S 1 U 5017/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 1 U 5017/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 9. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2013 wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei dem Kläger eine Parkinsonerkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen ist.

Der 1963 geborene Kläger beantragte am 21. Januar 2011 die Anerkennung einer Berufskrankheit und gab an, er sei seit 1998 krank. Er bewirtschaftet ca. 28 ha Ackerland und ca. 27 ha Grünland. Hinzu kommen insgesamt 110 Kühe, Kälber, Mast- und Zuchtbullen. 1998 betrug der Flächenbestand ca. 21 ha Ackerland und ca. 18,5 ha Wiese und Weide, an Nutztieren wurden 24 Kühe, 27 Kälber und 28 Mast- und Zuchtbullen sowie 38 weibliche Rinder gehalten. Der Kläger arbeitet seit seiner Kindheit auf dem familieneigenen Hof. Von 1978 bis 1981 absolvierte er dort eine landwirtschaftliche Ausbildung, anschließend arbeitete er bis 1992 im elterlichen Betreib. Er führte von 1993 bis 1999 den Betrieb zusammen mit seinen Eltern, anschließend alleine. Ab 1985 war er zusätzlich Spritzwart bei der Jagdgenossenschaft A-Stadt. Er gab an, eine ihm übertragene Tätigkeit sei das Beizen des Saatguts gewesen. Bis 1984 seien die marktüblichen Beizmittel quecksilberhaltig gewesen. Er habe ab 1998 und auch noch danach im Rahmen der Nachbarschaftshilfe für Landwirte aus der Umgebung die Pflanzenschutzmaßnahmen übernommen. Z. B. 1986 hätten die Flächen 75 ha betragen. Er habe die Flächen mit ein bis zwei Herbizidmaßnahmen überfahren und teilweise auch Insektizide ausgebracht, darüber hinaus die eigenen Flächen mit Pflanzenschutzmaßnahmen behandelt. In seinem Betrieb seien regelmäßig Medikationen von Rindern gegen Milben, Insekten und Zecken eingesetzt worden, nämlich Lindan, Alugan und Ragadan. Er habe auch das Holzschutzmittel Xyladecor angewandt. Er übersandte Befundberichte der Ärztin für Neurologie Dr. C. (Befundbericht vom 1. Juni 2010), des Internisten und Kardiologen Dr. D. (Befundbericht vom 16. April 2010), des Klinikums der Universität B-Stadt (Befundbericht vom 12. März 2007), des Internisten und Kardiologen Dr. E. (Befundbericht vom 11. Dezember 2003) sowie des Klinikums F. (Befundbericht vom 26. Februar 2001). Dr. C. und das Klinikum der Universität B-Stadt diagnostizierten einen idiopathischen Morbus Parkinson. Der Kläger übergab Aufzeichnungen über die Pflanzenschutzmaßnahmen in den Jahren 1993 bis 1995 mit Gebrauchsinformationen zu den verwendeten Mitteln (Fragebogen vom 6. Februar 2011).

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte die Behindertenakte bei, außerdem den Bericht der G-Klinik (Bericht vom 7. April 1999), Befundberichte der Dr. C. (Befundberichte vom 15. und 21. Februar 2011), des Klinikums der Universität B-Stadt (Befundbericht vom 14. Juli 2010), des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. H. (Befundbericht vom 14. April 2011) mit weiteren Unterlagen sowie die Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 14. März 2011, veranlasste die Begutachtung des Klägers durch den Direktor der I-Klinik B-Stadt Prof. Dr. J. (Gutachten vom 29. August 2012) und holte die gewerbeärztliche Stellungnahme des Arztes für Arbeitsmedizin, Innere Medizin, Allgemeinmedizin und Umweltmedizin Dr. K. vom 27. September 2012 ein.

