Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
41
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 41 SO 3/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 197/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung der Nichtigkeit einer Verwaltungsmaßnahme der Beklagten aus dem Jahr 2002.
Der seinerzeit arbeitslose Kläger lebte zusammen mit seiner Familie und bezog Leistungen von der Bundesanstalt für Arbeit, Arbeitsamt C (im Folgenden: Arbeitsamt). Im Feb-ruar 2002 teilte seine Frau der Beklagten mit, dass sie sich von ihrem Mann trennen wolle, und beantragte für sich und zwei Kinder die Übernahme der Kosten für eine eigene Wohnung. Die Beklagte erbrachte ab März 2002 sodann Leistungen in Form der Übernahme der Unterkunfts- und Heizkosten für die neue Wohnung der Ehefrau sowie der beiden Kinder. Ab Mai 2002 gewährte sie diesen drei Personen zudem Hilfe zum Lebensunterhalt.
Mit Schreiben vom 06.03.2002 stellte die Beklagte bei dem Arbeitsamt einen Antrag auf Auszahlung an Dritte nach § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) (im Folgenden: Abzweigungsantrag). Zur Begründung gab sie an, dass sie der getrenntlebenden Ehefrau des Klägers sowie zweier seiner Kinder Sozialhilfe leiste. Das Arbeitsamt erließ in der Folge entsprechende Abzweigungsbescheide gegenüber der Beklagten und dem Kläger (Bescheide vom 26.09.2002). Der Kläger erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage gegen die Abzweigung. Der Klage wurde durch Urteil des Sozi-algerichts Dortmund vom 16.10.2006 (Aktenzeichen S 31 AL 54/03) wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot stattgegeben.
Am 02.01.2015 hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass es sich bei dem Abzweigungsantrag um einen Verwaltungsakt handle, der aufgrund in ihm enthaltener falscher Tatsachenbehauptungen nichtig sei.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass der an das Arbeitsamt C gerichtete Abzweigungsantrag der Beklagten vom 06.03.2002 nichtig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass es sich bei dem Abzweigungsantrag nicht um einen Verwaltungsakt handle und dieser insoweit auch nicht nichtig sein könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten den Sachverhalt und das Vorbringen der Beteiligten betreffend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Prozess- und Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg; sie ist schon unzulässig.
I. Der Kläger begehrt die Feststellung der Nichtigkeit des Abzweigungsantrags. Die Nichtigkeit unterscheidet sich nicht prinzipiell von der Rechtswidrigkeit, sondern allein durch die Schwere und Offensichtlichkeit der rechtlichen Mängel (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.01.1993 – 6 B 21/92, juris). Insoweit stellt die "schlichte" Rechtswidrigkeit ein Minus zur Nichtigkeit dar. In dem Begehren des Klägers auf Feststellung der Nichtigkeit des Abzweigungsantrags ist demnach die Feststellung der Rechtswidrigkeit enthalten. Dabei ist zu differenzieren: Nichtig können nur solche Maßnahmen sein, denen das Gesetz vom Grundsatz her eine selbstständige Wirksamkeit verleiht und für die das Gesetz bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit anordnet. Im hier einschlägigen sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrensrecht nach dem Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) trifft dies nur auf Verwaltungsakte im Sinne des § 31 SGB X (vgl. § 40 SGB X) und auf öffentlich-rechtliche Verträge im Sinne des § 53 SGB X (vgl. § 58 SGB X) zu. Rechtswidrig können darüber hinaus auch Realakte bzw. bloße Verfahrenshandlungen sein.
II. Die Feststellung der Nichtigkeit des Abzweigungsantrags, bei dem es sich offensichtlich nicht um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt, setzt demnach voraus, dass es sich bei diesem um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X handelt. Als statthafte Klageart für die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts kommen generell nur eine Fortsetzungsfeststellungsklage hier bei Erledigung vor Klageerhebung (§ 131 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) analog) bzw. eine Nichtigkeitsfeststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG) in Betracht. Zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung beider Klagearten ist unter anderem das tatsächliche Vorliegen eines Verwaltungsakts im Sinne von § 31 SGB X; allein eine entsprechende Behauptung des Klägers genügt nicht (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kom., 11. Aufl. 2014, § 55 Rn. 14, § 131 Rn. 7 ff.).
