L 12 KA 5026/14 KL ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 5026/14 KL ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Grundsatz der Beitragsstabilität hat nach der aktuellen Rechtslage (ab 01.01.2013) keinen Vorrang vor den in § 85 Abs. 3 Satz 1 SGB V genannten Kriterien.
Dennoch ist ein Überschreiten der Veränderungsrate nach § 71 Abs. 3 SGB V nur dann jeweils nach dem Ermessen der Gesamtvortragsparteien bzw. des Landesschiedsamts möglich, wenn die Überschreitung nach Abwägung mit den in § 85 Abs. 3 Satz 1 SGB V genannten Kriterien erforderlich ist, um eine angemessene Berücksichtigung der in § 85 Abs. 3 Satz 1 SGB V genannten Kriterien zu gewährleisten.
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 15.04.2014 gegen den Beschluss des Landesschiedsamts für die vertragszahnärztliche Versorgung in Bayern vom 26.02.2014 wird angeordnet.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Schiedsspruch des Landesschiedsamts vom 26.02.2014.

Nach der Kündigung der Vereinbarung über die Gesamtvergütung für das Jahr 2013 durch die Beigeladene erklärten die Antragstellerin und die Beigeladene die Vertragsverhandlungen über die Gesamtvergütung für das Jahr 2014 für gescheitert. Auf Antrag der Beigeladenen wurde das Landesschiedsamt für die vertragszahnärztliche Versorgung in Bayern angerufen, das den mit Klage angefochtenen Schiedsspruch vom 26.02.2014 erließ.

Der Beschluss des Landesschiedsamts für die vertragszahnärztliche Versorgung in Bayern lautet auszugsweise: "§ 1

Einzelleistungsvergütung/Punktwerte im Jahr 2014 ... (2) Die Punktwerte für die Bema-Teile 1 bis 4 werden um jeweils 4,3 % erhöht. Ab 01.01.2014 gelten somit folgende Punktwerte ...

§ 2

Gesamtvergütung für das Jahr 2014

(1) Die Gesamtvergütungsobergrenze für Leistungen nach Abs. 2 S. 1 zu Gunsten der Versicherten im Sinne von § 1 der Vereinbarung zwischen der KZV Bayerns und der AOK Bayern zur Umsetzung der Einführung des Wohnortprinzips im Bereich der Allgemeinen Ortskrankenkassen vom 25.02.2014 für das Jahr 2014 bemisst sich nach der für das Jahr 2013 durch Vertrag vom 13.02.2013 geregelten Obergrenze und wird um 4,3 % erhöht.

(2) Die Gesamtvergütungsobergrenze nach Abs. 1 für die vertragszahnärztlichen Leistungen im Jahr 2014 wird unter Berücksichtigung der Versichertenentwicklung und für alle vertragszahnärztlichen Leistungsbereiche (KONS-CHIR, PAR, KB und KFO, ausgenommen ZE, IP/FU, Leistungen nach den Bema-Nummern 171 a und b, 172 a bis d sowie 151-155, soweit diese im Zusammenhang mit Positionen nach den Bema-Nummern 171 a und b sowie 172 a bis d erbracht werden inklusive sogenannter "Annex-Leistungen") einheitlich festgelegt. Wegen der Umstellung der Gesamtvergütungsberechnung auf den Versichertenbezug wird die Gesamtvergütung einmalig im Jahr 2014 um den Betrag von 8 Milionen EUR erhöht.

(3) Die Gesamtvergütungsobergrenze nach Abs. 1 wird mit Rücksicht auf die früheren Ausgaben der AOK Bayern für Leistungen aus dem Vertragswerk "Claridentis" um 4,2 Millionen EUR basiswirksam erhöht.

(4) Wegen der im Jahr 2013 erfolgten Steigerung der Fallzahlen wird die Gesamtvergütungsobergrenze basiswirksam im Jahr 2014 um weitere 21,3 Millionen EUR erhöht ...

... II.

