L 3 AS 650/16

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 52 AS 3505/15
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 650/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Schutz der Familie nach Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) schließt auch familiäre Bindungen zwischen nahen Verwandten, insbesondere zwischen Großeltern und ihrem Enkelkind, ein.
2.Der Umgang von Großeltern mit ihren Enkelkindern ist in der Regel eine im Rahmen der Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und sozialer Kontakte typische und auch für Bezieher von Grundsicherungsleistungen regelmäßige Bedarfslage, so dass ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II für den Umgang von Großeltern mit ihren Enkelkindern grundsätzlich nicht besteht.
3. Zu einer atypischen Bedarfslage, wenn die Großmutter die Mutter der Kinder (hier nach deren Tod) als engste Bezugsperson ersetzt hat und faktisch in deren Rolle eingetreten ist.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 12. Mai 2016 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2015 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 18. Februar 2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20. März 2014 sowie des Bescheides vom 7. Juli 2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 3. Dezember 2014 für die Zeit vom 1. März 2014 bis zum 31. Januar 2015 weitere Leistungen in Höhe von insgesamt 275,52 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klageverfahren zu ½ und im Berufungsverfahren zu ¾ zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen des Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) über die mit Bescheid vom 16. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2015 abgelehnte Übernahme von Fahrkosten, die im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts der Klägerin mit ihren beiden Enkeltöchtern in der Zeit vom 1. März 2014 bis zum 31. Januar 2015 entstanden sind.

Die 1960 geborene, in A ... (Landkreis B ...) wohnende Klägerin bezog im streitbefangenen Zeitraum vom Beklagten Arbeitslosengeld II. Sie ist Großmutter der am 26. Oktober 2011 geborenen X ... und der am 19. Februar 2003 geborenen W ... Die Enkelkinder, bei denen es sich um Halbgeschwister handelt, lebten zunächst bei ihrer allein sorgeberechtigten Mutter, der Tochter der Klägerin. Nachdem diese am 7. September 2013 verstarb, zog die Klägerin vorübergehend mit ihren beiden Enkeltöchtern in eine gemeinsame Wohnung und versorgte diese.

Ende Februar 2014 informierte die Klägerin den Beklagten unter anderem über einen Beschluss des Amtsgerichts B ... (Familiengericht) vom 4. Februar 2014, wonach dem leiblichen Vater der Enkeltochter X ... das elterliche Sorgerecht übertragen worden war. Das Kind zog am 7. März 2014 zu seinem Vater in die V ...straße in U ... und die Klägerin daraufhin zum 1. April 2014 mit ihrer Engeltochter W ... zurück in ihre alte Wohnung.

Mit Bescheid vom 18. Februar 2014 bewilligte ihr der Beklagte Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. März 2014 bis zum 31. Juli 2014 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende in Höhe von monatlich 140,76 EUR. Mit Änderungsbescheid vom 20. März 2014 hob der Beklagte diesen Bewilligungsbescheid teilweise auf und verminderte ab April 2014 unter anderem den anerkannten Mehrbedarf für Alleinerziehende hinsichtlich der Enkeltochter W ... auf monatlich 46,92 EUR. Mit Bescheid vom 7. Juli 2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 3. Dezember 2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. August 2014 bis zum 31. Januar 2015.

Mit Beschluss vom 16. Juni 2014 (Az. 302 F 1763/14 eA) sprach das Amtsgericht U ... (Familiengericht) der Klägerin im Wege einer einstweiligen Anordnung ein Umgangsrecht hinsichtlich des Enkelkindes X ... für zunächst insgesamt 8 Umgangstermine zu, ordnete zugleich zur Sicherstellung des Umgangs eine Umgangspflegschaft an und bestellte eine Umgangspflegerin. Zur Begründung führte das Familiengericht aus, dass in dem völlig abrupten Abbruch des Kontaktes des Kindes zu seinen engsten Bezugspersonen und seinem gewohnten Umfeld eine Kindeswohlgefährdung zu sehen sei. Das Kind habe zunächst den unerwarteten plötzlichen Verlust seiner Mutter als engste Bezugsperson erleiden müssen und sei danach aus dem vertrauten Umfeld der gemeinsamen Wohnung mit seiner Halbschwester und der Großmutter mütterlicherseits, in der es bereits mit der Mutter zusammengelebt habe, gerissen worden. Dadurch habe das Kind innerhalb von etwa einem halben Jahr zweimal eine völlige Trennung von seinen engsten Bezugspersonen erleben müssen.

