L 18 AS 441/18 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 142 AS 1211/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 441/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Februar 2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Für die begehrte Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Verpflichtung des Antragsgegners zur darlehensweisen Übernahme von Leistungen für Regelbedarfe, für Bedarfe für Unterkunft und Heizung und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie auf Übernahme der Rückmeldegebühren für das Studium und der Kosten eines juristischen Repetitoriums ist ein Anordnungsanspruch nicht ersichtlich.

Einzig in Betracht zu ziehende Anspruchsgrundlage wäre vorliegend § 27 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II), wenn der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II, dem der Antragsteller aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses (vgl § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG) unterfällt, für diesen eine besondere Härte darstellen würde. Nach der genannten Vorschrift können Leistungen für Regelbedarfe, den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II, Bedarfe für Unterkunft und Heizung, Bedarfe für Bildung und Teilhabe und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Darlehen erbracht werden, sofern der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II eine besondere Härte bedeutet. Hinsichtlich des "Ob" der – grundsätzlich in das Ermessen des Trägers gestellten darlehensweisen - Leistung ist in Fällen besonderer Härte regelmäßig von einer Ermessensreduktion auf "Null" auszugehen (vgl BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 6 zu § 7 Abs. 5 Satz 2 aF). Bei dem Tatbestandsmerkmal "besondere Härte" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl für die "besondere Härte" iS des § 121 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II Bundes-sozialgericht (BSG), Urteil vom 16. Mai 2007 - B 11b AS 37/06 R – Rn 34; für die "besondere Härte" iS des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Kraftfahrzeughilfe-Verordnung BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 - B 7a AL 34/06 R = SGb 2007, 224, 225). Ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung besteht nicht. Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs folgt den allgemeinen Grundsätzen der Normauslegung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 26 BSHG (BVerwGE 94, 224 ff) ist ein besonderer Härtefall dann anzunehmen, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist und vom Gesetzgeber in Kauf genommen wird. Mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, müsse der Ausschluss von der Ausbildungsförderung als übermäßig hart, dh als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig erscheinen. Zur Bestimmung der besonderen Härte iS des SGB II ist dabei nach der Rspr des BSG (vgl Urteil vom 6. September 2007 – B 14/7b AS 28/06 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 8) folgendes zu beachten: Aus dem Wortlaut von § 7 Abs. 5 SGB II lässt sich ein Regel-Ausnahmeverhältnis entnehmen. Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II werden bei Vorliegen einer dem Grunde nach dem BAföG oder §§ 60 bis 62 SGB III förderungsfähigen Ausbildung keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt. Nur ausnahmsweise können im Einzelfall gleichwohl Leistungen bewilligt werden, wenn trotz des generellen Leistungsausschlusses im Hinblick auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die Gewährung derartiger Leistungen geboten erscheint. Das Recht der Grundsicherung soll in aller Regel ebenso wenig wie die Leistungen nach dem SGB XII dazu dienen, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. SGB II und SGB XII zusammen - als sich gegenseitig im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 5 Abs. 2 SGB II und § 21 SGB XII ausschließende Systeme - sollen von Leistungen zur Ausbildungsförderung freigehalten werden, soweit der Hilfebedarf im Hinblick auf den Lebensunterhalt durch die Ausbildung entsteht. Allerdings betrifft der Ausschluss nur den ausbildungsbedingten Bedarf. Ein Mehrbedarf, unabhängig von der Ausbildung, ist daher gleichwohl nach § 21 SGB II oder § 23 SGB XII zu erbringen. Auf Grund des Regel-Ausnahmeverhältnisses von § 7 Abs 5 Satz 1 und 2 SGB II muss dieses auch für die Leistungserbringung im "besonderen Härtefall" gelten. Die Fallgruppen, die Leistungen für Mehrbedarfe prägen, lösen demnach keine "besonderen Härte" iSv § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB II aus. Aus dem Gesetzeszweck, die Grundsicherung für Arbeitsuchende von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, folgt auch, dass nicht bereits allein der Umstand, dass eine Ausbildung wegen fehlender Förderung nicht fortgeführt werden kann, einen Härtefall zu begründen vermag. Das hat der Gesetzgeber mit der dargestellten Konzeption des gegliederten Sozialleistungssystems bewusst in Kauf genommen. Erforderlich sind vielmehr besondere Umstände des Einzelfalls, die es darüber hinausgehend als unzumutbar erscheinen lassen, dem Hilfebedürftigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu verweigern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das SGB II, anders als das SGB XII, neben dem Grundsatz des Forderns (§ 2 SGB II) auch geprägt ist durch den des Förderns (§ 14 SGB II). Demnach soll nach § 1 Abs. 1 SGB II die Grundsicherung für Arbeitsuchende die Eigenverantwortlichkeit von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. Sie soll den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ua bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unterstützen. Die Leistungen der Grundsicherung sind daher insbesondere darauf auszurichten, durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit zu vermeiden oder zu beseitigen. Hieraus folgt, dass eine besondere Härte iSd § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB II etwa auch dann anzunehmen ist, wenn wegen einer Ausbildungssituation Hilfebedarf (Bedarf an Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts) entstanden ist, der nicht durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) oder Ausbildungsbeihilfe gedeckt werden kann und deswegen begründeter Anlass für die Annahme besteht, die vor dem Abschluss stehende Ausbildung werde nicht beendet und damit drohe das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit, verbunden mit weiter bestehender Hilfebedürftigkeit. Dies trägt zweierlei Rechnung: Zum einen entspricht sie dem gesetzgeberischen Willen, neben den gesetzlich vorgesehenen "Ausbildungshilfen" über das SGB II kein weiteres Hilfesystem zu installieren. Die Hilfe zum Lebensunterhalt muss die Ausnahme bleiben. Zum anderen gewährleistet sie den Grundsatz des "Forderns".

Ob ein besonderer Härtefall vorliegt, ist im Lichte dieser Zweckrichtungen unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Die Möglichkeit einer besonderen Härte kann dann bejaht werden, wenn ein wesentlicher Teil der Ausbildung bereits absolviert ist, was vorliegend bei dem Antragsteller der Fall ist, und der bevorstehende Abschluss unverschuldet an Mittellosigkeit zu scheitern droht. Es muss dabei eine durch objektive Umstände belegbare Aussicht bestehen, nachweisbar beispielsweise durch Meldung zur Prüfung, wenn alle Prüfungsvoraussetzungen bereits erfüllt sind, die Ausbildung werde mit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in absehbarer Zeit durch einen Abschluss zum Ende gebracht. Unter diesen Voraussetzungen kann von einem besonderen Härtefall ausgegangen werden, wenn der Lebensunterhalt während der Ausbildung durch Förderung auf Grund von BAföG/SGB III-Leistungen oder anderen finanziellen Mitteln - sei es Elternunterhalt, Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit oder möglicherweise bisher zu Unrecht gewährte Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts (Vertrauensschutz) - gesichert war, die kurz vor Abschluss der Ausbildung entfallen. Von Letzterem kann indes vorliegend nicht ausgegangen werden.

Der Antragsteller befindet sich zwar – von der Universität unter dem 17. Dezember 2017 bestätigt – derzeit in der universitären Schwerpunktbereichsprüfung, die Teil der ersten juristischen Staatsprüfung ist (vgl § 13 Abs. 1 Schwerpunktbereichsprüfungsordnung, § 18 Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristinnen und Juristen im Land Berlin). Er schreibt seit 12. Februar 2018 die Studienabschlussarbeit (Thema "Die Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs bei gewerblichen Einkünften nach deutschem Steuerrecht"). Der KfW-Studienkredit ist aufgebraucht. Eine Studienabschlussförderung nach § 15 Abs. 3a BAföG scheidet schon deshalb aus, weil der Antragsteller, der sich bereits im 18. Fachsemester befindet, nicht innerhalb von vier Semestern nach dem Ende der Förderungshöchstdauer (9 Fachsemester) zur Abschlussprüfung zugelassen worden ist. Die konkrete und bereits weit fortgeschrittene Ausbildung stellt bei objektiver Betrachtung zudem die einzige Chance für den Antragsteller dar, Zugang zum Erwerbsleben zu erhalten, zumal angesichts der dokumentierten Studienleistungen auch mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass der Antragsteller die erste juristische Staatsprüfung mit Erfolg ablegen wird. Dies gilt umso mehr, als er bereits ein erstes Studium (Russisch WS 2006/07 bis SS 2009) abgebrochen hat und zudem auch eine psychische Erkrankung (vgl seine Beschwerdeschrift vom 28. Februar 2018) als Grund für die lange Studiendauer anführt; entsprechende weitergehende Ermittlungen sind dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Mit einem nach bald zehn Jahren abgebrochenen Jurastudium dürften die Erwerbsaussichten des Antragstellers jedoch äußerst fragwürdig sein, zumal er über keine Berufsausbildung oä verfügt.

Nach Auffassung des Senats steht der Antragsteller damit zwar in der überschaubaren Studienabschlussphase, sein laufender Lebensunterhalt ist indes derzeit (noch) durch das Entgelt aus Erwerbstätigkeit iHv mtl netto 653,04 EUR und das Wohngeld iHv mtl 175,- EUR gesichert, wobei hier zur Existenzsicherung vorrangig auch im Rahmen des SGB II nicht anrechenbares Einkommen einzusetzen ist. Sein mtl Bedarf beläuft sich auf ingesamt 836,16 EUR (Regelleistung iHv 416,- EUR mtl zzgl Bruttowarmmiete iHv 420,16 EUR mtl). In Ansehung dessen, dass im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein Abschlag von der Regelleistung vorzunehmen und der geltend gemachte Regelbedarf iSv § 20 Abs. SGB II nur iHv 80 vH zu berücksichtigen ist, weil er ist nur in diesem Umfang unabweisbar ist (vgl hierzu Bundesverfassungsgericht, Be¬schluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05 – juris), ist damit von einer jedenfalls derzeit ausreichenden Bedarfsdeckung auszugehen. Eine – auch darlehensweise – Übernahme von Rückmeldegebühren und Kosten eines privaten Repetitoriums – kommt als ausbildungsgeprägter Bedarf nicht in Betracht, weil eine Rechtsgrundlage hierfür nicht ersichtlich ist und diese Kosten auch keine Bedarfe für Bildung und Teilhabe iSv § 28 Abs. 1 SGB II darstellen. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass auch die Universität ein universitäres Repetitorium anbietet.

Ein Darlehen für notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung und die insoweit aufgelaufenen Beitragsschulden iHv mittlerweile 3.666,98 EUR kommt derzeit nicht in Betracht, weil trotz der Beitragsrückstände eine ärztliche Behandlung bei akuten Erkrankungen und Schmerzen sowie bei Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach den §§ 25 und 26 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) gesichert ist (vgl Schreiben der Techniker Krankenkasse (TK) vom 5. Februar 2018); dies folgt aus § 16 Abs. 3a Satz 2 SGB V. Es stellt sich zudem die Frage, wie es zu diesem hohen Schuldenstand gekommen ist, hatte der Antragsteller in der Vergangenheit doch sowohl Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit als auch einen KfW-Studienkredit, die ihn in die Lage versetzt hätten, den Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag als freiwillig versicherter Student nach dem 14. Fachsemester bzw dem 30. Lebensjahr iHv derzeit 179,66 EUR mtl (vgl Beitragsbescheinigung der TK vom 23. Dezember 2017) zu zahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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