L 1 U 857/14

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 17 U 3906/10 (f)
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 857/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 9 Abs 1 SGB 7, Anl 1 Nr 2112 BKV

Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2112 - Gonarthrose - medizinische Voraussetzungen - haftungsbegründende Kausalität - Wahrscheinlichkeit - Klassifikation nach Kellgren - zeitliche Latenz - ärztliches Merkblatt - Begutachtungsempfehlung



1. Die Berufskrankheit Nr. 2112 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten Verordnung setzt in medizinischer Hinsicht das Vorliegen einer Gonarthrose (mindestens) vom Grad II nach Kellgren voraus. Ob dies angenommen werden kann, ist unter Heranziehung des zur Nr. 2112 ergangenen ärztlichen Merkblatts sowie der Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr .2112 zu klären.
2. Einer Anerkennung als Berufskrankheit steht danach entgegen, wenn zwischen dem Ende der kniebelastenden Tätigkeit und der erstmaligen Diagnose der Erkrankung eine zeitliche Latenz von mehr als 5 Jahren liegt. Kann anhand/mangels medizinischer Befunde nicht geklärt werden, ob sich innerhalb der Latenzzeit von 5 Jahren eine Gonarthrose im Sinne der BK 2112 entwickelt hat, geht dies zu Lasten des Klägers.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 31. März 2014 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2112 (BK 2112- Gonarthrose-) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) und die Gewährung einer Verletztenrente wegen einer anerkannten BK 2105 (Schleimbeutelerkrankung) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der 1959 geborene Kläger war seit 1976 - nur unterbrochen durch Ableistung des Wehrdienstes und kürzere Zeiten der Arbeitslosigkeit - bis 2009 als Fliesenleger tätig. Mit Schreiben vom 16. April 2009 beantragte der Kläger nach einer operativen Entfernung des Schleimbeutels im rechten Kniegelenk eine Rente wegen "Berufskrankheit". Die Beklagte zog daraufhin radiologische Befunde hinsichtlich des linken Kniegelenks vom 22. August 2005 und 1. Juni 2006 sowie des rechten Kniegelenks vom 16. Juni 2009 bei. Der Beratungsarzt H. der Beklagten äußerte in einer Stellungnahme vom 24. Juli 2009 den Verdacht auf das Bestehen eines Kellgren Grad II hinsichtlich der Kniegelenke. Deshalb empfahl er ein Verfahren hinsichtlich einer BK 2112 einzuleiten. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten ermittelte in einer Stellungnahme vom 28. September 2009 den Umfang der kniebelastenden Tätigkeit des Klägers von 1976 bis Mitte März 2009 mit 25.264 Stunden. In einer Stellungnahme vom 6. Oktober 2009 empfahl der Beratungsarzt der Beklagten H. eine Anerkennung der BK 2105. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach dem 3. April 2009 sei aber nicht zu begründen. Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 18. November 2009 das Vorliegen einer BK 2105 und als Folge hiervon eine "chronische bursitis präpatellaris" rechts an, verneinte aber einen Anspruch auf Verletztenrente. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers wurde nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des Beratungsarztes H. vom 17. März 2010 mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2010 zurückgewiesen. Hiergegen hat der Kläger am 14. Mai 2010 Klage erhoben.

Im Verfahren hinsichtlich der BK 2112 holte die Beklagte eine Stellungnahme des Gewerbearztes Dipl. Med. Sch. vom 19. November 2009 ein. Darin empfahl dieser, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Es fehlten aktuelle Aufnahmen des rechten Kniegelenkes, um beurteilen zu können, wie weit die Gonarthrose fortgeschritten sei, insbesondere ob ein Grad Kellgren II bereits erreicht sei. Mit Bescheid vom 10. März 2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2112 ab. Die vorliegenden bildgebenden Befunde rechtfertigten keine Einstufung der Schwere der Gonarthrose in beiden Kniegelenken mit dem erforderlichen Grad II nach Kellgren. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2010 zurückgewiesen. Hiergegen hat der Kläger am 9. August 2010 Klage erhoben.