Der Umgang mit der Enkeltochter X ... fand zunächst an 9 Terminen in der Zeit vom 21. Juni 2014 bis zum 23. August 2014 auf einem Spielplatz in der Nähe der Wohnung des Vaters in U ..., Ortsteil T ..., statt. Die einfache Strecke von der Wohnung der Klägerin aus betrug 22,5 km. Vom 29. August 2014 bis zum 31. Januar 2015 nahm die Klägerin an 10 Terminen das Umgangsrecht mit der Enkeltochter dergestalt wahr, dass sie das Kind mit ihrem eigenen Fahrzeug in der Wohnung des Kindesvaters abholte, den Umgang in ihrer eigenen Wohnung wahrnahm und das Kind dann wieder zurückbrachte. Insgesamt legte die Klägerin eine Fahrstrecke von 1.405 km zurück. Zudem nahm sie in dieser Zeit auf Einladung des Jugendamtes insgesamt 8 Termine bei der Familienberatung wahr. Hierzu legte sie weitere 268,8 km zurück.

Zum 1. August 2014 zog die Enkeltochter W ... zu ihrem leiblichen Vater in die S ...straße in U ... Die Klägerin konnte mit dem Vater der Enkeltochter W ... einvernehmlich den Umgang regeln. In der Zeit vom 1. August 2014 bis zum 30. Januar 2015 hatte sie an insgesamt 13 Terminen Umgang mit der Enkeltochter, die sie hierzu mit ihrem Fahrzeug in der Wohnung des Kindesvaters abholte (einfache Strecke 10,2 km) und zum Teil erst nach einigen Tagen wieder zurückbrachte. Insgesamt legte die Klägerin hierzu eine Fahrstrecke von 234,6 km zurück.

Mit Schreiben vom 7. Januar 2015 informierte die Klägerin den Beklagten über die erfolgten Umgangszeiten mit ihren Enkeltöchtern für die Zeit von Juni 2014 bis Januar 2015 und bat um "Unterstützung". Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 12. März 2015 darauf hingewiesen hatte, dass es sich bei dem Begehren der Klägerin um einen Antrag auf Übernahme der Kosten für den Umgang mit ihren Enkelkindern im Rahmen von § 21 SGB II handele, wertete der Beklagte dies als Überprüfungsantrag hinsichtlich der Bewilligung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II, lehnte diesen aber mit Bescheid vom 16. März 2015 ab. Zur Begründung führte er aus, dass Aufwendungen für die Wahrnehmung des Umgangsrechts nur von Eltern, nicht aber Großeltern geltend gemacht werden könnten. Die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen durch die Betreuung von Enkelkindern stelle keine atypische Situation im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II dar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juni 2015 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 6. Juli 2015 Klage erhoben und ihr Begehren auf Übernahme der ihr für die Ausübung des Umgangsrechts mit ihren beiden Enkeltöchtern in der Zeit entstanden Fahrkosten weiterverfolgt. Nach Einreichung einer Aufstellung über die von ihr zurückgelegten Fahrkilometer hat sie zunächst einen Mehrbedarf in Höhe von 572,52 EUR geltend gemacht und in der mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2016 ihren Klageantrag auf die Zahlung eines Mehrbedarfs in Höhe von insgesamt 275,52 EUR beschränkt. Zur Begründung hat sie darauf hingewiesen, dass der Umgang mit ihren Enkeltöchtern nicht mit einem sekundären Umgang einer Großmutter, die den Rahmen der allgemeinen Pflege sozialer Kontakte ausfülle, vergleichbar sei, sondern ein besonderes Umgangsrecht darstellen. Nach dem Tod ihrer Tochter sei sie die engste Bezugsperson der Kinder gewesen, denen es aufgrund ihres Alters auch nicht möglich gewesen sei, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu ihr zu gelangen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. Mai 2016 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen der Wahrnehmung des Umgangsrechts mit ihren Enkeltöchtern, da dieser keinen besonderen Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II darstelle, sondern der Pflege sozialer Kontakte von Angehörigen diene und damit einer typischerweise bei Leistungsbeziehern entstehenden Sachlage, der vom Regelbedarf umfasst sei. Der von der Rechtsprechung anerkannte Mehrbedarf für Fahrkosten getrennt lebender Eltern zur Ausübung ihres Umgangsrechts könne nicht auf das Umgangsrecht einer Großmutter mit ihren Enkelkindern übertragen werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 9. Juni 2016 die vom Sozialgericht zugelassene Berufung eingelegt. Sie verfolgt ihr erstinstanzliches Begehren weiter und verweist darauf, dass sie der letzte Bezug und Bindung der Kinder zu ihrer Ursprungsfamilie mütterlicherseits sei. Angesichts der beiden unterschiedlichen Väter könne allein sie gewährleisten, dass beide Kinder den Kontakt zueinander halten könnten. Hierzu hat sie auf die gerichtliche Entscheidung des Familiengerichts vom 16. Juni 2014 sowie das psychologische Gutachten der Gerichtsgutachterin vom 27. Juli 2016 hingewiesen, wonach sie hinsichtlich der Enkeltochter X ... die engste Bezugsperson sei und ohne Wahrnehmung des Umgangs durch sie das Wohl des Kindes gefährdet sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichtes Dresen vom 12. Mai 2016 sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 18. Februar 2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20. März 2014 und des Bescheides vom 7. Juli 2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 3. Dezember 2014 sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 16. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2015 zu verurteilen, an die Klägerin für die Zeit vom 1. März 2014 bis zum 31. Januar 2015 insgesamt 381,68 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die aus seiner Sicht zutreffende Entscheidung des Sozialgerichts.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 12. Mai 2016 ist zulässig, insbesondere statthaft. Zwar übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes in Höhe von 381,68 EUR nicht 750,00 EUR (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]). Jedoch wurde die Berufung im Urteil des Sozialgerichts zugelassen.

