L 1 AS 4297/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 2978/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 4297/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 10.10.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den vorläufigen Änderungsbescheid vom 28.09.2017 und begehrt die Gewährung höherer Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die geborene Antragstellerin steht im Leistungsbezug des Antragsgegners. Die Antragstellerin übt eine geringfügige Beschäftigung bei der Firma GmbH in R. als Reinigungskraft aus, aus dem sie Einkommen in unterschiedlicher Höhe bezieht. Die Beteiligten stritten bereits in der Vergangenheit in mehreren Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz darüber, ob die Anrechnung eines Durchschnittseinkommens von 450 EUR im Rahmen der vorläufigen Leistungsbewilligung rechtmäßig möglich sei. Mit Beschluss vom 20.03.2017 entschied der 9. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ([LSG] L 9 AS 586/17 ER-B), dass für die Zeit von September 2016 bis März 2017 kein Anordnungsgrund gegeben sei.

Auf einen Weiterbewilligungsantrag der Antragstellerin vom Juli 2016 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 22.06.2017 vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.08.2017 bis 31.01.2018 i.H.v. monatlich 529 EUR. Die Entscheidung über die Bewilligung sei vorläufig, da die Antragstellerin (in der Höhe wechselndes) Einkommen aus einer Beschäftigung erziele. Dabei ging der Antragsgegner von einem Bedarf in Höhe von 809 EUR aus (409 EUR Regelbedarf zzgl. 400 EUR Kosten der Unterkunft) und rechnete wie bereits in der Vergangenheit ein Einkommen i.H.v. 280 EUR an (monatliches Bruttoeinkommen i.H.v. 450 EUR abzüglich der Freibeträge in Höhe von 170 EUR). Einen hiergegen erhoben Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2017 zurück.

Bereits am 10.08.2017 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim SG und erhob zeitgleich Klage betreffend den Bewilligungszeitraum August 2017 bis Januar 2018 (S 9 AS 2431/17). Als Ziel des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutzes begehrte sie eine Verpflichtung des Antragsgegners, ihr zu Anfang jedes Monats die "vollen zustehenden Leistungen zu gewähren", womit eine Leistungserbringung zunächst ohne Anrechnung des noch nicht feststehenden Einkommens gemeint ist. Mit Beschluss vom 22.08.2017 (S 9 AS 2430/17) lehnte das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Eine hiergegen erhobene Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 11.10.2017 zurück (L 1 AS 3650/17).

Noch vor Abschluss des Beschwerdeverfahrens stellte die Antragstellerin am 31.08.2017 einen weiteren Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Auch in diesem Verfahren verfolgte die Antragstellerin sinngemäß das Ziel, Leistungen zunächst ohne Anrechnung des noch nicht feststehenden Einkommens bewilligt zu bekommen. Mit Beschluss vom 04.09.2017 (S 9 AS 2663/17 ER) lehnte das SG den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab.

Mit vorläufigem Änderungsbescheid vom 28.09.2017 änderte der Antragsgegner die Höhe der vorläufigen Leistungsbewilligung nach dem SGB II für die Zeit vom 01.11.2017 bis 31.01.2018 auf nunmehr monatlich 169 EUR ab. Der bisher in diesem Zusammenhang ergangene Bescheid vom 22.06.2017 werde aufgehoben. Als Grund der Änderung gab der Antragsgegner an, nach Vorlage einer Einkommensbescheinigung der Firma IRAS Gebäudereinigung und Hausmeisterservice werde ab November 2017 auch "ein fiktives Einkommen aus dieser Beschäftigung berücksichtigt." Der Antragsgegner setzte ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von prognostisch brutto 900 EUR an und berücksichtigte ein um Freibeträge bereinigtes Einkommen in Höhe von 640 EUR.

Hiergegen erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 30.09.2017 Widerspruch und hat am 02.10.2017 abermals einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim SG gestellt. In Wiederholung ihres Begehrens hat sie erneut sinngemäß das Ziel verfolgt, Leistungen zunächst ohne Anrechnung des noch nicht feststehenden Einkommens bewilligt zu bekommen.

