L 15 AY 12/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 92 AY 313/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 AY 12/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Für die Verzinsung nachzuzahlender Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gibt es keine Rechtsgrundlage.
Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Februar 2016 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für die Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Verzinsung nachgezahlter Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Die Kläger hatten in dem Rechtsstreit SG Berlin S 184 AY 204/08 die Gewährung sogenannter Analogleistungen gemäß § 2 AsylbLG geltend gemacht. Durch die angefochtenen Bescheide hatte der Beklagte es abgelehnt, im Zugunstenverfahren seinen Bescheid vom 2. August 2006 teilweise zurückzunehmen, durch welchen den Klägern eingeschränkte Grundleistungen nach § 3 in Verbindung mit § 1a Nr. 2 AsylbLG (letzterer in der bis 28. Februar 2015 geltenden Fassung) gewährt worden waren. Die Kläger besaßen in den streitigen Zeiträumen nahtlos befristete Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz. Der Rechtsstreit endete am 6. August 2012 durch angenommenes Anerkenntnis des Inhalts, dass der Beklagte den Klägern zu 1) und 2) sowie 4) bis 7) - im dortigen Verfahren: Kläger zu 1) bis 6) - für die Zeit vom 1. September 2006 bis zum 27. Februar 2007 und dem Kläger zu 3) - im dortigen Verfahren: Kläger zu 7) - für die Zeit vom 1. September bis zum 31. Dezember 2006 "ungekürzte analoge Leistungen nach § 2 AsylbLG" gewährte.

Durch Bescheid vom 28. November 2012 berechnete der Beklagte die Höhe der Nachzahlung für alle Kläger auf insgesamt 2.691,24 EUR. Die von den Klägern beantragte Verzinsung der Nachzahlung lehnte er zugleich ab, deren Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. August 2014). Es gebe für eine Verzinsung keine Rechtsgrundlage.

Mit ihren Klagen haben die Kläger ihr Anliegen weiterverfolgt und Zinsansprüche personenbezogen beziffert. Wie bereits im Widerspruchsverfahren haben sie die Auffassung vertreten, dass sich ein Anspruch auf Verzinsung aus der entsprechenden Anwendung des § 44 Sozialgesetzbuch/Erstes Buch (SGB I), jedenfalls aber aus § 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ergebe. Vergleichbare Zinsansprüche seien Gegenstand mehrerer Revisionsverfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) gewesen, die sich dort jeweils durch Vergleich erledigt hätten. Grundlage der Vergleiche dürfte gewesen sein, dass das BSG wohl keinen Anspruch auf eine Verzinsung nach § 44 SGB I gesehen habe, aber aus § 291 BGB. Die Ansprüche seien auch nicht verjährt.

Durch Urteil vom 9. Februar 2017 hat das Sozialgericht die Klagen abgewiesen. Weder sei § 44 SGB I direkt oder analog noch § 291 BGB entsprechend auf Leistungen nach dem AsylbLG anwendbar. Zur Begründung hat es weitgehend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 25. Oktober 2012 – L 7 AY 726/11 - Bezug genommen. Ergänzend hat es ausgeführt, dass der Hintergrund für die vor dem BSG geschlossenen Vergleiche nicht veröffentlicht sei, weshalb aus ihnen nichts zur Würdigung der Rechtslage durch das BSG abgeleitet werden könne. Soweit das BSG in dem am 30. Oktober 2013 verkündeten Urteil in der Sache B 7 AY 2/12 R gleichsam beiläufig erwähne, dass der Senat einen Zinsanspruch – außer für Prozesszinsen – im Anwendungsbereich des AsylbLG verneint habe, beziehe es sich auf ein Urteil vom 30. Oktober 2013 (Az. B 7 AY 8/12 R), welches nicht ergangen sei.

Mit der Berufung machen die Kläger ihre Ansprüche im Umfang der erstinstanzlichen Klagen weiter geltend. Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie ihre Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 44 SGB I beziehungsweise des § 291 BGB auf Leistungen nach dem AsylbLG. Die Kläger beantragen der Sache nach, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Februar 2016 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 28. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2014 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 1) 117,84 EUR, die Klägerin zu 2) 153,64 EUR, den Kläger zu 3) 71,49 EUR, die Kläger zu 4) und 7) jeweils 104,93 EUR und die Kläger zu 5) und 6) jeweils 37,54 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des Sozialgerichts und die von ihm gesetzten Bescheide für zutreffend.