Der TAD führte aus, eine Beurteilung bezüglich des kausalen Zusammenhangs zwischen der Exposition des Klägers gegenüber den in der Arbeitsplatzanalyse beschriebenen Stoffen und seiner Erkrankung könne nicht abgegeben werden. Verwiesen wurde insbesondere auf die Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom 27. Juni 2006 "Pestizidexposition und Parkinson-Syndrom". Der Kläger sei in seinem Arbeitsleben in der Landwirtschaft seiner Tätigkeit und als Spritzwart bei einer Jagdgenossenschaft einer Vielzahl von Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt gewesen, wobei es sich um zugelassene und marktübliche Spritzmittel gehandelt habe. Der Kläger habe beim Umgang mit diesen Stoffen die erforderliche Sach- und Fachkunde an den Tag gelegt. Bei den Pflanzenschutzmitteln und den auf seinem Betrieb eingesetzten sonstigen Mitteln (Reinigungs-, Desinfektions- und Beizmittel; Farben und Lacke) handele es sich zum überwiegenden Teil um Gefahrstoffe, die bei Nichtbeobachtung der Verwendungsanleitung zu Gesundheitsschäden führen könnten. Einige der Inhaltsstoffe (z. B. Paraquat oder Diquat) stünden in Verdacht, neurotoxisch zu wirken. Der Stellungnahme des BfR ist zu entnehmen, die tierexperimentellen und mechanistischen Untersuchungen würden für eine zum Teil selektive Neurotoxität von bestimmten Pestiziden auf Neuronen sprechen. Insbesondere für Rotenon und Paraquat würden Resultate existieren, die eine Neurotoxität belegen würden. Inwieweit diese Befunde auf den Menschen übertragen werden könnten, bleibe vorerst offen, da die Ergebnisse an Tiermodellen erhoben worden seien. Aus diesen Studien zur biologischen Plausibilität würden sich Hinweise ergeben, dass bestimmte Pestizide Symptome auslösten und entsprechende histopathologische Veränderungen hervorrufen könnten. Diese Untersuchungen seien allerdings noch nicht ausreichend, um die Pathogenese zu verstehen, eine Schwierigkeit, die vor dem Hintergrund der unbekannten Faktoren für die auslösende Erkrankung verständlich sei. Die Thematik erfordere weitere mechanistische, tierexperimentelle und epidemiologische Studien, ggf. auch mit genetischen Kopplungsanalysen, da vorstellbar sei, dass eine genetische Disposition eine erhöhte Umweltvulnerabilität nach sich ziehen könnte.

Prof. Dr. J. diagnostizierte bei dem Kläger eine früh beginnende Parkinson-Erkrankung. Der Kläger leide vorwiegend an motorische Einbußen, vor allem plötzlichen Bewegungsblockaden. Die Erkrankung stehe nicht mit Wahrscheinlichkeit in ursächlichem Zusammenhang mit berufsbedingten schädigenden Einwirkungen. Der Kläger sei beim Ausbringen von Spritzmitteln auf landwirtschaftlichen Flächen sowie bei der Behandlung von Nutztieren gegen Parasiten regelmäßig gegenüber unterschiedlichen Pestizidklassen exponiert gewesen. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Parkinsonerkrankung des Klägers als Berufskrankheit seien jedoch derzeit nicht gegeben. Neue Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang zwischen schädigender Einwirkung und Erkrankung infolge versicherter Tätigkeit würden nicht vorliegen. Dr. K. gab an, es sei von einem beruflich unabhängigen frühzeitigen Parkinson-Syndrom auszugehen. Nach dem BfR würden tierexperimentelle und mechanistische Untersuchungen für eine zum Teil selektive Neurotoxität bestimmter Pestizide sprechen. Offen sei, inwieweit die Befunde auf den Menschen übertragbar seien. Aus den Studien würden sich gewisse Hinweise ergeben, dass bestimmte Pestizide Symptome auslösen könnten. Die Häufigkeit des Parkinson-Syndroms steige mit zunehmendem Alter. Wenige Patienten seien unter 50 Jahre alt. Es bestehe keine überzeugende Kausalbeziehung zwischen der Exposition des Klägers und der Parkinson-Erkrankung.

