S 27 KA 305/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
27
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 27 KA 305/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Honorarabrechnungen für das erste und zweite Quartal 2015.

Die Klägerin ist eine GmbH, die im Bezirk der Beklagten mehrere Gesundheitszentren (Medizinische Versorgungszentren, MVZ) betreibt. Mit Honorarbescheid vom 20.8.2015 setzte die Beklagte für das erste Quartal 2015 für das damalige Gesundheitszentrum B. ein Honorar von 133.130,76 EUR fest. Darin war kein Individuelles Leistungsbudget (ILB) für die übrigen Leistungen der Kinderärzte enthalten. Die von der Klägerin für diesen Bereich angeforderte Vergütung betrug 44.973,82 EUR. Am 22.9.2015 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein und erklärte, dieser richte sich u.a. gegen die Nichtgewährung eines ILB für Frau Dr. C ... Es werde beantragt, Frau Dr. A. ein angemessenes ILB aus Gründen der Sicherstellung zu gewähren, hilfsweise ihr ein ILB in Höhe der von ihr erbrachten Leistungen zuzuweisen. Mit Bescheid vom 19.11.2015 setzte die Beklagte für das zweite Quartal 2015 für das Gesundheitszentrum B. ein Honorar in Höhe von insgesamt 141.761,16 EUR fest. Darin war kein ILB für die übrigen Leistungen der Kinderärzte enthalten. Die von der Klägerin für diesen Bereich angeforderte Vergütung betrug 45.269,05 EUR. Am 15.12.2015 legte die Klägerin auch hiergegen mit gleichlautender Begründung Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.9.2016 wies die Beklagte die Widersprüche unter Hinweis auf die geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen zurück.

Mit ihrer am 17.10.2016 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin weiter dagegen, dass für die übrigen Leistungen der Kinderärzte für das erste und zweite Quartal 2015 ein ILB von Null zugewiesen wurde. Das fachgruppendurchschnittliche ILB habe im Quartal 1/2015 36.725,92 EUR und im Quartal 2/2015 40.049,63 EUR betragen. Das ILB für Frau Dr. A. hätte auf die Höhe des fachgruppendurchschnittlichen ILB angehoben werden müssen, weil Frau Dr. A. Arztsitze übernommen habe. Es werde auf den Vortrag in den übrigen Verfahren zu § 17 VM verwiesen.

Die Klägerin beantragt, die Honorarbescheide für die Quartal 1/2015 und 2/2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.9.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, insbesondere der im MVZ der Klägerin tätigen Ärztin Dr. A. ein arztgruppendurchschnittliches individuelles Leistungsbudget unter Berücksichtigung des Tätigkeitsumfangs zuzuweisen und dies in die Abrechnung einzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und den Inhalt ihrer Verwaltungsakte. Ergänzend trägt sie vor, mit Bescheid vom 25.4.2017 sei dem Antrag der Klägerin auf ILB Anpassung für Frau Dr. A. wegen Versorgungsübernahme der Patienten von Z., L. und S. entsprochen worden. Für das erste Quartal 2015 habe die Klägerin eine Gutschrift von 11.552,15 EUR und für das zweite Quartal eine Gutschrift von 11.540,13 EUR erhalten. Dieser Bescheid sei bestandskräftig geworden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Prozessakte der Kammer und der Verwaltungsakte der Beklagten. Diese haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat die Beklagte auch unter Berücksichtigung des Bescheides vom 25.4.2017 kein arztgruppendurchschnittliches ILB für Frau Dr. A. im ersten und zweiten Quartal 2015 bei den Honorarabrechnungen zu Grunde gelegt. Die Beklagte hat sich zutreffend an die Vorgaben ihres Verteilungsmaßstabs (VM, hier in der ab 1.1.2014 geltenden Fassung vom 12.12.2013) gehalten.

