L 5 KR 119/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 17 KR 212/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 119/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 6/15 BH
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 13.2.2015 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Versorgung des Klägers mit einem Elektrorollstuhl, der 10 km/h fahren kann.

Der multimorbide, 1956 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Mit Bescheid vom 12.12.2012 bewilligte die Beklagte die Kostenübernahme für den Elektrorollstuhl "Invacare G50" (in der 6 km/h Version) iHv 7.480 Euro, der dem Kläger Anfang 2013 geliefert wurde. Zugleich lehnte sie die Versorgung des Klägers mit dem gleichen Modell in der 10 km/h-Version mit der Begründung ab, die gesetzliche Krankenversicherung habe nur für einen Basisausgleich zu sorgen, dem mit einem Rollstuhl, der 6 km/h fahren könne, genüge getan sei. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, der langsamere Rollstuhl sei unzumutbar, da er öffentliche Verkehrsmittel größtenteils nicht nutzen könne und daher große Strecken im Alltagsleben mit dem Rollstuhl bewältigen müsse. Auch verweise er auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu 10 km/h-Rollstühlen. Die Beklagte verhalte sich auch nicht wirtschaftlich, da er bei einem Preisvergleich auf dem Markt bei den Anbietern Unterschiede von fast 2.000 EUR festgestellt habe. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.1.2013 (zugestellt am 21.2.2013) als unbegründet zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 18.3.2013 Klage erhoben. Er hat zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt. Die Beschwerde des Klägers gegen den dieses Begehren ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts vom 17.4.2013 (S 17 KR 234/13 ER) hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 14.6.2013 zurückgewiesen (L 5 KR 252/13 B ER). Die dagegen erhobenen Anhörungsrügen hat der Senat mit Beschluss vom 27.8.2013 (L 5 KR 574/13 B ER RG) zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger auf das Urteil des BSG vom 11.11.2004 (B 9 V 3/03 R) Bezug genommen. Es gehe um die Grundsatzentscheidung, warum Menschen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) besser versorgt würden als seinesgleichen. Der Gesetzgeber habe schon 1990 die Möglichkeit der Leistungsgewährung nach § 18 Abs. 2 S. 1 BVG über das Maß des Notwendigen hinaus geschaffen, um den Wünschen der Leistungsberechtigten entgegen zu kommen. Somit ergebe sich aus § 18 Abs. 2 BVG kein Ausschluss der Lieferung eines Elektro-Rollstuhls mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h. Zudem sei zu berücksichtigen, dass er ländlich wohne und nicht -wie in Ballungsgebieten- öffentliche Verkehrsmittel benutzen könne. Ihn auf den langsameren Rollstuhl zu verweisen, diskriminierende ihn und sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 12.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.1.2013 zu verurteilen, ihn mit einem Elektrorollstuhl mit einem 10 km/h-Motor zu versorgen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat auf den Widerspruchsbescheid vom 30.1.2013 Bezug genommen. In seiner Entscheidung vom 11.1.2006 (B 3 KR 44/05 B) habe das BSG festgestellt, dass zu den maßgeblichen vitalen Lebensbedürfnissen im Bereich des Gehens nur die Fähigkeit gehöre, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft" zu kommen oder üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegende Stellen zu erreichen, um dort Alltagsgeschäfte zu erledigen. Dies gelte auch dann, wenn im Einzelfall die Stellen der Alltagsgeschäfte nicht im Nahbereich der Wohnung lägen und dafür längere Strecken zurückzulegen seien. Für diese Bedürfnisse reiche der gewährte Elektrorollstuhl aus.

