L 8 U 44/10

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 20 U 120/08
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 8 U 44/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 144/14 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 27. April 2010 wird zurückgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin sind auch im Berufungs- verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Lungenkrebserkrankung ihres 1936 geborenen und 2004 verstorbenen Ehemannes als Folge einer Berufskrankheit.

Der verstorbene Ehemann der Klägerin (der Versicherte) meldete mit Schreiben vom 4. Dezember 2001 eine Lungenkrebserkrankung und führte diese auf seine Beschäftigung als Chemiewerker bei der Firma B in der Zeit von Mitte Januar 1967 bis Anfang Februar 1968 zurück. Unter dem 17. Dezember 2001 berichtete Dr. S für den Kläger Gewichtsreduktionsbeschwerden und ein Plattenepithelkarzinom des rechten Lungenlappens. Unter dem 29. November 2001 berichtete Dr. M die Erstdiagnose des Plattenepithelkarzinoms des rechten Lungenlappens im November 2001 sowie eine chronisch obstruktive Bronchitis. Der Versicherte leide seit Juni 2001 unter Gewichtsverlust von 20 kg. Zurzeit rauche er noch zwei Zigaretten pro Tag, früher 40 Zigaretten pro Tag über 46 Jahre. Unter dem 14. Januar 2002 teilte die Firma B mit, dass der Versicherte vom 18. Januar 1967 bis zum 5. Februar 1968 als Chemiearbeiter bei ihr tätig gewesen und Trichlorbenzol ausgesetzt gewesen sei. Im Prüfbericht vom 13. Mai 2002 stellte die ERGO-Forschungsgesellschaft mbH (ERGO) fest, Tetrachlordibenzodioxin (2,3,7,8-TCDD = TCDD -) weise den Toxiditätsfaktor 1 auf und es sei für den Versicherten ein Blutmesswert von 7,8 ppt ermittelt worden. Für Beta-Hexachlorzyklo¬hexan (HCH) sei ein Wert von 5,8 µg/l ermittelt worden. Die staatliche Gesundheitsärztin Dr. Ma teilte unter dem 17. Juni 2003 mit, dass bei der Bewertung durch die ERGO-Forschungsgesellschaft zwar eine geringfügige Überschreitung bei diesen Stoffen festgestellt worden sei. Die geringfügigen Erhöhungen der verschiedenen Dioxinisomere seien jedoch auf die erhebliche Gewichtsabnahme zurückzuführen, so dass daraus zu schließen sei, dass der Versicherte nicht in hohem Maße gegenüber Dioxinen exponiert gewesen sei. Bei der Lungenkrebserkrankung des Versicherten handele es sich nicht um eine Berufskrankheit der Ziffer 1310 der Berufskrankheitenverordnung (BK 1310), da eine adäquate Exposition nicht nachgewiesen werden könne.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. August 2003 die Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Ziffer 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) bzw. einer BK 1310 (Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide) ab. Dagegen legte der Versicherte am 13. August 2002 Widerspruch ein. Er berief sich auf ein Schreiben von Prof. Dr. Mb vom 15. Oktober 2002, der ausgehend von 7,8 ng TCDD pro kg Blutfett zurückgerechnet auf das Jahr des Ausscheidens aus dem B r Betrieb durch den Versicherten zu einem Wert von 213 ng pro kg kommt. Auch HCH sei krebserzeugend und bei Rückrechnung auf das Jahr 1968 ergebe sich eine Belastung, die als toxisch zu bewerten sei. Dr. F errechnete nach Aufforderung durch die Beklagte unter dem 27. August 2003 bezogen auf den Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus dem Betrieb die TCDD-Exposition mit 67,4 ng/kg.

Mit Bescheid vom 9. Januar 2003 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 4104 (Lungenkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaubdosis von mindestens 25 Faserjahren) ab. Dagegen legte der Versicherte am 24. Januar 2003 Widerspruch ein. Das Institut für Pathologie teilte in den Gutachten vom 10. Oktober 2002 und vom 11. Juli 2003 mit, dass nach den Untersuchungsergebnissen weder eine BK 4104 noch eine BK 4112 angenommen werden könne.