Der streitgegenständliche Abzweigungsantrag stellt keinen Verwaltungsakt dar. Nach § 31 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Daran gemessen stellt der Abzweigungsantrag keinen Verwaltungsakt dar. Denn es fehlt jedenfalls an dem Merkmal "Regelung". Dieses liegt nur dann vor, wenn ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbind-lich festgestellt werden oder dies (jeweils) abgelehnt wird (vgl. Engelmann in: von Wulffen/Schütze, SGB X-Kom., 8. Aufl. 2014, § 31 Rn. 23 m.w.N.). Auf den Abzweigungsan-trag trifft keine dieser Voraussetzungsvarianten zu. Es lag vielmehr an dem Adressaten des Antrags, dem Arbeitsamt, über diesen nach Durchführung der erforderlichen Ermittlungen (vgl. Didong in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 48 Rn. 12 u. 16) und Anhörung des Klägers (vgl. Didong in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 48 Rn. 24 m.w.N.) zu entscheiden. Erst ein und hier in der Folge vom Arbeitsamt auch erlassener Abzweigungsbescheid stellt einen Verwaltungsakt dar (vgl. Engelmann in: von Wulffen/Schütze, SGB X-Kom., 8. Aufl. 2014, § 31 Rn. 73 m.w.N.). Schon mangels einer Regelung und dem Erfordernis eines Umsetzungsakts – hier in Gestalt eines Abzweigungsbescheids – kann der Abzweigungsantrag auch keinen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 2 SGB X darstellen. Stellt demnach der Abzweigungsantrag keinen Verwaltungsakt dar, ist eine (insoweit) allein in Betracht kommende Fortsetzungs- bzw. Nichtigkeitsfeststellungsklage schon deshalb unzulässig.
Dem steht – den Vortrag des Klägers einmal als zutreffend unterstellt – nicht entgegen, dass der Abzweigungsantrag falsche Tatsachenbehauptungen enthält. Zwar ist (auch) eine antragstellende Behörde – wie hier die Beklagte – gemäß Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) an Gesetz und Recht gebunden. Allein diese Bindung vermag jedoch die Behörde, die über einen Antrag zu entscheiden hat – wie hier seinerzeit das Arbeitsamt –, nicht von ihrer eigenen Prüfungskompetenz und -verantwortung bzw. Ermittlungspflicht zu entbinden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der entscheidenden Behörde die Prüfung antragsbegründender Umstände kraft Gesetzes untersagt ist, wie dies beispielsweise bei Verfahren im Sinne des § 322 Abgabenordnung (AO) der Fall ist. Dort hat die antragstellende Behörde zu bestätigen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen (§ 322 Abs. 3 Satz 2 AO), wobei diese Fragen nicht der Beurteilung der entscheidenden Behörde(n) unterliegen (§ 322 Abs. 3 Satz 3 AO). In einem solchen Fall stellt bereits der Antrag fest, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen, sodass ihm ein Regelungscharakter im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X zukommt und in ihm ein Verwaltungsakt gesehen werden kann (vgl. BFH, Beschluss vom 25.01.1988 – VII B 85/87, juris). Entsprechende Regelungen sah in der seinerzeit gültigen Fassung und sieht das Gesetz für einen Abzweigungsantrag nach § 48 SGB I bzw. die Entscheidung über einen solchen Antrag (jedoch) nicht vor. Im Gegenteil, ob die entscheidende Behörde einem Abzweigungsantrag stattgibt und eine entsprechende Abzweigung verfügt, stand und steht gemäß dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 SGB I (vgl. Satz 1: "kann"; Satz 4: "können") in ihrem Ermessen. Allein dies verdeutlicht, dass die entscheidende Behörde selbst bei tatsächlichem Vorliegen der Voraussetzungen für eine Abzweigung nach § 48 SGB I eine solche nicht zwingend verfügen muss (vgl. Didong in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 48 Rn. 16). Ist dies aber der Fall, kann (auch deswegen) der Begründung eines Abzweigungsantrags keine regelnde Wirkung im oben genannten Sinne zukommen. Denn weder bindet eine solche die entscheidende Behörde noch entfaltet sie eine andere Wirkung im oben genannten Sinne.