II. Die Berufung ist überwiegend begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Begehren der Klägerin, den Beklagten zur Zahlung von weiteren insgesamt 381,68 EUR zu verurteilen. Im Klageverfahren hatte die Klägerbevollmächtigte allerdings den anfangs unbezifferten Antrag zunächst im Schriftsatz vom 26. April 2016 auf einen Zahlbetrag von 572,52 EUR konkretisiert, in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht den geltend gemachten Anspruch dann aber auf einen Zahlbetrag in Höhe von 275,52 EUR beschränkt. Über den solchermaßen gefassten Antrag hat auch das Sozialgericht entschieden. Wegen der in der betragsmäßigen Klagebeschränkung enthaltenen teilweisen Klagerücknahme (vgl. § 102 Abs. 1 Satz 1 SGG) ist insoweit der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (vgl. § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung kann, soweit mit ihr ein über 275,52 EUR hinausgehender Anspruch geltend gemacht wird, deshalb keinen Erfolg haben.

2. Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (zum Klageantrag bei einem Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – [SGB X]: Sächs. LSG, Urteil vom 3. April 2008 – L 3 AS 164/07 – info also 2008, 272 = juris Rdnr. 27; Udsching, in: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens [6. Aufl., 2011], IV. Kapitel Rdnr. 76) ist der Überprüfungsbescheid vom 16. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2015, mit dem der Antrag der Klägerin, ihr unter Änderung der Bewilligungsbescheide vom 18. Februar 2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20. März 2014 und des Bescheides vom 7. Juli 2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 3. Dezember 2014 im Leistungszeitraum vom 1. März 2014 bis zum 31. Januar 2015 einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II für Fahrkosten, die ihr im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts der Klägerin mit ihren beiden Enkeltöchtern entstanden waren, zu gewähren.

Da der Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Bestandteil der mit den vorgenannten Bescheiden bewilligten Leistungen und kein eigenständiger und von deren Höhe abtrennbarer Streitgegenstand ist, steht im Berufungsverfahren die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den von den vorgenannten Bewilligungsbescheiden betroffenen Zeitraum insgesamt zur Überprüfung (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 3. März 2009 – B 4 AS 50/07 RBSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 N. 5 = juris Rdnr. 12; BSG, Urteil vom 24.2.2011 – B 14 AS 49/10 R – SozR 4-4200 § 21 Nr. 10 = juris Rdnr. 13; BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 146/10 RBSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 13 = juris Rdnr. 14; BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 4/14 R – juris Rdnr. 10; BSG, Urteil vom 11. Februar 2015 – B 4 AS 27/14 R –, BSGE 118, 82-91, SozR 4-4200 § 21 Nr. 21, juris Rdnr. 10).