Mit Bescheid 8. Oktober 2012 lehnte die Beklagte unter Hinweis auf das eingeholte Gutachten und die gewerbeärztliche Stellungnahme die Anerkennung der Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit ab. Diese gehöre nicht zu den in der Berufskrankheitenliste genannten Erkrankungen. Auch seien die Voraussetzungen nicht erfüllt, die Erkrankung wie eine Berufskrankheit anzuerkennen. Es würden keine neuen Erkenntnisse bestehen, dass die Tätigkeit als Landwirt geeignet sei, Morbus Parkinson zu verursachen. Es sei zwar zum Thema "Pestizide und Parkinson" in den vergangenen Jahren in erheblichem Umfang wissenschaftliche Literatur veröffentlicht worden, ein kausaler Zusammenhang zwischen einer Pestizidaufnahme und dem Entstehen der Krankheit beim Menschen habe aber bisher nicht belegt werden können. Hingewiesen wird auf das BfR, wonach ein Kausalzusammenhang zwischen einer Pestizidaufnahme und dem Entstehen der Krankheit nicht belegt werden könne. Eine konkrete kausale Beziehung bestehe weder für ein einzelnes Pestizid noch für eine Kombination bestimmter Pestizide.

Im Widerspruchsverfahren führte der Kläger aus, das Gutachten berücksichtige die Exposition nicht ausreichend. Falsch sei, dass eine Induktion der Neurodegeneration durch Pestizide einen Expositionsbeginn in der Kindheit und Jugend nahe liegen würde und deswegen die berufliche Verursachung abzulehnen sei. Er sei seit der Lehre in ständigem Kontakt zu Pestiziden und Insektiziden gewesen. Ab 1991 habe er in sehr großem Umfang Ragadan, der den Wirkstoff Heptenophos enthalte, eingesetzt. Heptenophos sei ein Phosphorsäureester und ein Cholinesterasehemmer, eine organische Phosphorverbindung, so dass die Voraussetzungen zur Anerkennung Berufskrankheit nach Nr. 1307 der Anlage 1 zu Berufskrankheitenverordnung (BKV) erfüllt seien. Er habe auch Neguvon, einen organischen Phosphorester, und Butox 50 mit dem Wirkstoff Deltamethrin angewandt. Er habe als Spritzwart jährlich mindestens 60 ha, in vielen Jahren noch viel mehr, mit Pflanzenschutzmittel behandelt und sei dadurch erheblichen Phosphoresterverbindungen ausgesetzt gewesen. Gerade wegen des jungen Alters sei die Erkrankung auf den regelmäßigen und sehr starken Umgang mit Chemikalien zurückzuführen. In der Familie sei keine Parkinsonerkrankung aufgetreten. Er habe auch Lindan und lindanhaltige Mittel eingesetzt, so dass die Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV vorliegen würden. Er habe Xyladecor sowie Dermakulin und Alugan verwendet, auch Dermakulin-Emulsion, welche Lindan enthalte. Lindan bzw. Hexachlorcyclohexan sei ein Halogenkohlenwasserstoff und Alugan ein Präparat, welches in die Gruppe der halogenierten Kohlenwasserstoffe gehöre und vorwiegend als Kontaktgift wirke. Dermakolin sei den Tieren mit einem Schwamm aufgetragen worden. Dadurch habe er über die Haut Lindan aufgenommen. Zur Schädlingsbekämpfung habe er auch Dichlorphos eingesetzt sowie als Rapsspritzmittel Pradone Kombi. Er habe auch Atrazin, ferner 2, 4 D-Spritzmittel verwendet, u. a. Dicamba und U 46 D-Fluid mit dem Wirkstoff Dichlorprop, auch Aretit. Zur Spülung der Melkanlage seien paraquatähnliche Mittel eingesetzt worden. Es sei anerkannt, dass Paraquat Parkinson verursachen könne. Es werde zur Induktion von Morbus Parkinson in experimentellen Modellsystemen eingesetzt. Im europäischen Ausland sei anerkannt, dass der Landwirt in Bezug auf Parkinson besonders gefährdet sei. Hingewiesen wurde auf Unterlagen hinsichtlich bezogener Produkte, insbesondere Sicherheitsdatenblätter sowie Mitteilungen aus dem Internet: "Parkinson gilt in Frankreich als Berufskrankheit" (www.focus.de); "Parkinson für Bauern in Frankreich als Berufskrankheit anerkannt" (www.welt.de), "Österreich Berufskrankheit Nr. 2" (www.sozialversicherung.at); "Selbst der von der BG bestimmte Gutachter kam nicht umhin als Ursache ..." (www.Symptome.ch).

