L 18 AS 2232/17 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AS 12248/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2232/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 4. Oktober 2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde (§§ 173, 174 SGG) ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs im Ergebnis zutreffend abgelehnt. Der Eilantrag wurde als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des damals noch anhängigen Widerspruchs gestellt und ist im Beschwerdeverfahren dahingehend auszulegen, dass der Antrag sich nunmehr auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 21. Oktober 2017 erhobenen Klage richtet.

Widerspruch und Klage gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt (EGVA) haben gemäß § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) keine aufschiebende Wirkung, dh der EGVA ist sofort vollziehbar. In einem solchen Fall kann gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsakts bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen der Abwägung hat neben den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache die Frage der Eilbedürftigkeit wesentliche Bedeutung. Nur bei offenbarer Rechtswidrigkeit der angegriffenen Regelung ist die Feststellung einer besonderen Eilbedürftigkeit entbehrlich. In Fällen des § 39 SGB II, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug den Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt, ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung die mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 86b Rn 12c ff).

Bei der Interessensabwägung ist neben den Erfolgsaussichten in der Hauptsache somit von besonderer Bedeutung, ob eine Dringlichkeit für das im Eilverfahren geltend gemachte Begehren vorliegt. Hier wendet sich der Antragsteller gegen den Sofortvollzug der Pflichten aus dem EGVA. Er will damit letztlich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes klären, ob er den Pflichten Folge leisten muss oder bei Missachtung der Pflichten Sanktionen gemäß den §§ 31 ff SGB II riskiert. Weil Sanktionen in dem strittigen Bescheid nicht festgelegt und bislang auch nicht anderweitig vom Antragsgegner verlautbart worden sind, begehrt der Antragsteller hier zum einen vorbeugenden Rechtsschutz. Für vorbeugenden Rechtsschutz ist ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse erforderlich, das insbesondere dann nicht gegeben ist, wenn der Betroffene auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Wenn indes - wie hier - ein Betroffener nicht nur eine mögliche drohende Sanktion abwenden, sondern sich gegen den EGVA insgesamt wenden möchte, dürfte zwar grundsätzlich von einem Rechtsschutzinteresse auszugehen sein (vgl auch zur Verweisbarkeit auf nachtäglichen Rechtsschutz: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. November 2015 - 1 BvR 3460/13 - juris). Auch dies enthebt das Gericht im Eilrechtsschutz jedoch nicht der Prüfung der Dringlichkeit der begehrten Anordnung.

Dem Antragsteller drohen derzeit keine unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteile, die eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen erfordern würden. Eine Sanktionsentscheidung wegen etwaiger Verletzungen der dem Antragsteller in dem EGVA auferlegten Pflichten hat der Antragsgegner bislang nicht verlautbart. Sollten derartige Sanktionen in der Zukunft ergehen, bliebe es dem Antragsteller unbenommen, seine Einwendungen gegen den EGVA im Wege einer Anfechtung des bei Pflichtverletzungen drohenden Sanktionsbescheides bzw eines gerichtlichen Eilverfahrens geltend zu machen. In diesem Rahmen wäre dann auch die Rechtmäßigkeit des EGVA inzident zu prüfen (vgl zur Rechtmäßigkeit einer Meldeaufforderung als Vorfrage für die Feststellung eines Meldeversäumnisses Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R = SozR 4-4200 § 31a Nr 1). Auch ein Eintritt der Bestandskraft des EGVA, die dem Antragsteller möglicherweise entgegen gehalten werden könnte (vgl insoweit das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen einen EGVA bejahend Landessozialgericht – LSG - Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Juni 2017 – L 25 AS 1631/16 – juris; für das Anordnungsverfahren – bei bereits ergangener Sanktionsentscheidung - LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. September 2017 – 14 AS 1469/17 B ER - juris), ist vorliegend schon deshalb nicht zu besorgen, weil der Antragsteller zwischenzeitlich Klage gegen den EGVA erhoben hat. Eine gegenwärtige Notlage des Antragstellers, die gerichtlichen Eilrechtsschutz unumgänglich machen würde, ist damit nicht ersichtlich (vgl auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – L 7 AS 862/12 B ER – juris).