Durch Beschluss vom 2. Februar 2017 hat der Senat den Antrag der Kläger auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Februar 2016 abgelehnt.

Die Gerichtsakte des vorliegenden Rechtsstreits und des Rechtsstreits SG Berlin S 184 SO 204/08 sowie Band VI der Verwaltungsakten des Beklagten waren Gegenstand der Beratung des Senats. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

II. Der Senat konnte über die zulässigen, im Besonderen aufgrund der Zulassung durch das Sozialgericht statthaften (§ 144 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), Berufungen der Kläger ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden (§ 153 Abs. 4 SGG). Er hält sie einstimmig für unbegründet. Eine mündliche Verhandlung sieht er nicht als erforderlich an. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist nicht weiter aufklärungsbedürftig und zu den sich stellenden Rechtsfragen haben sich die Beteiligten im vorbereitenden Verfahren geäußert. Der Senat misst der Sache auch keine grundsätzliche Bedeutung bei (s. dazu im Folgenden). An diesen vom Sozialgericht gesehenen Grund für die Zulassung der Berufung ist er – anders als an die Zulassung an sich – nicht gebunden.

Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der angefochtene Bescheid, soweit durch ihn die Verzinsung nachgezahlter Geldleistungen nach dem AsylbLG abgelehnt wurde, rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) zulässige Klage war abzuweisen, weil es für die geltend gemachten Zahlungen keine Rechtsgrundlage gibt. Die allein in Betracht kommenden §§ 44 SGB I und 291 BGB sind nicht anwendbar.

Gemäß § 44 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen (Abs. 1). Die Verzinsung beginnt frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger, beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung (Abs. 2). Verzinst werden volle Euro-Beträge. Dabei ist der Kalendermonat mit dreißig Tagen zugrunde zu legen (Abs. 3).

Gemäß § 291 BGB hat der Schuldner eine Geldschuld von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 BGB finden entsprechende Anwendung.

Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 2. Februar 2017 ausgeführt hat, ist § 44 SGB I auf Leistungen nach dem AsylbLG nicht direkt anwendbar, weil das AsylbLG weder zu den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuchs (s. §§ 11, 18ff SGB I) noch zu den ihnen nach § 68 SGB I (bis 31. Dezember 2000: Art. 2 § 1 SGB I) gleichgestellten Gesetzen gehört. Im Besonderen handelt es sich nicht um Sozialhilfe. Mit der Schaffung des AsylbLG war 1993 ausdrücklich beabsichtigt, Leistungen für bestimmte Personengruppen außerhalb des damals noch geltenden Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) zu regeln. Der Gesetzgeber verstand das neue Gesetz "im Kern" als "eine Regelung des Aufenthalts- und Niederlassungsrechts von Ausländern nach dem Asylverfahrensgesetz" (s. BT-Drucks. 12/4451, 5; das BSHG seinerseits galt nach Art. 2 Nr. 15 SGB I bzw. - vom 1. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2004 - § 68 Nr. 11 SGB I als besonderer Teil des Sozialgesetzbuchs).

Von daher folgerichtig war die Einführung eines Anwendungsbefehls für die Vorschriften der §§ 60 bis 67 SGB I im Bereich des AsylbLG zum 1. Juni 1997 durch das Erste Gesetz zur Änderung des AsylbLG (vom 26. Mai 1997, BGBl. I S. 1130) ausdrücklich damit begründet worden, dass die Ausgliederung der Leistungen nach dem AsylbLG aus dem BSHG die Anwendung unter anderem des SGB I ausschließe (BT-Drucks. 13/2746 S. 13).

Zur unmittelbaren Anwendung des § 44 SGB I kommt es auch nicht deshalb, weil sich der geltend gemachte Zinsanspruch auf Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII (§ 2 AsylbLG) bezieht. Durch die Rechtsprechung des BSG ist bereits geklärt, dass es sich auch bei diesen "Analogleistungen" um solche des AsylbLG handelt (Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 1/07 R -, SozR 4-3520 § 2 Nr. 2). Gründe, diese Auffassung des BSG infrage zu stellen, sieht der Senat nicht.