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. März 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Verordnungsgeber habe sowohl die Berufskrankheit nach Nr. 1307 der Anlage 1 zur BKV als auch die Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV nur durch eine schädigende Entwicklung definiert und nicht durch ein bestimmtes Krankheitsbild. In diesen Fällen sei Voraussetzung für die Anerkennung einer Erkrankung als Berufskrankheit, dass die schädigende Einwirkung generell geeignet sei, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Das Vorliegen einer generellen Geeignetheit der Einwirkung durch Halogenkohlenwasserstoffe (z. B. Lindan) für das Entstehen oder die Verschlimmerung eines Morbus Parkinson sei auch unter Zugrundelegung der Wahrscheinlichkeit nach den Ausführungen des Prof. Dr. J. nicht gegeben. Die Ursachen für die neurodegenerativen Veränderungen bei der idiopathischen Parkinson-Erkrankung seien ungeklärt. Valide Daten zu Dosis-Wirkung-Beziehungen und notwendiger Dauer einer Pestizid-Exposition würden nicht vorliegen. Eine Kausalität könne auch nicht belegt werden, indem man keine andere Ursache, z. B. eine fehlende genetische Disposition, für die Gesundheitsstörung finden könne. Der Sachverständige weise darauf hin, dass sich die anlässlich der durchgeführten intensiven tierexperimentellen Untersuchungen des Herbizids Paraquat erhobenen Befunde aus verschiedenen Gründen nicht auf die menschliche Spezies würden übertragen lassen und bisher noch nicht zu einer überzeugenden Erklärung des Pathomechanismus einer möglichen Paraquat-verursachten Parkinson-Erkrankung beim Menschen geführt hätten. Dessen ungeachtet liste das für den Kläger im Rahmen der Arbeitsplatzanalyse erstellte exemplarische Protokoll des Jahres 1994 u. a. quatäre Ammoniumverbindungen auf, kein Paraquat. Auch die Voraussetzungen für die Anerkennung als Wie-Berufskrankheit seien nicht erfüllt. Der Sachverständige bestätigte, dass die Stellungnahme des BfR vom 27. Juni 2006 noch aktuell sei. Es sei auf der Basis einer umfangreichen Literaturauswertung festgestellt worden, dass die Datenlage der epidemiologische Studien zwar eine Assoziation, jedoch keine überzeugende Kausalbeziehung zwischen Pestizid-Exposition und der Entstehung der Parkinson-Erkrankung belegen würden. Ein Vergleich mit dem europäischen Ausland sei nicht zielführend und die Anerkennung einer Parkinson-Erkrankung als Berufskrankheit im gerichtlichen Verfahren durch andere landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften habe keine Bindungswirkung.