3. Der Beklagte hat zu Unrecht mit dem Bescheid vom 16. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2015 die Überprüfung der bestandskräftigen Ausgangsbescheide vom 18. Februar 2014 in der Fassung des Bescheides vom 20. März 2014 und des Bescheides vom 7. Juli 2014 in der Fassung des Bescheides vom 3. Dezember2014 für den Zeitraum vom 1. März 2014 bis zum 31. Januar 2015 abgelehnt, da er das Recht im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X unrichtig angewandt hat.

Die zur Überprüfung gestellten Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf die ihr in der Zeit vom 1. März 2014 bis zum 31. Januar 2015 entstandenen Fahrkosten in Höhe von insgesamt 275,52 EUR für die Fahrten zu ihren Enkelkindern als atypischen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II. Weitergehende Bedenken in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. März 2014 bis zum 31. Januar 2015 hat die Klägerin nicht vorgebracht und waren für den Senat auch nicht ersichtlich.

b) Die Klägerin hat Anspruch auf die im streitigen Leistungszeitraum zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit ihren Enkelkindern entstandenen Fahrkosten in Höhe von insgesamt 275,52 EUR.

(1) Gemäß § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist gemäß § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat es als mit dem Grundgesetz unvereinbar angesehen, dass für einen atypischen Bedarf außerhalb der Regelleistung des § 20 SGB II und bestimmter zusätzlicher Hilfen das SGB II keinen Anspruch des Hilfebedürftigen auf einen besonderen, laufenden, nicht nur einmaligen und unabweisbaren Bedarf vorsieht, der zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums jedoch zwingend zu decken ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 – BVerfGE 125, 175 ff. = SozR 4-4200 § 20 Nr. 12 = juris Rdnr. 204 ff.). Dementsprechend ist ein solcher Mehrbedarf bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen zu gewähren. Zum 3. Juni 2010 hat der Gesetzgeber mit § 21 Abs. 6 SGB II eine entsprechende Regelung in das SGB II eingefügt (vgl. Artikel 3a Nr. 2 Buchst. b des Gesetzes vom 27. Mai 2010 [BGBl. I S. 671]).

(2) Vorliegend erhöhen die von der Klägerin für die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit ihren Enkelkindern entstandenen Fahrkosten ihren grundsicherungsrechtlichen Bedarf.

(2.1) Voraussetzung hierfür ist, dass es sich bei diesen Kosten um einen besonderen, laufenden, nicht nur einmaligen und unabweisbaren Bedarf handelt, welcher nicht vom Regelsatz umfasst ist. Prägend für einen solchen besonderen Bedarf ist, dass eine andere, weitergehende Bedarfslage vorliegt als bei typischen Empfängern von Grundsicherungsleistungen (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 14/06 RBSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 1 = juris Rdnr. 22; BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 30/13 R – SozR 4-4200 § 21 Nr. 18 = juris, jeweils Rdnr. 20; BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 4/14 R = juris Rdnr. 16). Es muss daher ein Mehrbedarf im Verhältnis zum "normalen" Regelbedarf gegeben sein.

(2.2) Eine derartige atypische Bedarfslage mit einem unabweisbaren Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II ist im Fall der Klägerin gegeben.

Die Pflege sozialer Kontakte, gegebenenfalls auch zu in anderen Städten lebenden Angehörigen, mit entsprechenden Kosten, zum Beispiel für Besuchsreisen, Telefonate etc., ist zwar eine typische und auch für Bezieher von Grundsicherungsleistungen regelmäßige Bedarfslage (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19. Dezember 2013 – L 7 AS 1470/12 – FEVS 66, 30 ff. = juris Rdnr. 32). Dementsprechend zählt die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen als Teilhabe am sozialen Leben zu den im Rahmen der Regelbedarfsfestsetzung zu berücksichtigenden persönlichen Bedürfnissen (vgl. BVerfG, a. a. O., Rdnr. 135; BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 14/06 RSozR 4-4200 § 20 Nr. 1 = juris Rdnr. 19).