III. Der Abzweigungsantrag stellt demnach kein Verwaltungsakt dar; es handelt sich bei ihm vielmehr um eine das Abzweigungsverfahren einleitende, unselbstständige Verfahrenshandlung (vgl. VG München, Beschluss vom 13.08.2014 – M 18 E 14.971, juris). Dies bedeutet indes zunächst nur, dass der Abzweigungsantrag nicht nichtig sein kann; er kann jedoch als bloße Verfahrenshandlung rechtswidrig sein. Einer Feststellung einer (etwaigen) Rechtswidrigkeit einer bloßen bzw. unselbstständigen Verfahrenshandlung im Nachgang einer Sachentscheidung – wie hier im Nachgang der Abzweigungsbe-scheide – steht jedoch entsprechend der verwaltungsgerichtlichen Regelung des § 44a Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) § 56a SGG entgegen. Danach können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden (Satz 1); dies gilt nur dann nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen können (Satz 2). Als ungeschriebene Ausnahme von § 56a Satz 1 SGG gilt zudem aufgrund von Art. 19 Abs. 4 GG der Fall, dass die Verfahrens-handlung unmittelbare Rechtswirkungen zu Lasten eines Beteiligten über das Verwaltungsverfahren hinaus entfaltet und Rechtsschutz gegen die Sachentscheidung zu spät kommen würde (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kom., 11. Aufl. 2014, § 56a Rn. 12).
Weder liegt hier der letztgenannte Ausnahmefall noch ein Fall des § 56a Satz 2 SGG vor. Zum einen ergingen zwischenzeitlich eine Sachentscheidung – hier die Abzweigungs-bescheide – und auch eine gerichtliche Überprüfung dieser, weshalb Rechtsschutz gegen die Sachentscheidung nicht (mehr) zu spät kommen kann. Und zum anderen kann weder ein Abzweigungsantrag vollstreckt werden noch erging dieser gegen einen Nichtbeteiligten. Denn Nichtbeteiligte im Sinne des § 56a Satz 2 SGG sind nur solche Perso-nen, die nicht zur gerichtlichen Überprüfung der Sachentscheidung berechtigt sind (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kom., 11. Aufl. 2014, § 56a Rn. 11 m.w.N.). Hier aber war der Kläger zur Überprüfung der Sachentscheidung und also der Abzweigung als von dieser unmittelbar Betroffener berechtigt.
Es wäre an dem Kläger gewesen, gegen den Abzweigungsantrag im Rahmen seiner An-fechtung der Abzweigung vorzugehen. Insbesondere gilt § 56a Satz 1 SGG in zeitlicher Hinsicht nicht nur bis zum Ergehen der Sachentscheidung, sondern auch im Nachgang zu dieser (vgl. für § 44a VwGO OVG NRW, Beschluss vom 10.01.2000 – 18 A 4228/95, juris; für § 56a SGG Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kom., 11. Aufl. 2014, § 56a Rn. 7). Denn der in § 56a SGG zum Ausdruck gekommene Grundsatz der Prozessökonomie verbietet es, einen "nur" gleichzeitig mit dem gegen die Sachentschei-dung zulässigen Rechtsbehelf geltend zu machenden Rechtsbehelf nach rechtskräftigem Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens über die Sachentscheidung weiter zu verfolgen, weil in diesem die Rechtswidrigkeit der behördlichen Verfahrenshandlung bereits geltend gemacht werden konnte (vgl. für § 44a VwGO OVG NRW, Beschluss vom 10.01.2000 – 18 A 4228/95, juris).