Der VM der Beklagten verstößt dabei nicht gegen höherrangiges Recht. Ab 1.1.2012 war die Beklagte berechtigt, einen Verteilungsmaßstab anzuwenden, der im Benehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und der Ersatzkassen festgesetzt worden war (§ 87 b Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, SGB V, in der Fassung des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 5.9.2011). Nach § 87 b Abs. 2 Satz 1 SGB V hat der Verteilungsmaßstab Regelungen vorzusehen, die verhindern, dass die Tätigkeit des Leistungserbringers über seinen Versorgungsauftrag nach § 95 Absatz 3 SGB V oder seinen Ermächtigungsumfang hinaus übermäßig ausgedehnt wird; dabei soll dem Leistungserbringer eine Kalkulationssicherheit hinsichtlich der Höhe seines zu erwartenden Honorars ermöglicht werden. Von dieser Möglichkeit hat die Beklagte erstmals mit dem Verteilungsmaßstab vom 1.10.2013 ab dem vierten Quartal 2013 Gebrauch gemacht, indem sie ab dem vierten Quartal 2013 Individuelle Leistungsbudgets der Honorarabrechnung zu Grunde legte. Zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit wird je Quartal und Arzt ein individuelles Leistungsbudget in Euro als Obergrenze der Vergütung vertragsärztlicher Leistungen vorgeben (§ 15 Abs. 1 Satz 1 VM). Die innerhalb der individuellen Leistungsbudgets unter Berücksichtigung von Verrechnung nach § 15 Abs. 1 abgerechneten Leistungen werden der Arztpraxis zu den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet (§ 15 Abs. 2 Satz 1 VM). Die darüber hinaus gehende Leistungen werden zu quotierten Preisen vergütet (§ 15 Abs. 2 Satz 2 VM). Diese Regelung hatte zur Folge, dass die von Frau Dr. A. im ersten und zweiten Quartal 2015 erbrachten ILB-Leistungen teilweise quotiert vergütet wurden, weil Frau Dr. A. als angestellte Ärztin der Klägerin ein sitzbezogenes Leistungsbudget zugewiesen war (§ 16 Abs. 1 VM), das lediglich die übernommene Versorgung berücksichtigen konnte.

Die Klägerin kann auch keine Anwendung der Regelungen des § 17 Abs. 1 und 2 VM für sich beanspruchen, denn selbst wenn es sich bei Frau Dr. A. um eine neu zugelassene Ärztin handelt, erhält sie zur Berechnung ihres ILB den relativen Anteil ihres Vorgängers unter Berücksichtigung ihres Versorgungsumfang im Abrechnungsquartal (§ 17 Abs. 3 VM). Bei Frau Dr. A. bedeutet dies, dass allenfalls die Leistungen als relativer Anteil ihres Vorgängers bzw. ihrer Vorgänger zu Grunde zu legen sind, in denen sie die Versorgung der Patienten übernommen hat. Das hat die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 27.4.2017 berücksichtigt.

Die Klägerin kann auch nicht damit argumentieren, dass sie erstmalig mit der Anstellung von Frau Dr. A. und der Versorgungsübernahme von Dres. Z., L. und S. wirtschaftlich über einen Versorgungsauftrag verfügen und diesen gestalten konnte, so dass sie deshalb einem neuzugelassenen Arzt hinsichtlich dieses Versorgungsauftrags gleichzustellen sei und für diesen Versorgungsauftrag ein ILB in Höhe des arztgruppendurchschnittlichen Leistungsbudgets zuzuweisen wäre. Schon der Wortlaut des § 17 Abs. 1 VM steht einer solchen Auslegung entgegen, denn dort heißt es: "Neu zugelassene Ärzte, die in Einzelpraxis tätig sind, erhalten innerhalb einer Anfangsphase von 12 Quartalen nach erstmaliger Praxisaufnahme ein individuelles Leistungsbudget in Höhe des arztgruppendurchschnittlichen Leistungsbudgets unter Berücksichtigung ihres Versorgungsauftrags im Abrechnungsquartal" (§ 17 Abs. 1 VM). Bei Frau Dr. A. handelte es sich nicht um eine neu zu gelassene Ärztin, die in Einzelpraxis tätig ist. Vielmehr wäre für sie als angestellte Ärztin der Klägerin § 17 Abs. 3 VM einschlägig, der besagt, dass neuzugelassene Ärzte, die in Berufsausübungsgemeinschaften oder MVZ einen Arztsitz übernehmen, erhalten zur Berechnung des individuellen Leistungsbudgets den relativen Anteil ihres Vorgängers unter Berücksichtigung ihres Versorgungsumfangs im Abrechnungsquartal.