Abweichendes ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts allerdings bei den Fahrkosten zur Ausübung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern ungeachtet der Tatsache, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrkosten enthalten ist (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 4/14 RBSGE 117, 240 ff. = SozR 4-4200 § 21 Nr. 19 = juris, jeweils Rdnr. 16). Abgesehen davon, dass der Gesetzgeber nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 und bei der Einfügung des § 21 Abs. 6 SGB II im Juni 2010 unter anderem speziell die Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern als Anwendungsfall der Härtefallklausel im Blick hatte (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2014, a. a. O., mit Verweis auf BT-Drucks 17/1465, S. 9; Behrend, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [4. Aufl., 2015], § 21, Rdnr. 98), betrifft der Bedarf nicht nur die üblichen Fahrten im Alltag, sondern eine spezielle Situation bei der Aufrechterhaltung des Umgangs mit einem Kind. Diese Situation ist mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden, wenn die Wohnorte aufgrund der Trennung der Eltern weiter entfernt voneinander liegen (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 14/06 RBSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 1 = juris Rdnr. 22; BSG, Urteil vom 18. November 2014, a. a. O., m. w. N.).

Zwar haben auch Großeltern gemäß § 1685 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient. Jedoch ist der Umgang von Großeltern mit ihren Enkelkindern in der Regel eine im Rahmen der Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und sozialer Kontakte typische und auch für Bezieher von Grundsicherungsleistungen regelmäßige Bedarfslage, so dass ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II für den Umgang von Großeltern mit ihren Enkelkindern grundsätzlich nicht besteht (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19. Dezember 2013, a. a. O.; Viefhues, in: Herberger/Martinek/Rüßmann, jurisPK-BGB, [8. Aufl., 2017], § 1610 Rdnr. 250). Im Allgemeinen zählt für Großeltern die Wahrnehmung des Umgangs mit ihren Enkelkindern zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen, welche als Teilhabe am sozialen Leben bereits im Rahmen der Regelbedarfsfestsetzung Berücksichtigung gefunden hat.

Allerdings sind über die beschriebenen einfachgesetzlichen Regelungen hinaus bei der Prüfung, ob ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II für den Umgang von Großeltern mit ihren Enkelkindern besteht, auch die verfassungsrechtlichen Implikationen zu berücksichtigen. So schließt der Schutz der Familie nach Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) auch familiäre Bindungen zwischen nahen Verwandten, insbesondere zwischen Großeltern und ihrem Enkelkind, ein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 2014 – 1 BvR 2926/13BVerfGE 136, 382 ff. = NJW 2014, 2853 ff. = juris Rdnr. 23). Auch ist bei der Auslegung und Anwendung von Rechtsvorschriften dem Kindeswohl im Rahmen des Artikel 6 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. November 1988 – 1 BvR 37/85– BVerfGE 79, 203 ff. = NJW 1989, 1275 = juris Rdnr. 34).

Dies vorangestellt liegt der Fall der Klägerin besonders. Die Klägerin hat eine atypische Bedarfslage dargetan, die nicht mehr als allgemeiner und üblicher Umgang von Großeltern mit ihren Enkelkindern als Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen angesehen werden kann, sondern darüber hinausgeht.