Das Sozialgericht Gotha hat in der mündlichen Verhandlung vom 31. März 2014 mit Beschluss das Verfahren hinsichtlich der BK 2112 mit dem Rechtsstreit hinsichtlich der Gewährung einer Verletztenrente aufgrund der anerkannten BK 2105 verbunden. In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte im Wege eines Teilanerkenntnisses hinsichtlich der BK 2105 auch eine "chronische bursitis präpatellaris" links als Folge der BK anerkannt. Mit Urteil vom 31. März 2014 hat das Sozialgericht Gotha die Klage abgewiesen. Die Anerkennung einer BK 2112 scheitere an den medizinischen Voraussetzungen. Die Gonarthrose des Klägers an bei-den Kniegelenken falle nicht unter die Klassifikation nach Kellgren Grad II bis IV. Dies folge aus dem MRT-Befund vom 16. Juni 2009 bzw. 21. Juli 2009. Es bestehe auch kein Anspruch auf Rente wegen einer anerkannten BK 2105. Die Schleimbeutelreizung beider Kniegelenke sei klinisch stumm. Die Beweglichkeit des linken Kniegelenks betrage 0-0-130 Grad.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Als Folge seiner Erkrankung in beiden Kniegelenken vermeide er jedwede Kniebelastung. Er sei nunmehr als Hilfstierpfleger bzw. als Hausmeister tätig und habe erhebliche Einkommensverluste. Das Gericht hätte daher ein Gutachten einholen müssen. Dasselbe gelte hinsichtlich der BK 2112. Auch hier sei eine umfangreiche medizinische Begutachtung erforderlich gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 31. März 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 10. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2010 aufzuheben und das Vorliegen einer BK 2112 festzustellen sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2010 und des Teilanerkenntnisses vom 31. März 2014 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 2. Juli 2014 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger bezüglich der BK 2105 eine Rente nach einer MdE von 20 v.H. zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der BK 2112 liege nicht das vom Verordnungsgeber vorausgesetzte Krankheitsbild, eine mindestens im Stadium II nach Kellgren vorliegende Gonarthrose vor. Dies ergebe sich aus den bildgebenden Befunden vom 1. Juni 2006, 16. Juni 2009 sowie vom 21. Juli 2009. Diese Befunde hätten dem Beratungsarzt H. vorgelegen.