... Der vorliegende Schiedsspruch ist auf Interessenausgleich angelegt und hat Kompromisscharakter ... Dies kommt bereits darin zum Ausdruck, dass der vom Schiedsamt festgelegte Vertragsinhalt hinsichtlich des Vergütungsvolumens einerseits deutlich hinter den Forderungen der KZVB zurückbleibt, andererseits aber erheblich über dem liegt, was die AOK Bayern der KZVB in Bezug auf die Gesamtvergütung und die Punktwerte zuzugestehen bereit ist ...Das Schiedsamt geht bei der Festsetzung des Vertragsinhalts davon aus, dass dieser die Beitragsstabilität nicht gefährdet. Während die gesetzlichen Krankenkassen noch im Jahr 2010 ein Defizit von 445.000.000 EUR auswiesen (Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 07.03.2011, Seite 1), änderte sich die Lage seit 2011 wesentlich: Am Ende des 4. Quartals 2013 verfügten die gesetzlichen Krankenkassen und der Gesundheitsfonds über Finanzreserven von zusammen rund 30,3 Milliarden EUR; Ende 2013 waren alle 132 gesetzlichen Krankenkassen schuldenfrei (Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 05.03.2014, Seite 1). Im Jahr 2013 erzielten die Allgemeinen Ortskrankenkassen Überschüsse von insgesamt rund 977 Millionen EUR (Pressemitteilung a.a.O., Seite 2). Aus den jüngsten Geschäftsberichten speziell der AOK Bayern ergibt sich, dass diese im Jahr 2011 einen Überschuss von 180,841 Millionen EUR (Geschäftsbericht 2011, Seite 26) und im Jahr 2012 einen Überschuss von 274,446 Millionen EUR (Geschäftsbericht 2012, Seite 24) aufwies. Die AOK Bayern hat im vorliegenden Schiedsamtsverfahren keine konkreten Angaben dazu gemacht, ob und gegebenenfalls wie sich die Antragsinhalte der KZVB, denen der Schiedsspruch ohnehin nur teilweise entspricht, auf den Beitragssatz ihrer Versicherten auswirken könnten.

In Anwendung der genannten rechtlichen Maßstäbe und unter Nutzung der dem Schiedsamt gesetzlich eingeräumten Gestaltungsfreiheit wird der Vertrag mit dem oben unter den §§ 1 bis 4 genannten Inhalt festgesetzt, wobei für das Schiedsamt im Wesentlichen folgende Überlegungen zu den einzelnen Regelungen maßgebend sind:

...

2. Im Hinblick auf die Festsetzung der Punktwerte in § 1 Abs. 2 des Vertrags folgt das Schiedsamt dem Antrag der AOK Bayern bereits im Ansatz nicht. Der Vortrag der AOK Bayern beruht nämlich im Wesentlichen auf allgemeinem statistischem Datenmaterial, welches keinen spezifischen Bezug zu zahnärztlichen Praxen aufweist. Demgegenüber hält das Schiedsamt den von der KZVB vertretenen Ansatz zur Herleitung der Erhöhung der Punktwerte für die Bema-Teile 1 - 4 für überzeugend."

Gegen diesen Schiedsspruch legte die Antragstellerin am 15.04.2014 Klage beim Bayerischen Landessozialgericht ein.