Daraufhin wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 7. August 2002 und 9. Januar 2003 mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2004 zurück. Eine Krebserkrankung infolge einer TCDD-Einwirkung könne nur dann anerkannt werden, wenn eine hohe Belastung durch diese Substanz zum Ende der Beschäftigung bei der Firma B r vorgelegen habe. Eine hohe Belastung werde gemäß der Konvention zur Anerkennung 2.3.7.8 TCDD induzierter Krebserkrankungen ab einem Wert von 300 bis 200 ppt angenommen. Die bei dem Versicherten festgestellte erhebliche Gewichtsabnahme habe einen massiven Einfluss auf die bei ihm vorliegende interne Dioxinbelastung. Daher sei davon auszugehen, dass der erhobene Wert keine gesicherten Rückschlüsse auf die tatsächlich bei dem Kläger vorliegende Dioxinbelastung zulasse. Bei Rückrechnung unter Berücksichtigung des so genannten Medianwerts (allgemein in der Bevölkerung vorliegende Belastung des Blutes) würde sich allerdings auch keine hohe Belastung im Sinne der Konvention ergeben, sondern ein Wert von ca. 160 ppt. Auch nach der AUC-Methode ergebe sich ein Wert von 67,4 ppt x Jahre, der weit entfernt von einer hohen Belastung mit TCDD sei. Erkenntnisse, die eine generelle Geeignetheit von Beta-HCH in Bezug auf eine Krebserkrankung beweisen könnten, gäbe es nicht. Auch sei weder eine BK 4104 noch eine BK 4112 anzuerkennen.

Der Versicherte hat am 5. März 2004 Klage erhoben (S 20 U 50/04). Er meint, er sei bei der Firma B r einer erhöhten Giftbelastung ausgesetzt gewesen. Sein Begehren hinsichtlich der BK 4104 und BK 4112 verfolge er nicht weiter.

Nach dem Tod des Versicherten 2004 hat das Sozialgericht das Verfahren ausgesetzt und nach Aufnahme durch die Klägerin mit Schriftsatz vom 29. Juli 2008 unter dem Aktenzeichen S 20 U 120/08 fortgesetzt.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 7. August 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Lungenkrebserkrankung des verstorbenen Versicherten als gesundheitliche Folge einer Berufskrankheit bzw. einer "Wie-Berufskrankheit" anzuerkennen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. P vom 6. Januar 2010 berufen, in der dieser ausführt, erst die AUC-Methode unter Einbeziehung der Faktoren Lebensalter, Körperfettanteil und Raucherstatus käme zu aussagekräftigen Ergebnissen. Danach ergebe sich zum Expostionsende ein TCDD-Wert von 77 ppt, der noch deutlich unter dem im Widerspruchsbescheid angenommenen Wert von 160 ppt liege. Im Übrigen sei der im Dezember 2001 festgestellte TCDD-Wert nicht repräsentativ, da der Versicherte erheblich an Gewicht verloren gehabt habe. Gegen eine hohe TCDD-Belastung spreche auch die nur ca. ein Jahr dauernde Exposition.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten von Dr. S , Arzt für innere Medizin und Arbeitsmedizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Umweltmedizin, eingeholt. In seinem Gutachten vom 29. März 2010 führt der Sachverständige aus, dass hinsichtlich TCDD nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Lehrmeinung eine Anerkennung als Berufskrankheit in Betracht gezogen werden könne, wenn eine Latenzzeit von nicht wesentlich unter 20 Jahren anzunehmen sei, konkurrierende Faktoren wie Rauchen und andere nicht berufliche Ursachen als unwesentlich ausgeschieden werden könnten und eine hohe TCDD-Exposition, die durch Chlorakne oder Analysen im Bluttest nachgewiesen seien, vorlägen. Die Latenzzeit sei bei dem Versicherten mit deutlich über 20 Jahren erfüllt. Konkurrierender wesentlicher Faktor sei jedoch das Zigarettenrauchen. Bei dem Versicherten sei im Übrigen eine unwesentlich über der Hintergrundbelastung liegende Konzentration von TCDD sowie anderer Tetra-Penta-Isomeren nachgewiesen worden. Die Rückrechnung habe eine Konzentration zum Zeitpunkt der Aufgabe der belastenden Tätigkeit um etwa 150 ppt ergeben. Die TCDD-Belastung liege in einem Bereich, in dem keine statistisch erhöhte Mortalität für Tumore bestehe. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der damaligen beruflichen Belastung des Versicherten bei der Firma B r mit polychlorierten Dibenzodioxinen/Furanen und dem Bronchialkarzinom, an dem der Versicherte verstorben sei, sei nicht nachzuweisen. Ebenfalls lasse sich ein Zusammenhang zwischen einer erhöhten Lungenkrebsrate und einer Beta-HCH-Belastung auf epidemiologischer Ebene nicht belegen.