Mit der zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, die Parkinson-Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen und ihm die gesetzliche Leistungen, insbesondere Zahlung einer Verletztenrente, zu gewähren. Er wiederholt im Wesentlichen das Vorbringen im Widerspruchsverfahren und verweist auf das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 8. Januar 2013 (Az.: d), indem die Parkinsonerkrankung als Berufskrankheit, welche durch den Pestizideinsatz verursacht worden sei, anerkannt worden sei. Der Kläger übermittelte mit Schriftsatz vom 13. Februar 2014 umfangreiche Unterlagen, darunter Auszüge aus den Berichtsheften seiner Ausbildungszeit.

Das SG holte die ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. J. vom 21. November 2013 ein. Prof. Dr. J. führte aus, Pestizid-Expositionen stellten einen Risikofaktor für Parkinsonerkrankungen und auch andere neurodegenerative Erkrankungen dar, die Studienlage sei jedoch weiterhin heterogen, so dass die ursächliche Bedeutung einzelner Pestizidklassen, die Dosis-Wirkung-Beziehungen und der zeitliche Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankungsbeginn bislang nicht geklärt seien, die kausale Beziehung also nicht ausreichend belegt sei. Beim idiopathischen Parkinson-Syndrom handele es sich um eine multifaktoriell bedingte Erkrankung, bei der Disposition und Umwelteinflüsse zusammenwirken würden. Neben Pestizid-Expositionen korrelieren diverse andere Umwelt- und Lebensführungsfaktoren mit der Erkrankung, ohne dass Kausalbeziehungen abgesichert oder Patomechanismen im Detail aufgedeckt seien. Das frühe Erkrankungsalter sei hier auffällig und könnte auf eine (mono-) genetische bedingte Form der Parkinson-Erkrankung hindeuten. Insbesondere bei den autosomal rezessiven Formen schließe eine fehlende positive Familienanamnese diese Möglichkeit keineswegs aus. Eine Berufskrankheit nach Nrn. 1302, 1307 der Anlage 1 zur BKV und eine andere Berufskrankheit seien nicht festzustellen.

Der Kläger beantragt: Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. März 2013 verurteilt, die Parkinsonerkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen, insbesondere Zahlung einer Verletztenrente, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das frühe Erkrankungsalter spreche gegen eine Verursachung durch berufliche Expositionen. Bekannt sei, dass es sich bei der Parkinsonerkrankung um eine über Jahrzehnte verlaufende, langsam fortschreitende Degeneration selektiver Nervenzellpopulationen mit einem langjährigen subklinischen Verlauf handele. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung, wenn die typischen motorischen Kardinalsymptome manifest würden, sei hier schon eine ca. zehnjährige präklinische Phase vorausgegangen und der degenerative Prozess sei weit fortgeschritten gewesen. Das Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, die allgemein ausreichen würden, um einen Zusammenhang zwischen Pestizid-Expositionen und dem Auftreten von einer Parkinson-Erkrankung zu begründen, seien im Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 5. April 2000, Az: L3 U 241/99, verneint worden.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Beklagtenakte, der Behindertenakte, der Akte des SG sowie der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, soweit die Aufhebung der Entscheidung der Beklagten und die Feststellung der Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit begehrt werden. Soweit Leistungen beantragt werden, ist die Klage unzulässig, denn richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013, Az.: B 2 U 10/12 R mwN).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2013, mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, die Parkinsonerkrankung des Klägers als Berufserkrankung anzuerkennen. Die Entscheidung der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Erkrankung als Berufskrankheit.

Der angefochtene Bescheid beinhaltet eine umfassende Ablehnung der Anerkennung der Beschwerden des Klägers sowohl als Listenberufskrankheit, als auch als Wie-Berufskrankheit. Damit erfasste das Verwaltungsverfahren sämtliche Listenberufskrankheiten, ohne diese ausdrücklich zu benennen. Das Bayerische Landessozialgericht hat darauf hingewiesen, dass es in solchen Fällen offenbleiben kann, ob eine derart weite Entscheidung der Beklagten erforderlich oder überhaupt zulässig ist. Jedenfalls ist sie nicht nichtig. Der Widerspruchsbescheid bezieht sich seinem Verfügungssatz nach auf den Regelungsinhalt des Ausgangsbescheides ohne Einschränkungen. Falls wie hier in den Gründen des Widerspruchsbescheides bestimmte Berufskrankheiten erwähnt sind, ist dies nur Bestandteil der Begründung. Es schränkt jedoch nicht den Verfügungssatz ein, der die unbeschränkte Zurückweisung des Widerspruchs gegen einen Verwaltungsakt, der alle Berufskrankheiten und Wie-Berufskrankheiten betraf, zum Inhalt hat (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 6. November 2013, Az.: L 2 U 558/10).

Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet.

Gemäß § 7 Abs. 1 Siebes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) gelten als Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder § 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.

Die Anerkennung einer Berufskrankheit setzt den Nachweis von Art, Dauer und Intensität einer äußeren Einwirkung im Sinne eines Berufskrankheitentatbestandes und einer Gesundheitsstörung voraus, die alle Krankheitsmerkmale eines Berufskrankheitentatbestandes erfüllt. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der äußeren Einwirkung und der Entstehung der tatbestandlichen Erkrankung muss zumindest wahrscheinlich sein. Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn beim vernünftigen Abwägen aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann. Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden. Die für den Kausalzusammenhang sprechenden Umstände müssen die gegenteiligen dabei deutlich überwiegen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 SGB VII Anm. 10.1 mwN; § 9 SGB VII Anm. 12 mwN).

Das Gericht geht nach den Ermittlungen des TAD davon aus, dass der Kläger mit von ihm angegebenen Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln im ermittelten Ausmaß in Kontakt kam. Außerdem hatte der Kläger Umgang mit Säuren und alkalischen Reinigungs- und Desinfektionsmitteln. Hierbei ist unbeachtlich, dass der Kläger für die Ausbringung von Spritzmitteln nach seiner Ausbildung über die erforderliche Qualifikation verfügte und er nach seinen Angaben auch die Gebrauchs- und empfohlenen Schutzmaßnahmen beachtete. Das Gericht hat auch keine Zweifel, dass der Kläger an einer idiopathischen Parkinson-Erkrankung leidet, die im Alter von 35 Jahren manifest wurde. Allerdings kann nicht mit Wahrscheinlichkeit ein Kausalzusammenhang zwischen einer beruflichen Gefährdung des Gesundheitszustandes des Klägers und dem Morbus Parkinson durch die beschriebenen Tätigkeiten angenommen werden. Zunächst ist hierzu festzuhalten, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach den vom Kläger benannten Nrn. 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) und 1307 (Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen) nicht vorliegen. Für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV fehlt es bereits am typischen Krankheitsbild. Halogenkohlenwasserstoffe wirken toxisch auf Leber, Niere und zentrales Nervensystem. Folge akuter Intoxikationen können Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen bis hin zu zerebralen Krampfanfällen und Bewusstlosigkeit sein. Bei langjährigen hohen Expositionen wurden bei Lindan erhebliche Befindlichkeitsstörungen, Parästhesien und kognitiven Beeinträchtigungen beschrieben. Der Kläger hat mit Lindan hauptsächlich bei Behandlung der Hautkrankheiten der Nutztiere Kontakt gehabt, wobei die Emulsionen Lindan in nur geringer Konzentration enthalten. Die genannten neurotoxischen Symptome sind bei dem Kläger nicht aufgetreten, auch keine Leber und Nierenschädigungen. Dessen ungeachtet zeigen die Studien, dass sich bei einer entsprechenden Expositionen nicht die hier geforderte Kausalität herstellen lässt, auch wenn eine Assoziation mit der Parkinsonerkrankung gegeben ist.

