S 23 U 7/14

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 23 U 7/14
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Beitragshaftung des Unternehmens nach § 150 Abs. 1 SGB VII steht nicht entgegen, dass nach § 93 InsO die persönliche Haftung des Gesellschafters für Verbindlichkeiten der Gesellschaft während deren Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden kann.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert wird auf 2.815,64 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Umstritten ist die Pflicht des Klägers zur Zahlung von Beiträgen an die Beklagte nach § 150 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII).

Der Kläger war Gesellschafter der ... GbR. Mit Beschluss des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 1. September 2010 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der ...GbR eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt.

Mit den Beitragsbescheiden vom 26. September 2012 machte die Beklagte gegenüber dem Kläger persönlich Beiträge für die Jahre 2007 bis 2010 geltend. Für das Beitragsjahr 2010 erließ die Beklagte zusätzlich einen Änderungsbescheid am 27. September 2012. Insgesamt machte die Beklagte Beiträge in Höhe von 4.000,56 Euro geltend (2007 – 1.515,71 Euro, 2008 – 666,76 Euro, 2009 – 943,34 Euro, 2010 – 184,92 Euro), wobei aufgrund teilweise bereits beglichener Forderungen nur noch eine Gesamtbeitrag in Höhe von 2.815,64 Euro offen ist. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Kläger gemäß § 150 Abs. 1 SGB VII als Unternehmer haftet. Unternehmer sei derjenige, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht, § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII. Der Kläger sei als persönlich haftender Gesellschafter einer GbR Unternehmer im Sinne des § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB II und hafte für die Beitragsschuld.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 3. Februar 2014 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben. Es wird vorgetragen, die Festsetzungsbescheide seien rechtswidrig, da die Beklagte zu Unrecht den Kläger während eines laufenden Insolvenzverfahrens persönlich für die Verbindlichkeiten der GbR in Anspruch nehme. Es liege ein Verstoß gegen § 93 InsO vor. Es dürfe nur der Insolvenzverwalter Forderungen geltend machen. Die Beitragsforderungen seien Verbindlichkeiten der GbR. Die GbR sei beitragspflichtiger Unternehmer. Der Kläger hafte nur akzessorisch für eine Schuld der GbR. In dem Falle gelte aber § 93 InsO. Die Beklagte sei kein privilegierter Gläubiger. Der Zweck des § 93 InsO werde unterlaufen, wenn die Beklagte den Kläger persönlich in Haftung nehmen dürfte. Zudem liege Verjährung vor.

Der Kläger beantragt:

Der Bescheid der Beklagten für das Jahr 2007 vom 26. September 2012, der Bescheid für das Jahr 2008 vom 26. September 2012, der Bescheid für das Jahr 2009 vom 26. September 2012, der geänderte Bescheid für das Jahr 2012 vom 26. September 2012 und der geänderte Bescheid für das Jahr 2012 vom 27. September 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2014 werden aufgehoben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, § 93 InsO finde keine Anwendung, da von der genannten Rechtsnorm keine Ansprüche erfasst werden, die auf einer rechtlich selbstständigen Anspruchsgrundlage beruhen. Eine solche Rechtsgrundlage stelle hier § 150 Abs. 1 SGB VII dar. Der Kläger sei in seiner Funktion als persönlich haftender Gesellschafter Unternehmer im Sinne von § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII. Die Beitragsbescheide werden nicht mit der akzessorischen Haftung des Klägers als Gesellschaft der GbR, sondern mit der rechtlich eigenen Verpflichtung aus § 150 Abs. 1 SGB VII begründet. § 150 Abs. 1 SGB VII sei lex specialis zu § 93 InsO.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen von 12. Juni 2017 und 14. Juni 2017 ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.

Die Bescheide vom 26. September 2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2014 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger ist verpflichtet, an die Beklagte aus den angefochtenen Bescheiden noch die offenen 2.815,64 Euro an Beiträgen zu zahlen. Dies ergibt sich aus § 150 Abs. 1 SGB VII. Die Haftung ist nicht durch § 93 InsO ausgeschlossen.

Nach § 150 Abs. 1 SGB VII sind Unternehmer beitragspflichtig, für deren Unternehmen Versicherte tätig sind oder zu denen Versicherte in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen. Der Begriff des Unternehmens ist in § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII legaldefiniert: Danach ist Unternehmer derjenige, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht, der also das unternehmerische Risiko trägt. Zwar können auch Personengesellschaften Unternehmer und somit beitragspflichtig sein. Jedoch haften neben der Gesellschaft die Gesellschafter weiter für die Beitragspflicht. Dies gilt auch für GbR (Scholz in: jurisPK-SGB VII, § 150, Rn. 22). Eine GbR, bei der mittlerweile eine (Teil-)Rechtsfähigkeit anerkannt ist, kann somit als Mitunternehmer angesehen werden; die weiterhin persönlich haftenden Gesellschafter bleiben jedoch ebenfalls Mitunternehmer (Quabach in: jurisPK-SGB VII, § 136, Rn. 48). In dem Fall sind sie gegenüber dem Unfallversicherungsträger als Mitunternehmer in gleichem Maße berechtigt und verpflichtet (Quabach in: jurisPK-SGB VII, § 136, Rn. 40).