Daraufhin hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 27. April 2010 abgewiesen und ausgeführt, die Klage sei insoweit unzulässig, als beantragt sei, die Lungenkrebserkrankung des Versicherten als gesundheitliche Folge einer "Wie-Berufs-krankheit" anzuerkennen, denn insoweit fehle es an einer Entscheidung der Beklagten im Widerspruchsverfahren. Im Übrigen sei sie unbegründet. Die Lungenkrebserkrankung des Versicherten sei keine "passende" Folgeerkrankung zur BK 1302. Hinsichtlich der BK 1310 sei der Versicherte keinen beruflichen Belastungen bzw. Einwirkungen ausgesetzt gewesen, die geeignet gewesen seien, die geltend gemachte Erkrankung zu verursachen. Im Übrigen liege bei dem Versicherten durch sein starkes Rauchen ein konkurrierender, ursächlicher Faktor vor. Das Urteil ist dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14. Septem¬ber 2010 zugestellt worden.

Die Klägerin hat am 5. Oktober 2010 Berufung eingelegt. Sie beruft sich auf diverse Stellungnahmen von Prof. Dr. Fa der Beratungsstelle für ehemalige Mitarbeiter der Firma C. H. B , vom 23. November 2010, 15. Februar, 12. April, 29. September, 6. Dezember 2011, 27. März, 7. August, 9. Oktober 2012, 5. März, 6. April und 16. Oktober 2013 sowie von Prof. Dr. Mb vom 12. Februar 2010, 18. Oktober und 26. November 2013. Diese halten die beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. P und das Gutachten von Dr. S für fehlerhaft. Sie halten die Wahrscheinlichkeit für weitaus größer, dass die Erkrankung an Lungenkrebs mit Todesfolge des Versicherten mit dessen Dioxin- und HCH-Expositionen und Belastungen über viele Jahre kausal zusammenhänge, als das eine so genannte schicksalshafte Krankheit andere Ursachen gehabt habe. Bei aktuellen Untersuchungen der B r Kohorte sei ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko statistisch gesichert. Dabei sei die Wahrscheinlichkeit des Krebstodes unabhängig von der Dauer der Tätigkeit, der Dosis und Einwirkungsintensität am Arbeitsplatz und auch unabhängig vom Zeitpunkt des Todes nach Beendigung der Tätigkeit mit Exposition. Aus diesem Grunde sei der von der Beklagten angewandte Schwellenwert von 200 ng/kg TCDD nicht haltbar. Da auch für andere Krebsformen statistisch erhöhte Risikoraten nachgewiesen seien, sei von einer so genannten Promotorwirkung des TCDD insgesamt auszugehen, so dass eine Dosis-Wirkungsbeziehung entfalle. Hinsichtlich dessen, dass bei der B r Kohorte wegen der dortigen Expositionen ein erhebliches, statistisch signifikantes Risiko vorgelegen habe, an Krebs zu erkranken, berufen sie sich auf eine Studie von M und anderen aus dem Jahre 2012 (M u. a. 2012). Andere Stellungnahmen, die kein erhebliches Krebsrisiko annähmen (z. B. Gutachten von Prof. Dr. U und Prof. Dr. B ), wiesen erhebliche Widersprüche auf, so dass diesen nicht gefolgt werden könne. Auch das Gutachten von Dr. W sei fehlerhaft. Zudem sei nicht berücksichtigt worden, dass die Gewichtsabnahme des Versicherten erst nach der Messung der Blutfettwerte erfolgt sei und dieser weniger geraucht habe als angegeben.