Auch für eine Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 1307 der Anlage 1 zur BKV kann der Kläger kein typisches Krankheitsbild vorweisen. Dieses folgt aus einer akuten Intoxikation durch Hemmung einer der Acetylcholinase und u. U. lebensbedrohlichen Symptomen, die zahlreiche Organsysteme betreffen. Zusätzlich könnten nach akut hohen Expositionen im Verlauf von Wochen verzögert neuromuskuläre bzw. polyneuropathische Symptome auftreten. Im Einzelfall sind reversible parkinsonähnliche Syndrome nach schweren Intoxikationen beschrieben worden. Allerdings gibt es keine sicheren Belege für chronische neurotoxische Effekte bei langzeitig niedrigen Expositionen. Eine entsprechende akute Intoxikation ist bei dem Kläger nicht dokumentiert und wurde auch nicht angegeben. Auch hier gilt im Übrigen, dass aufgrund der Studien bei einer Exposition mit organischen Phosphorverbindungen kein Kausalzusammenhang wahrscheinlich gemacht werden kann.

Auch liegen die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Parkinson-Erkrankung als Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII nicht vor. Für die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit ist erforderlich, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der Berufskrankheitenliste bezeichneten Krankheit ist. Zudem darf die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der Berufskrankheiten erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Berufskrankheit in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist. Hierzu muss eine bestimmte Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt (gewesen) sein und es müssen medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen einer Einwirkungs- und Verursachungsbeziehung vorliegen. Es müssen diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse neu sein und im Einzelfall die abstrakten Voraussetzungen der Wie-Berufserkrankung konkret erfüllt sein (BSG, Urteil vom 20. Juli 2010, Az.: B 2 U 19/09 R mwN). § 9 Abs. 2 SGB VII kann somit nur dann zur Anwendung kommen, wenn Verordnungsreife eingetreten ist (KassKomm-Ricke § 9 Rdnr. 21).

Für eine Anerkennung als Wie-Berufskrankheit fehlt hier die Bedingung, dass die Einwirkungen, denen die Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit ausgesetzt ist, abstrakt-generell nach dem Stand der Wissenschaft die wesentliche Ursache einer Erkrankung der geltend gemachten Art sind. Für die Beurteilung des generellen Ursachenzusammenhangs gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Vor der rechtlichen Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursachenart selbst muss auch hier die naturwissenschaftliche/naturphilosophische Kausalitätsprüfung erfolgen, wobei zu klären ist, ob nach wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen belegt ist, dass bestimmte Einwirkungen generell bestimmte Krankheiten der vom Versicherten geltend gemachten Art verursachen. Das ist anzunehmen, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt (BSG aaO). Hier hat Prof. Dr. J. unter Berücksichtigung der gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse, insbesondere auch unter Einbeziehung der Stellungnahme des BfR, herausgearbeitet, dass eine solche wissenschaftlich fundierte Meinungsbildung zur Frage der Kausalität der hier angegebenen Exposition und der Parkinson-Erkrankung nicht vorliegt. Dies gilt insbesondere auch bezüglich der vom Kläger angegebenen Exposition mit Reinigungsmitteln, die für die Melkanlage verwendet wurden. Prof. Dr. J. wies darauf hin, dass keine experimentellen oder epidemiologischen Hinweise existieren, dass Reinigungs- und Desinfektionsmittel in irgendeinem Zusammenhang mit Parkinsonerkrankungen stehen. Es trifft auch nicht zu, dass es anerkannt ist, dass das Pestizid Paraquat Parkinson bei Landwirten verursacht. Vielmehr ist die Studienlage heterogen. Die Bedeutung einzelner Pestizidklassen, die Dosis-Wirkung-Beziehungen und der zeitliche Zusammenhang zwischen Einwirkungen Erkrankungsbeginn und damit auch eine die kausale Beziehung sind nicht geklärt.