Der Senat hat nach Beiziehung der radiologischen Befunde vom 16. Juni und 21. Juli 2009 ein Sachverständigengutachten des Unfallchirurgen Dr. G. vom 26. April 2016 eingeholt. Danach entspreche der Befund im rechten Kniegelenk zum Zeitpunkt der Untersuchung am 2. Dezember 2015 einer Arthrose vom Grad Kellgren I des retropatellaren und medialen Kompartiments. Am linken Kniegelenk finde sich ein Osteophyt, welcher 2,1 Millimeter erreiche und danach als definitiver Osteophyt zu bewerten sei. Dieser Befund entspreche einem Grad Kellgren II des medialen Kompartiments und vom Grad Kellgren I des retropatellaren Kompartiments. Da im medialen Kompartiment eine Gonarthrose vom Grad Kellgren II vorliege, seien die Voraussetzungen einer Gonarthrose im Sinne der BK 2112 erfüllt. Die Gonarthrose am linken Kniegelenk gehe auch mit den notwendigen funktionellen Einschränkungen einher. Diese seien allerdings gering. Im rechten Kniegelenk würden die Voraussetzungen einer Gonarthrose im Sinne der BK 2112 nicht vorliegen. Eine Einstufung nach Kellgren II sei dort nicht möglich. Objektive Funktionseinschränkungen seien ebenfalls nicht festgestellt worden. Die Gonarthrose im linken Kniegelenk vom Grad Kellgren II sei erstmals im Rahmen der jetzigen Begutachtung nachgewiesen worden. Einer Röntgenaufnahme vom 21. Juni 2011 anlässlich einer Begutachtung in einem Gerichtsverfahren zur BK 2102 sei zu entnehmen, dass zum damaligen Zeitpunkt noch keine Gonarthrose des linken Kniegelenkes vom Grad Kellgren II vorgelegen habe. Auch die Möglichkeit, dass nach der Begutachtungsempfehlung zur BK 2112 bei fehlendem konventionell radiologischen Nachweis einer Gonarthrose vom Grad Kellgren II der Nachweis einer Gonarthrose analog Grad Kellgren II bei Vorliegen bestimmter Knorpelschäden erfolgen könne, helfe nicht weiter. Nach dem arthroskopischen Befund aus dem Jahre 2009 liege nur eine Arthrose analog Grad Kellgren I vor. Dies sei auch anhand der weiteren Entwicklung nachvollziehbar. Denn auch fast zwei Jahre nach der Arthroskopie vom 6. August 2009 sei auf den konventionellen Röntgenaufnahmen im Rahmen der Begutachtung am 21. Juni 2011 noch keine Arthrose vom Schweregrad II nach Kellgren vorhanden gewesen. Unter Berücksichtigung der Aufgabe der Tätigkeit als Fliesenleger im Jahre 2009 habe daher zum Zeitpunkt der Aufgabe der belastenden Tätigkeit im linken Kniegelenk noch keine Gonarthrose vom Grad Kellgren II vorgelegen. Diese habe sich aber innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren ab Aufgabe der belastenden Tätigkeit entwickelt. Das ergebe sich aus der Extrapolation der genannten Befunde. Die Grenze zum Schweregrad II sei circa Ende 2013/Anfang 2014 überschritten gewesen. Die zeitliche Latenz zwischen der Aufgabe der belastenden Tätigkeit und der Ausbildung einer Arthrose vom Grad Kellgren II sei, wenn sie weniger als fünf Jahre betrage, nach der Begutachtungsempfehlung zu BK 2112 nicht negativ zu werten. Der Seitenunterschied zwischen beiden Kniegelenken betrage nicht mehr als einen Grad, so dass sich daraus ebenfalls kein Negativindiz gegen die Annahme einer beruflichen Verursachung ergebe. Konkurrierende Ursachen für die Gonarthrose am linken Kniegelenk seien nicht ersichtlich. Die MdE hinsichtlich der Gonarthrose sei mit 10 v.H. zu bewerten. Eine MdE bezüglich der BK 2105 lasse sich mangels messbarer Funktionsein-schränkungen nach dem Ergebnis der gutachterlichen Untersuchung nicht begründen. Die MdE aufgrund der Folgen der BK 2105 sei ab dem 1. Juli 2009 daher mit unter 10 v. H. einzuschätzen. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 8. Februar 2017 führt Dr. G. aus, dass bei einem gleichmäßigen Voranschreiten der Gonarthrose der Schweregrad Kellgren II Ende 2013/Anfang 2014 überschritten worden sei. Arthrotische Veränderungen könnten langsam oder schnell voranschreiten.

Der Kläger ist der Auffassung, dass durch das Gutachten von Dr. G. das Vorliegen einer BK 2112 hinsichtlich des linken Kniegelenkes nachgewiesen sei. Die MdE sei allerdings höher als mit 10 v. H. zu bewerten. Die Beklagte hingegen sieht nicht den Nachweis erbracht, dass innerhalb der fünfjährigen Latenzzeit nach Beendigung der Tätigkeit als Fliesenleger eine Gonarthrose vom Grad Kellgren II hinsichtlich des linken Kniegelenkes nachgewiesen sei.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat den Chi-rurgen Dr. A. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser führt in seinem Gutachten vom 19. September 2017 aus, dass sich aus den bildgebenden Befunden das Bestehen einer medial betonten Pangonarthrose (=Verschleiß in allen drei Gelenkabschnitten) im linken Kniegelenk bereits 2009 herleiten lasse. Im Arthroskopiebericht aus dem Jahre 2009 sei auch das Vorliegen eines Knorpelschadens vom Grad II erwähnt. Für beide Kniegelenke lasse sich unter Einschluss einer retropatellaren Arthrose eine Kellgren Klassifizierung beidseits von Kellgren Grad II bestätigen. Die MdE sei mit 20 v. H. zu bewerten. Das Anerkenntnis der BK 2105 habe hinsichtlich der MdE-Bewertung keinen Einfluss.

Wegen der einzelnen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang und die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht Gotha hat die Klage zu Recht abgewiesen und einen Anspruch des Klägers auf Feststellung einer BK 2112 bzw. Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen der anerkannten BK 2105 abgelehnt.

Der Bescheid der Beklagten vom 10. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer Kniegelenksarthrose als Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zu BKV.

Nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer in den §§ 2, 3 und 6 SGB VII genannten Tätigkeiten erleidet. Nach § 1 der BKV sind Berufskrankheiten die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten (sogenanntes Listenprinzip).

Für die Feststellung einer Listen-BK ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schad-stoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwir-kungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufs-bedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsaus-füllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015; Az.: B 2 U 11/14 R). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R). Sofern die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht von demjenigen, der sie geltend macht, mit dem von der Rechtsprechung geforderten Grad nachgewiesen werden, hat er die Folgen der Beweislast dergestalt zu tragen, dass dann der entsprechende Anspruch entfällt.

Die Nummer 2112 der Anlage 1 zur BKV bezeichnet die BK als Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht. Die Voraussetzungen dieser BK liegen nicht vor. Zwar war der Kläger den unter der Nr. 2112 genannten Einwirkungen ausgesetzt, nämlich einer Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht. Dies ergibt sich aus den arbeitstechnischen Ermittlungen der Beklagten. Deren Technischer Aufsichtsdienst hat in einer Stellungnahme vom 28. September 2009 den Umfang der kniebelastenden Tätigkeit des Klägers bei Zugrundelegung einer Mindesteinwirkungsdauer von einer Stunde pro Schicht mit einer Gesamteinwirkungsdauer in Höhe von 25.462 Stunden beziffert.

Es kann jedoch nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass die im linken Kniegelenk des Klägers zum jetzigen Zeitpunkt vollbeweislich gesicherte Gonarthrose im Sinne der BK 2112 mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die beruflichen Belastungen zurückzuführen ist, denen der Kläger in seiner Berufstätigkeit als Fliesenleger ausgesetzt war. Hinsichtlich des rechten Kniegelenkes liegt bis jetzt keine Gonarthrose im Sinne der BK 2112 vor.

Im Fall des Klägers fehlt es bereits an einer röntgenologischen Diagnose entsprechend II - IV der Kellgren-Klassifikation hinsichtlich des linken Kniegelenkes innerhalb von 5 Jahren nach Aufgabe der kniebelastenden Tätigkeit im März 2009. Der Senat folgt den wissenschaftlich fundierten Ausführungen des Sachverständigen Dr. G. an den Senat, dass nach den Ergebnissen der Konsensusarbeitsgruppe zur Begutachtung der Gonarthrose einer Latenz zwischen dem Ende der Exposition und der erstmaligen Diagnose der Erkrankung von bis zu fünf Jahren keine wesentliche negative Indizwirkung zukommt. Allerdings ist das erstmalige Auftreten einer Gonarthrose im linken Knie im Sinne der BK 2112 erst im Dezember 2015 gesichert worden. Dies ergibt sich aus der Auswertung der vorliegenden bildgebenden Befunde und den Ausführungen der Sachverständigen. Eine Gonarthrose von Grad II der Klassifikation nach Kellgren setzt nach dem Merkblatt zur BK-Nr. 2112 voraus, dass im Röntgenbild oder im Ergebnis anderer bildgebender Verfahren "definitive Osteophyten" und eine mögliche Verschmälerung des Kniegelenkspalts festgestellt werden können. Was unter "definitiven Osteophyten" zu verstehen ist, ist zwar im Merkblatt nicht näher umschrieben. Nähere Aussagen hierzu sind jedoch der "Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr. 2112 (Gonarthrose)" mit Stand vom 3. Juni 2014 zu entnehmen. Diese beruht auf dem Konsens von Vertretern verschiedener Fachgesellschaften und Organisationen und ist - wie zB die Konsensempfehlung zu den BKen Nrn. 2108 und 2109 - bei der Beurteilung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands zugrunde zu legen, der - wie hier - für die Beantwortung wissenschaftlicher (insbesondere medizinischer) Fachfragen maßgeblich ist (vgl. hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 23. April 2015 Az.: B 2 U 10/14 R zitiert nach Juris).

Als Osteophyten sind nach der Begutachtungsempfehlung knöcherne Randausziehungen an-zusehen, die am Gelenkrand lokalisiert sind. Als "definitive" Osteophyten gelten dabei nur solche Randausziehungen, die eine Größe von mindestens 2 mm ab ursprünglicher Knochenform aufweisen. Dabei sind Osteophyten an der Kniescheibe für die Begutachtung der BK-Nr. 2112 nur dann bedeutsam, wenn sie sich seitlich an der Patella (Kniescheibe) befinden (zu alledem: Begutachtungsempfehlung S. 26).