Mit Beschluss vom 10.10.2017 hat das SG den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Kammer lasse offen, ob der Antrag bereits wegen Rechtskraft der ablehnenden Beschlüsse in den Verfahren S 9 AS 2430/17 ER und S 9 AS 2663/17 ER unzulässig sei, da der Antrag jedenfalls unbegründet sei. Es seien weder Anordnungsgrund noch Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Gegen den ihr am 12.10.2017 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am Montag, den 13.11.2017 Beschwerde erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, entgegen der Darstellung des SG im Sachverhalt stehe sie nicht seit Jahren, sondern erst wieder seit 01.03.2016 im SGB II Leistungsbezug. Es müsse gesichert werden, dass am Monatsanfang die Regelsätze und die Kosten der Unterkunft zur Verfügung stünden.

Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 30.11.2017 mitgeteilt, dass zwischenzeitlich die Entgeltabrechnungen für die Monate August, September und Oktober 2017 vorlägen, so dass (für diese Monate) nunmehr eine endgültige Festsetzung erfolgen könne. Der Antragsgegner hat errechnet, dass zu viel gezahlten Leistungen von insgesamt 433,22 EUR ein Nachzahlungsanspruch von 351,72 EUR gegenüberstehe. Es ergebe sich ein Erstattungsanspruch gegen die Antragstellerin in Höhe von 81,50 EUR. Wegen der Details wird auf den Inhalt des Schreibens vom 30.11.2017 verwiesen.

Der Senat hat der Antragstellerin zur Vorlage weiterer aktueller Gehaltsabrechnungen eine Frist zum 12.12.2017 gesetzt. Hierauf hat die Antragstellerin nicht reagiert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfahrensakten beider Rechtszüge, sowie die Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist statthaft und zulässig. Der Beschwerdeausschluss des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG greift nicht ein. Sie ist jedoch unbegründet.

Das SG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Soweit sich die Antragstellerin mit ihrem Begehren gegen den vorläufigen Änderungsbescheid vom 28.09.2017 wendet, handelt es sich bei sachdienlicher Auslegung ihres Begehrens allerdings nicht um einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, sondern begehrt wird sinngemäß die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der beim SG anhängigen Klage S 9 AS 2431/17. Der vorläufige Änderungsbescheid vom 28.09.2017 hat den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 22.06.2017, der Gegenstand des Klageverfahrens S 9 AS 2431/17 ist, abgeändert bzw. teilweise ersetzt und ist demnach gemäß § 96 Abs. 1 SGG zum Gegenstand des beim SG anhängigen Klageverfahrens geworden. Ein Eilantrag als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Sinne von § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist hier zulässig und statthaft, denn die Anfechtungsklage gegen den im Streit stehenden vorläufigen Änderungsbescheid vom 28.09.2017 hat gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.

Der Antrag ist aber nicht begründet. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage sieht das Gesetz nicht vor (vgl. Udsching in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Auflage 2011, Kapitel V, Rn. 31). Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse der Antragstellerin, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben (sog. Suspensivinteresse) und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu. Dabei ist die Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt. Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage, § 86b, 12c, Bayerisches LSG, Beschluss vom 16.07.2009 - L 7 AS 368/09 B ER -; Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.02.2015 - L 7 AS 23/15 B ER -, beide juris). Bei der Interessensabwägung ist neben den Erfolgsaussichten in der Hauptsache von besonderer Bedeutung, ob eine Dringlichkeit für das im Eilverfahren geltend gemachte Begehren vorliegt (Bayerisches LSG, Beschluss vom 26.04.2010, L 7 AS 301/10 ER, juris).