Wie Prof. Dr. J. weiter erläutert, sind die Ursachen für die neurodegenerativen Veränderungen ungeklärt. Die Parkinson-Erkrankung führt nicht nur zu einer fortschreitenden Degeneration von Neuronenpopulationen, betroffen sind auch spezifische Kerngebiete des limbischen Systems, der autonomen und endokrinen Regulation bis hin zu peripheren vegetativen Ganglien, und auf zellulärer Ebene werden mitochondriale Funktionsstörung, oxidativer Stress, abnorme Proteinaggregation und Neuroinflammation als pathogenetische Faktoren angesehen. Einschlägige Studien haben nach den gutachterlichen Ausführungen keine eindeutigen Ergebnisse zu den Risikofaktoren gezeigt. Tierexperimentelle Arbeiten weisen zwar auf toxininduzierte neurochemische und neuropathologische Veränderungen hin, die in der Pathogenese der Parkinson-Erkrankung eine Rolle spielen können. Diese Ergebnisse lassen sich jedoch nicht auf Menschen übertragen. Auch wenn z. B. Herbizide und Insektizide das Risiko, an Parkinson zu erkranken, zu erhöhen scheinen, gibt es keine klaren Kriterien, nach denen eine idiopathische Parkinson-Erkrankung bei Landwirten eingeordnet werden könnte.

Dessen ungeachtet ist für eine Anerkennung einer Berufskrankheit zudem erforderlich, dass in dem konkret zu beurteilendem Einzelfall die abstrakten Voraussetzungen einer Wie-Berufskrankheit tatsächlich erfüllt sind (BSG aaO). Bei dem Kläger wurde ein idiopathisches Parkinson-Syndrom diagnostiziert. Auffällig ist das frühe Erkrankungsalter, welches, so Prof. Dr. J., auf eine (mono)genetisch bedingte Form der Parkinson-Erkrankung hindeuten könnte. Der Sachverständige weist hierzu darauf hin, dass es sich bei der Parkinson-Erkrankung um eine über Jahrzehnte verlaufende fortschreitende Degeneration handelt und zum Zeitpunkt der Manifestation der typischen motorischen Symptome bereits eine ca. zehnjährige präklinische Phase vorausging. Hiernach würde ein Expositionsbeginn in der Kindheit oder Jugend anzunehmen sein, es sei denn, auch kurzzeitige Kontakte wären schon als pathologisch einzuordnen. Gegenwärtig ist davon auszugehen, dass es sich bei der Parkinson-Erkrankung um eine multifaktoriell bedingte Erkrankung handelt, bei der Disposition und Umwelteinflüsse zusammenwirken. Neben Pestizid-Expositionen korrelieren verschiedene weitere Umwelt- und Lebensführungsfaktoren mit der Erkrankung, ohne dass Kausalbeziehungen abgesichert oder Pathommechanismen im Detail aufgedeckt sind.

Die Hinweise des Klägers auf die Rechtsprechung und die Praxis in Frankreich ist nicht geeignet, den geltend gemachten Anspruch zu begründen. Die erstinstanzliche Entscheidung des Sozialgerichts Duisburg vom 8. Januar 2013 (Az.: S 6 U 140/11 WA) kann auf das vorliegende Verfahren keine Auswirkung haben. Nach den vorliegenden Informationen ist die Berufung anhängig. In der Rechtsprechung zu einem Anspruch auf Feststellung einer Parkinson-Erkrankung als Berufskrankheit finden sich im Übrigen keine entsprechenden Hinweise (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2000, Az.: B 2 U 29/99 R; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 6. November 2013, Az.: L 2 U 558/10; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 5 April 2000, Az.: L 3 U 241/99; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 1. Dezember 2011, Az.: L 6 U 122/08; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. Dezember 2009, Az.: L 2 U 202/07). Die Entschädigungstatbestände bei als Berufskrankheit anerkannten Erkrankungen in Frankreich können im Übrigen die im deutschen Unfallversicherungsrecht geltenden Rechtsgrundlagen nicht in Frage stellen.

Die Klage gegen den Bescheid vom 9. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. März 2013 war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Die Beteiligten haben zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 SGG ihr Einverständnis erklärt.
Rechtskraft
Aus
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