Der Senat hat die vom jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin gestellten Anträge,

die mündliche Verhandlung zu vertagen, ihm rechtliches Gehör durch Akteneinsicht zu gewähren, ein neues Sachverständigengutachten nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einzuholen und hilfsweise ein entsprechendes Gutachten nach § 109 SGG einzuholen,

jeweils in der mündlichen Verhandlung abgelehnt.

Daraufhin beantragt die Klägerin,

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 27. April 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. August 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Lungenkrebserkrankung des verstorbenen Versicherten als gesundheitliche Folge einer Berufskrankheit anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf Stellungnahmen des beratenden Arztes Dr. P vom 3. Ja¬nuar 2011, 11. Januar, 2. Mai, 19. September 2012 sowie 20. März 2013. Sie verweist weiter auf ein Verfahren vor dem Sozialgericht Hamburg (S 36 U 275/09), in dem der Gutachter Prof. Dr. U ausgeführt habe, dass die Untersuchung M u. a. 2012 keinen Zusammenhang zwischen Dioxinexposition und Krebs festgestellt habe, sowie auf ein im Verfahren L 14 U 16/10 vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen erstelltes Gutachten von Prof Dr. B , der ebenfalls in der Studie M u. a. 2012 keine neuen Erkenntnisse habe feststellen können.

Der Senat hat ein Gutachten von Dr. W eingeholt. Dieser kommt in seinem Gutachten vom 30. August 2013 zu dem Ergebnis, dass die berufliche Belastung des Versicherten im Vergleich zu dem Einfluss des Zigarettenrauchens (92 Packungs¬jahre) nicht wesentlich für die Entwicklung der Erkrankung gewesen sei. Das Vorliegen einer Berufskrankheit der Nummern 1302 bzw. 1310 sei bei dem Versicherten nicht wahrscheinlich.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beiakten Bezug genommen; diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig.

Der Senat ist nicht gehindert, in der Sache selbst zu entscheiden.

Der Gerichtstermin am 14. Mai 2014 war weder vorab zu verlegen noch in der heutigen Sitzung zu vertagen. Gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden, wenn dafür erhebliche Gründe vorliegen. Die erstmalige Beauftragung eines Prozessvertreters kann einen erheblichen Grund darstellen (Kühl in Breitkreuz/Fichte, Kommentar zum SGG, 2. Aufl. 2014, § 110, Rdn. 9). Dies gilt aber nicht, wenn der Prozessbevollmächtigte ohne Grund so spät beauftragt wird, dass er keine Möglichkeit mehr hat, sich auf den Termin vorzubereiten (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig u. a., Kommentar zum SGG, 10. Aufl. 2012, § 110, Rdn. 5a). Hier hat es die Klägerin zu vertreten, dass ihr jetziger Prozessbevollmächtigter nicht ausreichend Zeit hatte, um sich auf die mündliche Verhandlung vorzubereiten (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 27. Oktober 1955 – 4 RJ 6/54 –, BSGE 1, S. 280, 283). Der Klägerin wurde die Ladung zum Termin am 14. Mai 2014 am 10. Januar 2014 zugestellt. Erst am 5. Mai 2014 hat sie die Vollmacht für ihren neuen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet. Dieser hat seine Mandatsübernahme mit Schriftsatz vom 6. Mai 2014, eingegangen bei Gericht am 8. Mai 2014, mitgeteilt und um Terminsaufhebung gebeten. In diesem Schreiben ist kein Grund für eine verspätete Beauftragung des Prozessbevollmächtigten benannt. Erst mit Schriftsatz vom 14. Mai 2014 ist ausgeführt worden, die Klägerin habe erst durch ein Gespräch mit ihrem jetzigen Prozessbevollmächtigten den Eindruck gewonnen, dass allein die Ladung des bereits mit dem schriftlichen Gutachten beauftragten Sachverständigen Dr. W zur mündlichen Verhandlung darauf schließen lasse, dass das Berufungsverfahren negativ ausgehen könne. Dieses sei der Grund für die nunmehr kurzfristige Beauftragung des Prozessbevollmächtigten. Dies stellt aber keinen erheblichen Grund dar, denn dass der Senat keinen weiteren Gutachter hinzugezogen hat, war der Klägerin seit Zugang der Ladung am 10. Januar 2014 bekannt. Die erst später gewonnene Erkenntnis, ein Verfahren könne negativ ausgehen, ist kein Grund, der eine verspätete Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten rechtfertigen könnte. Da sich die Klägerin nicht auf einen erheblichen Grund im Sinne des § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO berufen kann, kommt es auf den Vortrag des Prozessbevollmächtigten, dass keine Prozessverschleppungsabsicht zugrundeliege, nicht an.