Mit der Antragsschrift vom 14.05.2014 beantragte sie beim Bayerischen Landessozialgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage gegen den Beschluss des Landesschiedsamts für die vertragszahnärztliche Versorgung vom 26.02.2014, zugestellt am 21.03.2014. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, dass der Schiedsspruch formell rechtswidrig sei, da aus Sicht der Antragstellerin erhebliche Zweifel an der Unparteilichkeit des Vorsitzenden des Landesschiedsamts bestehen würden. Ferner rügte sie die materielle Rechtmäßigkeit des Schiedsspruchs, wobei insbesondere dargelegt wurde, dass der Grundsatz der Beitragssatzstabilität verletzt worden sei. Bereits für das Kalenderjahr 2013 sei die Gesamtvergütungsobergrenze um 2,58 % auf rund 578,8 Millionen EUR erhöht worden, wobei diese Erhöhung um 0,55 % über der am 07.09.2012 durch das Bundesgesundheitsministerium festgesetzten Veränderungsrate von 2,03 % gelegen habe. Dies wirke sich wegen des Prinzips der Vorjahresanknüpfung auch auf das Jahr 2014 aus. Zusammen mit den weiteren in § 2 des streitgegenständlichen Beschlusses erfolgten Anhebungen der Gesamtvergütungsobergrenze erfolge eine Erhöhung um circa 58,4 Millionen EUR, die einer Steigerung um 10,1 % entspreche. Hierzu kämen noch weitere 22 Millionen EUR durch die Ausgliederung der Leistungen nach § 87 Abs. 2 i und j SGB V, so dass von einem Gesamtvolumen des Schiedsspruchs von circa 80,4 Millionen auszugehen sei. Insofern bestehe eine Diskrepanz von 7,29 Prozentpunkten zu der für 2014 vom Bundesministerium für Gesundheit festgesetzten Veränderungsrate nach § 71 Abs. 3 SGB V von 2,81 %, die im Rahmen der Beitragssatzstabilität nur dann akzeptiert werden könnte, wenn ansonsten eine angemessene Berücksichtigung der übrigen in § 85 Abs. 3 S. 1 SGB V genannten Kriterien nicht möglich sei. Hierzu würden in der Begründung des Schiedsspruchs keine Ausführungen gemacht. Nicht nachvollziehbar sei insbesondere die Berücksichtigung der Personalkosten mit durchschnittlichen Gehaltssteigerungen der Beschäftigten in Zahnarztpraxen von 4,5 % für das Jahr 2014. Außerdem habe sich der Antragsgegner nicht mit der Kostenstruktur in den bayerischen Zahnarztpraxen auseinandergesetzt. Die Berücksichtigung der so genannten RKI-Kosten (Hygienekosten) mit 1,25 % erscheine willkürlich. Auch sei die Erhöhung der Gesamtvergütungsobergrenze aufgrund der Kündigung der so genannten Claridentis-Vereinbarung (§ 2 Abs. 3 des Vertrages) rechtswidrig. Diese Kündigung könne nicht unter § 85 Abs. 3 S. 1 SGB V subsumiert werden. Für die Erhöhung um 4,2 Millionen EUR fehle daher eine gesetzliche Grundlage. Die Berücksichtigung der Morbiditätsentwicklung rechtfertige die Erhöhung der Gesamtvergütungsobergrenze um 21,3 Millionen EUR nicht.

Die Beigeladene wies in ihrer Stellungnahme demgegenüber darauf hin, dass der Schiedsspruch nicht vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit beanstandet worden sei, da jedenfalls kein eindeutiger Gesetzesverstoß erkennbar sei. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Beitragssatzstabilität liege nicht vor. Die Pro-Kopf-Ausgaben der Antragstellerin lägen mit 193 EUR deutlich unter den Ausgaben anderer großer Krankenkassen, die bei der Barmer 198 EUR, bei der Techniker-Krankenkasse über 217 EUR betragen würden. Bereits damit sei der Vortrag der Antragstellerin widerlegt, dass der Schiedsspruch den Grundsatz der Beitragssatzstabilität verletzte. Weiter wies die Beigeladene schriftsätzlich auf die Überschüsse, die die Antragstellerin im Jahr 2013 in Höhe von 333,035 Millionen EUR erzielt habe, hin. Die Erhöhung der Punktwerte und der Gesamtvergütungsobergrenze um 4,3 % sei gerechtfertigt. Der Orientierungspunktwert im vertragsärztlichen Bereich sei ein Spezifikum des vertragsärztlichen Vergütungssystems und habe keinerlei Bezug zur zahnärztlichen Vergütung. Die Personalkosten seien nicht ermessensfehlerhaft ermittelt worden. So seien zum Beispiel beim Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst in den unteren Lohngruppen Tariflohnerhöhungen im Bereich von 4 % bis 5 % vereinbart worden. Die Zahnärzteschaft müsse auch durch ein Anheben der Gehälter dafür sorgen, dass genügend Auszubildende den Beruf der zahnmedizinischen Fachangestellten ergreifen und nicht in einen anderen Beruf wechseln würden, in dem sich höhere Verdienstmöglichkeiten ergäben. Die erhöhten Hygienekosten aufgrund verschärfter Richtlinien der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert-Koch-Institut würden seit Oktober 2012 gelten. Die Kosten für die nunmehr zwingend erforderliche Thermodesinfektion würden auch in den Jahren 2014 ff anfallen. Dies sei so in einer Vereinbarung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung mit dem Bundesministerium für Verteidigung und dem Bundesministerium des Inneren anerkannt worden. Die einmalige Erhöhung der Gesamtvergütungsobergrenze in Höhe von 8 Millionen EUR wegen der Umstellung vom Mitgliederbezug auf den Versichertenbezug liege im Gestaltungsermessen des Landesschiedsamts. Die Vergütung für den Versorgungsvertrag "Claridentis" sei außerhalb der Gesamtvergütung erfolgt, so dass die Einbeziehung in die Gesamtvergütung für die Antragstellerin aufkommensneutral sei. Die Erhöhung der Gesamtvergütung wegen der Morbiditätsentwicklung sei ebenfalls rechtmäßig, da sich die Fallzahl im konservativ-chirurgischen Leistungsbereich von 2012 auf 2013 um 213.924 Fälle gesteigert habe. Diese Zahl sei nachgewiesen.