Nach alledem ist das Begehren der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Abzweigungsantrags (als unselbstständige Verfahrenshandlung) ebenfalls unzulässig. Etwas anderes ergibt sich auch nicht mit Blick auf etwaige Amtspflichtverletzungen durch die Beklagte aufgrund möglicher falscher Tatsachenbehauptungen (vgl. dazu VG München, Beschluss vom 13.08.2014 – M 18 E 14.971, juris). Denn insoweit fällt die Prüfung möglicher Amtshaftungsansprüche, in deren Rahmen das Vorliegen einer Amtspflichtverlet-zung zu prüfen wäre, gemäß Art. 34 GG in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit; im Übrigen hat der Kläger hier aber auch keinen Amtshaftungsanspruch geltend gemacht.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 193, 183 SGG. Lediglich klarstellend wird darauf hingewiesen, dass sich die Kostenentscheidung auf das Verfahren nur insoweit bezieht, als über die Klage durch Urteil entschieden wurde. Im Übrigen war hinsichtlich des zurückgenommenen Klageantrags (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.03.2016) nach § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 161 Abs. 1 VwGO durch Beschluss zu entscheiden. Dass insoweit zwischen den Kosten des im Tatbestand genannten Klageantrags und des zurückgenommenen Klageantrags zu trennen und die Kostenentscheidung aufzuspalten war, also keine einheitliche Kostenentscheidung zu ergehen hatte, ergibt sich aus § 183 Satz 1 SGG, auf den § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG ver-weist. Denn danach gilt das Kostenrecht der §§ 183 bis 195 SGG nur, "soweit" ein Rechtsstreit in der Eigenschaft als Versicherter, Leistungsempfänger, Behinderter oder deren Sonderrechtsnachfolger geführt wird. Soweit dies dagegen nicht der Fall ist, hat eine Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung von Bestimmungen der VwGO zu ergehen. In der Folge ist in einem Fall wie hier eine aufgespaltene Kostenentscheidung zu treffen, eine einheitliche Kostenentscheidung entweder nach den §§ 183, 193 SGG oder nach § 197a SGG ist nicht geboten (vgl. BSG, Beschluss vom 26.07.2006 – B 3 KR 6/06 B, juris; Sächsisches LSG, Urteil vom 11.01.2006 – L 1 KR 5/04, juris; Bayeri-sches LSG, Beschluss vom 07.01.2010 – L 2 KN 22/06 P, juris).
V. Die Berufung bedurfte gemäß § 143 SGG keiner Zulassung, da kein Fall des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG vorliegt.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung der Nichtigkeit einer Verwaltungsmaßnahme der Beklagten aus dem Jahr 2002.
Der seinerzeit arbeitslose Kläger lebte zusammen mit seiner Familie und bezog Leistungen von der Bundesanstalt für Arbeit, Arbeitsamt C (im Folgenden: Arbeitsamt). Im Feb-ruar 2002 teilte seine Frau der Beklagten mit, dass sie sich von ihrem Mann trennen wolle, und beantragte für sich und zwei Kinder die Übernahme der Kosten für eine eigene Wohnung. Die Beklagte erbrachte ab März 2002 sodann Leistungen in Form der Übernahme der Unterkunfts- und Heizkosten für die neue Wohnung der Ehefrau sowie der beiden Kinder. Ab Mai 2002 gewährte sie diesen drei Personen zudem Hilfe zum Lebensunterhalt.
Mit Schreiben vom 06.03.2002 stellte die Beklagte bei dem Arbeitsamt einen Antrag auf Auszahlung an Dritte nach § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) (im Folgenden: Abzweigungsantrag). Zur Begründung gab sie an, dass sie der getrenntlebenden Ehefrau des Klägers sowie zweier seiner Kinder Sozialhilfe leiste. Das Arbeitsamt erließ in der Folge entsprechende Abzweigungsbescheide gegenüber der Beklagten und dem Kläger (Bescheide vom 26.09.2002). Der Kläger erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage gegen die Abzweigung. Der Klage wurde durch Urteil des Sozi-algerichts Dortmund vom 16.10.2006 (Aktenzeichen S 31 AL 54/03) wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot stattgegeben.
Am 02.01.2015 hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass es sich bei dem Abzweigungsantrag um einen Verwaltungsakt handle, der aufgrund in ihm enthaltener falscher Tatsachenbehauptungen nichtig sei.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass der an das Arbeitsamt C gerichtete Abzweigungsantrag der Beklagten vom 06.03.2002 nichtig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass es sich bei dem Abzweigungsantrag nicht um einen Verwaltungsakt handle und dieser insoweit auch nicht nichtig sein könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten den Sachverhalt und das Vorbringen der Beteiligten betreffend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Prozess- und Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg; sie ist schon unzulässig.
