L 7 SO 3507/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SO 2195/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3507/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. August 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt in der Sache die Wiederaufnahme des Verfahrens S 1 SO 4688/06.

Der 1961 geborene Kläger deutscher Staatsangehörigkeit stand zeitweise unter Betreuung u.a. in den Aufgabenbereichen Vermögensangelegenheiten und Verkehr mit Behörden (Amtsgericht Karlsruhe (AG), Beschluss vom 19. April 2002 - XVII 134/2002 -, aufgehoben durch Beschluss vom 2. Mai 2003; das weitere Verfahren zur Bestellung eines Betreuers XVII 422/2005 wurde durch Beschluss des AG vom 22. September 2005 ohne Betreuerbestellung beendet). Er bezog durch die Beklagte - auch während seiner Obdachlosigkeit - zeitweise Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) (Bescheid vom 27. Mai 2002 bzgl. 1. September 2001 bis 31. Mai 2002; Bescheid vom 27. Mai 2002 bzgl. Versagung nach § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (SGB I) ab 1. Juni 2002; Bescheid vom 6. Juli 2002 für Juli 2002 bis auf weiteres; Bescheid vom 17. August 2002 für September 2002 bis auf weiteres; Bescheid vom 19. August 2002 für September 2002 bis auf weiteres; Bescheid vom 5. August 2003 für Juli 2003 bis auf weiteres). In der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 bezog er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). In der Zeit vom 1. September 2005 bis zum 28. Februar 2007 (bestandskräftiger Aufhebungsbescheid vom 9. Februar 2007) erbrachte die Beklagte Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII). Das Ersuchen nach § 45 SGB XII reichte die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg unerledigt zurück, weil der Kläger einem Termin zur ärztlichen Begutachtung unentschuldigt fernblieb (Schreiben vom 12. April 2006).

Den Antrag auf Überprüfung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) bezüglich einer (mündlichen) Leistungsablehnung vom 10. September 2001 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 9. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2006 ab.

Das Sozialgericht Karlsruhe (SG) lehnte durch Beschluss vom 1. Juni 2006 das einstweilige Rechtsschutzgesuch des Klägers auf "Anerkennung seiner Rechtsposition des SGB" sowie auf Leistungen ab 1. Juli 2006 ab (S 1 SO 2366/06 ER); der Senat wies die Beschwerde durch Beschluss vom 20. Juni 2006 zurück (L 7 SO 2797/06 ER-B). Die Klage gegen den Bescheid vom 9. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2006 wies das SG durch Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2006 (S 1 SO 4688/06) ab. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg wies die Berufung des Klägers zurück (Urteil vom 22. August 2007 - L 2 SO 415/07 -); das Bundessozialgericht (BSG) verwarf die Revision als unzulässig (B 8 SO 31/07 R).

In einem Rechtsstreit mit der Agentur für Arbeit (vormals Arbeitsamt) K. betreffend die Versagung von Arbeitslosenhilfe erreichte der Kläger die Rücknahme eines Versagungsbescheids und die Nachgewährung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. September 2001 bis zum 31. Dezember 2004; davon wurden im März 2007 16.297,14 EUR an den Kläger ausgezahlt (vgl. Aktenvermerk vom 7. Februar 2007) und 11.571,48 EUR auf eine Erstattungsforderung der Beklagten hinsichtlich der für die Zeit vom 24. April 2002 bis zum 31. Dezember 2004 (vgl. Schreiben der Beklagten vom 11. Januar 2017, Schreiben der Agentur für Arbeit K. vom 7. März 2007) durch diese erbrachten Leistungen nach dem BSHG.

Am 21. Dezember 2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten laufende Sozialhilfeleistungen; die Nachzahlung der Arbeitslosenhilfe habe er verbraucht. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 27. Dezember 2007). Auch den weiteren Antrag vom 30. April 2009 lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 7. Mai 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juli 2009). Hinsichtlich der weiteren Anträge vom 11. Januar 2010, 2. Mai 2010, 28. Oktober 2010, 16. Juni 2011 und 6. März 2012 verwies die Beklagte auf ihren Bescheid vom 7. Mai 2009 (z.B. Schreiben vom 14. Mai 2010).