Die Antragstellerin stellt den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beschluss des Landesschiedsamts für die vertragszahnärztliche Versorgung vom 26.02.2014, zugestellt am 21.03.2014, wegen der Festsetzung der Vergütung der vertragszahnärztlichen Leistungen für die im Freistaat Bayern wohnenden Versicherten von den Allgemeinen Ortskrankenkassen anzuordnen.

Die Beigeladene stellt den Antrag, den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Beschluss des Landesschiedsamts für die vertragszahnärztliche Versorgung vom 26.02.2014 abzuweisen und der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Akten des Landesschiedsamts im Verfahren L 12 KA 5022/14 KL verwiesen.

II.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 15.04.2014 gegen den Schiedsspruch vom 26.02.2014 ist zulässig und begründet.

Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass das Landesschiedsamt vorübergehend keinen Vorsitzenden hatte. Der neue Vorsitzende ist seit 01.08.2014 im Amt, hat aber keine Stellungnahme abgegeben. Im Übrigen ersetzt der Schiedsspruch lediglich die Einigung über die gesamtvertraglichen Regelungen zwischen der Antragstellerin und der Beigeladenen. Damit hat das Landesschiedsamt nur die Stellung eines Interessenmittlers (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2000, B 6 KA 20/99 R Rn. 28). Eigene Rechte des Landesschiedsamt sind durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht berührt, so dass eine Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte des Landesschiedsamts ausscheidet (ebenso Beier in: jurisPK-SGB V, § 89 Rn. 20). Deshalb hat das Landesschiedsamt keine eigene Anfechtungsbefugnis gegen die seinem Schiedsspruch nachgehenden Entscheidungen (BSG a.a.O. Rn. 29) und nimmt in Verfahren über einen Schiedsspruch die Stellung des Beklagten nur förmlich ein (BSG, Urteil vom 16.07.2003, B 6 KA 29/02 R, Rn. 40). Diese formale Beteiligtenstellung (§ 69 Nr. 2 SGG) löst keinen Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) aus (so bereits LSG Darmstadt, Urteil vom 10.12.2003, L 7 KA 425/02), so dass eine Entscheidung auch möglich ist, wenn die Vertretung des förmlich beklagten Schiedsamts durch den Vorsitzenden nach Ablauf der Amtszeit nicht möglich ist.

Der Antrag ist begründet. Rechtsgrundlage der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG, nach dem das Gericht der Hauptsache, also gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 1 SGG das Landessozialgericht, in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt wie im vorliegenden Fall gemäß § 89 Abs. 1 S. 6 SGB V keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen kann.

Liegt keine Vollzugsentscheidung der Verwaltung vor und entscheidet das Gericht der Hauptsache unmittelbar über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung, so entscheidet es nach demselben Prüfungsmaßstab wie bei der Überprüfung einer Vollzugsentscheidung der Verwaltung. Zunächst ist die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, das heißt konkret des Schiedsspruchs, zu überprüfen, da am Vollzug eines rechtswidrigen Schiedsspruchs kein öffentliches Interesse besteht, während umgekehrt das Suspensivinteresse beim Vollzug eines rechtmäßigen Schiedsspruchs fehlt. Ist die Rechtmäßigkeit des Schiedsspruchs nicht eindeutig feststellbar, sind also die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens offen, ist vom Gericht der Hauptsache eine Interessenabwägung durchzuführen. Dabei steigt das Gewicht des Suspensivinteresses mit der Intensität der Rechtsbeeinträchtigung durch den Sofortvollzug, das heißt insbesondere dann, wenn die Folgen irreversibel sind bzw. gewichtige Interessen der Allgemeinheit nachhaltig beeinträchtigt werden. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Schiedsspruchs erfolgt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes summarisch. Es wird hinsichtlich des Sachverhalts regelmäßig keine Beweisaufnahme durchgeführt. Demgegenüber muss die rechtliche Prüfung grundsätzlich vollständig und abschließend vorgenommen werden. Dabei sind auch schwierige Rechtsfragen zu klären, wobei allerdings die im Eilverfahren gewonnene Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache unter dem Vorbehalt neuer weiterentwickelter Rechtskenntnisse im Hauptsacheverfahren steht.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kommt der Senat zu der Überzeugung, dass die aufschiebende Wirkung der Klage vom 15.04.2014 anzuordnen war.