Im Gegensatz zum üblichen Verhältnis zwischen Großeltern und ihren Enkelkindern bestand hier die Besonderheit, dass die Klägerin die Mutter der Kinder als engste Bezugsperson ersetzte und faktisch in deren Rolle eingetreten war. Die Klägerin hatte nach dem Tod ihrer Tochter, der alleinerziehenden Mutter der beiden Kinder, von September 2013 bis März 2014 beziehungsweise August 2014 bis zur Übertragung der elterlichen Sorge auf die beiden Väter das Sorgerecht der Kinder zeitweise übernommen. Sie war damit als engste Bezugsperson der Kinder an die Stelle der Mutter getreten und behielt diese auch nach der Übernahme des Sorgerechts durch die jeweiligen Väter und der dauerhaften Trennung der Geschwisterkinder bei. An Stelle der verstorbenen Kindesmutter war die Klägerin nunmehr das einzige familiäre Bindeglied der beiden Enkelkinder zueinander und zudem auf mütterlicher Seite die wichtigste Bezugsperson. Allein die Klägerin konnte hierdurch im Sinne des Kindeswohls gewährleisten, dass ihre Enkelkinder als Geschwister weiterhin Umgang miteinander haben konnten. Hinsichtlich des Enkelkindes X ... bedurfte es hierbei einer gerichtlichen Anordnung, da andernfalls durch den völlig abrupten Abbruch des Kontaktes des Kindes zu seinen engsten Bezugspersonen und seinem gewohnten Umfeld das Kindeswohl erheblich gefährdet worden wäre. Insoweit entsprach es nicht nur der rechtlichen Verpflichtung der Klägerin auf Grund der Entscheidung des Familiengerichts, sondern auch ihrer sittlichen Verpflichtung, dass sie im streitbefangenen Zeitraum regelmäßig das Umgangsrecht mit ihren beiden Enkelkindern wahrnahm. Damit handelte es sich nicht um übliche Fahrten im Rahmen der alltäglichen Pflege zwischenmenschlicher, familiärer Beziehungen, sondern um einen Aufwand, der kausal aus dem Kindeswohl heraus entstanden ist, welches ansonsten in erheblichem Maße gefährdet gewesen wäre.

Dieser zusätzliche Bedarf stellt auch einen existenzsichernden Bedarf im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und ab dem 3. Juni 2010 im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II dar. Die zur Erstattung von Fahrkosten des Leistungsberechtigten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung des verfassungsrechtlich nach Artikel 6 Abs. 1 GG geschützten und in § 1626 Abs. 3 Satz 1 BGB geregelten Umgangsrecht zwischen ihm und seinem minderjährigen Kind ist insoweit auf den hier vorliegenden Fall der Wahrnehmung des Umgangsrechts der Klägerin mit ihren Enkelkinder aufgrund er beschriebenen besonderen Sachlage entsprechend übertragbar.

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Klägerin für die Wahrnehmung des Umgangsrechts das Kraftfahrzeug und nicht öffentliche Verkehrsmittel nutzte (zur Zumutbarkeit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel: BSG, Urteil vom 4. Juni 2014, a. a. O., Rdnr. 24; BSG, Urteil vom 18. November 2014, a. a. O., Rdnr. 24 ff.). Hierbei war zu berücksichtigen, dass sie den Umgang mit den Enkelkindern in ihrer eigenen Wohnung wahrnehmen und das 2-jährige Enkelkind X ... noch am gleichen Tag zur Wohnung des Vaters zurückbringen musste. Die viermalige Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel an einem Tag mit einem Kleinkind war insoweit bereits unzumutbar, so dass dahingestellt bleiben kann, ob die Nutzung öffentlicher Verkehrsmitteln von A ... (Landkreis B ...) nach U ... überhaupt für die Klägerin finanziell günstiger gewesen wäre. Auch der 11-jährigen Enkeltochter W ... war es noch nicht zuzumuten, alleine öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen.

(2.3) Danach hat die Klägerin Anspruch auf Fahrkosten in Höhe von 275,00 EUR. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob auch Fahrkosten für 8 Fahrten zur Familienberatung geltend gemachen werden können (insgesamt 268,8 km). Denn die Klägerin legte allein zur Wahrnehmung Umgangsrechtes mit ihren beiden Enkeltöchtern insgesamt 1.639,60 Fahrkilometer zurück.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts war für die Ermittlung der Fahrkosten unter Rückgriff auf die Vorgaben von § 5 Abs. 1 des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) eine Kilometerpauschale von 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke zu Grunde zu legen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2014, a. a. O ..., Rdnr. 28; BSG, Urteil vom 18. November 2014, a. a. O ..., Rdnr. 24; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Mai 2014 – L 6 AS 633/14 B ER – juris Rdnr. 12). Daraus errechnen sich bei der Klägerin Kosten in Höhe von 327,92 EUR (= 1.639,60 km x 0,2 EUR/km). Auch ohne Berücksichtigung der Fahrten zur Familienberatung übersteigen diese Fahrkosten den von der Klägerin erstinstanzlich zuletzt geltend gemachten Betrag von 275,52 EUR

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, § 183 SGG und berücksichtigt das Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens in den beiden Instanzen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe dafür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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