Veränderungen in diesem Ausmaß liegen im linken Knie des Klägers innerhalb des maßgeblichen Fünfjahreszeitraumes aber nicht vor. Der für die Anerkennung einer BK 2112 erforderliche Schweregrad der Kniegelenksarthrose links mit Kellgren II ist erstmals im Rahmen der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. G. am 2. Dezember 2015 anhand des dort er-hobenen Röntgenbefundes festgestellt worden. Anhand der früheren Röntgenbefunde, insbe-sondere desjenigen im Rahmen der Begutachtung durch Prof. Dr. B. am 21. Juni 2011, lässt sich der Schweregrad Kellgren II nicht herleiten. In seinem Gutachten vom 26. April 2016 führt Dr. G. aus, dass hinsichtlich des linken Kniegelenks ein Osteophyt vorhanden ist, welcher 2,1 Millimeter erreicht und daher nach der Begutachtungsempfehlung als definitiver Osteophyt zu bewerten ist. Dieser Befund entspricht einer Arthrose vom Grad Kellgren II des medialen Kompartiments und vom Grad Kellgren I des retropatellaren Kompartimentes. Hinsichtlich des rechten Kniegelenks fand sich "nur" eine Arthrose vom Grad Kellgren I des retropatellaren und des medialen Kompartimentes. Des Weiteren führt der Sachverständige aus, dass die Gonarthrose am linken Kniegelenk auch mit funktionellen Einschränkungen, wenn auch geringen, einhergeht. Hinsichtlich des linken Kniegelenkes weist der Sachverständige ferner daraufhin, dass sich der Röntgenaufnahme vom 21. Juni 2011 (angefertigt im Rahmen der Begutachtung im Gerichtsverfahren zur BK 2102, Az.: S 18 U 9085/10) noch keine Gonarthrose vom Grad Kellgren II entnehmen lässt. Unter Heranziehung der Begutachtungsempfehlung zu BK 2112 sieht er auch den Nachweis einer Gonarthrose analog Grad Kellgren II ausgehend von der Schwere des Knorpelschadens als nicht gegeben an. Denn eine derartige Einstufung setzt einen Knorpelschaden vom Grad IIIb voraus. Ein solcher lässt sich dem Röntgenbefund vom 21. Juni 2011 nicht entnehmen. Ein solcher kann auch nicht aus dem Arthroskopiebefund vom 6. August 2009 hergeleitet werden.