Vor diesem Hintergrund war der Termin nicht zu vertragen, um dem neuen Prozessbevollmächtigten der Klägerin rechtliches Gehör durch Akteneinsicht zu gewähren. Dem mit Schriftsatz vom 6. am 8. Mai 2014 gestellten Antrag auf Akteneinsicht durch Übersendung der Akten in das Büro des Prozessbevollmächtigten und mit Schriftsatz vom 12. Mai 2014 am selben Tage wiederholten Antrag war nicht stattzugeben. Eine Übersendung der Akten in das Büro des Prozessbevollmächtigten kam wegen Vorbereitung auf den Termin nicht in Betracht. Mit Schreiben der Vorsitzenden des Senats vom 12. Mai 2014, dem Prozessbevollmächtigten am selben Tage zugegangen, ist dieser aber darauf hingewiesen worden, dass er Einsicht in die Akten auf der Geschäftsstelle des Senats nehmen könne noch vor dem Termin am 14. Mai 2014, 14:30 Uhr.

Der Senat sieht keinen Anlass, ein neues Gutachten nach § 106 SGG einzuholen. Für den Senat ist die Frage, ob das Bronchialkarzinom des Versicherten durch die beruflichen Belastungen verursacht ist, ausreichend geklärt durch die Gutachten von Dr. S und Dr. W.

Auch der hilfsweise gestellte Antrag, ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen, war abzuweisen. Gemäß § 109 Abs. 2 SGG kann das Gericht einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Ein Beteiligter muss den Antrag nach § 109 SGG spätestens dann innerhalb angemessener Frist stellen, wenn er erkennen muss, dass das Gericht keine weiteren Erhebungen von Amts wegen durchführt (Keller in Meyer-Ladewig u. a., a.a.O., § 109, Rdn. 11). Hier war der Klägerin mit Zugang der Ladung am 10. Januar 2014 bekannt, dass der Senat Dr. W als Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens geladen hatte und darüber hinaus keine weitere Beweiserhebung beabsichtigt war. Ab diesem Zeitpunkt hätte sie in angemessener Frist, die in der Regel mit einem Monat ausreichend angenommen wird (Keller, a.a.O.), den Antrag auf Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens auf ihre Kosten stellen müssen. Der erst vier Monate später gestellte Antrag ist verspätet. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige Dr. W nur den Inhalt seines Gutachtens wiederholt. Inhaltliche Fragen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hierzu nicht gestellt. Neue Gesichtspunkte, die zu der Stellung eines Antrages nach § 109 SGG erst in der mündlichen Verhandlung berechtigt hätten, haben sich in dem Termin nicht ergeben.

Die Berufung ist nicht begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Lübeck und die angegriffenen Bescheide der Beklagten verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten und sind daher nicht aufzuheben.

Die Klägerin hat als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes keinen Anspruch darauf, dass die bei ihrem Ehemann festgestellte Erkrankung der Lunge als Berufskrankheit anerkannt wird.

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII) sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch die Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Zur Feststellung einer Berufskrankheit muss generell die Verrichtung einer – grund-sätzlich – versicherten Tätigkeit zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (BSG, Urteil vom 2. April 2009 – B 2 U 9/08 R). Die Ursachenzusammenhänge sind dagegen nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu bestimmen, so dass hierfür die hinreichende Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – ausreicht. Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R). Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 28. November 2012 – L 8 U 30/11).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, dass die Krebserkrankung des Versicherten durch die Belastungen am Arbeitsplatz bei der Firma B r verursacht wurde.