Das Sozialgericht hat die Klage nach Anhörung mit Gerichtsbescheid vom 13.2.2015 abgewiesen und ausgeführt, der begehrte Elektrorollstuhl in der 10 km/h-Variante gehe über das Maß des Notwendigen hinaus. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen des mittelbaren Ausgleiches einer Behinderung sei gerade kein vollständiges Gleichziehen mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines nicht behinderten Menschen. Dementsprechend habe der Kläger auch nur Anspruch auf solche Hilfsmittel, die seinem Grundbedürfnis "Bewegungsfreiheit" im Sinne des beschriebenen Basisausgleichs dienten. Es sei nicht erkennbar, weshalb die Grundbedürfnisse des Gehens oder des Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums einen Elektrorollstuhl in der 10 km/h-Variante erforderten. Zwar sei der Wunsch des Klägers, sich durch einen schnelleren Rollstuhl einen größeren Bewegungsradius zu erschließen, nachvollziehbar. Dies ändere jedoch nichts daran, dass das Grundbedürfnis "Gehen" nicht dahin gehend verstanden werden könne, dass die gesetzliche Krankenversicherung den behinderten Menschen in die Lage versetzen müsse, Wegstrecken jeder Art und Länge zurückzulegen. Im Übrigen seien weite Entfernungen auch mit einem Elektrorollstuhl in der 10 km/h-Variante nicht zurückzulegen. Sofern sich der Kläger auf Unzulänglichkeiten der ländlichen Verkehrsversorgung berufe, sei die Beklagte hierfür nicht der richtige Ansprechpartner.

Mit seiner am 26.2.2015 eingelegten Berufung hebt der Kläger die Bedeutung und die Schwierigkeit der zu entscheidenden Rechtsfrage hervor, die das Sozialgericht verkannt und daher zu Unrecht keinen weiteren Beweis erhoben habe. Er begehre eine Grundsatzentscheidung darüber, dass Menschen mit Behinderung genauso zu versorgen seien, wie Versicherte nach dem BVG. Im Übrigen hätten die Mitarbeiter der Beklagten verkannt, dass er einen Rollstuhl beantragt habe, der für einen Betrag von lediglich 6.248,70 EUR zu haben gewesen sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 13.2.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 12.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.1.2013 zu verurteilen, ihn mit dem Elektrorollstuhl Invacare G50 mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h zu versorgen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf die Ausführungen des Gerichtsbescheids vom 13.2.2015 Bezug.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakten und die Gerichtsakte sowie die Vorprozessakte S 17 KR 234/13 ER, die Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage durch den Gerichtsbescheid vom 13.2.2015 zu Recht abgewiesen. Anhaltspunkte für Verfahrensfehler des Sozialgerichts, die eine Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderlich machten, sind nicht ersichtlich. Das Sozialgericht hat die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz zu Recht bejaht und dem Kläger nach Abs. 2 in ausreichender Weise Gelegenheit gegeben, sich zu äußern. Der Bescheid vom 12.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.1.2013 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten nach § 54 Abs. 2 SGG. Denn er hat keinen Anspruch auf eine Versorgung mit einem Elektrorollstuhl "Invacare G50" in der 10 km/h-Variante. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Gerichtsbescheids vom 13.2.2015 (§ 153 Abs. 2 SGG) sowie auf seinen Beschluss vom 14.6.2013 (L 5 KR 252/13 B ER) Bezug. Zur Klarstellung weist er noch einmal darauf hin, dass der Kläger selbst nicht vorträgt, zum anspruchsberechtigten Personenkreis der §§ 1ff., 10 BVG zu gehören. Folglich kann weder § 18 Abs. 2 BVG auf ihn angewandt werden, noch liegt im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) eine Ungleichbehandlung gleicher Personengruppen vor. Darüber hinaus verkennt der Kläger, dass weder § 18 Abs. 2 BVG noch das BSG in seinem Urteil vom 11.11.2004 eine kostenfreie sog. "erweiterte Sachleistung" vorsehen.

Da der Sachleistungsanspruch schon nicht besteht, kommt es auf die Frage, wo das begehrte Modell am günstigsten zu erwerben gewesen wäre, nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht; § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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