Im Übrigen wäre der Antrag auch in der Sache nicht begründet. Denn im Eilverfahren ist ein EGVA (nur) summarisch zu prüfen. Rechtsschutz ist dann nur zu gewähren, wenn die summarische Prüfung nicht nur Zweifel, sondern erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit ergibt. Im Rahmen eines Eilverfahrens gegen einen EGVA ist daher summarisch zu prüfen, dass eine Eingliederungsvereinbarung gescheitert ist, und dann im EGVA entsprechend der Urteile des BSG vom 23. Juni 2016 (- B 14 AS 30/15 R - und - B 14 AS 42/15 R -) ein ausgewogenes Verhältnis der wechselseitigen Verpflichtungen erkennbar und die Eignung der Lebenssituation des Leistungsberechtigten berücksichtigt worden ist.

Rechtsgrundlage für den Erlass des EGVA ist § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II. Gemäß § 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung – EV -). Wenn eine EV nicht zustande kommt, sollen gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II die Regelungen nach Satz 2 durch Verwaltungsakt erfolgen. Der Antragsgegner konnte gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II den Verwaltungsakt erlassen, da eine EV infolge der Verweigerungshaltung des Antragstellers nicht zustande gekommen war. In diesem Fall stand dem Antragsgegner nur die Handlungsform Verwaltungsakt zur Verfügung (vgl BSG, Urteil vom 14. Februar 2013 - B 14 AS 195/11 R - juris). Der EGVA vom 7. August 2017 ist nicht deshalb rechtswidrig ist, weil seine Dauer nicht exakt zeitlich bestimmt, sondern "bis auf weiteres" angeordnet worden ist, denn der EGVA ist regelmäßig, spätestens jedoch nach Ablauf von sechs Monaten, zu überprüfen und fortzuschreiben (§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Der EGVA enthält auch eine schriftliche Rechtsfolgenbelehrung (§ 31 Abs. 1 SGB II).

Der Inhalt des EGVA ist bei nur summarischer Prüfung jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig. Es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass sich nach entsprechenden Ermittlungen im Hauptsacheverfahren als unzureichend herausstellen wird, dass der streitbefangene EGVA über den Verweis auf die Rechtsansprüche zur Erstattung von Bewerbungskosten und der Zusage, bei geeigneten Angeboten Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten, hinaus keine konkreten Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne der angestrebten "maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen" (vgl BT-Drucks 15/1516 S 44) bezeichnet hat, ohne dass dies von hinreichenden Ermessenserwägungen (auch im Widerspruchsbescheid vom 22. September 2017) getragen wäre, was die Rechtswidrigkeit des EGVA insgesamt zur Folge hätte (vgl zum Ganzen BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 14 AS 42/15 R = SozR 4-4200 § 15 Nr 6). Denn der Antragsgegner hat dem Antragsteller bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen Einstiegsgeld iSv § 16b SGB II in Aussicht gestellt und insoweit sein Entschließungsermessen gebunden, so dass nicht erkennbar ist, dass der EGVA in einer das Regelungskonzept des SGB II verfehlenden Weise allein auf die sanktionsbewehrte Kontrolle der Eigenaktivitäten des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beschränkt und daher insgesamt rechtswidrig ist. Anhaltspunkte dafür, dass die angeforderte Anzahl der Bewerbungen vorliegend unzumutbar sein könnte, finden sich nicht. Gleiches gilt für die Verpflichtung, sich auf Vermittlungsvorschläge innerhalb von drei Tagen zu bewerben. Die vom Antragsgegner hierfür zugesagte Kostenerstattung lässt keine Unausgewogenheit der wechselseitigen Verpflichtung erkennen. Es ist nicht erkennbar, dass es dem Antragsteller unzumutbar wäre, den auferlegten Verpflichtungen nachzukommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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