Die von der Klägerin geltend gemachten Berufskrankheiten liegen nicht vor.

Die BK 1302 (Krebserkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) und die BK 1310 (Krebserkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide) können nicht anerkannt werden. Voraussetzungen sind eine entsprechende Latenzzeit, eine Expositionszeit und –höhe sowie das Nichtvorliegen konkurrierender wesentlicher Faktoren (vgl. Schönberger u. a., Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Seiten 1133 ff., 1236, 1245). Die Latenzzeiten treffen für den Versicherten zu. Es sind aber keine ausreichend hohen Expositionswerte nachgewiesen. Die von ERGO ermittelten Werte sind nach den Aussagen der staatlichen Gewerbeärztin, den Stellungnahmen von Dr. P , dem Gutachten von Dr. S und dem Gutachten von Dr. W nicht konkret verwertbar, denn aufgrund der vorherigen erheblichen Gewichtsreduzierung des Versicherten erscheinen diese Werte überhöht. Offenbar folgt dem auch Prof. Dr. Mb , wenn er anführt, die Gewichtsreduktion sei erst später erfolgt. Letzteres ist allerdings nicht zutreffend, denn bereits bei dem Bericht von Frau Dr. Ma vom 29. November 2001 ist aufgeführt, dass der Versicherte von Juni bis November ca. 20 kg abgenommen habe. Die Messungen durch ERGO erfolgten im Dezember 2001 und somit nach der wesentlichen Gewichtsreduktion.

Werden diese Werte allerdings dennoch zugrundegelegt – wobei Dr. W davon ausgeht, dass das wegen der Gewichtsreduktion rein spekulativ sei – , ist der Beklagten und den Gutachten von Dr. S und Dr. W darin zu folgen, dass die Belastungen – zurückgerechnet auf das Ende der Exposition – erheblich unterhalb der geforderten Werte liegen. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Exposition von TCDD und einer Erkrankung wird nach Zurückrechnung bei einer Konzentration von 200 bis 300 ppt angenommen. Dr. S kommt zu einem Wert von ca. 150 ppt, die Beklagte im Anschluss an die Berechnungen von Dr. P zu ca. 160 ppt, Dr. F zu 67,4 ng/kg. Danach ist die Belastung nicht als kausal für den Lungenkrebs des Versicherten anzunehmen. Eine erhebliche HCH-Belastung ist ebenfalls nicht festgestellt worden.

Insoweit ist – wie sich aus den Gutachten und den Stellungnahmen von Dr. P ergibt – auch von einer Dosis-Wirkungsbeziehung dahingehend auszugehen, dass bei höherer Belastung ein größeres Krebsrisiko besteht, so dass sich Grenzwerte rechtfertigen. Die von Prof. Dr. Fa und Prof. Dr. Mb aufgeführte Meinung, die Untersuchung M u. a. 2012 komme zu dem Ergebnis, dass es eine solche Dosis-Wirkungsbeziehung nicht gebe und bereits bei geringen Dosen ein erhöhtes, statistisch signifikantes Krebsrisiko bestehe, ist nicht zutreffend und lässt sich auch aus dieser Untersuchung nicht ableiten. Wie in dem Aufsatz von M und G (Dioxinexposition und Mortalität: Neue Erkenntnisse aus der Hamburger Dioxin Kohorte, Festschrift zur Irritierung von Prof. Xaver Bauer) ausgeführt ist, liegen nach M u. a. 2012 zwar neue Ergebnisse zur Dosis-Wirkung in dem Dioxin belasteten Kollektiv B r vor, die zumindest eine kritische Auseinandersetzung mit der in der Anerkennungspraxis der Berufskrankheit Nr. 1310 gängigen Konvention einer rückgerechneten Konzentration von bis mindestens 200 ppt TCDD forderten. Es finde sich auch ein ähnlich hohes Risiko unter 200 ppt. Andererseits seien die retrospektiven Schätzungen der Expositionshöhen auf Basis von Messungen nach Ende der Exposition mit hohen Unsicherheiten behaftet. Daraus ergibt sich gerade, dass gesicherte Erkenntnisse aus dieser Untersuchung nicht zu gewinnen sind. Fehlt es aber an einem Nachweis für eine erforderliche hohe Exposition, kann eine Berufskrankheit nicht anerkannt werden.

Selbst wenn durch M u. a. 2012 gesicherte Erkenntnisse im Sinne des Begehrens der Klägerin gewonnen wären – was gerade nicht der Fall ist –, so wäre das für die Anerkennung einer Berufskrankheit für den Versicherten nicht von Bedeutung. Für die Entscheidung, ob der Tod eines Versicherten infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Versicherte verstorben ist (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 – B 2 U 5/08 R –, recherchiert bei juris; Schles¬wig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 19. Februar 2014 – L 8 U 40/11). Später gewonnene Erkenntnisse sind daher nicht relevant.

Hier kommt hinzu, dass der Versicherte starker Raucher war. Sowohl Dr. S als auch Dr. W kommen daher zutreffend zu dem Ergebnis, dass das Rauchen wesentliche Ursache für das Lungenkarzinom des Versicherten war, an dem dieser sehr wahrscheinlich verstorben ist. Dies führt Dr. W im Einzelnen aus. Dem kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, der Versicherte habe wesentlich weniger geraucht. Im November 2001 hat er gegenüber Frau Dr. Ma selbst geäußert, er habe über 46 Jahre lang ca. 40 Zigaretten täglich geraucht. Dies ist im Laufe des Verfahrens – außer der Aussage, das treffe so nicht zu – nicht bestritten worden. Zu dem Zeitpunkt, als das Lungenkarzinom bereits festgestellt worden war, hat er dennoch weiter geraucht. Das lässt auf eine sehr starke Abhängigkeit aufgrund erheblichen Zigarettenkonsums schließen. Dr. W hat im Einzelnen dargestellt, welche Wirkung das exzessive Rauchen des Versicherten hatte. Bei dem Versicherten hat es sich um einen Raucher gehandelt, dessen Nikotinkonsum jede andere (hier die berufliche) Ursache so stark in den Hintergrund drängt, dass über die raucherbedingte Ursächlichkeit seiner Erkrankung kein ernsthafter Zweifel besteht. Dr. W hat weiter ausgeführt, der Vergleich der Risiken, an einem Bronchialtumor zu erkranken, betrage bei TCDD unter 2. Für das bei dem Versicherten aktenkundig dokumentierte Rauchen liege es mindestens um das Zehn- bis 20 Fache höher. Die bei dem Versicherten im Bereich der Atmungsorgane festgestellte Krankheit (Bronchialkrebs) sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch berufsbedingte Expositionen im Sinne der BK 1302 bzw. 1310 verursacht worden. Wahrscheinliche Ursache sei der sehr hohe Zigarettenkonsum von 92 Packungsjahren. Die aktenkundige, für die Dauer eines guten Jahres nachgewiesene HCH- und TCDD-Belastung habe unfallversicherungsrechtlich nicht wesentlich zur Entwicklung des Tumors beigetragen. Dem schließt sich der Senat an.

Er befindet sich damit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 2. Dezember 2010 – L 3 U 227/07) kommt bei mehr als 31 Packungsjahren zu dem Ergebnis, dass bei einem langjährigen starken Raucher, der an einer chronisch obstruktiven Bronchitis erkrankt, grundsätzlich der langjährige Zigarettenkonsum als wesentliche Bedingung der Erkrankung in Betracht zu ziehen sei. Das Hessische Landessozialgericht (Urteil vom 23. August 2013 – L 9 U 30/12 ZVW) hält starkes privates Rauchen (ca. 29 Packungsjahre) für eine Konkurrenzursache, die den Nachweis, dass ein Bronchialkarzinom auf beruflich bedingte Belastungen zurückzuführen sei, ausschließe.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG durch den Senat zuzulassen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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