I. Der Kläger begehrt die Feststellung der Nichtigkeit des Abzweigungsantrags. Die Nichtigkeit unterscheidet sich nicht prinzipiell von der Rechtswidrigkeit, sondern allein durch die Schwere und Offensichtlichkeit der rechtlichen Mängel (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.01.1993 – 6 B 21/92, juris). Insoweit stellt die "schlichte" Rechtswidrigkeit ein Minus zur Nichtigkeit dar. In dem Begehren des Klägers auf Feststellung der Nichtigkeit des Abzweigungsantrags ist demnach die Feststellung der Rechtswidrigkeit enthalten. Dabei ist zu differenzieren: Nichtig können nur solche Maßnahmen sein, denen das Gesetz vom Grundsatz her eine selbstständige Wirksamkeit verleiht und für die das Gesetz bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit anordnet. Im hier einschlägigen sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrensrecht nach dem Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) trifft dies nur auf Verwaltungsakte im Sinne des § 31 SGB X (vgl. § 40 SGB X) und auf öffentlich-rechtliche Verträge im Sinne des § 53 SGB X (vgl. § 58 SGB X) zu. Rechtswidrig können darüber hinaus auch Realakte bzw. bloße Verfahrenshandlungen sein.
II. Die Feststellung der Nichtigkeit des Abzweigungsantrags, bei dem es sich offensichtlich nicht um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt, setzt demnach voraus, dass es sich bei diesem um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X handelt. Als statthafte Klageart für die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts kommen generell nur eine Fortsetzungsfeststellungsklage hier bei Erledigung vor Klageerhebung (§ 131 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) analog) bzw. eine Nichtigkeitsfeststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG) in Betracht. Zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung beider Klagearten ist unter anderem das tatsächliche Vorliegen eines Verwaltungsakts im Sinne von § 31 SGB X; allein eine entsprechende Behauptung des Klägers genügt nicht (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kom., 11. Aufl. 2014, § 55 Rn. 14, § 131 Rn. 7 ff.).
Der streitgegenständliche Abzweigungsantrag stellt keinen Verwaltungsakt dar. Nach § 31 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Daran gemessen stellt der Abzweigungsantrag keinen Verwaltungsakt dar. Denn es fehlt jedenfalls an dem Merkmal "Regelung". Dieses liegt nur dann vor, wenn ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbind-lich festgestellt werden oder dies (jeweils) abgelehnt wird (vgl. Engelmann in: von Wulffen/Schütze, SGB X-Kom., 8. Aufl. 2014, § 31 Rn. 23 m.w.N.). Auf den Abzweigungsan-trag trifft keine dieser Voraussetzungsvarianten zu. Es lag vielmehr an dem Adressaten des Antrags, dem Arbeitsamt, über diesen nach Durchführung der erforderlichen Ermittlungen (vgl. Didong in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 48 Rn. 12 u. 16) und Anhörung des Klägers (vgl. Didong in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 48 Rn. 24 m.w.N.) zu entscheiden. Erst ein und hier in der Folge vom Arbeitsamt auch erlassener Abzweigungsbescheid stellt einen Verwaltungsakt dar (vgl. Engelmann in: von Wulffen/Schütze, SGB X-Kom., 8. Aufl. 2014, § 31 Rn. 73 m.w.N.). Schon mangels einer Regelung und dem Erfordernis eines Umsetzungsakts – hier in Gestalt eines Abzweigungsbescheids – kann der Abzweigungsantrag auch keinen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 2 SGB X darstellen. Stellt demnach der Abzweigungsantrag keinen Verwaltungsakt dar, ist eine (insoweit) allein in Betracht kommende Fortsetzungs- bzw. Nichtigkeitsfeststellungsklage schon deshalb unzulässig.