Nach summarischer Prüfung des Schiedsspruchs hält der Senat das Ergebnis der Rechtmäßigkeitsprüfung für offen, wenngleich erhebliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit bestehen.

Dem Schiedsamt kommt nach der Rechtsprechung des BSG bei der Festsetzung des Inhalts eines Gesamtvertrages über die vertragszahnärztliche Vergütung gemäß § 89 Abs 1 SGB V ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Seine Vertragsgestaltungsfreiheit, die der aufsichtsrechtlichen und gerichtlichen Nachprüfung Grenzen setzt, ist nicht geringer als diejenige der Vertragspartner bei einer im Wege freier Verhandlungen erzielten Vereinbarung (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 20 S. 131; BSGE 20, 74, 76 f = SozR Nr. 1 zu § 368h RVO; BSGE 36, 151, 152 f = SozR Nr. 7 zu § 368g RVO; BSGE 51, 58, 62 = SozR 2200 § 368h Nr. 3). Die aufsichtsrechtliche und die gerichtliche Kontrolle der Festsetzung von Vergütungsvereinbarungen durch das Schiedsamt ist dementsprechend auf die Prüfung beschränkt, ob der Entscheidung zutreffend ermittelte Tatsachen zugrunde gelegt worden sind, ob das Schiedsamt die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten und sein Gestaltungsermessen - soweit ihm ein solches zukommt - sachgerecht ausgeübt hat (vgl. Düring, Das Schiedswesen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1992, S. 149 f). Die Grenzen des Beurteilungsspielraums im dargestellten Sinne sind nicht eingehalten, wenn das Schiedsamt seiner Entscheidung eine bestimmte Gewichtung der maßgeblichen Kriterien für eine Vergütungsvereinbarung zugrunde legt, die mit dem Gesetz nicht in Einklang steht und sich hieraus Auswirkungen auf die Höhe der Veränderung der Gesamtvergütung ergeben können (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2000 - B 6 KA 20/99 R -, SozR 3-2500 § 85 Nr. 37, BSGE 86, 126-146, SozR 3-2500 § 71 Nr. 2, SozR 3-2500 § 89 Nr. 2, SozR 3-2500 § 141 Nr. 1, SozR 3-1500 § 54 Nr. 44).

Rechtsgrundlage für die Vereinbarung der Veränderungen der Gesamtvergütungen ist § 85 Abs. 3 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG) vom 22.12.2011, BGBl. I S. 2983. Nach § 85 Abs. 3 S. 1 SGB V vereinbaren die Vertragsparteien des Gesamtvertrags die Veränderungen der Gesamtvergütungen unter Berücksichtigung der Zahl und Struktur der Versicherten, der Morbiditätsentwicklung, der Kosten- und Versorgungsstruktur, der für die vertragszahnärztliche Tätigkeit aufzuwendenden Arbeitszeit sowie der Art und des Umfangs der zahnärztlichen Leistungen, soweit sie auf einer Veränderung des gesetzlichen oder satzungsmäßigen Leistungsumfangs beruhen. Dabei ist nach § 85 Abs. 3 S. 2 SGB V bei der Vereinbarung der Veränderungen der Gesamtvergütungen der Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 SGB V) in Bezug auf das Ausgabevolumen für die Gesamtheit der zu vergütenden vertragszahnärztlichen Leistungen ohne Zahnersatz neben den Kriterien nach S. 1 zu berücksichtigen. Während nach der bisherigen Fassung des § 85 Abs. 3 S. 2 SGB V bei der Vereinbarung der Veränderungen der Gesamtvergütungen der Grundsatz der Beitragsstabilität in Bezug auf das Ausgabevolumen für die Gesamtheit der zu vergütenden vertragsärztlichen Leistungen zu beachten war, wurde durch die Neuregelung mit Wirkung zum 01.01.2013 der Vorrang des Grundsatzes der Beitragsstabilität und die strikte Anbindung an die Grundlohnsummenentwicklung bei der Anpassung der Gesamtvergütungen aufgegeben (so die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/6906, Allgemeiner Teil, S. 44). Nach der Begründung zu § 85 (Nr. 20) sollten durch die Neuregelung Veränderungen der Gesamtvergütungen ermöglicht werden, die den morbiditätsbedingten Leistungsbedarf der Versicherten einer Krankenkasse wiederspiegeln und nicht allein und vorrangig von der Einnahmesituation der Krankenkassen bestimmt werden (BT-Drs. 17/6906 S. 59). "Um dieses Ziel zu erreichen, wird zukünftig für die vertragszahnärztliche Versorgung (ohne Zahnersatz) auf die sich aus § 71 ergebende, vorrangige Geltung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität, das heißt auf die starre Begrenzung entsprechend der Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen der Versicherten, verzichtet. Der Grundsatz der Beitragsstabilität und die übrigen in § 85 Abs. 3 S. 1 genannten Kriterien wie zum Beispiel Zahl und Struktur der Versicherten, die Morbiditätsentwicklung sowie die Kosten- und Versorgungsstruktur stehen nunmehr gleichwertig nebeneinander. Das bedeutet, dass nach Abwägung der unterschiedlichen Interessen eine Überschreitung der Veränderungsrate nach § 71 Abs. 3 zulässig sein kann, wenn ansonsten eine angemessene Berücksichtigung der übrigen in S. 1 genannten Kriterien nicht möglich ist." (a.a.O.)

Der Grundsatz der Beitragsstabilität hat also nach der aktuellen Rechtslage keinen Vorrang vor den in § 85 Abs. 3 S. 1 SGB V genannten Kriterien. Dennoch ist ein Überschreiten der Veränderungsrate nach § 71 Abs. 3 SGB V nur dann jeweils nach dem Ermessen der Gesamtvertragsparteien bzw. des Landesschiedsamts möglich, wenn die Überschreitung nach Abwägung mit den in § 85 Abs. 3 S. 1 SGB V genannten Kriterien erforderlich ist, um eine angemessene Berücksichtigung der in § 85 Abs. 3 S. 1 genannten Kriterien zu gewährleisten.

Aus dem Schiedsspruch ist nicht ersichtlich, dass das Landesschiedsamt die erforderliche Abwägung zwischen der Zahl und Struktur der Versicherten, der Morbiditätsentwicklung, der Kosten- und Versorgungsstruktur, der für die vertragszahnärztliche Tätigkeit aufzuwendenden Arbeitszeit und der Art und des Umfangs der zahnärztlichen Leistungen einerseits und dem Grundsatz der Beitragsstabilität, das heißt der Veränderungsrate nach § 71 Abs. 3 SGB V andererseits durchgeführt hat und auf dieser Abwägung basierend eine fehlerfreie Ermessensentscheidung getroffen hat.

Nicht nachvollziehbar ist bereits die Annahme des Beklagten, die Festsetzung des Vertragsinhalts gefährde die Beitragsstabilität nicht. Die vom Bundesministerium für Gesundheit gemäß § 71 Abs. 3 SGB V am 06.09.2013 bekannt gegebene Veränderungsrate beträgt für das gesamte Bundesgebiet 2,81 %. Demgegenüber sieht der Schiedsspruch eine Hebung der Gesamtvergütung um 4,3 % vor, also um einen 53 % über der Veränderungsrate liegenden Prozentsatz. Zu dieser Erhöhung tritt eine weitere Erhöhung um insgesamt 33,5 Millionen EUR nach § 2 Abs. 2, 3 und 4 des Schiedsspruchs, die bei einer Gesamtvergütung von rund 580 Millionen EUR nochmals einer Anhebung um 5,7 % entspricht. Diese Veränderungen der Gesamtvergütung durch den Schiedsspruch sind prima facie nicht mehr beitragsneutral. Davon geht offensichtlich auch der Beklagte aus, der in der Begründung des Schiedsspruchs lediglich deshalb eine Gefährdung der Beitragssatzstabilität ausschließt, weil er die Rücklagen der gesetzlichen Krankenkassen und die Überschüsse der Antragstellerin berücksichtigt. Dies ist jedoch rechtswidrig. Rücklagen sind kein nach § 85 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB V zu berücksichtigender Faktor. Soweit der Grundsatz der Beitragssatzstabilität zu berücksichtigen ist, verweist § 85 Abs. 3 S. 2 SGB V auf § 71 SGB V, der in Abs. 2 die Entwicklung der Vergütungen an die Veränderungsrate nach Abs. 3 und damit die Entwicklung der Grundlohnsumme koppelt. Weder in § 85 Abs. 3 SGB V noch in § 71 SGB V ist eine Berücksichtigung von Rücklagen vorgesehen (vgl. auch BSG, Urteil vom 16.07.2003, B 6 KA 29/02 R zu § 85 Abs. 3 SGB V a.F.). Die Berücksichtigung von Rücklagen bei Vergütungsvereinbarungen für eine einzelne Gruppe von Leistungserbringern ist auch deshalb nicht möglich, weil sie potenziell zu Lasten anderer Gruppen von Leistungserbringern geht.

