war im fraglichen Zeitraum ohne Beschäftigung und bemühte sich, wie die Aufnahme einer Beschäftigung ab dem 01.02.2015 zeigte, diese Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Er stand zudem den Vermittlungsbemühungen der Beklagten objektiv und subjektiv zur Verfügung.

2. Die Beklagte hat zudem zutreffend dem Kläger nach Einreichung des Kindergeldbescheides im Widerspruchsverfahren einen Anspruch auf Arbeitslosengeld i. H. v. 67 %für den Monat Oktober 2014 zuerkannt.

3. Nach § 149 SGB III beträgt die Höhe des Arbeitslosengeldes 67 Prozent des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, welches der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Nach § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Nach § 150 Abs. 1 Satz 2 SGB III umfasst der Bemessungsrahmen ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs.

Der Bemessungsrahmen umfasst somit originär den Zeitraum vom 10.09.2013 bis 09.09.2014. In diesem Zeitraum hat der Arbeitgeber gegenüber dem Kläger keine Entgeltabrechnungszeiträume abgerechnet. Der Kläger war vielmehr arbeitsunfähig erkrankt, sodass er in diesem Zeitraum nicht versicherungspflichtig beschäftigt war. Auf Grund des Bezugs von Krankengeld endete das letzte feststellbare Versicherungspflichtverhältnis am 09.09.2014, vgl. § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III.

Nach § 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III ist in einem Fall, in dem der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Ansprüchen auf Arbeitsentgelt enthält, der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre zu verlängern. Bei einer Verlängerung des Bemessungsrahmens ist jedoch festzustellen, dass der Arbeitgeber des Klägers gegenüber diesem in der erweiterten Rahmenfrist lediglich 135 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt abgerechnet hat.

Folglich konnte auch im erweiterten Bemessungsrahmen kein Anspruch auf Arbeitsentgelt von mindestens 150 Tage festgestellt werden. In einem solchen Fall greift die Rechtsfolge des § 152 Abs. 1 SGB III, wonach als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen ist. Zutreffend hat die Beklagte dabei den Kläger als studierten Diplom-Ingenieur nach § 152 Abs. 2 SGB III in die Qualifikationsgruppe 1 eingeordnet. Die Berechnung des zu Grunde gelegten Leistungsentgelts ergibt sich dabei nach §§ 152, 153 SGB III. Die Bezugsgröße nach § 18 Abs. 4 SGB IV betrug dabei im Jahre 2014 33.180,-EUR, sodass sich bei Dividieren durch 300 ein Bemessungsentgelt in Form eines fiktives Arbeitsentgelts von 110,60 EUR täglich zu Grunde zu legen ist. Nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben nach § 153 Abs. 1 SGB III ergibt sich ein tägliches Leistungsentgelt i. H. v. 77,19 EUR. 67 % davon ergibt einen täglichen Betrag i. H. v. 51,72 EUR täglich, sodass die Beklagte die Höhe des Arbeitslosengeldes zutreffend ermittelt hat.

4. Die so durchgeführte Berechnung ist auch nicht verfassungswidrig, insbesondere verstößt sie nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Art 3 Abs. 1 GG wäre allerdings verletzt, wenn sich ein vernünftiger Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt bzw. wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht, solange er diese Auswahl sachgerecht und nicht willkürlich trifft. Seine Gestaltungsfreiheit wird lediglich durch andere Verfassungsnormen zusätzlich eingeschränkt. Eine sachgerechte und nicht willkürliche Auswahl lässt sich nur in Eigenart des konkret geregelten Sachbereichs treffen (BSG, Urteil vom 29. Mai 2008, Az.: B 11a AL 23/07 R – juris – Rn. 39).