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Klageverfahrens gegen den vorläufigen Änderungsbescheid vom 28.09.2017 kommt unter Beachtung der zuvor genannten rechtlichen Grundsätze nicht in Betracht. Denn die diesbezügliche Klage der Antragstellerin wird nach derzeitiger Sach- und Rechtslage keinen Erfolg haben, so dass kein schützenswertes Interesse der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung besteht. Mit dem vorläufigen Änderungsbescheid vom 28.09.2017 hat der Antragsgegner die Vorläufigkeit der Bewilligung durch den Bescheid vom 22.06.2017 ausdrücklich aufrechterhalten. Der Antragsgegner war, nachdem die Antragstellerin im laufenden Bewilligungszeitraum einen Verdienst aus einer weiteren Beschäftigung erzielt hat, nach summarischer Prüfung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X berechtigt, die Höhe der vorläufigen Bewilligung abzuändern. Die vom Antragsteller erstellte Prognose mit einem um weitere 450 EUR auf insgesamt 900 EUR erhöhten Bruttoeinkommen, ist jedenfalls nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Maßgeblich für die Entscheidung des Senats ist jedoch, dass keinerlei Dringlichkeit für das im Eilverfahren geltend gemachte Begehren vorliegt. Bereits mit rechtskräftigem Beschluss vom 11.10.2017 hat der Senat entschieden, dass hier keine Eilbedürftigkeit besteht, da der Antragsgegner nach Kenntnis über den tatsächlich erzielten Verdienst jeweils binnen weniger Tage hierauf reagiert und im Bedarfsfall Leistungen nachgezahlt hat. Der Sachverhalt ist jedoch vorliegend wiederum dadurch geprägt, dass die Antragstellerin Gehaltsabrechnungen nicht zeitnah vorlegt. Auch auf die entsprechende Aufforderung des Senats zur Vorlage weiterer Unterlagen bis zum 12.12.2017 hat die Antragstellerin nicht reagiert und insbesondere keine Abrechnung für November 2017 vorgelegt. Bei dieser Sachlage ist für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes kein Raum, da hier keinerlei Anhaltspunkte für ein das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegendes Suspensivinteresse der Antragstellerin bestehen. Lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass der Antragstellerin jedenfalls in den Monaten August, September und Oktober 2017, für die Antragstellerin zwischenzeitlich Gehaltsabrechnungen vorgelegt hat, nach Berechnung des Antragsgegners mit der vorläufigen Bewilligung tatsächlich in Summe zu hohe Leistungen bewilligt wurden, so dass sich bei der nunmehr noch zu treffenden endgültigen Bewilligungsentscheidung ein Erstattungsanspruch gegen die Antragstellerin in Höhe von 81,50 EUR ergeben wird. Dass sich der tatsächliche Verdienst der Antragstellerin ab November 2017 verringert hat, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Soweit die Antragstellerin sinngemäß über die Anordnung der aufschiebende Wirkung ihres Widerspruch hinaus auch begehrt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihr zu Anfang jedes Monats Leistungen zunächst ohne Anrechnung des noch nicht feststehenden Einkommens zu erbringen, damit sie Ausgaben wie Miete usw. leisten könne, hat der Senat über dieses Begehren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits mit Beschluss vom 11.10.2017 entschieden. In diesem Beschluss hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin insoweit nicht besser oder schlechter als sonstige Arbeitnehmer steht, die keine Leistungen nach dem SGB II beziehen und ihren Lebensunterhalt vollumfänglich aus eigenem Einkommen bestreiten müssen und es ihr im Übrigen frei steht, im akuten Bedarfsfall eine vorzeitigte Leistungserbringung gemäß § 42 Abs. 2 SGB II zu beantragen. Die Entscheidung des Senats vom 11.10.2017 ist rechtskräftig, so dass eine erneute gerichtliche Geltendmachung des inhaltsgleichen Begehrens unzulässig ist. Auch Beschlüsse über Anträge auf einstweilige Anordnung erwachsen in formelle und materielle Rechtskraft, wenn kein Rechtsmittel mehr möglich ist oder ein solches nicht eingelegt wird (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.04.2014 – L 2 AS 572/14 B ER –, juris; Keller a.a.O., § 86b, Rn. 44a).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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