Da der Beklagte nach der Begründung des Schiedsspruches eine Gefährdung der Beitragssatzstabilität ausschloss, erfolgte auch keine nachvollziehbar begründete Abwägung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität mit den gleichrangigen in § 85 Abs. 3 S. 1 SGB V aufgezählten Interessen. Es liegt ein Abwägungsausfall vor. Der Schiedsspruch ist nach summarischer Prüfung rechtswidrig. Damit ist grundsätzlich die aufschiebende Wirkung anzuordnen.

Geht man wegen der Komplexität der Festsetzung der Gesamtvergütung insbesondere bezüglich der zu Grunde liegenden Tatsachen dennoch von einem offenen Verfahrensausgang aus, so ergibt die Interessenabwägung, dass das Suspensivinteresse das Vollzugsinteresse überwiegt und deshalb die aufschiebende Wirkung anzuordnen war. Zwar überwiegt nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 89 Abs. 1 S. 6 SGB V bei angefochtenen Schiedssprüchen grundsätzlich das Vollzugsinteresse. Dies führt jedoch nicht dazu, dass im konkreten Fall das Vollzugsinteresse das Suspensivinteresse der Antragstellerin überwiegt und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung unterbleiben muss. Bei der Interessenabwägung ist insbesondere auch zu berücksichtigen, ob der Sofortvollzug irreversible Folgen hat. Davon geht der Senat im vorliegenden Fall aus. Soweit die Beigeladene die mit dem Schiedsspruch zugesprochene Erhöhung der Gesamtvergütung als Rücklage einbehält, so dass kein irreversibler Zustand entsteht, ist ein Sofortvollzug zu Gunsten der Vertragszahnärzte nicht erforderlich, da sie wirtschaftlich keine Vorteile haben. Wird die Gesamtvergütung aber von der Beigeladenen im Rahmen der Honorarverteilung an alle bayerischen Vertragszahnärzte ausgeschüttet, gibt es keine Gewähr für eine gegebenenfalls notwendige Rückzahlung von Teilen des ausgeschütteten Honorars an die Beigeladene, so dass diese im Stande wäre, die ohne Rechtsgrund erlangten Teile der Gesamtvergütung an die Antragstellerin zurückzuzahlen. Dabei ist für den Senat ausschlaggebend, dass die Beigeladene entgegen der rechtlichen Vorgaben (vgl. § 85 Abs. 4 S. 6 SGB V) in ständiger Praxis keine Honorarbescheide ("Honorarfestsetzung") erstellt, sondern den Vertragszahnärzten lediglich Kontokorrentmitteilungen übermittelt, in denen die Honorarzahlungen verbucht werden. Bei dieser rechtswidrigen Praxis der Beigeladenen ist nicht sichergestellt, dass einerseits dem Vertrauensschutz der Vertragszahnärzte ausreichend Rechnung getragen wird und andererseits wegen der Rechtswidrigkeit des Schiedsspruchs notwendige Honorarberichtigungen aufgrund eines Berichtigungsvorbehalts erfolgen können. Demgegenüber kann in dem Fall, dass die Rechtmäßigkeit des Schiedsspruchs festgestellt wird, ohne Schwierigkeiten eine Nachzahlung an die Beigeladene erfolgen, die dann an die Vertragszahnärzte ausgeschüttet wird. Ein irreversibler Zustand entsteht nicht.

Gesichtspunkte, die gegen eine nachträgliche Auszahlung des höheren Honorars sprechen und eine sofortige Auszahlung erforderlich machen, erkennt der Senat nicht. Im Ergebnis war deshalb die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG, § 154 Abs. 1 VwGO

Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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