Eine Vielzahl einstweiliger Rechtsschutzgesuche des Klägers auf Gewährung vorläufiger Leistungen nach dem SGB XII hatte keinen Erfolg (SG Karlsruhe, Beschluss vom 2. Januar 2008 - S 1 SO 6187/07 ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. Januar 2008 - L 7 SO 48/08 ER-B -; SG Karlsruhe vom 30. März 2009 - S 1 SO 1164/09 ER -; Beschluss vom 10. August 2009 - S 1 SO 3368/09 ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. September 2009 - L 2 SO 3929/09 ER-B -; SG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Januar 2010 - S 1 SO 81/10 ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. März 2010 - L 7 SO 488/10 ER-B -; SG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Mai 2010 - S 1 SO 2048/10 ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17. Juni 2010 - L 7 SO 2577/10 ER-B -; SG Karlsruhe, Beschluss vom 17. November 2010 - S 1 SO 4677/10 ER -; Beschluss vom 24. Juni 2011 - S 1 SO 2623/11 ER -; Beschluss vom 14. September 2011 - S 1 SO 3877/11 ER - ; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. September 2011 - L 7 SO 3997/11 ER-B -; SG Karlsruhe, Beschluss vom 1. August 2014 - S 1 SO 2462/14 ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20. August 2014 - L 2 SO 3507/14 ER-B -; Beschluss vom 29. September 2014 - L 2 SO 3639/14 RG -).

Am 21. Juli 2014 beantragte der Kläger beim SG die Wiederaufnahme des Verfahrens S 1 SO 4688/06, weil sein rechtliches Gehör nicht gewahrt und das Recht gebeugt worden sei (S 1 SO 2425/14). Nachdem das SG das Verfahren an das LSG Baden-Württemberg verwiesen hatte (Beschluss vom 26. September 2014), verwarf das LSG Baden-Württemberg durch Urteil vom 29. Juli 2015 (L 2 SO 4213/14 WA) die Wiederaufnahmeklage betreffend das Urteil vom 22. August 2007 (L 2 SO 415/07) als unzulässig, da der Kläger einen zulässigen Wiederaufnahmegrund nicht geltend gemacht habe. Das BSG wies die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision zurück (Beschluss vom 1. Oktober 2015 - B 8 SO 96/15 B -).

Am 3. Juli 2017 hat der Kläger beim SG die Wiederaufnahme des Verfahrens "S 1 SO 2426/14 mit der Beschwerde unter Az.: L 2 SO 4213/14" beantragt, wobei ausweislich der Verfahrensliste des SG kein Verfahren unter dem Aktenzeichen S 1 SO 2426/14, sondern nur unter den Aktenzeichen S 1 SO 2425/14 (Verweisung an das LSG Baden-Württemberg) und S 1 SO 2462/14 ER geführt worden waren. Er - der Kläger - sei nicht als "Leistungsträger" anerkannt worden. Rechtliches Gehör sei ihm nicht gewährt worden.

Das gleichzeitig angebrachte einstweilige Rechtsschutzgesuch hatte keinen Erfolg (SG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Juli 2017 - S 12 SO 2194/17 ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. September 2017 - L 7 SO 3186/17 ER-B -).

Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 21. August 2017 abgewiesen. Das LSG Baden-Württemberg habe durch Urteil vom 29. Juli 2015 (L 2 SO 4213/14 WA) über den Wiederaufnahmeantrag rechtskräftig entschieden.

Dagegen hat der Kläger am 4. September 2017 "Beschwerde" eingelegt. Es werde angezweifelt, ob das Verfahren L 2 SO 4213/14 WA rechtskräftig abgeschlossen worden sei. Den zugrundeliegenden Beschlüssen fehle die notwendige Gewährung des rechtlichen Gehörs durch andauernde Verweigerung der Anerkennung seiner "Leistungsträgerschaft".

Der Kläger beantragt - sinngemäß -,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. August 2017 aufzuheben sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Dezember 2006 im Verfahren S 1 SO 4688/06 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beklagte verweist zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung des SG.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Verfahrensakten des SG und des Senats sowie die Akten SG Karlsruhe (S 12 SO 2194/17 ER, S 1 SO 4688/06) und des LSG Baden-Württemberg (L 7 SO 3186/17 ER-B, L 2 SO 4213/14 WA, L 2 SO 3639/14 RG, L 2 SO 3507/14 ER-B) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

1. Die Berufung des Klägers zulässig ist, weil er diese form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegt hat und diese statthaft ist, da sie nicht der Zulassung bedarf (§§ 179 Abs. 1 SGG, 591 ZPO i.V.m. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGG).