Hierin ist auch kein Verstoß gegen die Grundsätze der Honorarverteilungsgerechtigkeit zu sehen. Die Klägerin trägt das unternehmerische Risiko, wie sie einen vorhandenen Versorgungsauftrag ausgestaltet. Sie ist nicht bei jedem neu übernommenen Versorgungsauftrag einer Anfängerpraxis gleichgestellt. Die Klägerin hat aufgrund ihres Direktionsrechts gegenüber den bei ihr angestellten Ärzten in der Hand, in Absprache mit der Beklagten z.B. für eine angemessene Vertretung des ausgefallenen Arztes zu sorgen oder neue Versorgungsaufträge zügig zu besetzen bzw. Versorgungsaufträge wieder nach zu besetzen. Dies ist einem in Einzelpraxis tätigen neu zugelassenen Arzt nicht möglich, wenn die Praxis z.B. wegen Ausfall seines Vorgängers im Aufsatzquartal keine Leistungen erbracht hat. Insofern ist die Zuweisung eines Leistungsbudgets in Höhe des arztgruppendurchschnittlichen Leistungsbudgets folgerichtig, um dem neuzugelassenen Arzt seinen Start in die freie (selbständige) Tätigkeit als Vertragsarzt zu erleichtern.

Dass die Regelungen des § 17 VM nur den neuzugelassen Vertragsärzte begünstigen, ist auch kein Verstoß gegen den Grundsatz, dass Ärzten die Möglichkeit eingeräumt werden muss, ihre Leistungen auf den Arztgruppendurchschnitt zu steigern. Dieser Grundsatz berücksichtigt, dass auch über die Anfangsphase hinaus, unterdurchschnittlich abrechnende nicht neuzugelassene Ärzte, die Möglichkeit haben müssen, innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren ihre Leistungen auf das Leistungsniveau des Arztgruppendurchschnitts zu steigern. Das dürfte auch hier der Klägerin möglich sein, da die von Frau Dr. A. erbrachten Leistungen im ersten und zweiten Quartal 2015 dem ILB für das erste und zweite Quartal 2016 zugrunde zu legen sind. Die Zulässigkeit eines solchen Moratoriums ist vom Bundessozialgericht (BSG) bereits für die Regelleistungsvolumina bejaht worden (vgl. z.B. Urteil des BSG vom 17.7.2013, B 6 KA 44/12 R, juris). Auch unter der ILB-Systematik kann nichts anderes geltend, denn wie schon das BSG ausgeführt hat (vgl. Urteil vom 3.2.2010, B 6 KA 1/09 R, juris) gelten die Grundsätze zum Schutz von Praxen mit unterdurchschnittlichem Umsatz für Honorarerteilungsregelungen jeder Art. Das ehemalige Gesundheitszentrum B. hätte innerhalb von fünf Jahren durch Leistungssteigerung von Frau Dr. A. auf das Leistungsniveau des Arztgruppendurchschnitts, was sie mit einer Fallzahl von über 900 im Bereich der Kinderärzte in den angefochtenen Quartalen bereits fast erreicht hatte, unter Berücksichtigung des Versorgungsauftrags wachsen können. Da die Klägerin dieses Gesundheitszentrum jedoch geschlossen hat, wird sich dieses mögliche Wachstum nicht bestätigen können. An ihrem neuen Einsatzort im Gesundheitszentrum W. der Klägerin dürfte Frau Dr. A. das Leistungsniveau des Arztgruppendurchschnitts unter Berücksichtigung ihres Versorgungsauftrags schon längst erreicht haben.

Bei allem darf nicht übersehen werden, dass die Rechtsprechung von einer Steigerungsmöglichkeiten für Praxen mit unterdurchschnittlichem Umsatz spricht, also der durchschnittliche Umsatz der Honorargruppe zu Grunde zu legen ist, also auch z.B. extrabudgetäre Leistungen einzubeziehen sind und der gesamte Umsatz der Praxis, nicht nur eines Teils der angestellten Ärzte zu betrachten ist.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Da nicht ohne weiteres erkennbar ist, wie sich die angestrebte Erhöhung des ILB auf die Honorare der Klägerin auswirkt, war von dem Regelstreitwert in Höhe von 5.000 EUR auszugehen (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz, GKG).
Rechtskraft
Aus
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