L 1 JVEG 866/15

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 JVEG 866/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Entschädigung für das Gutachten vom 16. Juni 2015 wird auf 2.161,28 Euro festgesetzt. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht satt.

Gründe:

I.

Im Klageverfahren mit dem Aktenzeichen L 3 R 1182/13 beauftragte die Vorsitzende des 3. Senats mit Beweisanordnung vom 13. April 2015 den Erinnerungsführer mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Unter dem 16. Juni 2015 erstellte der Erinnerungsführer sein Gutachten. In seiner Kostenrechnung vom gleichen Tage machte er eine Vergütung von 2.260,79 Euro geltend. Dabei brachte er unter anderem die Ziffern GOÄ 857 und GOÄ 856 für zehn durchgeführte Testdiagnosen mit einem Gesamtbetrag von 196,12 Euro netto in Ansatz. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Kostenrechnung Bezug genommen.

Mit Verfügung vom 1. Juli 2015 kürzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) die Vergütung auf 2.027,40 Euro. Zur Begründung führte er aus, dass die beantragte Leistung nach GOÄ bereits mit dem Zeitaufwand nach § 9 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) abgegolten und deshalb nicht erstattungsfähig sei. Dagegen hat der Erinnerungsführer am 7. Juli 2015 Erinnerung eingelegt. Die Ziffern nach der GOÄ 856 und 857 seien als Pauschale für den zeitlichen Aufwand als auch für die Sachkosten der Testdiagnostik berechnet. Die Formulare der Testdiagnostik mussten bei entsprechenden Verlagen bestellt und ihre Instruktionen sorgsam erlernt, ausgeführt und das Ergebnis statistisch abgeglichen werden. Wenn die Leistungen nicht nach der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG abrechnungsfähig seien, sei jedenfalls der zeitliche Aufwand nach § 9 JVEG zu berücksichtigen. Gegebenenfalls könne auch nach § 12 JVEG ein Ersatz für besondere Leistungen in Ansatz kommen. Er sei damit einverstanden, die strittigen GOÄ Ziffern in einen Zeitaufwand umzuwandeln und schlage als Kompromiss einen Aufwand von 1,5 (eineinhalb) Stunden vor.

Der Erinnerungsführer beantragt,

die Vergütung für das Gutachten vom 16. Juni 2015 auf 2.260,79 Euro festzusetzen.

Der Erinnerungsgegner bittet um gerichtliche Festsetzung. Die Leistungen nach dem Ziffern 856, 857 GOÄ seien nur nach § 9 JVEG abrechenbar. Inwieweit der Zeitansatz plausibel sei, habe der Senat zu entscheiden.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Senat vorgelegt.

II.

Zuständig für die Entscheidung ist nach § 4 Abs. 7 S. 1 JVEG und dem Geschäftsverteilungsplan des Thüringer Landessozialgerichts in Verbindung mit dem Geschäftsverteilungsplan des 1. Senats der Berichterstatter. Eine Übertragung nach § 4 Abs. 7 S. 2 JVEG wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat war nicht erforderlich. Denn die in diesem Verfahren zu entscheidende Frage, inwieweit eine Testdiagnostik nach den Vorgaben der GOÄ entschädigt werden kann, ist bereits geklärt (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 9. November 2015 - L 6 JVEG 570/15 - juris). Die sich daran anschließende Frage inwieweit eine Testdiagnostik als zusätzlicher Zeitaufwand nach § 9 JVEG Berücksichtigung finden kann oder nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG bestimmte Kosten als notwendige besondere Kosten erstattungsfähig sein können, ist im jeweiligen Einzelfall zu klären.

Auf die nach § 4 Abs. 1 JVEG zulässige Erinnerung wird die Entschädigung für das Gutachten vom 16. Juni 2015 auf 2.161,28 Euro festgesetzt.

Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen worden sind. Bei der Festsetzung ist das Gericht weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz oder an die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch den UdG oder den Antrag der Beteiligten gebunden; es kann nur nicht mehr festsetzen, als beantragt ist.

Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung 1. ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG), 2. Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), 3. Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie 4. Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG).

Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war (Satz 2 Halbs. 1).

Die erforderliche Zeit ist nach einem abstrakten Maßstab zu ermitteln, der sich an dem erforderlichen Zeitaufwand eines Sachverständigen mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität orientiert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juli 2007 - 1 BvR 55/07; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – X ZR 206/98, beide Juris; Thüringer LSG Beschlüsse vom 5. März 2012 - L 6 SF 1854/11 B und 21. Dezember 2006 - L 6 B 22/06 SF, beide juris; Hartmann in Kostengesetze, 43. Auflage 2013, § 8 JVEG Rn. 35). Zu berücksichtigen sind die Schwierigkeiten der zu beantwortenden Fragen unter Berücksichtigung der Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang des Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 - X ZR 206/98, juris; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Auflage 2007, Rn. 841). Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind, wenn sich diese in einem gewissen Toleranzbereich bewegen (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 - L 1 JVEG 1189/16, juris; Thüringer LSG, Beschluss vom 13. August 2013 - L 6 SF 266/13 E, juris). Die Toleranzgrenze beträgt 15 v.H. Werden die üblichen Erfahrungswerte allerdings um mehr als 15 v.H. überschritten, ist eine Plausibilitätsprüfung anhand der Kostenrechnung und der Angaben des Sachverständigen durchzuführen (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - L 6 B 22/06 SF und Bayerisches LSG, Beschluss vom 18. Mai 2012 - L 15 SF 104/11, beide juris).

Hinsichtlich der für die Gutachtenserstellung erforderlichen Zeit hat der Erinnerungsführer keine Bedenken erhoben. Sie sind auch für den Senat nicht ersichtlich. Insoweit ist von einem Stundenansatz von insgesamt 21 Stunden auszugehen. Der Stundensatz beträgt für die Honorargruppe M 2 75,00 Euro (§ 9 Abs. 1 Satz 1 JVEG). Es handelt sich um ein Rentengutachten. Probleme hinsichtlich der Einstufung an dieser Stelle sind nicht erkennbar.

Des Weiteren ist für die durchgeführte Testdiagnostik ein Zeitaufwand von weiteren eineinhalb Stunden in Ansatz zu bringen. Die durchgeführte Testdiagnostik kann nicht, wie in der Kostenrechnung vom 16. Juni 2015 erfolgt, nach den Grundsätzen der GOÄ abgerechnet werden. Eine Erstattung besonderer Leistungen ist in § 10 JVEG geregelt. Nach § 10 Abs. 2 JVEG bemisst sich das Honorar für Leistungen der in Abschnitt O des Gebührenverzeichnisses für ärztliche Leistungen (Anlage zur Gebührenordnung für Ärzte) bezeichneten Art in entsprechender Anwendung dieses Gebührenverzeichnisses nach dem 1,3-fachen Gebührensatz. Die vom Erinnerungsführer geltend gemachten GOÄ Nummern 857 und 856 sind nicht im Abschnitt O der Anlage zur GOÄ enthalten. Die GOÄ findet nur in den im JVEG ausdrücklich normierten Fällen Anwendung (Thüringer LSG, Beschluss vom 9. November 2015 - L 6 JVEG 570/15, juris). Eine entsprechende oder analoge Anwendung kommt nicht in Betracht, denn sie widerspricht dem Wortlaut ("soweit") und dem Charakter als eng auszulegender Sondervorschrift. Ebenfalls scheidet eine Erstattung der Testdiagnostik über die GOÄ nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes aus. Denn in dem übersandten Merkblatt für die Entschädigung medizinischer Sachverständiger (Stand: 12.02.2015) war ausdrücklich ausgeführt, dass eine Abrechnung nach der GOÄ nur vorgenommen werden kann, wenn dies nach dem JVEG zulässig ist. Eine Erstattung nach der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG ist ebenfalls nicht möglich. Denn die Testdiagnostik ist dort nicht aufgeführt.