Dem steht – den Vortrag des Klägers einmal als zutreffend unterstellt – nicht entgegen, dass der Abzweigungsantrag falsche Tatsachenbehauptungen enthält. Zwar ist (auch) eine antragstellende Behörde – wie hier die Beklagte – gemäß Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) an Gesetz und Recht gebunden. Allein diese Bindung vermag jedoch die Behörde, die über einen Antrag zu entscheiden hat – wie hier seinerzeit das Arbeitsamt –, nicht von ihrer eigenen Prüfungskompetenz und -verantwortung bzw. Ermittlungspflicht zu entbinden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der entscheidenden Behörde die Prüfung antragsbegründender Umstände kraft Gesetzes untersagt ist, wie dies beispielsweise bei Verfahren im Sinne des § 322 Abgabenordnung (AO) der Fall ist. Dort hat die antragstellende Behörde zu bestätigen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen (§ 322 Abs. 3 Satz 2 AO), wobei diese Fragen nicht der Beurteilung der entscheidenden Behörde(n) unterliegen (§ 322 Abs. 3 Satz 3 AO). In einem solchen Fall stellt bereits der Antrag fest, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen, sodass ihm ein Regelungscharakter im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X zukommt und in ihm ein Verwaltungsakt gesehen werden kann (vgl. BFH, Beschluss vom 25.01.1988 – VII B 85/87, juris). Entsprechende Regelungen sah in der seinerzeit gültigen Fassung und sieht das Gesetz für einen Abzweigungsantrag nach § 48 SGB I bzw. die Entscheidung über einen solchen Antrag (jedoch) nicht vor. Im Gegenteil, ob die entscheidende Behörde einem Abzweigungsantrag stattgibt und eine entsprechende Abzweigung verfügt, stand und steht gemäß dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 SGB I (vgl. Satz 1: "kann"; Satz 4: "können") in ihrem Ermessen. Allein dies verdeutlicht, dass die entscheidende Behörde selbst bei tatsächlichem Vorliegen der Voraussetzungen für eine Abzweigung nach § 48 SGB I eine solche nicht zwingend verfügen muss (vgl. Didong in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 48 Rn. 16). Ist dies aber der Fall, kann (auch deswegen) der Begründung eines Abzweigungsantrags keine regelnde Wirkung im oben genannten Sinne zukommen. Denn weder bindet eine solche die entscheidende Behörde noch entfaltet sie eine andere Wirkung im oben genannten Sinne.
III. Der Abzweigungsantrag stellt demnach kein Verwaltungsakt dar; es handelt sich bei ihm vielmehr um eine das Abzweigungsverfahren einleitende, unselbstständige Verfahrenshandlung (vgl. VG München, Beschluss vom 13.08.2014 – M 18 E 14.971, juris). Dies bedeutet indes zunächst nur, dass der Abzweigungsantrag nicht nichtig sein kann; er kann jedoch als bloße Verfahrenshandlung rechtswidrig sein. Einer Feststellung einer (etwaigen) Rechtswidrigkeit einer bloßen bzw. unselbstständigen Verfahrenshandlung im Nachgang einer Sachentscheidung – wie hier im Nachgang der Abzweigungsbe-scheide – steht jedoch entsprechend der verwaltungsgerichtlichen Regelung des § 44a Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) § 56a SGG entgegen. Danach können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden (Satz 1); dies gilt nur dann nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen können (Satz 2). Als ungeschriebene Ausnahme von § 56a Satz 1 SGG gilt zudem aufgrund von Art. 19 Abs. 4 GG der Fall, dass die Verfahrens-handlung unmittelbare Rechtswirkungen zu Lasten eines Beteiligten über das Verwaltungsverfahren hinaus entfaltet und Rechtsschutz gegen die Sachentscheidung zu spät kommen würde (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kom., 11. Aufl. 2014, § 56a Rn. 12).
Weder liegt hier der letztgenannte Ausnahmefall noch ein Fall des § 56a Satz 2 SGG vor. Zum einen ergingen zwischenzeitlich eine Sachentscheidung – hier die Abzweigungs-bescheide – und auch eine gerichtliche Überprüfung dieser, weshalb Rechtsschutz gegen die Sachentscheidung nicht (mehr) zu spät kommen kann. Und zum anderen kann weder ein Abzweigungsantrag vollstreckt werden noch erging dieser gegen einen Nichtbeteiligten. Denn Nichtbeteiligte im Sinne des § 56a Satz 2 SGG sind nur solche Perso-nen, die nicht zur gerichtlichen Überprüfung der Sachentscheidung berechtigt sind (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kom., 11. Aufl. 2014, § 56a Rn. 11 m.w.N.). Hier aber war der Kläger zur Überprüfung der Sachentscheidung und also der Abzweigung als von dieser unmittelbar Betroffener berechtigt.