In Anwendung dieser Grundsätze hat die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden den Kläger als Mitunternehmer nach § 150 Abs. 1 SGB VII in Anspruch genommen. Es handelt sich hierbei um eine nichtakzessorische Beitragspflicht gegenüber dem Kläger, zu deren Geltendmachung die Beklagte berechtigt war.

Der Haftung des Klägers aus § 150 Abs. 1 SGB VII für die im Streit stehenden Beiträge aus den Jahren 2007 bis 2010 steht § 93 InsO nicht entgegen. Danach gilt: Ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien eröffnet, so kann die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Eine solche persönliche Inanspruchnahme für Verbindlichkeiten der Gesellschaft liegt jedoch nicht vor. Denn die in den angegriffenen Bescheiden festgesetzten Beiträge beruhen nicht auf einer akzessorischen Gesellschafterhaftung des Klägers, die gemäß § 93 InsO unter die Einbeziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters fallen würde. Die Beitragsbescheide beruhen vielmehr auf der Rechtsgrundlage des § 150 Abs. 1 SGB VII, die einen eigenständigen Haftungstatbestand des Beitragsrechts der gesetzlichen Unfallversicherung darstellt, der gerade nicht an die persönliche/ akzessorische Haftung des Klägers als GbR-Gesellschafter knüpft und auch in keinerlei Beziehung zu den speziellen Regelungen der Gesellschafterhaftung steht. Die Kammer folgt damit den Ausführungen des Bundessozialgerichts in seiner Entscheidung vom 27. Mai 2008 (Az.: B 2 U 19/07 R, Rn. 13 ff.) und sieht im Sinne eines Erst-Recht-Schlusses die dort dargelegte Begründung zu § 150 Abs. 4 SGB VII als eigenständigen – nicht akzessorischen – Haftungstatbestand für übertragbar auf die Norm des § 150 Abs. 1 SGB VII an. Wenn § 150 Abs. 4 SGB VII als originäre Rechtsgrundlage die Beitragspflicht eines ausgeschiedenen Gesellschafters begründet, kann nichts anderes für einen noch nicht ausgeschiedenen Gesellschafter nach § 150 Abs. 1 SGB VII gelten.

Anhaltspunkte dafür, dass die angefochtenen Beitragsforderungen verjährt sind, sieht das Gericht nicht. Gemäß § 25 Abs. 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Als Fälligkeit gilt der Zeitpunkt, zu dem die Zahlung des Beitrages hätte verlangt werden können. Vorliegend fällt die Fälligkeit des Beitrages in das Umlagejahr des folgenden Kalenderjahres. Somit tritt die Verjährung für den Beitrag 2007 mit Ablauf des 31. Dezember 2012 ein. Die Beklagte hat mit den am 26. September 2012 erlassenen Festsetzungsbescheiden die Forderungen noch vor Eintritt der frühestmöglichen Verjährung bekannt gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Bei der Entscheidung über die Kosten findet § 197a SGG – nicht hingegen § 193 SGG – Anwendung. Weder der Kläger noch die Beklagte gehören zu den in § 183 SGG genannten Personen, für die das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit kostenfrei ist. In § 183 SGG werden Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger genannt. Diese Personen müssen in ihrer Eigenschaft als Versicherter oder Leistungsempfänger am Verfahren teilnehmen, also Rechte und Pflichten geltend machen, die aus ihrer Eigenschaft als Versicherte, Leistungsempfänger usw. resultieren. Nicht in ihrer Eigenschaft als Versicherte oder Leistungsempfänger am Verfahren beteiligt sind indes Personen, die sich als Adressaten gegen Zuständigkeitsbescheide einer Berufsgenossenschaft wenden oder – wie hier – Beitragsbescheide anfechten (BSG, Beschluss vom 5. März 2008, B 2 U 353/07 B; s. auch Beschluss vom 23. November 2006, B 2 U 258/06 B; Beschluss vom 3. Januar 2006, B 2 U 367/05 B; s. im Übrigen auch SG Detmold, Urteil vom 10. Juni 2010, S 1 U 147/09).

Der Streitwert war gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 1 bis 3 Gerichtskostengesetz (GKG) auf 2.815,64 Euro festzusetzen. Dieser Betrag ist von den Beteiligten übereinstimmend auch ausgewiesen worden.
Rechtskraft
Aus
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