Der Anerkennung der Gonarthrose hinsichtlich des linken Kniegelenks steht entgegen, dass nicht mehr zu klären ist, zu welchem Zeitraum im Rahmen der fünfjährigen Latenzzeit nach Aufgabe der kniebelastenden Tätigkeit durch den Kläger im März 2009 der Schweregrad nach Kellgren II erreicht worden ist. Feststeht, dass hinsichtlich des linken Kniegelenks im Zeitraum vom 21. Juni 2011 (Erstellung der Röntgenaufnahme im Rahmen der Begutachtung durch Prof. Dr. B.) und der Untersuchung beim Sachverständigen Dr. G. am 2. Dezember 2015 keine bildgebenden Befunde hinsichtlich des linken Kniegelenkes vorliegen. Soweit der Sachverständige Dr. G. insbesondere in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. Februar 2017 erläutert, warum aus seiner Sicht der Schluss gezogen werden kann, dass hinsichtlich des linken Kniegelenks die Grenze zu einem Schweregrad II nach Kellgren circa Ende 2013 / Anfang 2014 überschritten wurde, wird letztlich nur eine Möglichkeit beschrieben, ohne dass sich der Senat hiervon mit hinreichender Wahrscheinlichkeit überzeugen konnte. Dr. G. führt in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. Februar 2017 aus, dass am Begutachtungstag dem 2. Dezember 2015 die Weite des medialen Gelenkspaltes mit 3,7 Millimeter unterhalb des Normbereiches von 4 Millimeters erlag und es sich ein definitiver Osteophyt von 2,1 Millimetern an der medialen Tibiakonsole fand. Damit waren die Mindestkriterien für eine Einordnung nach Kellgreen II leicht überschritten. Der Sachverständige Dr. G. räumt selbst ein, dass dieser Befund für sich betrachtet noch nicht den Schluss erlaubt, dass die Grenze zu einem Schweregrad II nach Kellgreen bereits Ende 2013 / Anfang 2014 überschritten worden war, da arthrotische Veränderungen langsam oder schnell voranschreiten können. Seine Auffassung für ein Überschreiten des Schweregrades II bereits Anfang 2014 begründet er damit, dass ausgehend vom kernspintomographischen Befund vom 21. Juni 2009 die Mindestkriterien für die Einordnung analog Schweregrad Kellgreen II seiner Zeit nicht stark, sondern nur mäßig unterschritten gewesen seien. Hingegen seien die Mindestkriterien für die Einleitung in den Schweregrad Kellgreen II im Rahmen der Röntgenaufnahmen am 2. Dezember 2015 leicht überschritten gewesen. Daher biete sich insgesamt ein Bild, dass die arthrotischen Ver-änderungen im medialen Kompartiment des linken Kniegelenks zwischen dem 21. Juli 2009 und dem 2. Dezember 2015 langsam fortgeschritten seien. Wenn man von einem gleichmäßigen Fortschreiten ausgehe, ergebe sich die Einordnung, dass die Grenze zum Schwergrad II circa Ende 2013 / Anfang 2014 überschritten worden sei. Man könne allerdings auch nicht ausschließen, dass die Grenze zu einem Schweregrad II auch erst später überschritten worden sei. Dies erscheine jedoch deutlich weniger wahrscheinlich.

Ausgehend von diesem medizinischen Befund ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Gonarthrose im linken Kniegelenk des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Belastung als Fliesenleger zurückzuführen ist. Nach der Begutachtungsempfehlung und dem Stand der medizinischen Literatur ist anerkannt, dass eine Latenzzeit von mehr als fünf Jahren zwischen Ende der beruflichen Belastung dem Nachweis einer Gonarthrose im Sinne der BK 2112 entgegensteht. Seit Mitte März 2009 ist der Kläger beruflich nicht mehr als Fliesenleger tätig gewesen. Am 19. März 2009 erfolgte eine operative Behandlung der chronischen bursitis am rechten Kniegelenk. Daher endet die fünfjährige Latenzzeit mit dem ersten Halbjahr 2014. Auch unter Berücksichtigung der Darlegungen von Dr. G. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. Februar 2017 lässt sich nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit sichern, dass die Gonarthrose im linken Kniegelenk des Klägers den erforderlichen Schweregrad nach Kellgren II Anfang 2014 erreicht hat. Dies setzt voraus, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände für ein Erreichen des Schweregrades nach Kellgren II bis Anfang 2014 die entgegenstehenden Umstände überwiegen. Letztlich bleibt jedoch offen, wann in dem Zeitraum zwischen dem 21. Juni 2011 und dem 2. Dezember 2015 der Schweregrad nach Kellgren II überschritten worden ist. Insoweit kann auch der Sachverständige Dr. G. nicht ausschließen, dass die Grenze zu einem Schweregrad II gegebenenfalls erst im Verlauf des Jahres 2015 überschritten wurde. Dies stellt nach seinen Ausführungen auch mehr als eine theoretische Möglichkeit dar. Auch wenn dies deutlich weniger wahrscheinlich sein mag als ein gleichmäßiges Voranschreiten der arthrotischen Veränderungen, so ist doch festzuhalten, dass hier nicht nur eine entfernt liegende Möglichkeit besteht.