Danach bestehen keine durchgreifende Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber bei allen Versicherten, die keinen ausreichend zeitnahen Bemessungszeitraum von wenigstens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vorweisen können, die Indizwirkung des zuletzt erzielten Lohnes für den auf Grund des Versicherungsfalls derzeit eintretenden Lohnausfalls als nicht mehr gewährleistet ansieht und deshalb stattdessen den voraussichtlich aktuell erzielbaren Lohn zur Bemessungsgrundlage erhebt. Die Aktualisierung der Bemessungsgrundlage ist als solche sachgerecht, weil sie dem Lohnersatzcharakter des Arbeitslosengeldes und damit einem zentralen Grundgedanken der zu regelnden Materie Rechnung trägt. Diese Rechtsfolge und das zu Grunde liegende Anliegen, das Arbeitsentgelt aus weit zurückliegenden Beschäftigungszeiten in der Regel als Bemessungsgrundlage auszuschließen, entsprechen vielmehr der Funktion des Arbeitslosengeldes als Lohnersatzleistung (BSG, Urteil vom 29. Mai 2008, Az.: B 11a AL 23/07 R – juris – Rn. 40). Das Arbeitslosengeld soll dem Arbeitslosen angemessenen Ersatz für den Ausfall leisten, den er dadurch erleidet, dass er gegenwärtig keinen bezahlten Arbeitsplatz findet. Die existenzsichernde Natur des Arbeitslosengeldes erfordert dabei aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität eine einfache und beschleunigte Feststellung und Auszahlung des Arbeitslosengeldes. Insofern muss auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der individuell eingetretene Lohnausfall nicht bestimmbar ist, die Höhe des Arbeitslosengeldes nach typisierenden und pauschalierenden Merkmalen bestimmt werden. Das im Bemessungszeitraum erzielte Arbeitsentgelt kann typisierende Indizwirkung dafür beigemessen werden, dass der Arbeitslose dieses Entgelt auch erzielen könnte, wenn er tatsächlich beschäftigt wäre. Dies wird regelmäßig auch der Funktion des Arbeitslosengeldes als Lohnersatzleistung, die an einem möglichst zeitnahen Lohnniveau anknüpft, gerecht. Ein länger zurückliegender Bemessungszeitraum rechtfertigt insofern nicht mehr die Vermutung, dass der Arbeitslose dasselbe Arbeitsentgelt auch in Zukunft verdienen könnte. Diese Überlegung des Gesetzgebers ist nicht zu beanstanden, sondern entsprechen dem Grundsatz, dass sich das Arbeitslosengeld zur Sicherstellung der Vermittelbarkeit des Arbeitslosen an dem Arbeitsentgelt orientieren soll, welches ohne Arbeitslosigkeit durch Erwerbstätigkeit im Leistungszeitraum erzielbar wäre (BSG, Urteil vom 29. Mai 2008, Az.: B 11a AL 23/07 R – juris – Rn. 43). Dabei kann die Anpassung der Bemessungsgrundlage an die aktuellen Verhältnisse im Einzelfall auch zu einem höheren Anspruch auf Arbeitslosengeld führen. Diese Anpassung der Bemessungsgrundlage an die aktuellen Verhältnisse ist unabhängig davon sachgerecht, worauf die längere Unterbrechung der Erwerbstätigkeit jeweils beruht (BSG, Urteil vom 29. Mai 2008, Az.: B 11a AL 23/07 R – juris – Rn. 44).

Diese Überlegungen sind auch auf den vorliegenden Fall übertragbar. Der Kläger hatte krankheitsbedingt im erweiterten Bemessungsrahmen keinen ausreichenden Zeitraum mit Anspruch auf Arbeitsentgelt. Bei Bestehen einer langandauernde Erkrankung, die dazu führt, dass weniger als 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt im Bemessungszeitraum bestehen, ist die Einschätzung des Gesetzgebers, dass der zurückliegende Lohn nicht erzielt werden kann, nicht zu beanstanden. Bei langandauernde Arbeitsunfähigkeit ist nämlich insoweit zu berücksichtigen, dass diese Arbeitsunfähigkeit tatsächlich dazu führen kann, dass das vor der Erkrankung erzielte Arbeitsentgelt krankheitsbedingt tatsächlich nicht mehr erzielt werden kann. Insofern ist vor diesem Hintergrund gerechtfertigt, die Indizwirkung des zuletzt erzielten Lohnes nicht mehr als gewährleistet anzusehen und stattdessen den voraussichtlich aktuell erzielbaren Lohn zur Bemessungsgrundlage zu erheben. Ein länger zurückliegender Bemessungszeitraum rechtfertigt insofern nicht die Vermutung, dass der Arbeitslose dasselbe Arbeitsentgelt auch in Zukunft verdienen wird. Auch in einem solchen Fall soll das Arbeitsentgelt zur Sicherstellung der Vermittelbarkeit des Arbeitslosen an dem Arbeitsentgelt orientieren, welches ohne Arbeitslosigkeit im Leistungszeitraum erzielbar wäre. Die Anpassung der Bemessungsgrundlage an die aktuellen Verhältnisse ist zudem unabhängig nach dem Grund für die längere Unterbrechung der Erwerbstätigkeit. Die Aktualisierung der Bemessungsgrundlage ist somit sachgerecht und nicht willkürlich. Sie ist zudem durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt.

V. Die Beklagte hat lediglich nach § 193 SGG die geringen Kosten zu tragen, da sie im Rahmen des Klageverfahrens dem Kläger höheres Arbeitslosengeld bewilligt hatte. Insofern ist seitens der Beklagten bei einem Widerspruchsverfahren auch bei mehreren Streitgegenständen eine einheitliche Kostenentscheidung zum Abschluss des Verfahrens zu treffen und nicht eine künstliche Aufspaltung vorzunehmen. Bei der Berechnung der Kostenquote hat sich das Gericht an der in der Akte befindlichen Arbeitsbescheinigung orientiert. Der Kläger begehrt insoweit die Berücksichtigung seines vollen Gehalts, sodass er ein Bemessungsentgelt i. H. v. 193,58 EUR kalendertäglich zu Grunde gelegen haben möchte. Davon ist ein geschätzter Betrag von ca. 28 % für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abzusetzen und davon 67 % zu berechnen; insgesamt begehrt der Kläger ungefähr einen geschätzten Leistungsbeitrag von 94,08 EUR kalendertäglich. Abzüglich bereits gewährten kalendertäglich gewährten 46,31 EUR begehrt der Kläger nach Schätzung des Gerichts ungefähr einen Gesamtbetrag von 6.687,39 EUR. Erfolgreich war die Klage aber nur hinsichtlich des Leistungsbetrags für September 2014 i. H. v. 108,20 EUR. Die Kostenquote ergibt sich aus dem Verhältnis dieser beiden Zahlen. Die Berufung ist nach §§ 143, 144 SGG zulassungsfrei möglich.
Rechtskraft
Aus
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