Die unmittelbare Anwendung des § 291 BGB scheitert daran, dass die Leistungen nach dem AsylbLG öffentlich-rechtlicher Art sind.

§ 44 SGB I oder § 291 BGB sind aber auch nicht entsprechend anwendbar. Voraussetzung für einen Analogieschluss ist unter anderem eine unbewusste - planwidrige - Regelungslücke (statt aller BSG, Urteil vom 23. Juli 2015 - B 8 SO 7/14 R -, SozR 4-3500 § 98 Nr. 3).

An ihr fehlt es in Bezug auf § 44 SGB I, weil der Gesetzgeber – wie ausgeführt - mit dem AsylbLG ausdrücklich ein Leistungsgesetz außerhalb der Sozialhilfe und damit auch außerhalb des Sozialgesetzbuchs schaffen wollte.

In Bezug auf § 291 BGB fehlt es an einer Regelungslücke, weil die entsprechende Anwendung des § 291 BGB für Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit fallen, nur in besonders zu begründenden Ausnahmefällen in Betracht kommt (ausführlich zum Ganzen BSG, Urteil vom 17. November 1999 - B 6 KA 14/99 R -, SozR 3-2500 § 75 Nr. 11; ferner die Urteile vom 28. Oktober 2008 - B 8 SO 23/07 R , SozR 4-2500 § 264 Nr. 2 und vom 2. Oktober 2010 - B 8 SO 22/08 R -, letzteres zurückgehend auf das Urteil des hiesigen Senats vom 12. September 2008 - L 15 SO 274/07 -). Ein solcher Ausnahmefall lässt sich schon deshalb nicht be-gründen, weil für die Verzinsung im Sozialleistungsrecht durch § 44 SGB I eine ausdrückliche Regelung getroffen worden ist und diese Regelung für das AsylbLG - wie ausgeführt - gerade nicht gilt (s. zu diesem Erst-Recht-Schluss das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 25. Oktober 2012 – L 7 AY 726/11 –, Vorinstanz des durch Vergleich vor dem BSG beendeten Revisionsverfahrens B 7 AY 8/12 R, und die daran anschließenden Urteile vom 20. Dezember 2012 - L 7 AY 2576/11 und 2577/11).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Wie bereits ausgeführt, kann im Besonderen keine grundsätzliche Bedeutung der Sache erkannt werden. Der Senat ist seit 2005 durchgehend unter anderem für Angelegenheiten des Asylbewerberleistungsrechts zuständig. Der vorliegend streitige Anspruch hatte langjährig keinerlei gerichtliche Bedeutung erlangt und auch die Zahl der in Datenbanken dokumentierten Entscheidungen spricht nicht für eine nennenswerte Bedeutung. Um die Frage der direkten oder entsprechenden Anwendung des § 44 SGB I auf Leistungen nach dem AsylbLG zu beantworten, erscheint eine einfache Anwendung der anerkannten juristischen Auslegungsmethoden ausreichend. Zur Frage der (entsprechenden) Anwendbarkeit des § 291 BGB in Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit liegt eine umfangreiche Rechtsprechung des BSG vor. Der ersichtlich unzutreffenden Verweisung in Abs. 31 des Urteils des BSG vom 30. Oktober 2013 - B 7 AY 2/12/ R -, SozR 4-3500 § 25 Nr. 3, auf das nicht existente Urteil zu B 7 AY 8/12 R lässt sich nicht mehr entnehmen als dass eine an sich notwendige Korrektur eines im Vorfeld der mündlichen Verhandlung vor dem BSG entworfenen Textes offenbar versehentlich unterblieben ist. Aus welchem Grund das Fehlzitat im Übrigen nur auf dieses eine "Urteil" und nicht auf die beiden anderen am 30. Oktober 2013 zur Entscheidung anstehenden Revisionen mit gleichartiger Fragestellung (B 7 AY 1 und 2/13 R) verweist, kann dahingestellt bleiben.
Rechtskraft
Aus
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