Den Ausführungen des Sachverständigen Dr. A. in seinem Gutachten vom 19. September 2017 kann nichts Gegenteiliges entnommen werden. Soweit er in seinem Gutachten darauf hinweist, dass bereits 2009 hinsichtlich des linken Kniegelenks eine medial betonte Pangonarthrose bestand, hilft dies nicht weiter. Denn damit ist keine Aussage hinsichtlich des Schweregrades nach Kellgren verbunden. Hinsichtlich der Auswertung des Röntgenbefundes vom 21. Juni 2011, erstellt durch Prof. Dr. B., ergibt sich im Ergebnis kein Unterschied zur Befundung durch das Gutachten Dr. G. Es wird zwar ausgeführt, dass sich osteophytere Ausziehungen zeigen und eine deutliche Gelenkspaltverschmälerung sowohl im Bereich des rechten als auch des linken Kniegelenkes bestehen. Aus den angegebenen Werten ergibt sich jedoch, dass dies für eine Einstufung nach Kellgren II nicht ausreicht. Auf Seite 64 des Gutachtens wird insoweit ausgeführt, dass die Weite des medialen Gelenkspaltes beim linken Kniegelenk fünf Millimeter betrug, was sich damit noch innerhalb der Norm von bis zu vier Millimeter befindet. Hinsichtlich der Auswertung der Röntgenaufnahme vom Tag der Untersuchung beim Sachverständigen Dr. G. in Hamburg den 2. Dezember 2015 gelangt Dr. A. insoweit zu gleichen Ergebnissen, als hinsichtlich des linken Kniegelenks eine Gonarthrose vom Grad II nach Kellgren jedenfalls bejaht wird. Inwieweit eine Tendenz zu Kellgren Grad III besteht, ist für die Frage der Anerkennung der BK 2112 ohne Belang. Soweit Dr. A. auch hinsichtlich des rechten Kniegelenks eine Klassifizierung nach Kellgren Grad II vornimmt, wird dies jedoch nicht entsprechend begründet. Hinsichtlich des rechten Kniegelenks wird nur von osteophyteren Ausziehungen berichtet, ohne jedoch die Größe des Osteophyten anzugeben. Dies wäre aber nach der Begutachtungsempfehlung zur BK 2112 erforderlich gewesen. Insoweit folgt der Senat dem Gutachten von Dr. G. vom 26. April 2016, in dem dieser eingehend dargelegt hat, dass in dem Röntgenbefund angedeutete Ausziehungen der medialen Tibiakonsole im Sinne eines beginnenden möglichen Osteophyten zu werten sind, während der erforderliche definitive Osteophyt nicht vorliegt. Im Übrigen würde auch die Annahme eines Schweregrades nach Kellgren II oder mehr hinsichtlich des rechten Kniegelenks nicht zu einer Anerkennung führen, da insoweit dies sich wiederum nur aus den Röntgenaufnahmen vom 2. Dezember 2015 herleiten ließe und insofern erneut unklar wäre, wann nach dem 21. Juni 2011 der entsprechende Schweregrad erreicht worden wäre.

In der Gesamtschau sprechen daher erhebliche Anhaltspunkte gegen eine beruflich bedingte Verursachung der Kniegelenksarthrose links im Falle des Klägers. Der Senat muss daher nicht entscheiden, ob eine Anerkennung der BK 2112 auch aus sonstigen Gründen (mögliche Asymmetrie bei beidseitiger beruflicher Kniegelenksbelastung, Konkurrenzursachen) ausscheidet.

Der Kläger hat ferner keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der BK 2105 nach einer MdE von 20 v. H. Der Bescheid der Beklagten vom 18. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2010 in der weiteren Gestalt des Teilanerkenntnisses vom 31. März 2014 bzw. des Ausführungsbescheides vom 2. Juli 2014 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Hinsichtlich der anerkannten BK 2105 sind ab dem 1. Juli 2009 keine messbaren Folgen verblieben. Der Senat folgt insoweit dem Sachverständigengutachten von Dr. G. vom 26. April 2016. Er hat dazu die Aktenlage ausgewertet und den Kläger am 2. Dezember 2015 gutachterlich untersucht. Dieselbe Auffassung vertritt auch Dr. A. in seinem Gutachten vom 18. September 2017. Auch dieser konnte keine Funktionseinbußen aufgrund der anerkannten BK 2105 beschreiben. Soweit Dr. G. in seinem Gutachten vom 26. April 2016 für die Zeit vom 1. April bis 30. Juni 2009 unter Berücksichtigung der Wundheilungsvorgänge aufgrund der operativen Entfernung des Schleimbeutels rechts MdE-Werte von 30 bis 10 v. H. vorschlägt, führt dies zu keinem Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente. Ein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente setzt voraus, dass die Einschränkungen über einen Zeitraum von mehr als 26 Wochen hinaus verbleiben (§ 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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