2. Gegenstand des Verfahrens bildet - unter Berücksichtigung des sog. Meistbegünstigungsprinzip (vgl. dazu BSG, Urteil vom 10. November 2011 - B 8 SO 18/10 R - juris Rdnr. 13), wonach im sozialgerichtlichen Verfahren und im Verwaltungsverfahren gestellte Anträge bzw. Rechtsbehelfe ohne Bindung an den Wortlaut nach dem wirklichen Willen des Antragstellers auszulegen sind, um sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden, das Begehren des Klägers auf Wiederaufnahme des Verfahren S 1 SO 4688/06. In diesem Verfahren hatte das SG die Klage gegen den Bescheid vom 9. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2006, mit dem die Beklagte den Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X bezüglich einer (mündlichen) Leistungsablehnung vom 10. September 2001 abgelehnt hatte, durch Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2006 abgewiesen. In der Sache möchte er dieses Verfahren und das zugrundeliegende Überprüfungsbegehren wiederaufgreifen. Dabei ist auch zu berücksichtigten, dass ein Verfahren mit dem vom Kläger angegebenen Aktenzeichen S 1 SO 2426/14 ER nicht existiert und zudem ein Wiederaufnahmeantrag bzgl. eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (zuletzt S 1 SO 2462/14 ER) nicht zulässig wäre (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. April 2016 - L 9 KR 150/16 B ER RG - juris Rdnr. 2, LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Juli 2014 - L 11 KR 2850/15 - juris Rdnr. 4).

3. Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Die Klage auf Wiederaufnahme des durch Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2006 beendeten Verfahrens S 1 SO 4688/06, der nach Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das BSG durch Beschluss vom 21. November 2007 rechtskräftig geworden ist (vgl. § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG), ist wegen Ablaufs der Frist von fünf Jahren seit Rechtskraft dieses Gerichtsbescheids unstatthaft (§§ 179 Abs. 1 SGG, 586 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Gem. § 179 Abs. 1 SGG kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der ZPO wieder aufgenommen werden. Nach § 586 Abs. 1 ZPO sind diese Klagen vor Ablauf einer Notfrist eines Monats zu erheben. Die Frist beginnt dabei mit dem Tag, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils. Nach Ablauf von fünf Jahren, von dem Tag der Rechtskraft des Urteils an gerechnet, sind die Klagen gemäß § 586 Abs. 2 ZPO unstatthaft. Diese Frist ist vorliegend abgelaufen. Der Gerichtsbescheid, der gem. § 105 Abs. 3 SGG einem Urteil gleichsteht, vom 15. Dezember 2006 im Klageverfahren S 1 SO 4688/06 ist nach Zurückweisung der Berufung durch das LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 22. August 2007) und Verwerfung der Revision durch Beschluss des BSG vom 21. November 2007 rechtskräftig geworden. Im Zeitpunkt des Wiederaufnahmeantrages am 3. Juli 2017 ist die maßgebliche Fünf-Jahres-Frist nach § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO abgelaufen gewesen.

Im Übrigen hat der Kläger nicht ansatzweise einen Wiederaufnahmegrund i.S.d. §§ 579 und 580 ZPO schlüssig dargelegt (vgl. zu dieser Voraussetzung z.B. BSG, Beschluss vom 23. April 2014 - B 14 AS 368/13 B - juris Rdnrn. 8 f. m.w.N.). Weiterhin hat er bereits hinsichtlich des Gerichtsbescheids des SG vom 15. Juli 2006 im Klageverfahren S 1 SO 4688/06 sowie des Berufungsurteil des LSG Baden-Württemberg vom 22. August 2007 am 21. Juli 2014 einen Wiederaufnahmeantrag gestellt, den das LSG Baden-Württemberg durch Urteil vom 29. Juli 2015 (L 2 SO 4213/14 WA) als unzulässig verworfen hat, weil der Kläger schon seinerzeit keinen Wiederaufnahmegrund, sondern die bloße inhaltliche Unrichtigkeit der Ausgangsentscheidung geltend gemacht hatte. Mit seinem neuerlichen Wiederaufnahmeantrag macht er keinen neuen Wiederaufnahmegrund geltend, sondern wiederholt sein bisheriges Vorbringen. Daher steht der erneuten Wiederaufnahmeklage die Rechtskraft der früheren Entscheidung, nämlich das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 29. Juli 2015 - L 2 SO 4213/14 WA -, entgegen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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