Es wäre an dem Kläger gewesen, gegen den Abzweigungsantrag im Rahmen seiner An-fechtung der Abzweigung vorzugehen. Insbesondere gilt § 56a Satz 1 SGG in zeitlicher Hinsicht nicht nur bis zum Ergehen der Sachentscheidung, sondern auch im Nachgang zu dieser (vgl. für § 44a VwGO OVG NRW, Beschluss vom 10.01.2000 – 18 A 4228/95, juris; für § 56a SGG Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kom., 11. Aufl. 2014, § 56a Rn. 7). Denn der in § 56a SGG zum Ausdruck gekommene Grundsatz der Prozessökonomie verbietet es, einen "nur" gleichzeitig mit dem gegen die Sachentschei-dung zulässigen Rechtsbehelf geltend zu machenden Rechtsbehelf nach rechtskräftigem Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens über die Sachentscheidung weiter zu verfolgen, weil in diesem die Rechtswidrigkeit der behördlichen Verfahrenshandlung bereits geltend gemacht werden konnte (vgl. für § 44a VwGO OVG NRW, Beschluss vom 10.01.2000 – 18 A 4228/95, juris).
Nach alledem ist das Begehren der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Abzweigungsantrags (als unselbstständige Verfahrenshandlung) ebenfalls unzulässig. Etwas anderes ergibt sich auch nicht mit Blick auf etwaige Amtspflichtverletzungen durch die Beklagte aufgrund möglicher falscher Tatsachenbehauptungen (vgl. dazu VG München, Beschluss vom 13.08.2014 – M 18 E 14.971, juris). Denn insoweit fällt die Prüfung möglicher Amtshaftungsansprüche, in deren Rahmen das Vorliegen einer Amtspflichtverlet-zung zu prüfen wäre, gemäß Art. 34 GG in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit; im Übrigen hat der Kläger hier aber auch keinen Amtshaftungsanspruch geltend gemacht.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 193, 183 SGG. Lediglich klarstellend wird darauf hingewiesen, dass sich die Kostenentscheidung auf das Verfahren nur insoweit bezieht, als über die Klage durch Urteil entschieden wurde. Im Übrigen war hinsichtlich des zurückgenommenen Klageantrags (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.03.2016) nach § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 161 Abs. 1 VwGO durch Beschluss zu entscheiden. Dass insoweit zwischen den Kosten des im Tatbestand genannten Klageantrags und des zurückgenommenen Klageantrags zu trennen und die Kostenentscheidung aufzuspalten war, also keine einheitliche Kostenentscheidung zu ergehen hatte, ergibt sich aus § 183 Satz 1 SGG, auf den § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG ver-weist. Denn danach gilt das Kostenrecht der §§ 183 bis 195 SGG nur, "soweit" ein Rechtsstreit in der Eigenschaft als Versicherter, Leistungsempfänger, Behinderter oder deren Sonderrechtsnachfolger geführt wird. Soweit dies dagegen nicht der Fall ist, hat eine Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung von Bestimmungen der VwGO zu ergehen. In der Folge ist in einem Fall wie hier eine aufgespaltene Kostenentscheidung zu treffen, eine einheitliche Kostenentscheidung entweder nach den §§ 183, 193 SGG oder nach § 197a SGG ist nicht geboten (vgl. BSG, Beschluss vom 26.07.2006 – B 3 KR 6/06 B, juris; Sächsisches LSG, Urteil vom 11.01.2006 – L 1 KR 5/04, juris; Bayeri-sches LSG, Beschluss vom 07.01.2010 – L 2 KN 22/06 P, juris).
V. Die Berufung bedurfte gemäß § 143 SGG keiner Zulassung, da kein Fall des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved