L 27 R 332/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 97 R 6240/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 R 332/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. April 2015 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1970 geborene Klägerin begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung. Zuletzt war sie von September 2006 bis November 2013 als Reinigungskraft berufstätig.

Am 21. März 2012 beantragte sie bei der Beklagten eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Hierzu führte sie aus, sie leide insbesondere an psychischen Problemen, einer Magenschleimhautentzündung, Bluthochdruck, Halswirbelsäulenbeschwerden, Beschwerden der Schulter- und Kniegelenken und unter Bronchialasthma. Nach Beiziehung eines Entlassungsberichts über den stationären Aufenthalt der Klägerin in einer orthopädischen Reha-Klinik vom 28. Dezember 2011 bis zum 25. Januar 2012 veranlasste die Beklagte die Begutachtung der Klägerin durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie M. In deren Gutachten vom 2. August 2013 gelangte die Sachverständige zu der Einschätzung, bei der Klägerin sei unter Würdigung der medizinischen Unterlagen das Leistungsvermögen für die letzte Tätigkeit als Reinigungskraft aufgehoben. Maßgeblich hierfür sei der orthopädische Befund. Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seinen vollschichtig unter Vermeidung von Zwangshaltungen, Leitertätigkeiten, erhöhter Stressbelastung und Nachtschichten unter leichter Tätigkeit mit bevorzugter überwiegender sitzender Haltung zumutbar. Die Berufsunfähigkeit sei als dauerhaft anzusehen. Bei der Klägerin seien Angst- und depressive Störung gemischt festzustellen, im Übrigen eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Mit Bescheid vom 10. Mai 2012 lehnte die Beklagte die Gewährung der beantragten Rente ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin könne täglich mindestens sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2013 zurück.

Mit ihrer am 1. November 2013 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt und geltend gemacht, sie leide an einer mindestens mittelgradigen psychischen Störung, wodurch sie an einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit gehindert sei. Darüber hinaus leide sie an beidseitigen Knieproblemen sowie Beschwerden im linken Handgelenk und Augentrockenheit. Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt und das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. G vom 28. November 2014 eingeholt. Nach Untersuchung der Klägerin am 25. November 2014 unter Hinzuziehung einer Sprachmittlerin für die türkische Sprache ist der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, die Klägerin leide unter einer rezidivierenden depressiven Störung, aktuell mittelgradig ausgeprägt in Verbindung mit rezidivierenden depressiven Episoden mit wechselnder Symptomatik. Ferner leide sie unter einer Somatisierungsstörung und weiteren körperlichen Beeinträchtigungen. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei qualitativ eingeschränkt, jedoch seien ihr leichte körperliche Arbeiten überwiegend in sitzender Position und ohne vermehrte Stressbelastung regelmäßig zumutbar. Eine Lese- und Schreibgewandtheit könne jedoch nicht vorausgesetzt werden, weshalb an geistig sehr einfache Arbeiten gedacht werden müsse. Arbeiten mit Publikumsverkehr kämen hingegen nicht in Betracht. Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Einschränkungen reiche das verbliebene Leistungsvermögen für die volle übliche Arbeitszeit von mindestens acht Stunden aus. Er gehe davon aus, dass unter Hinzuziehung muttersprachlicher psychiatrisch-psychotherapeutisch geschulter Therapeuten eine Besserung der Situation erreichbar sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 14. April 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin könne unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Insoweit folge das Gericht der Einschätzung des Sachverständigen. Die Überzeugungskraft dieses Gutachtens werde durch den Entlassungsbericht der orthopädischen Rehabilitationsmaßnahme vom 25. Januar 2012 gestärkt, wonach Leistungsfähigkeit von mindestens sechs Stunden täglich für körperlich leichte Tätigkeiten bestehe. Der Gerichtsbescheid ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17. April 2015 zugestellt worden.

Mit der am 15. Mai 2015 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. April 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Mai 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. März 2012 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychoanalyse Dr. T eingeholt, der die Klägerin unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers am 9. Dezember 2015 untersucht hat und in seinem Gutachten zu der Einschätzung gelangt ist, die Klägerin leide an einer Anpassungsstörung mit einer gemischten Störung von Gefühlen und Sozialverhalten, einer Angststörung in Form von Angst und depressiver Störung gemischt, einer somatoformen autonomen Funktionsstörung, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung sowie Bluthochdruck und einem Schmerzsyndrom der Wirbelsäule. Gegenüber den vorliegenden ärztlichen Unterlagen seien keine neuen Befunde erhoben worden. Die festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen minderten oder gefährdeten die Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht. Ihr quantitatives Leistungsvermögen sei für die volle übliche Arbeitszeit von acht Stunden täglich ausreichend. In qualitativer Hinsicht seien körperlich leichte und mittelschwere Arbeiten in allen Haltungsarten möglich. Diese könnten sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen ausgeführt werden. Ebenso sei eine Arbeit in Wechselschicht möglich, allerdings seien extreme Witterungseinflüsse zu meiden. In geistiger Hinsicht könnten einfache und gelegentlich mittelschwere Arbeiten bewältigt werden.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat sodann ein Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M eingeholt, die die Klägerin am 24. August 2016 unter Zuhilfenahme einer Sprachmittlerin untersucht hat und in ihrem Gutachten vom 2. September 2016 zu der Einschätzung gelangt ist, bei der Klägerin bestehe auf ihrem Fachgebiet eine chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren, eine somatoforme autonome Funktionsstörung des kardio-vaskulären Systems, ein geringes sensibles Wurzelkompressionssyndrom. Darüber hinaus ein arterieller Hypertonus festzustellen, eine Adipositas, eine chronische Magenschleimhautentzündung sowie ein so genanntes Empty-Sella-Syndrom und schließlich eine Chondropathia retropatellaris. Sämtliche Gesundheitsbeeinträchtigungen gefährdeten oder minderten die Erwerbsfähigkeit nicht. In qualitativer Hinsicht sei ein Arbeiten in Zwangshaltungen, vor allem auf den Knien, ein Arbeiten im Feuchten, bei Nässe und Kälte sowie in Nachtschicht und unter Akkord zu meiden. Auch sei ein Tragen schwerer Lasten unmöglich. Gleiches gelte für schwere körperliche Arbeit.

Die Klägerin ist dem Ergebnis der Begutachtung erneut entgegengetreten und verweist insoweit auf die gegenteilige Ansicht der sie behandelnden Fachärztin für Neurologie. Weiter ist sie der Auffassung, dass die bei ihr bestehenden orthopädischen Einschränkungen nicht hinreichend gewürdigt würden. Gleiches gelte auch für eine rheumatologische Erkrankung. Schließlich ist sie der Auffassung, sie sei wegen langandauernder Arbeitsunfähigkeit als für den Arbeitsmarkt ungeeignet anzusehen. So habe sie allein für den Zeitraum 8. Januar 2016 bis 7. November 2016 zwanzig Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erhalten und ein Anfang 2015 unternommener Arbeitsversuch habe wegen dauerhafter Erkrankung abgebrochen werden müssen. Ein vernünftig und billig denkender Arbeitgeber müsse daher davon ausgehen, dass Arbeiten von wirtschaftlichem Wert auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die Klägerin praktisch ausgeschlossen seien. Der Senat hat daraufhin weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Orthopädie und Rheumatologie Prof. Dr. S, der die Klägerin unter Zuhilfenahme einer Sprachmittlerin am 30. März 2017 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 6. April 2017 zu der Einschätzung gelangt ist, die Klägerin könne leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen vollschichtig ausüben, wobei eine der Haltungsarten überwiegen könne. Die üblichen Pausen reichten aus, Wegefähigkeit sei gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. So liegt es nach Überzeugung des Senates hier, denn sämtliche der im Verwaltungsverfahren und beiden Gerichtsinstanzen mit der Untersuchung der Klägerin und der Beurteilung ihres Leistungsvermögens beauftragten medizinischen Sachverständigen – einschließlich der von der Klägerin selbst gem. § 109 SGG benannten Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie - kommen zu dem einhelligen Ergebnis, dass die Klägerin bei Beachtung bestimmter weder für sich betrachtet noch in Summation ungewöhnlicher qualitativer Einschränkungen noch sechs Stunden und mehr täglich erwerbstätig sein kann. Die Klägerin kann danach vollschichtig körperlich leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausführen und ist wegefähig. Der Senat nimmt daher auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug und sieht von einer Darstellung der weiteren Entscheidungsgründe ab.

Auch soweit die Klägerin sich unter Bezugnahme auf den Beschluss des BSG vom 31. Oktober 2012 (B 13 R 107/12 B, juris) darauf beruft, sie sei subjektiv erwerbsgemindert und gelte aus Sicht eines Arbeitgebers wegen der besonderen Wahrscheinlichkeit häufig wiederkehrender und lang andauernder Arbeitsunfähigkeit als nicht einstellbar, dringt sie nicht durch. Vielmehr besteht für den Senat kein Zweifel daran, dass die Klägerin die von ihr beklagte und durch entsprechende Bescheinigungen dokumentierte häufige Arbeitsunfähigkeit durch eine zumutbare Willensanstrengung vermeiden kann. Insoweit sei exemplarisch die Einschätzung der von der Klägerin selbst benannten Fachärztin für Psychiatrie zitiert, wonach die Klägerin nicht schwer erkrankt sei und das Ausmaß der beklagten Schmerzen sich weder in ihrem körperlichen noch in ihrem psychiatrischen Befund noch in der Schilderung ihres Alltages widerspiegele.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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