Allerdings kann der erforderliche Zeitaufwand für die durchgeführten Testungen nach § 9 Abs. 1 JVEG mit einem Ansatz von eineinhalb Stunden erstattet werden. Der Erinnerungsführer hat ausdrücklich bestätigt, dass die durchgeführten Testungen in dem seiner Kostenrechnung vom 16. Juni 2015 zugrundeliegenden Zeitaufwand bisher nicht berücksichtigt sind. Der Zeitaufwand von eineinhalb Stunden erscheint angesichts der Durchführung von insgesamt zehn Testungen nachvollziehbar. Gegen einen Zeitansatz in dieser Höhe haben sowohl der Erinnerungsführer als auch der Erinnerungsgegner in ihren Schriftsätzen vom 17. Oktober 2016 und 6. Februar 2017 bzw. 25. Januar 2017 und 7. Juli 2017 keine (durchgreifenden) Einwendungen erhoben. Insbesondere ist nicht widersprüchlich, dass der Erinnerungsführer im Gutachten angegeben hat, die Klägerin am Untersuchungstag von 10.00 Uhr bis 12.30 Uhr befragt und untersucht zu haben und nun in Addition mit dem Zeitaufwand für die Testungen (weitere eineinhalb Stunden) insgesamt vier Stunden für die Begutachtung (Exploration, körperliche Untersuchung und Testdiagnostik) benötigt hat. Insofern hat der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 31. Juli 2017 nachvollziehbar erläutert, dass die Testungen selbst unter Hinzuziehung von Hilfskräften durchgeführt werden, die anschließenden Auswertungen aber durch den Gutachter, also den Erinnerungsführer erfolgen. Diese Auswertungen erfolgen regelmäßig nicht während der Begutachtung eines Probanden oder bei dessen Anwesenheit, so dass sich der entsprechende Zeitaufwand erst im Anschluss an die Begutachtungssituation ergibt. Für die Annahme, dass es sich vorliegend anders zugetragen haben könnte, besteht kein Anlass und wurde auch nichts vorgetragen. Entsprechend ist es vorliegend weder widersprüchlich noch unschlüssig, wenn der Erinnerungsführer für die Befragung und Untersuchung zweieinhalb Stunden ansetzt und anschließend weitere eineinhalb Stunden für die Auswertung der Testdiagnostik.

Ein Ersatz für besondere Aufwendungen nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG für die durchgeführten Testungen kann hingegen nicht erfolgen. Nach dieser Vorschrift werden bestimmte für die Vorbereitung und Erstattung des Gutachtens notwendige besondere Kosten gesondert ersetzt, u.a. die (notwendigen) Aufwendungen für eigene Hilfskräfte (soweit deren Tätigkeit nicht von der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG oder Abschnitt O des Gebührenverzeichnisses zur GOÄ erfasst sind), die Aufwendungen für die bei der Untersuchung verbrauchten Stoffe und Werkzeuge sowie die Kosten für notwendige Fremduntersuchungen (Thüringer LSG, Beschluss vom 9. November 2015 – L 6 JVEG 570/15, juris). Der Erinnerungsführer hat insoweit in seinen Schriftsätzen zwar darauf hingewiesen, dass die verwandten Testformulare von Verlagen für jede Begutachtung kostenpflichtig bezogen werden müssen und insbesondere ein Kopieren aus Urheberrechtsgründen nicht zulässig ist. Besondere Kosten für die Anschaffung der Formulare können nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG jedoch nur Berücksichtigung finden, wenn eine Rechnung vorgelegt wird, aus der sich in nachvollziehbarer Form die Anschaffungskosten der Testformulare für den konkreten Begutachtungsfall ableiten lassen. Derartiges ist hier nicht erfolgt.

Zusätzlich zu erstatten sind die Schreibauslagen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 JVEG), die Kopierkosten (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 JVEG) und die Umsatzsteuer (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG). Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Die Vergütung des Erinnerungsführers errechnet sich damit wie folgt:

22,5 Stunden x 75,00 Euro 1687,50 Euro Portoauslagen 8,00 Euro Schreibauslagen 81,00 Euro Kopierkosten 25,00 Euro + 14,70 Euro Gesamt netto 1.816,20 Euro Mehrwertsteuer 345,08 Euro Gesamtbetrag 2.161,28 Euro.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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